Janine Guldener
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Rainer Wälde & Ilona Wälde

Endlich angekommen

Sieben Jahre lang träumten Ilona und Rainer Wälde davon, ein modernes Kloster zu gründen. Heute finden Sinnsucher auf ihrem Gutshof Inspiration für ihr Leben.

Rainer Wälde
Rainer Wälde
8 min

Wir fühlten uns wie Nicole Kidman und Tom Cruise, die im Film »In einem fernen Land« von ihrem Grundstück in Amerika träumen. Genau so fern und irreal schien uns unser Traum: ein Landgut mit Tradition, in dem Menschen zur Ruhe finden und neu auftanken können. Unsere Sehnsucht nach einem solchen Paradies entsprang vor zehn Jahren während eines Aufenthalts in der »Northumbria Community« an der schottischen Grenze: ein modernes ökumenisches Kloster, inspiriert von den irischen Mönchen. Das Zentrum ihrer Gemeinschaft ist ein alter Gutshof mit einem wunderschönen Blumengarten, der von einer großen Steinmauer eingesäumt ist. Von Northumberland aus, dem alten Königreich an der Ostküste Englands, haben die frühen Christen ihren Glauben nach ganz Europa getragen. Die Mitglieder der Community erinnern sich in ihren Tageszeitengebeten noch heute daran.

Roland Rossner - Deutsche Stiftung Denkmalschutz
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Bereits am zweiten Tag fühlten wir beide uns pudelwohl: Das alte Gehöft, die hölzerne Kapelle und die wohnliche Küche drückten unsere tiefsten Bedürfnisse nach Heimat und Geborgenheit aus. Obwohl wir noch nie hier gewesen waren, hatten wir schnell das Gefühl, endlich nach Hause gekommen zu sein. Die Gemeinschaft lebt nach zwei Klosterregeln: erreichbar zu sein und verletzlich zu bleiben. Jeder, der auf der Reise einen heißen Tee, ein ehrliches Gespräch oder ein Bett für die Nacht braucht, ist willkommen. Die Unterkunft ist einfach, in der Küche Selbstbedienung angesagt. Doch wenn Besuch kommt, nimmt sich ein Mitglied der Gemeinschaft Zeit für den Gast, führt ihn herum, lädt ihn zum Essen ein und ist gesprächsbereit.

Bereit, neues Land einzunehmen

Zurück in Deutschland fingen wir an, die Tageszeitengebete aus Northumbria in unseren Alltag zu integrieren. Ein altes Büfett im Wohnzimmer wurde unser Ankerpunkt: Wir zündeten jeden Morgen eine Kerze an und sprachen gemeinsam die irischen Gebete, die uns so viel Kraft gegeben hatten. Einige Monate später fingen wir an, nach einer passenden Immobilie zu suchen. Der Traum von einem alten Gutshof hatte es uns angetan. Wir prüften die unterschiedlichsten Objekte: von einer alten Jugendstilvilla an der Lahn bis hin zu einem verlassenen Kloster am Rande der Eifel. Dabei hatten wir das Gefühl, wie zwei Siedler auf einem Planwagen zu sitzen, bereit, neues Land einzunehmen. Uns erfüllte eine Mischung aus Abenteuerlust und tiefer Sehnsucht, am Ziel anzukommen.

Wir stellten uns ein Ultimatum: Entweder es klappt dieses Jahr, oder wir lassen den Traum wieder los.

Vor fünf Jahren waren wir dann kurz davor, uns endlich niederzulassen und unseren Traum zu leben: ein Landhotel, idyllisch am Waldrand gelegen, davor ein Badesee. Alle Ampeln schienen auf Grün zu stehen, 42 Behörden wurden beteiligt, Wasser- und Naturschutz stimmten zu. Dann am letzten Tag der Genehmigungsphase: die Ablehnung der Oberen Forstbehörde. Ein Planungsfehler der Gemeinde. Zurück auf Anfang. Das Projekt war nach einem Jahr Vorbereitungszeit gestorben.

Diese Krise war eine massive Belastungsprobe – auch für unsere Ehe. Es war bereits das dritte Scheitern. Ein Freund erzählte uns von der Jagd des Geparden, der nur drei Chancen hat, seine Beute zu erledigen. Schafft er den dritten Anlauf nicht, reicht seine Kraft nicht mehr, um zu überleben. Ich weiß nicht, ob diese Geschichte wirklich stimmt, aber sie gab uns zu denken.

Den Lebenstraum loslassen?

Auf jeden Fall waren wir beide zutiefst erschöpft und frustriert. Rainer spürte, dass er kurz davor war, das Bild von einem Gutshof aufzugeben. Wären da nicht diese zwei nächtlichen Träume gewesen, an die er sich morgens nach dem Aufwachen noch genau erinnern konnte. Sie weckten in uns erneut die Sehnsucht und wir spürten ganz klar: Wir dürfen unseren Lebenstraum nicht loslassen!

Dann wurden wir beide unabhängig voneinander an genannten Film erinnert – »In einem fernen Land«. Wir trafen eine wichtige Entscheidung: Lass uns eine große grüne Fahne nähen, die uns an unseren Traum erinnert. Seitdem stand dieses Symbol direkt neben dem alten Büffet im Wohnzimmer. Vielleicht halten Sie uns jetzt für Spinner – kein Problem, damit können wir gut leben. Doch diese grüne Fahne hat uns in der Folgezeit immer und immer wieder an unser gemeinsames Ziel erinnert.

Im Januar 2016 spitzte sich die Situation plötzlich zu: Rainer empfand einen großen Schmerz in sich, der ihn an seine eigene Kinderlosigkeit erinnerte. Uns wurde bewusst, dass wir bereits seit sechs Jahren erfolglos suchten. Ganz offen stellte er ein inneres Ultimatum: Entweder es klappt dieses Jahr – dem siebten Jahr der Suche –, oder wir lassen den Traum von einem Gutshof wieder los. Sie können sich sicher vorstellen: Ilona war von diesem Ultimatum gar nicht begeistert, doch Rainer spürte, dass ihn die ewige Sucherei innerlich zu zerreißen drohte.

Der Ort bot alles, wovon wir Jahre geträumt hatten.

Ein Wunder

Zwei Tage später dann ein Telefonat mit einem langjährigen Bekannten: Wie wäre es mit einem historischen Gutshof südlich von Kassel? Wir betrachteten das Exposé und waren schnell wie elektrisiert. Am 20. April fuhren wir auf den Hof, stiegen aus und wussten nach wenigen Minuten: Das ist es! Staunend hörten wir, dass die Deutsche Stiftung Denkmalschutz in den vergangenen sechs Jahren bereits mit viel Liebe zum Detail alles fertig restauriert hatte. Die Stiftung hatte die Vision gehabt, das Anwesen in ein Veranstaltungszentrum umzuwandeln – ohne zu wissen, für wen. Während wir sechs Jahre intensiv gesucht hatten, wurde in derselben Zeit einer der größten Gutshöfe in Hessen umgebaut – was für ein Wunder! Ich bekomme noch heute eine Gänsehaut, wenn ich darüber nachdenke.

Bereits am ersten Abend der Besichtigung war allen Beteiligten klar, wie gut wir zusammenpassten: Ort und Vision, Traum und Wirklichkeit. Die Gebäude und die historische Anlage boten all das, wovon wir viele Jahre lang geträumt hatten: Die Seminare im historischen Uhrenhaus – mit Blick auf einen wunderschönen Garten, umrahmt von einer alten Bruchsteinmauer. Direkt daneben die Kapelle, früher ein Mähdrescherschuppen. Dazu ein See, umgeben von altem Baumbestand. Und ein Gästehaus, das an der Stelle des alten Schafstalles, der vor Jahren abgebrannt ist, neu errichtet wurde.

Zum Start nach Nordengland

Heute hat unsere grüne Fahne im alten Gutshof im Herzen von Deutschland ihren neuen Platz gefunden. Wir sind nach langen Jahren dort angekommen, wo unsere Sehnsucht endlich ankern kann. Wenige Monate später konnten wir einziehen und fanden vor Ort auch Mitarbeiter, die uns den Start in der neuen Heimat erleichterten. Damit sie unseren Traum von einem modernen Kloster nachvollziehen konnten, reisten wir mit dem gesamten Team für eine Woche nach Nordengland. Barfuß pilgerten wir durch das Watt hinüber zur Insel Lindisfarne, auf der die ersten Mönche ihr Kloster errichtet hatten. Dabei zu schweigen, war für einige noch ungewohnt. In der kleinen Kapelle erlebten wir die Gebetszeiten und tauschten uns über die Biografien der frühen Christen aus. Besonders eindrücklich waren die Essenszeiten in der großen Gemeinschaftsküche, zu der täglich unterschiedliche Gäste vorbeikamen. Wir diskutierten, was mit der Regel der Verfügbarkeit und Verletzlichkeit gemeint ist.

Die größte Herausforderung, die wir als Team stemmen mussten, war dann die Eröffnungsfeier. Gemeinsam mit den Vereinen von Großroppershausen entwarfen wir ein zweitägiges Programm. Dazu zünftiges Essen, das in Teamarbeit von den örtlichen Vereinen zubereitet wurde. In jeden Haushalt der 800-Seelengemeinde schickten wir zweifach Einladungen zu diesem Fest. Zu unserer Überraschung feierten schließlich rund 1000 Besucher mit uns!

In diesen beiden Tagen geschah eine Transformation: Frauen und Männer erzählten, wie sie in ihrer Jugend bei der Ernte geholfen hatten. Über Generationen war der Gutshof der wichtigste Arbeitgeber im Dorf gewesen. Nun waren sie hier als Bewohner willkommen. Ein Gefühl von »Wir sind Gutshof« machte sich breit. Am Ende der Feier nahm uns ein Vereinsvorsitzender zur Seite: »Wissen Sie eigentlich, dass dies seit dreißig Jahren das erste Mal ist, dass alle Vereine zusammenarbeiten?« Dieser Satz berührte uns sehr und wir schlugen vor, künftig alle Vereine einmal im Jahr zu einem Treffen auf den Gutshof einzuladen, um die Veranstaltungen des kommenden Jahres zu planen.

Wir freuen uns über Sinnsucher und Sinnstifter, die wie wir ihren Lebenstraum verfolgen.

Vorbilder für die Region

Seitdem ist viel in Bewegung gekommen. Bei Gesprächen mit den Bewohnern über das fehlende Selbstvertrauen, das wir in der Bevölkerung erlebten, gewannen wir beide den Eindruck, dass wir auf dem Gutshof eine regionale Aufgabe haben: den Nordhessen wieder Identität und Selbstbewusstsein zuzusprechen. Wir spüren: Anscheinend sind wir hier am richtigen Fleck. 

Weil die Tourismusregion »GrimmHeimat« die erste Entschleunigungsregion Deutschlands werden möchte, fragte uns der Tourismusverband an, ob wir nicht Waldbaden anbieten wollen. So fanden wir einen jungen Waldbademeister und bilden nun Kursleiter für Waldbaden aus. Bevor es morgens in den Wald geht, starten wir mit dem irischen Morgengebet in der Kapelle. Bereits im ersten Jahr nutzten sechzig Teilnehmer das Angebot. Das Medienecho war gewaltig: Presse, Radio und Fernsehen griffen das Thema auf und wir schafften es sogar in die Tagesthemen der ARD.

Parallel entwickelten wir für die dreizehn Millionen Babyboomer, die in den nächsten Jahren in Rente gehen, eine Seminarreihe: Im »Goldzirkel« geht es darum, den roten Faden in der eigenen Biografie zu entdecken und dieses Wissen an die nächste Generation weiterzugeben.

Aus der Komfortzone heraustreten

Wir merken, wie wichtig Identitätsarbeit ist: Immer wieder berichten Unternehmer im vertraulichen Gespräch, dass sie in eine berufliche Sackgasse geraten sind. Trotz Karriere und beruflichem Erfolg stellen sie sich die Frage: Soll das schon alles gewesen sein? Ein erfolgreicher Geschäftsführer berichtet, wie er mit seinem Team renommierte Großprojekte realisiert, aber die wichtigsten Jahre mit seinen Kindern verpasst hat. Ein tiefer Schmerz macht sich breit, darüber kann auch die schwarze Luxuslimousine nicht hinwegtrösten. Im persönlichen Coaching schaffen wir einen Schutzraum, in dem die Trauer ihren Platz hat, und öffnen einen neuen Horizont für die nächste Lebensphase.

Hier schließt sich der Kreis: Wir freuen uns über Sinnsucher und Sinnstifter, die wie wir ihren Lebenstraum verfolgen, die aus ihrer eigenen Komfortzone heraustreten, um mit ihrem Leben einen Unterschied zu machen. Die als »Leuchttürme« in ihrer Region Vorbilder sind, die Identität stärken und andere Menschen ermutigen, ebenfalls ihre Berufung zu leben.

Rainer Wälde

Rainer Wälde

Rainer Wälde (58) berät mittelständische Unternehmer und zeigt ihnen, wie sie mit einem Blog neue Mitarbeiter gewinnen. Gemeinsam mit seiner Frau leitet der Knigge-Experte den »Goldzirkel« - eine Biografie-Schmiede für Führungskräfte, die als Sinnstifter der nächsten Generation ihren Erfahrungsschatz weitergeben möchten.

Ilona Wälde

Ilona Wälde

Ilona Dörr-Wälde (59) begleitet seit vielen Jahren Menschen auf ihrer persönlichen Lebensreise. Als Authentic Coach unterstützt sie sie, ihren eigenen Lebensthemen auf die Spur zu kommen und neue Perspektiven zu gewinnen. Seit 2001 sind die beiden verheiratet.