Simone Fürst
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Nora Oelkers

Stress, lass nach

Nora Oelkers wollte ihrem Leben ein Ende setzen, doch sie fand einen Anfang. Heute hilft sie in ihrem ­Wellnesshotel stressgeplagten Menschen, Wege aus dem Burn-out zu finden. Und vielleicht noch mehr.

Nicolai Franz
Nicolai Franz
9 min

Das Hotel »Romantischer Winkel« liegt direkt an einem See, den mächtige Eichen säumen. Wer will, kann hier einen Achtsamkeitspfad gehen und über sein Leben nachdenken. Das Innere des Gastbetriebs ist mit viel Holz und Liebe fürs Detail eingerichtet. Die Chefin, Nora Oelkers, empfängt zum Interview nicht in ihrem Büro, sondern direkt im Hotelcafé mit Blechkuchen und frischem Kaffee. »Für Sie koffeinfrei, Frau Oelkers?« – »Natürlich.« Ruhe fängt im Kleinen an.

Nora, wann hattest du deine letzte Wellnessbehandlung?

Gestern habe ich eine wunderbare Massage von meinem Mann bekommen. Das tat gut.

Man könnte meinen, als Chefin eines Wellnesshotels ist man immun gegen Burn-out. Trotzdem hast du einen erlebt. Wie kam das?

Vor über zwanzig Jahren war ich getrieben, wollte perfekt sein, immer stark, allen helfen. Natürlich musste alles sofort passieren. Wenn es immer 150 Prozent sein müssen, ist das ganz schön anstrengend.

Das klingt nicht nach Entspannung.

Wir führten das Hotel bereits, inklusive großer Wellnessabteilung als Ayurveda-Zentrum. Dort boten wir esoterische Anwendungen an.

Was waren das für Anwendungen?

Ayurveda kommt aus dem Indischen, da geht es stark um Spiritualität. Man wird massiert mit duftenden Ölen. Die Gäste kommen dabei komplett runter. Man ist so tief entspannt, dass einem alles egal ist. So als hätte man eine halbe Flasche Wein getrunken. Die Welt ist rosarot. Es passiert aber noch mehr. Die wenigsten wissen, dass bei Ayurveda auch ein hinduistischer Spirit mitschwingt. Wenn man eine solche Behandlung macht, lässt man sich auch auf etwas Spirituelles ein. Dadurch können Blockaden entstehen. Denn die Frage ist: Was kommt danach?

Haben diese Behandlungen bei dir funktioniert, als du so gestresst warst?

Als ich mich Richtung Burn-out bewegte, konnte ich gar nicht mehr laufen, ich hatte zunehmend Angst, Panikattacken, meine Kraft ging immer weiter zurück. Ich habe dann in unserem Haus immer mehr Ayurveda-Behandlungen gemacht. Schließlich hieß es immer, das ist dieser uralte Weg zu Gesundheit, zu einem langen Leben, zu Schönheit. Wer will das nicht? Doch je mehr Behandlungen ich in Anspruch genommen habe, desto schlechter ging es mir.

Paradox …

Mir ist erst in der Rückschau bewusst geworden, dass es eben verschiedene Kraftquellen gibt, die man anzapfen kann.

Warst du damals Christin?

Ich hatte schon eine Beziehung zu Gott. Wenn ich mir die Natur anschaute und die vier Jahreszeiten sah, da wusste ich, dass es einen Gott geben muss. Ich könnte niemals glauben, dass wir bloße Zufälle der Natur sind. Trotzdem war ich auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. Ich war im Kindergottesdienst einer Landeskirche als Kind sehr happy, aber mit dreizehn begann ich mir ernsthafte Fragen zu stellen. Ich wusste aber nicht, warum Jesus Christus gestorben ist. Das hatte mir niemand erklärt. Ich fragte mich: Wenn Jesus einen liebenden Vater hat, warum hängt er dann da so elend am Kreuz? Das fand ich furchtbar. Da war mir Buddha schon angenehmer. Ein bisschen gemütlich und entspannt, ein bisschen dick vielleicht, aber fröhlich.

Ich bin eben Perfektionistin, darum habe ich auch den Burn-out zu 150 Prozent erfüllt.

Wann hast du gemerkt, dass du einen Burn-out hast?

Man spricht von mehreren Stufen. Es ist schon schlimm, wenn du nicht mal mehr die Kraft für soziale Kontakte hast, man isoliert sich dadurch immer mehr. Man hat keinen Ausgleich mehr, die Kraft geht immer weiter zurück, es kommen Ängste und Panikattacken dazu. Die letzte Stufe ist, dass du dich umbringen willst.

Wolltest du dich umbringen?

Ja. Ich bin eben Perfektionistin, deswegen habe ich auch den Burn-out 150-prozentig erfüllt.

Konsequent.

Und makaber, ja. Aber wenn man keine Schwäche zeigen will und immer alles schaffen und auch noch die Last der anderen tragen will, ist das die logische Folge. Damals habe ich mich nach Anerkennung gesehnt. Ich habe Anerkennung mit Annahme verwechselt. Mit Liebe. Meine Devise war: Wenn ich wertvoll sein will, muss ich etwas leisten. Das ist einer der klassischen Burn-out-Antreiber.

Du hast dir zum Glück nicht das Leben genommen.

Ich war neun Wochen lang in einer Klinik, weil schlicht nichts mehr ging. Und wenn du nichts mehr leisten kannst, bist du auch nichts mehr. Alles, womit ich mich definiert habe, konnte ich nicht mehr. Also war alles sinnlos. Eines Tages stand ich im Badezimmer und wollte mich ernsthaft umbringen. Ich sagte: Gott, wenn es dich wirklich gibt, dann musst du jetzt eingreifen. Daraufhin kamen plötzlich drei Leute gleichzeitig ins Badezimmer und fragten, was los sei. Ich hatte nicht auf den Notknopf gedrückt. Ich wusste sofort: Da gibt es einen Gott, der mich sieht. Und mir wurde bewusst, dass ich die falsche Idee im Kopf hatte.

Danach war es sicher dennoch ein weiter Weg bis zur Heilung.

Es dauerte fast ein Jahr, bis ich wieder einigermaßen Kraft hatte. In der Zwischenzeit bin ich Gott viel nähergekommen. Mein Leben veränderte sich total, weil ich spürte: Gott hat Interesse an mir. Ich muss nicht alles aus eigener Kraft schaffen. Ich begriff, dass Jesus der einzige Weg und die Wahrheit und das Leben ist und dass niemand zum Vater gelangen kann außer durch ihn. Dadurch habe ich ganz tiefe Liebe, Kraft und Führung erfahren. Ich weiß, ich kann nicht mehr tiefer fallen als in seine Hand. Diese Erfahrung treibt mich heute an, Menschen aus dem Burn-out zu helfen. Oder es gar nicht erst so weit kommen zu lassen.

Es macht große Freude zu sehen, wie Menschen den Sinn des Lebens erkennen.

Wie wurde aus eurem Esoterikhotel ein christliches Hotel?

Ich spürte ganz klar den Auftrag von Gott, Menschen wieder Hoffnung zu geben, dass sie wieder Freude, Frieden und Kraft bekommen im Leben. Gott fragte mich: Bist du bereit dazu? Und ich sagte: Naja …

Klingt nicht sehr überzeugt.

Erst klang es für mich ein bisschen langweilig, aber ich habe trotzdem nicht lange gefackelt und gesagt: Natürlich will ich Hoffnungsträger sein, für Menschen da sein.

Du hast dazu mit Theologen und anderen Profis das »RoLigio«-Programm entwickelt, bei dem es auch um Glaubensthemen geht. Was steckt dahinter?

»Ro« steht für unser Hotel »Romantischer Winkel«, und »Ligio« kommt von »religare«, »sich zurückverbinden«. Und zwar zu sich selbst, denn im Burn-out verliert man den Bezug zu sich komplett. Und es geht um das Zurückverbinden zum Nächsten. Denn oft denken die Menschen nur an sich selbst. Oder sie denken nur an den Nächsten. Da eine Balance zu finden, ist ganz wichtig. Wir wollen uns auch zurückverbinden zum Sinn des Lebens. Und wenn man mag, auch zu Gott.

Was macht ihr konkret bei »RoLigio«?

Zunächst einmal gibt es ein Aufnahmegespräch, wenn man das ganze Programm mitmachen will. Natürlich gibt es Einzelbehandlungen, die gut helfen, wenn man gerade gestresst ist. Wenn man aber jahrelang über die rote Ampel gefahren ist, braucht es Zeit. Unser spezielles Programm geht über fünf oder sieben Tage. Im ersten Gespräch wird in zweieinhalb Stunden geschaut, wo der Gast steht, wo er leidet, wo er Veränderung sucht. Wir arbeiten mit unterschiedlichen Tools, die den Gästen helfen – alle zwei Tage auch mit Coaching-Elementen. Zum Beispiel eine Persönlichkeitsanalyse, in der man sich selbst besser kennenlernt. Es kommt aber immer darauf an, was derjenige braucht. Manchmal sprechen wir auch darüber, welche Liebessprachen er hat, basierend auf den »Fünf Sprachen der Liebe«.

Das ist also weit mehr als eine Physiotherapie.

Das Programm ist abgestimmt auf Körper, Geist und Seele. Unsere Erfahrungen prägen uns, sogar unseren Körper. Wer innerlich dauerhaft angespannt ist, ist es auch körperlich. Es macht große Freude, Menschen zu begleiten, ihnen Hoffnung zu geben und zu sehen, wie sie den Sinn des Lebens für sich erkennen. Viele kommen ein Jahr später wieder und man staunt, wie genial sich ihr Leben zum Guten verändert hat. Das ist sehr schön.

Ausgabe 36

Guten Morgen, Zukunft!

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Braucht man dazu Glauben?

Bei denen, die mit einer Offenheit für Gott zu uns kommen, sehe ich ganz andere Erfolge als bei denen, die verschlossen sind. Fast alle sind aber sehr offen. Viele sagen: Ich probiere das einfach mal aus, schlimmer kann es sowieso nicht werden. Wenn man nach sieben Tagen nicht mehr will, ist das eben so. Andere finden aber diese Kraftquelle in Gott. Sie berichten später, wie sich ihre Familie verändert hat, ihr Unternehmen. Manche bringen sogar ihre Mitarbeiter mit und erleben, wie man viel entspannter leben kann, gerade in diesen Zeiten. Eine junge Frau Anfang dreißig hatte schon feste Pläne, ihr Leben zu beenden. Sie saß in unserer Kapelle, in der ein Pastorenehepaar die Abendandacht hielt. Danach blieb sie noch. Nach einem Gespräch verließ sie die Kapelle mit strahlenden Augen, weil sie gemerkt hatte, dass sie ihren Plan nicht mehr braucht. Sie hatte Hoffnung gefunden.

Was steht heute statt Ayurveda-Massagen bei euch auf dem Verwöhnprogramm für die Gäste?

Bei unseren jetzigen Massagen ist man ebenfalls tiefenentspannt, aber wir setzen auf nachhaltige Entspannung. Wir arbeiten mit reinsten Essenzen, auch mit Ölen auf Grundlage biblischer Beschreibungen. Öle werden über fünfhundertmal im Buch der Bücher erwähnt. Früher hat man mit Kräutern und Düften auch geheilt. Bei unseren Anwendungen nimmt man die Stoffe quasi mit dem ganzen Körper auf.

Welche Rolle spielen die christlichen Werte für eure Mitarbeitenden?

Neulich hatten wir einen Champagnerempfang für Stammgäste. Ein Achtzigjähriger sagte, das Beste sei die Zimmerfrau gewesen. Er habe sich bei ihr wehleidig beklagt, dass er bald eine Brille brauche. Die Frau antwortete: »Sie haben achtzig Jahre lang keine Brille gebraucht, Sie fahren hierher mit dem eigenen Auto, können sich noch um ihren Garten kümmern – wie dankbar können Sie sein, dass es Ihnen so gut geht.« Das hatte dem Mann eine neue, viel fröhlichere Perspektive gegeben. Dass alle unsere Mitarbeiter diese Werte leben, ist uns sehr wichtig.

Siehst du dich als Missionarin?

Mir ist es wichtig, von diesem wunderbaren Gott zu erzählen, wenn ich gefragt werde. Ich will niemanden bekehren. Viele Jahre habe ich selbst danach gesucht, in alle Richtungen. Als ich evangelisch war, wollte ich katholisch werden, weil deren Kirchen so voll waren. Irgendwas Besonderes musste es da doch geben. Mir hat aber niemand die frohe Botschaft von Jesus erklärt. Ich erzähle von dem, was ich erlebt habe. Dass es einen Gott gibt, der für mich ist. Das ist die allerbeste Nachricht der Welt. Und wenn wir täglich so viele schlechte Nachrichten hören, können wir doch auch mal eine gute erzählen.

Nora Oelkers

Nora Oelkers

Nora Oelkers, 62, leitet das Fünfsterne RoLigio Spa & Wellnessresort »Romantischer Winkel« in Bad Sachsa im Harz. Einst Ayurveda-Expertin, erlitt sie ­einen Burn-out und fand darin den Weg zu Gott. Heute verbindet sie Wellness mit Spiritualität, begleitet Gäste in Programmen wie »RoLigio« aus Stress, Lebenskrisen und Überforderung. Als Chefin von 180 Mitarbeitern setzt sie auf Wertschätzung, ­Förderung von Talenten und gelebte christliche Werte.