Albin Kirchhofer
Die Kunst, das Leben zu genießen
Albin Kirchhofer hat die Schweizer Werbeszene nachhaltig geprägt. Der leidenschaftliche Kreativkopf hat so manche Bruchlandung erlebt, aber nie seine Zuversicht verloren. Stille Momente sind für ihn dabei Kraftoasen.
Es gibt Situationen, die teilen das Leben in ein Davor und ein Danach. Mitten in den Alltag bricht etwas herein und bringt augenblicklich alles andere zum Schweigen. Manche Menschen schleppen solche Erfahrungen wie einen viel zu schweren Rucksack ihr Leben lang mit sich herum. So jemand war Albin Kirchhofer aber nie. Es fällt ihm leicht, Dinge hinter sich zu lassen. Der angesehene Basler Werber ist ein Macher, einer, der vorwärtsstrebt, nicht lange fackelt, keine Risiken scheut, sich immer zu hundert Prozent investiert. So hat der inzwischen Achtzigjährige viel erreicht – und reichlich Lehrgeld bezahlt. Stoppen konnten ihn manchmal nur Situationen, die ihn unvermittelt aus dem Trott rissen und zum Innehalten zwangen.
Zeichnen unterm Tisch
Rund um 1950 in einem verschlafenen Dorf im Kanton Aargau: Wenn er nicht gerade bei den benachbarten Bauern mithilft, hockt der kleine Albin am liebsten stundenlang daheim unter dem Zuschneidetisch und zeichnet dessen Holzteile ab. Überall liegen die Skizzen verteilt. Wenn gerade kein Papier zur Hand ist, holt sich der Junge zum Ärger der Eltern kurzerhand Bücher aus dem Regal und bekritzelt die leeren ersten Seiten darin. Und weil das Geld für die von ihm heiß begehrten Comichefte nicht ausreicht, zeichnet Albin kurzerhand selbst welche – tagelang. »Das war einfach ein Grundbedürfnis«, resümiert sich Albin, der das Künstlerische immer mehr für sich entdeckte. Er unterhält seine Freunde und Klassenkameraden – etwa mit Theatervorführungen, spielt Gitarre und Schlagzeug in verschiedenen Bands. Alles autodidaktisch. Später studiert er Grafikdesign, vergräbt sich in die Kunst der Typografie und beschäftigt sich intensiv mit Marketing.
Mit gerade einmal 24 Jahren hebt er die Kirchhofer Partner AG aus der Taufe, mit der er Werbeberatung und Corporate Publishing anbietet. Mutig, könnte man meinen. »Fahrlässig«, nennt Albin es. »Bevor du eine Firma gründest, solltest du vielfältige Erfahrungen sammeln, ins Ausland gehen, andere Sprachen, Kulturen und Unternehmen kennenlernen. All das war bei mir nicht der Fall. Ich habe mich selbstständig gemacht, weil ich dachte: Ach, das kann ich auch.« Seine Unerfahrenheit muss der Gründer teuer bezahlen: Er stürzt sich für die ersten Kunden in die Arbeit, doch die prellen ihn um seine Honorare. Viele Leerläufe und harte Lektionen folgen, auch weil Albin Entscheidungen schnell und impulsiv trifft. Aber er gibt nicht auf.
Ein besonderer Spirit
Jahre vergehen, bis das Unternehmen schwarze Zahlen schreibt und wächst. Es lebt von der Leidenschaft und Albins Einsatz: »Ich habe Tag und Nacht gearbeitet, aber das war mir völlig wurst, weil ich es geliebt habe.« Dieser Spirit trägt auch die zunehmende Zahl an Mitarbeitenden. Trotz eher unterdurchschnittlicher Entlohnung zeigen die enorm viel Einsatz und halten dem Unternehmen lange die Treue. »Die Atmosphäre war einmalig«, erinnert sich der Gründer. »Aber die habe ich nicht selbst gemacht. Wenn ich zurückblicke, bin ich mir hundertprozentig sicher: Da hatte Gott seine Finger im Spiel. Er wollte mich scheinbar in dieser Position haben.« Albin pflegt nicht etwa eine besondere Frömmigkeit in seinem Unternehmen. Seine christlichen Werte und Überzeugungen spielen jedoch eine prägende Rolle. »Unser Miteinander bei der Arbeit lebte von Ehrlichkeit. Das kann man nicht machen, man muss es leben.« Zu dieser Ehrlichkeit gehört auch, dass Albin statt Stellen einfach mit Mitarbeitenden zu besetzen, lieber für die jeweiligen Leute die zu ihnen passenden Aufgaben sucht. Er denkt nicht in Schubladen nach Berufsbezeichnungen, schließlich hat er sich selbst einen Großteil seiner Kompetenzen jenseits des klassischen Bildungsweges angeeignet. »Ich bin kein typischer Grafiker, auch wenn ich das studiert habe. Ich liebe vielmehr das Marketing, die Zusammenhänge des Marktes, das Beobachten und Analysieren von Firmen und ihren Strukturen.«
Ich habe es geliebt, Tag und Nacht zu arbeiten.
Diese Herangehensweise lockt mit der Zeit immer mehr Kunden an. Denn Wahrheit, so ist Albin noch heute überzeugt, spiele in der Werbung die wichtigste Rolle. »Wenn Firmen zu mir gekommen sind, habe ich sie immer schonungslos damit konfrontiert, was sie an ihren Produkten besser machen sollten, was nicht gut und nicht dem Markt entsprechend ist. Und das wurde immer angenommen. Dafür braucht es natürlich eine gewisse Kompetenz.« Und diese spüren die Kunden bei Albin. So gewinnt er renommierte Auftraggeber für sich, wie Coop Mineraloel, Subaru Schweiz, Messe Basel und das Bundesamt für Privatversicherungen.
Flucht in die Arbeit
Und dann ist da dieser eine Satz, der Albins Leben eine radikale Wendung gab: »Es wäre besser, wenn du dich jetzt verabschiedest«, sagt seine Frau. Während er tagein, tagaus Kunden die besten Kommunikationslösungen verkauft, funktioniert das Zwiegespräch zwischen ihm und seiner Frau nie so recht. Beide waren in schwierigen Elternhäusern aufgewachsen und haben es nie besser vorgelebt bekommen. Auch was es bedeutet, eine Familie zu pflegen, hat Albin nicht gelernt. Mit der Zeit entfremden sie sich zunehmend voneinander. So flüchtet er sich immer mehr in seine Arbeit. »Um 5:45 Uhr klingelte mein Wecker und ich machte mich auf ins Geschäft. Um 18 Uhr kam ich zum Abendessen mit meiner Frau und den beiden Kindern nach Hause. Danach verschwand ich wieder ins Büro. Wenn ich um 23 Uhr heimkam, schliefen dann bereits alle. So ging das jeden Tag. Das war natürlich nicht sehr förderlich.« Der Familienhund begleitet Albin stets in die Firma. »Viele Abende ging ich zwar ins Büro. Doch anstatt zu arbeiten, lag ich mit meinem Hund auf dem Boden und habe geheult«, erinnert er sich. »Letztlich war ich auch hier – wie bei der Firmengründung – viel zu unreif für diesen Lebensabschnitt.«
Ich lag mit meinem Hund da und habe geheult.
Als seine Frau ihn auffordert zu gehen, lässt Albin alles zurück. Und weil ihm Hotelzimmer zu teuer sind, mietet er kurzerhand eine Zelle in einem nahegelegenen einstigen Kloster. Die bietet nicht mehr als Bett, Stuhl, Tisch, Schrank. Und viel Ruhe. Doch das ist genau das, was Albin nun braucht. »Wenn du eine schwierige Situation bewältigen musst, ist es gut, so wenig Ballast wie möglich zu haben. Selbst das, was dir sonst Spaß macht, ist dann zu viel.« Neun Monate wohnt der Firmeninhaber in der kargen Zelle. Kein Programm, kaum Kontakte, einfach nur Stille – heilsame Stille. Nach außen hin wahrt er den Schein, erzählt niemandem von der Situation. »Das war schon surreal: Morgens fuhr ich mit dem Jaguar zur Arbeit und abends parkte ich den Schlitten wieder vor dem Kloster.«
Eine besondere Gemeinschaft
Wenig später findet der Unternehmer eine Art Ersatzfamilie. Er wird zu einer Veranstaltung der Internationalen Vereinigung christlicher Geschäftsleute und Führungskräfte eingeladen. Entgegen erster Bedenken fühlt er sich dort bei Bankett und Vortrag sofort wohl. Bald schon wird er in den Vorstand der Basler Gruppe berufen, auch wenn er weitaus der Jüngste in dem Verein ist. Durch seine grafischen Fähigkeiten bringt er frischen Schwung mit, bald beauftragt ihn der Gründer der Vereinigung, die frisch ins Leben gerufene Zeitschrift »Geschäftsmann und Christ« zu übernehmen. »Ich war eben immer ein Heftleinmacher. Das hatte ich im Blut«, resümiert Albin. Zwanzig Jahre lang übernimmt er die Aufgabe, bis jemand aus dem Führungskreis des Vereins ein neues Konzept mit neuer Besetzung durchsetzt. »Überraschend ist für mich heute noch, dass es mir gar nichts ausgemacht hat. Ich habe das einfach hinter mir gelassen.«
Das Glück zu fliegen
Tatsächlich hat Albin wenig Grund, sich zu ärgern. Denn beruflich läuft es fabelhaft für ihn. Seine Firma wächst und gedeiht, genießt Renommee und heimst Auszeichnungen ein. Zudem hat er seine Mitarbeitenden so gut entwickelt, dass er das Unternehmen 2012 unter frischem Namen in neue Hände übergibt. So kann er sich mit 67 Jahren aus dem operativen Geschäft zurückziehen. Auch eine neue Liebe findet er. Und wenn ihn doch einmal Sorgen plagen, geht er sprichwörtlich in die Luft – per Kleinflugzeug. »Beim Fliegen musst du dich hundertprozentig konzentrieren. Alles andere hat keinen Platz. Deine Probleme sind weg. Nicht mal meine Telefonnummer weiß ich dort oben noch. Dieses Gefühl über den Wolken ist einfach phänomenal.« Albin fasziniert am Fliegen auch das Technische. »Am meisten liebe ich das Landen. Wenn du es richtig gut machst, schaffst du es, butterweich aufzusetzen.« Ist man allerdings nicht voll bei der Sache, wird es lebensgefährlich.
Es ist ein herrlicher Sommertag im Juli 2010, als Albin und sein Copilot die Freiheit in tausend Metern Höhe genießen. Das Motorknattern dringt dumpf und leise durch die Kopfhörer der beiden, als sie sich auf die Landung auf einer nicht so vertrauten Wiesenpiste vorbereiten. Albin ist parallel mit dem Turm und seinem Begleiter im Gespräch, während er noch nach der Landebahn Ausschau hält. Für einen Moment ist seine Aufmerksamkeit nicht ganz bei den vielen Messgeräten der Maschine. So bemerkt er nicht, wie diese an Geschwindigkeit verliert. »Du kannst beim Fliegen nie zu schnell sein, nur zu langsam«, erklärt Albin. »Als Pilot übst du diese Situation tausendmal. Das Flugzeug beginnt zu fallen. Aber wenn du nach oben ziehst und Gas gibst, kannst du es wieder auffangen.« Als Albin nun bemerkt, dass die Maschine zu langsam ist, zieht er, versäumt jedoch, Gas zu geben. Sekunden später schlägt der Kleinflieger auf dem Boden auf. Die Türen reißt es weg. Geistesgegenwärtig schnallen sich die beiden ab und versuchen, so schnell wie möglich aus der Maschine zu kommen, denn die könnte explodieren. Unter extremen Schmerzen schafft es Albin auf allen Vieren aus dem Wrack. Während sein Copilot mit einer Schramme im Gesicht davonkommt, ist bei Albin ein Lendenwirbel angebrochen. Mit viel Glück entgeht er einer Querschnittslähmung. Es dauert einige Monate, bis er die Klinik wieder verlassen kann. Aber Albin wäre nicht Albin, hätte er das Gefühl, im Flieger zu sitzen, nicht schon kurze Zeit nach seiner Genesung wieder genossen.
Stille ist wie atmen, schlafen, essen.
Die Birchermüesli-Rangliste
Überhaupt ist Albin ein Genießer. Nicht, dass er ein ausschweifendes Leben führen würde. »Ich bin meine Leben lang glücklich, weil ich den richtigsten Beruf habe, den ich überhaupt lernen konnte.« Albin strahlt Zufriedenheit aus. Sein breites, verschmitztes Lachen ist ebenso ansteckend wie sein charmanter Humor. Manchmal genießt er es auch, mit den Dingen, die er tut, ein bisschen zu provozieren. Er weiß: Er muss nichts mehr, aber er darf. Nach wie vor unterhält er ein Büro im Basler Co-Working-Space Hyve. Dort zieht es ihn tagtäglich hin, um nach Herzenslust zu gestalten, Projekte zu verwirklichen und kleine verrückte Ideen zum Leben zu erwecken.
Schon fast legendär ist seine Birchermüesli-Rangliste. Weil er nämlich seit Jahren täglich zu Mittag ein Birchermüesli isst, fasste er den Plan, die zehn teuersten Lokale in Basel zu testen und daraus ein Ranking zu erstellen. Dieses druckte er als Flyer und überreichte es dem jeweiligen Gewinner. Generell stehen kulinarische Genüsse hoch im Kurs bei Albin. Er liebt es, mit anderen im Restaurant oder bei einem Kaffee zu sitzen und sich über Gott und die Welt zu unterhalten. Zudem ist er ein absoluter Weinliebhaber – und nach wie vor ein exzellenter und gefragter Werber. So engagiert er sich vielfältig, etwa für die Nacht des Glaubens in Basel, verhilft Buchprojekten zum Leben und bringt sich nach wie vor mit großer Leidenschaft bei der IVCG – heute goUnity – ein. Sie hat ihn und seine Agentur auch vor acht Jahren gebeten, für sie ein neues Magazin zu entwickeln. So entstand das goMagazin, das Albin als Mentor begleitet.
Heilsame Gedankenpausen
Ruhig ist es im Leben von Albin auch mit achtzig Jahren nicht geworden. Und trotzdem haben die Monate im Kloster ihn gelehrt, wie gewinnbringend Stille für sein Leben ist. »Stille ist wie atmen, schlafen, essen. Sie schenkt Lebensqualität«, sagt er. Zwar hat er zwei, drei Mal noch Schweigewochen in einem Kloster eingelegt. Doch seine Erfahrung hat ihn gelehrt, dass man von solchen Ereignissen nicht allzu lange zehrt. Heute sind es kleine Momente im Alltag. »Ich halte kurz inne und blende alles um mich herum aus. Das kann am Bahnhof sein, im Shoppingcenter oder am Schreibtisch. Ganz egal. Und dann ist es wie ein kleines Gebet – eine Bitte, ein Wunsch, ein Dank, eine Vorstellung. Diese Gedankenpausen ergeben sich einfach. Sie sind unglaublich heilsam und kraftspendend.«
»Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führt mich zum frischen Wasser. Er erquickt meine Seele. Er führt mich auf rechter Straße um seines Namens willen. Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich. Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbst mein Haupt mit Öl und schenkst mir voll ein. Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Haus des Herrn immerdar.«
Albin Kirchhofer
Mit 24 gründete der Grafiker seine eigene Kommunikationsagentur, deren Arbeit bis heute – unter neuem Namen – Fortbestand hat. Der 80-Jährige engagiert sich vielfältig, etwa für goUnity und das goMagazin. Albin liebt gutes Essen, guten Wein und das Fliegen – bis vor einigen Jahren noch selbst als Pilot. Nach einem Absturz entging er knapp einer Querschnittslähmung. Er ist Vater zweier Söhne und wohnt mit Lebensgefährtin in Basel.