Roland Juker
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Karl Müller & Claudio Minder

Wie leichtfüßig sind Sie als CEO-Duo unterwegs?

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Ladina Spiess
Ladina Spiess
9 min

Kennengelernt haben sich die beiden 2002. Claudio Minder (43) stieg damals in das Bekleidungsgeschäft »MyMui« von Karl Müller (38) und dessen Bruder Mathias ein. 2006 wurde »MyMui« aus dem Schweizer Markenregister gelöscht und ein sofortiges Verkaufsverbot verhängt. Grund: Verwechslungsgefahr mit einem Label, das einem internationalen Modehaus gehörte. 2008 gründeten Müller und Minder die Schuhmarke Joya. Ihr Ziel war und ist es, Schuhe zu produzieren, in denen sich Menschen schmerzfrei bewegen können.

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Im Business verstehen sich Claudio Minder und Karl Müller manchmal sogar ohne Worte. Privat gehen sie meist getrennte Wege, wenn sie nicht gerade den Kilimandscharo gemeinsam besteigen.

Im vergangenen Jahr fusionierten sie mit der Marke kybun, die Müllers Vater – ebenfalls ein Karl Müller – gegründet hatte. kybun Joya beschäftigt rund zweihundert Mitarbeitende und produziert in der Schweiz, Italien, Korea und Indonesien. Auch die exklusive Schuhmarke Kandahar zählt seit Kurzem zum Schuhimperium. Im schweizerischen Sennwald werden die typischen Luftkissen-Schuhe in bis zu vierzig Arbeitsschritten mit viel Handarbeit hergestellt. 

»Aber« und »aufgepasst« kommen in unserem Wortschatz nicht vor.

Herr Minder, was zeichnet Ihren Geschäftspartner Karl Müller aus?

Minder: Karls Begabung ist das strategische Denken und Handeln. Er geht mit Begeisterung die Frage an, wohin wir unser Unternehmen steuern wollen und was es braucht, um dieses Ziel zu erreichen. Karl ist auch unser Visionär. Er sieht Dinge, die heute noch gar nicht existieren. Veränderungen beflügeln ihn. Konstanz mag er definitiv nicht. Richtig?

Müller: Ja, meine Getriebenheit ist noch ungebändigt.

Und andersrum: Und wer ist Claudio Minder?

Müller: Er ist ein begnadeter Kommunikator und schafft es, die Visionen den Mitarbeitenden zu vermitteln. Claudio ist zudem enorm belastbar und strahlt eine wohltuende Ruhe aus. Sein analytisches Denken hilft, auch in herausfordernden Situationen die nötige Gelassenheit zu bewahren.

Wie sind Sie damals mit Joya in die Unternehmerwelt gestartet?

Müller: Unser Motto hieß: »Lass uns ausprobieren.« Wir gingen spontan an die Arbeit, einen Businessplan gab es nicht.

Minder: Wir sind keine Bedenkenträger, damals und heute nicht. »Aber« und »aufgepasst« kommen kaum in unserem Wortschatz vor. Oder anders gesagt: Wir denken nicht jeden Schritt von Anfang an zu Ende. Es ist eine grundsätzliche Positivität, die unser Handeln prägt …

Müller: … gepaart mit Zuverlässigkeit und Verantwortungsbewusstsein. Wir sind uns in der gegenwärtigen Situation mehr denn je bewusst, dass wir eine große Verantwortung tragen. Dies empfinden wir jedoch nicht als Last, es ist motivierend. 

Sie leiten gemeinsam die fusionierte kybun Joya Retail AG. Wie sind die Aufgaben aufgeteilt?

Minder: Das ist eine klassische Frage, auf die wir keine klassische Antwort haben. Noch sind wir in der neuen Unternehmensgruppe in der Findungsphase und haben keine klare Trennlinie zwischen unseren Aufgaben. Als Unternehmer-Duo werden wir fast täglich mit neuen Themen konfrontiert. Manchmal entscheiden wir, wer von uns beiden sich darum kümmert. Oft aber gehen wir die Fragen und Probleme gemeinsam an. Wichtig ist, dass wir uns Zeit nehmen, uns laufend zu synchronisieren.

Müller: Selbstverständlich gehen längst nicht mehr alle Themen über unseren Tisch. Wir sind mit einem unglaublichen Team unterwegs. Wir können loslassen und vertrauen. 

Ich habe oft das Gefühl, ich erfülle die Anforderungen meines Umfelds nicht.

Was, wenn Sie beide sich nicht einig sind?

Müller: Das kommt, Gott sei Dank, selten vor. Bei Meinungsverschiedenheiten herrscht für einen Moment großes Schweigen. Weil wir beide das gleiche Ziel haben und an einer guten Lösung interessiert sind, raufen wir uns für gewöhnlich schnell wieder zusammen.

Wie sieht es aus mit externer Unterstützung und Beratung?

Müller: Mein Vater, der Gründer von kybun, ist für uns eine wichtige Stütze. Er hat sich seit der Fusion komplett aus dem Schuhgeschäft zurückgezogen, ist aber für uns da, wenn wir ihn brauchen. Wichtig ist, dass es in den Diskussionen überhaupt keine Rolle spielt, dass ich sein Sohn bin.

Minder: Ja, er schaut sich die Situation mit uns wirklich neutral an und zeigt uns mit seiner Erfahrung und Weisheit mögliche Lösungswege auf. Er hat schon mehrere Unternehmen gegründet – und beobachtet unsere Branche seit Jahrzehnten. Gehen müssen wir den Weg dann selbst, da hält er sich zurück. Weitere Impulse bekomme ich in einer Gruppe von Führungspersonen aus den unterschiedlichsten Branchen. Der Austausch ist spannend und erweitert meinen Horizont. Zudem nehme ich ab und zu ein persönliches Coaching in Anspruch und bin aktuell an der Diplomarbeit meines Intensivstudiums Führungsmanagement an der Universität St. Gallen HSG. In den zwei Studienjahren habe ich enorm viel gelernt, nicht zuletzt über mich selbst und mein Verhalten im Geschäftsumfeld.

Eine verantwortungsvolle Führungsaufgabe, ein Intensivstudium und eine Familie. Wie bringen Sie das alles unter einen Hut?

Minder: Indem ich mich abgrenze. Ein Beispiel: Wir leben in einem kleinen Dorf. Auch wenn es diverse Möglichkeiten gäbe, nehme ich nicht am Dorfleben teil. Nicht am Plauschturnier, nicht an der Fasnacht, nirgends. Ich möchte die Zeit, die mir nebst der Arbeit bleibt, in die Familie und die Kirche investieren. Diese Prioritätensetzung ist eine bewusste Entscheidung für die wichtigen Dinge in meinem Leben. Praktisch heißt das, dass ich jeweils um 18.30 Uhr zu Hause bin und Zeit für die Familie habe. Ich muss allerdings zugeben, dass ich auch dann ab und zu den Laptop aufklappe, etwa für ein Online- Meeting mit Geschäftspartnern in anderen Zeitzonen.

Und im Urlaub?

Minder: Da kann ich nicht zu hundert Prozent abschalten. Ich arbeite jeweils morgens, bevor die Familie in den Tag startet. Ich weiß, dass ich das anders lösen müsste. Aber die Arbeit macht mir Spaß und ich empfinde sie auch im Urlaub nicht als Last. Aber ich kann gut verstehen, dass mein Umfeld meine Sicht der Dinge nicht immer teilt.

Was löst es in Ihnen aus, wenn Sie deswegen kritisiert werden?

Minder: Ich habe oft das Gefühl, ich erfülle die Anforderungen nicht. Im Geschäft nicht, weil ich abends nach Hause gehe und ich hundert unbeantwortete Mails zurücklasse. Zu Hause nicht, weil ich nicht genügend Zeit für Frau und Kinder habe. Bei Freunden nicht, weil sie oft hintenanstehen müssen. Da frage ich mich manchmal schon, ob sich das je ändern wird. Andererseits will ich mit dem, was ich heute bin und habe, glücklich sein. Das übe ich täglich ein, indem ich den Fokus auf das Gelingende setze und nicht auf die Dinge, die ich nicht hinkriege.

Müller: Was Claudio schildert, begleitet mich, seit ich als Jugendlicher die Begeisterung fürs »Geschäften« entdeckte. Ich studierte an Businessideen, während meine Kollegen herumhingen. Mein Lebensumstand bringt allerdings im Gegensatz zu Claudio einige Vorteile: Unser Büro liegt ein Steinwurf von unserem Haus entfernt, meine Freundin arbeitet in unserer Firma und meine Eltern, Geschwister, Nichten und Neffen leben im selben Dorf wie ich. Wir sehen uns fast täglich. Das macht mein soziales Leben einfacher.

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Fußgerecht: Jeder Schuh wird mit präzisen Handgriffen und Liebe zum Detail rund um den Leisten genäht, geklebt und fertig fabriziert. In der Fusion von Hightech und Handwerk entstehen Unikate.
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Streng geheim: Ein raffinierter Materialmix ermöglicht Sohlen, die weich wie der Boden eines Reisfelds sind, während sie zugleich zurückfedern.
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Weltweit einzigartig: Über mehrere Jahre hinweg hat kybun Joya eine eigene Roboteranlage für die Schuhsohlenproduktion in Sennwald entwickelt.

Ihr Geschäftspartner hat Kinder, Sie nicht.

Müller: Ich möchte keine eigene Familie mit Kindern. Siebenfacher Onkel sein und unser Unternehmen weiterführen, das ist das, was ich will. Da bin ich fokussiert. 

Und Ihre Partnerin?

Müller: Sie hat mit Reiten ein äußerst zeitintensives Hobby, das hilft (lacht). Im Ernst, wir verbringen gerne und so oft wie möglich Zeit miteinander. Alle vier bis fünf Wochen verabschieden wir uns in ein verlängertes Wochenende und genießen unsere Qualitätszeit. 

Bis jetzt sprachen wir nur über die Zeit, die Ihnen nebst der Arbeit für andere bleibt. Wann haben Sie Zeit für sich?

Müller: Ich spiele regelmäßig Fußball. Die ersten beiden Stunden frühmorgens gehören nur mir. Ich verbringe sie mit Sport, Meditieren, Lesen, Schreiben.

Schreiben Sie an einem Buch?

Nein, von mir wird es kein Buch geben. Ich notiere Gedanken, Träume, Visionen. Man könnte es wohl mit einem Tagebuch vergleichen.

Ein Buch von Karl Müller wird es nicht geben. Stimmt nicht ganz. Zusammen mit Claudio Minder und dem Autor Jyoti Guptara hat er Ende 2022 »The Joya Way« herausgegeben. Das Buch mit dem Untertitel »Mit Mut, Leichtsinn und weichen Schuhen die Welt verändern« ist eine Sammlung von Kurzgeschichten über die Höhen und Tiefen von Joya Schuhe.

Herr Minder, wann nehmen Sie sich Zeit für sich?

Minder: Ich gehöre wie Karl zu den Frühaufstehern und pflege ein Morgenritual: Sport machen, duschen, frühstücken und Bibel lesen. Dann sind meine Bedürfnisse abgedeckt. 

Sie lesen morgens die Bibel. Was nehmen Sie aus dieser Zeit mit in Ihren Alltag? 

Minder: Je nachdem, wie ich meine Gedanken frühmorgens ausrichte, sind sie entweder von Sorgen und Angst geprägt oder von Zuversicht und Hoffnung. Das Wort Gottes vermittelt mir Letzteres, entsprechend richte ich meine Gedanken aus. Der Glaube an Gott ist für mich das grundlegende Fundament meines Lebens, privat wie geschäftlich. Ich weiß, dass Gott mich begleitet, egal, wie steinig der Weg durch den Tag wird. Er schenkt mir auf jeden Fall die passenden Schuhe dazu.

Herr Müller, teilen Sie diese Überzeugung?

Müller: Ich bete jeden Tag für die Familie, die Mitarbeiter und unsere Firma. Das ist mir wichtig, um auch mit dem wachsenden Erfolg bescheiden zu bleiben. Gemeinsam beten wir zwar nicht täglich für unser Unternehmen, aber wir nehmen uns hin und wieder doch Zeit dafür.

Minder: Das ist nebst den gemeinsamen Werten und unserer Freundschaft ein verbindendes Element. 

Wenn einer von uns müde oder belastet wirkt, wollen wir das offen ansprechen.

Der Glaube gibt Ihnen beiden Kraft. Sie nehmen sich Zeit für sich, versuchen sich abzugrenzen. Was ist sonst noch wichtig, um in einer anspruchsvollen Führungsposition gesund zu bleiben?

Müller: Zwei Dinge scheinen mir wichtig: gesunde Ernährung und
genügend Bewegung. Das ist keine neue Erkenntnis. Aber man kann
es nicht oft genug hören. Wir verkaufen mit unseren Schuhen Gesund-
heit. Also ernähren wir uns ausgewogen und treiben Sport. Als Firma nehmen wir beispielsweise jedes Jahr an einem Halbmarathon teil.
Nebst dem sportlichen Aspekt schaffen wir eine Gemeinsamkeit,
die uns mit den Mitarbeitenden des Unternehmens verbindet.

Minder: Ich glaube, es ist maßgebend, ob die Arbeit nur ein Job ist, oder ob man dazu berufen ist. Stand heute habe ich eine klare Berufung für meine Aufgabe. Es gibt keinen besseren Platz für mich.

Achten Sie auch gegenseitig aufeinander?

Müller: Mir ist wichtig, dass es Claudio gut geht. Wir kennen uns bestens und haben vor allem auf Geschäftsreisen intensive Zeiten, in denen wir uns rege austauschen. Von daher denke ich schon, dass wir aufeinander achten und uns auch gegenseitig unterstützen.

Minder: Eine gewisse Müdigkeit oder Belastung des andern wahrzunehmen ist das eine. Das konkret anzusprechen, das andere. Wir üben uns darin, es tatsächlich zu tun. 

Wir wollen dem Trend »immer günstiger, immer effizienter« entgegentreten.

Wohin geht die Reise von kybun Joya?

Minder: Als wir 2008 mit Joya zugegebenermaßen recht naiv starteten, wollten wir die Nummer eins auf dem Markt werden. Heute hat der Kunde und sein Wohlergehen Priorität. Diese kompromisslose Kundenzentrierung macht den Unterschied. Sie bildet wohl den wichtigsten Erfolgsfaktor für uns. 

Müller: Wir haben ein Abomodell für Personen in Pflegeberufen lanciert, wollen die Traditionsmarke Kandahar stärken und sehen es
als Ziel, hundert neue kybun Joya-Shops in Europa zu eröffnen. Zudem treiben wir die Reindustrialisierung in der Schweiz voran. Mit der Produktion in Sennwald wollen wir die lokale Wertschöpfung stärken, gegen den Trend von »immer günstiger, immer effizienter«. 

Minder: Außerdem wollen wir ein Unternehmen aufbauen, das gesund und stabil an die nächste Generation übergeben werden kann.

Und weiter ausbauen? Ein Thema?

Minder: Es gab Angebote, zum Beispiel von Vögele Shoes. Eine Übernahme hätte aber unserer Strategie widersprochen.

Müller: Wie heißt es so schön: »Schuster bleib bei deinen Leisten!«

Karl Müller

Karl Müller

Mit seinem Vater, dem Gesundheitsschuhpionier Karl Müller III, hat Karl Müller IV (38) federnde Sohlen für Schuhe entwickelt, die den Rücken mit jedem Schritt stärken sollten. Dann gründete er Joya mit Claudio Minder, während sein Vater auf kybun setzte. Mittlerweile haben die Unternehmen zusammengefunden. Müller wohnt mit seiner Partnerin in Roggwil TG. Er begeistert sich für Fußball.

Claudio Minder

Claudio Minder

Anno 2000 wurde er zum »Mister Schweiz« gewählt. Danach arbeitete Claudio Minder (43) als Model, Moderator und Redaktor, bis er sein Unternehmergen entdeckte. Heute ist er CEO von kybun Joya. Mit seiner Frau und drei Kindern wohnt er in Stein AR und hält sich mit Joggen fit. Zusammen mit Karl Müller ist er 2021 für den »Ernst & Young Entrepreneur of the Year Award« nominiert worden.