Frederik Bugglin, Edith Arnold
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Léa Miggiano

Wie motivierst du die Generation Z?

Léa Miggiano fährt früh los. Nicht nur auf der Autobahn, sondern auch im Leben. Mit 23 gründete sie Carvolution – heute ist ihr Unternehmen der größte Auto-Abo-Anbieter der Schweiz. Statt den PS fasziniert sie das Prinzip: Mobilität neu denken. Ihr Treibstoff? Entscheidungsfreudigkeit, Resilienz, Eigenständigkeit und Social-Media-Präsenz.

Edith Arnold
Edith Arnold
11 min

Neun Uhr morgens im ländlichen Bannwil. Zwischen hohem Gras, neben einem Bilderbuchbahnhof, liegt der Firmensitz von Carvolution. Während in der Präsentationshalle neuwertige Mobile glänzen, hallt Sound aus der Werkstatt. Automechaniker, Lackierer und Autoelektriker scheinen coole Berufe zu sein! In einer Hightechanlage schleifen tätowierte Mitarbeiter Felgen wie große Schmuckstücke. Bei der Motorenölstation werden säuberlich Fläschchen abgefüllt. Léa Miggiano, die junge Chefin respektive Chief Marketing Officer CMO, erscheint: schwarzes T-Shirt, Fingernägel in Mattrosa, goldene Piercings an Nase und Ohren. Sie begrüßt, als würde man sich schon lange kennen und führt durch die Tür in einem wandfüllenden Graffito. »Kaffee welcher Art?«, fragt sie im Pausenraum, serviert und setzt sich im halben Lotussitz auf einen Stuhl.

Wie war die Fahrt von Zürich nach Bannwil?

Entspannt! Immer die gleiche Strecke zu fahren, hat etwas Meditatives. Ich bin jeweils vor den möglichen Staus unterwegs. Es gibt schon Leute, die zu einer bestimmten Zeit am Ziel sein müssen. Ich kann mir die Freiheit nehmen, früh loszufahren.

Wann ist früh?

Heute wars um sechs Uhr zehn. Alles, was vorne eine Sechs hat, ist gut. Aufstehen, parat machen, losfahren!

Mit welchem Auto bist du unterwegs?

Mit einem Audi RS3 Sportback in Schwarz-Metallic. Doch ich suche die Wagen selten aus. Die Leute unseres Einkaufs übergeben sie mir. Sie wissen, was mir wichtig ist: nicht zu groß, sonst gerate ich beim Parkieren in Zürich in Stress. Dort sind die Parkfelder kleiner.

Dein bevorzugtes Modell?

(Lange Pause) Vor allem die Innenräume sind wichtig: Ich mag ein Panoramadachfenster! Mir gefällt, wenn ich es öffnen kann und Wind hereinweht. Im Winter schätze ich eine Steuerradheizung. Und ich ziehe einen Automaten der Gangschaltung vor. Bei vielen Autobahnkilometern finde ich den Abstandstempomaten praktisch. Mit mir Auto zu fahren, ist sehr unspektakulär.

Volles Vertrauen in die Automatik?

Wir glauben alle, sehr gute Automobilisten zu sein. Aber sobald autonome Autos etwas besser fahren als der durchschnittliche Mensch, ist das gut. Technik und Sensoren haben die einzige Aufgabe, sicher durch den Verkehr zu navigieren. Wir wissen ja, wie es ist: Mal ist man müde, hat gerade einen Streit oder wird von der Sonne geblendet. Ich habe volles Vertrauen. Dazu gewinne ich Zeit.

Was machst du beim Fahren?

Am Morgen höre ich Nachrichten, nehme zur Kenntnis, was auf der Welt passiert. Abends telefoniere ich über die Gegensprechanlage. Wenn ich trotzdem in einen schnellen Stau gerate, finde ich es spannend, die Leute in den Autos zu beobachten. Es ist, als ob man in fremde Wohnzimmer schauen würde. Dann lächelt man einander an.

2018 hast du Carvolution mit einem Investor gegründet. Mit den ersten Autos seid ihr in die leere Lagerhalle in Bannwil gezogen. Inzwischen arbeiten 73 Frauen und Männer fürs Unternehmen, 40 Modelle von 16 Automarken stehen zur Auswahl. Wie funktioniert euer Auto-Abo?

Bei uns bekommen die Kunden bekannte Automarken ab Stange. Wir können sie günstiger anbieten, weil wir bei den Herstellern bis zu 150 Stück ordern. Die Kunden abonnieren das gewünschte Modell zum monatlichen All-inclusive-Preis.

Was ist das Revolutionäre an Carvolution?

Im Wort steckt neben Revolution auch Evolution. Was wir am meisten anders machen, ist zu überlegen, welches Bedürfnis die Leute haben: Wie kommt man zu einem eigenen Auto mit Kostenkontrolle, Einfachheit und selbst bestimmter Flexibilität?

Auf die Auto-Abo-Idee kam ich, weil ich mir selbst eines wünschte.

Wie bist du mit 23 Jahren auf die Idee gekommen?

Während des Studiums habe ich gejobbt, etwa für Peter Schüpbach, einen Mentor. Er überlegte sich damals, wie sich Autos online verkaufen lassen. Und ich brauchte zu der Zeit, am Ende des Bachelors, ein Auto. Er erzählte mir von Auto-Abo-Anbietern in Deutschland und den USA. Wir schauten die Dienstleistungen genauer an, rechneten ein bisschen. Dann legte er als Investor den Grundstein. In den ersten sechs Monaten wollten wir ein starkes Gründerteam bilden und ein paar Autos kaufen. Ich traf so viele Leute zum Mittagessen, bis die richtigen zusammen waren. Schon speziell, als 23-Jährige Unbekannten von der Auto-Abo-Idee zu erzählen. Als das Uni-Magazin über Carvolution berichtete, meldete sich ein Finanzspezialist, unser heutiger CFO.

Inzwischen ist Carvolution der größte Auto-Abo-Anbieter. Und du bist von der Universität St. Gallen als »Gründerin des Jahres 2025« ausgezeichnet worden. Was führt zum schnellen Erfolg?

Eine gute Portion Glück, gutes Durchhaltevermögen, die richtigen Leute zur Seite. Alles muss zusammen funktionieren. Um mit Energie und Freude vorwärtszumachen, ist es gut zu wissen, wohin die Businessreise führen soll. Unsere Leitidee: Carvolution vereinfacht Mobilität, macht sie günstiger, minimiert den Aufwand. Als Dienstleister sind wir freundlich und antworten schnell.

Ich habe die Musterlösungen an der Uni weggeworfen. Ich muss nicht dasselbe machen, wie die anderen.

Wann hast du deine Entscheidungsfreude bemerkt?

Ich bin in der Freiheit, entscheiden zu können und die Konsequenzen zu tragen, aufgewachsen. Während des Studiums hatte ich viele Prüfungen, bekam Unterlagen mit unzähligen Statistiken und vorgegebenen Lösungen. Ich war völlig im Tunnel: Nie im Leben könnte ich all das auswendig lernen, sagte ich zu meinem Bruder. Er studierte am selben Ort und riet mir, alle Musterlösungen wegzuschmeißen, die Dinge zu verstehen, statt auswendig zu lernen. Was ich dann auch tat. Als ich für die eigenen Lösungen super Noten bekam, gab das einen Shift: Ich muss nicht dasselbe wie andere machen, auch wenn es für diese stimmen mag.

Du hast keinen Master angehängt.

Ich bin einfach vorher abgebogen. Mich interessierte Carvolution mehr. Damals sagte ich mir, ich könne ja den Master nachholen, doch jetzt sind bereits acht Jahre vergangen. Das Studium ist eine schöne Zeit – auch für sich: Wie viel will ich in was investieren, welche Noten will ich in welcher Zeit erreichen? Beim Aufbau eines Unternehmens ist man auch für Mitarbeitende, Kundinnen und Kunden, Investoren verantwortlich.

Woher nimmst du das Vertrauen?

Es ist das Vertrauen darauf, immer Optionen zu haben, auch aus Sackgassen heraus. Ich will Entscheidungen bewusst treffen und nie das Gefühl haben, Passagier meines eigenen Lebens zu sein. Dann würde ich unzufrieden, käme in eine Opferrolle.

Wie erkennst du den richtigen Weg?

Wenn mich etwas positiv herausfordert. Im Rückblick kann ich sagen, ich bin an einem Ort, wo ich gerne bin.

Deine Talente?

Ich glaube nicht, dass ich wirklich ein Talent habe. Entscheiden und Mobilisieren vielleicht? Ich verstehe Sachen schnell, kann in verfahrenen Situationen handeln: Hey, das tönt eigentlich unkompliziert, das können wir schon lösen. Flucht nach vorne, es wird Spaß machen!

Welche Talente oder Skills möchtest du gerne haben?

Ich finde es schön, wenn sich Leute gut Namen merken können. Mir bereitet es Mühe. Zudem Geduld – manchmal denke ich: »Ach, hätte ich bloß mehr davon!« Weshalb will ich immer sofort eine Lösung oder Antwort auf alles finden? Beruflich wie privat?

Was bringt dich auf die Palme?

Plan- und Antriebslosigkeit! Wenn jemand keinen Bock hat und das auch zeigt, triggert mich das schon. Was machen wir nun, frage ich mich dann, gibt es einen Grund für die schlechte Stimmung? Ich versuche zu verstehen, was los ist, um in Kommunikation zu treten.

Dein Lebensgefühl als Jungunternehmerin?

Im Vergleich zu früher stehen die Türen weit offen. Als meine Mutter an der Uni St. Gallen HSG studierte, waren drei Frauen in ihrem Lehrgang. Heute hat eine Frau die gleichen Optionen wie ein Mann, auch als Unternehmerin. Allerdings zeigen Statistiken, dass weniger in Frauen investiert wird. So erhöht sich die Zahl der Jungunternehmerinnen wenig. Ich habe aber immer gute Erfahrungen gemacht.

Das Büro teilst du mit Mitarbeitenden. Wie ist es, Chefin unter Gleichaltrigen zu sein?

Ich habe keinen Vergleich. Uns beschäftigen ähnliche Themen. Aber wir haben ein professionelles Umfeld mit klaren Rollen. Nach chilligen Pausen gehts zurück zur Arbeit.

Welche Vor- und Nachteile haben flache Hierarchien?

Ich habe noch nie in einer Sie-Kultur gearbeitet. Ein Du bringt Nähe mit sich. Wir duzen auch unsere Kunden. Das ist bei uns tief verankert. Wir arbeiten gerne mit ihnen zusammen.

Die Generationen Y und Z halten die Work-Life-Balance hoch. Wie schaffst du das als Chefin?

Es ist keine Balance, sondern ein ständiges Balancieren. Es gibt Tage, an denen ich bestimmt zu viel arbeite. Aber ich bin überzeugt, dass ein guter Ausgleich langfristig eine Voraussetzung für gute Leistung ist. Am Wochenende arbeite ich relativ konsequent nicht, aber in ganz intensiven Phasen ist es nicht so einfach, wirklich abzuschalten.

An deinem Schreibtisch nimmst du auch Social-Media-Videos auf. Als Chief Marketing Officer CMO erreichst du Aufmerksamkeit.

Ja, die Social-Media-Präsenz ist ultrawichtig. Doch wir müssen immer echt und verlässlich rüberkommen. Das Auto ist etwas vom Teuersten für den Haushalt, egal ob Kauf, Leasing, Abo. Deshalb muss man dem Anbieter vertrauen können. Es steht niemand am Morgen auf und sagt, ich will ein Auto-Abo. Man muss das Angebot erklären, Interesse schaffen.

Was wollen die Kunden und Kundinnen?

Sie brauchen hilfreiche Tools, um die Kosten zu verstehen. Wenn man sie fragt, wie teuer ein eigenes Auto sei, antworten sie, zweihundert Franken im Monat. Ich frage dann, um welches Auto es sich denn handle. Der Preis ist unrealistisch, nur schon wegen der Versicherungen, Straßensteuern, Reifen usw. Eine Lösung ist die totale Transparenz und Kontrolle der Kosten, keine finanziellen Risiken.

Auf Google beschweren sich einige, bei der Rückgabe würden zu viele Schäden bemängelt, was das Angebot verteuere.

Online liest man natürlich eher negative als positive Erfahrungen. Die meisten Autos kommen gepflegt zurück. Wir haben für die Rücknahmen externe Experten. Damit alles transparent ist, können die Kunden die Autos nun mit den Experten anschauen.

Das Wirtschaftsmagazin »Bilanz« zählt dich zu den »100 unter 40: die jungen Reichsten«. Es schätzt dein Vermögen auf zehn bis zwanzig Millionen Franken. Wie ist dein Lebensstil?

Ich lebe in einer Dreier-Wohngemeinschaft – mit einer Studienfreundin und meinem Freund. Unsere Einrichtung ist modern, zusammengewürfelt. Die Kommilitonin macht gerade das Anwaltspatent. Also versuchen wir, einen sparsamen Haushalt zu führen, kochen vor und nehmen das Essen mit zur Arbeit. Wir sind auch gerne daheim.

Welche zwei Autos passen zu eurer Wohngemeinschaft?

Ein Oldtimer wäre mega cool! Aber ich brauche nicht unbedingt einen. Wenn ich aussuchen könnte, vielleicht doch ein geräumiger SUV fürs Stand-up-Paddle und zum Entsorgen von Flaschen, beispielsweise ein Ford Kuga. Dazu ein kleines, schnelles Elektroauto fürs Ferienfeeling, beispielsweise ein Cinquecento. Die Gefährte, die ich besitze: ein Bahnhofsvelo und ein Cannondale-Rennrad mit Alurahmen.

Es gibt keine Work-Life-Balance, es ist ein ständiges Balancieren.

Wofür gibst du das meiste Geld aus?

Für mein Pferd. Dann für gutes Essen im Restaurant oder im Laden. Nebst Reiten fahre ich im Winter auch Ski und im Sommer Velo und Rennrad. All das kostet Geld, bereitet aber schöne Zeiten.

Dein Pferd?

Ja, seit fünfzehn Jahren halte ich Uganette du Houssoit, eine sogenannte belgische Selle Français. Das pensionierte Springpferd lebt unweit vom Arbeitsort. So kann ich es besser in den Alltag integrieren. Reiten ist für mich eine angenehme Aktivpause: Ich bin im Stall, putze das Pferd, reite es aus. Wenn ich weg bin oder keine Zeit habe, übernimmt meine Mutter.

Die Barclays Bank investiert zweihundert Millionen Franken in Carvolution. Was bedeutet dir das?

Die Summe bekamen wir anfangs 2024 von der Barclays Bank für den Flottenausbau. Dafür haben wir hart gearbeitet und sind sehr dankbar. Nun können wir neue Autos kaufen, weiterwachsen. Die Investoren schauen aber genau hin. Das macht Carvolution zu einer sehr professionellen Firma.

Ist quantitatives Wachstum das Ziel?

Solange man im Geschäftsmodell gut wachsen kann, ist es besser, sich nicht von anderen Ideen ablenken zu lassen. Das Auto-Abo ist unsere Stärke und unser Auto-Outlet verlängert unsere Wertschöpfung.

Sollen die Straßen ungebremst mit Autos geflutet werden?

Ich glaube nicht, dass unser Angebot zu mehr Autos führt. Es ist ein Verdrängungsmarkt. Die Leute, die zu uns kommen, würden sonst ­einen Neuwagen kaufen oder leasen. Das bestätigen Umfragen.

Es gibt viele Autos mit ein oder zwei Personen an Bord.

Was den Unterschied machen wird, ist das autonome Fahren. Autos könnten bald viel sinnvoller und effizienter zirkulieren. Über Connectivity sind sie untereinander verbunden. Das sorgt auf den Straßen für Sicherheit. Für uns gibt es keine verlorene Zeit mehr. Was wir im Zug machen, ist auch im Auto möglich: Arbeiten am ­Laptop, Filme schauen, Handarbeiten, Entspannen, Konversieren. Das Auto bietet sich als mobiles Sitzungszimmer geradezu an.

Ausgabe 35

Yes, we can!

Dieser Text ist in goMagazin 35 erschienen. Bestelle die Print-Ausgabe mit weiteren inspirierenden Artikeln zu diesem Thema.

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Dieses Mobilitätsverhalten führt in die Zukunft?

Ich sehe eine Vielfalt: Auto, Velo, öffentlicher Verkehr. Die meisten mögen alle Möglichkeiten. Und wir müssen auch den Wert der ­Mobilität für eine Gesellschaft schätzen. Natürlich kann man sagen, man wolle weniger Autos und weniger Mobilität. Doch das geht einher mit weniger Wohlstand, Perspektiven, Entwicklung. Wer mobil ist, hat mehr Jobmöglichkeiten, kann entfernte Freunde besuchen. Es ist nie entweder oder. Ich selbst fahre Auto, Velo, Zug, reite ein Pferd, schwimme – alles außer Fernwandern.

Léa Miggiano

Léa Miggiano

Léa Miggiano wuchs in Baselland auf. Bereits Mutter, Vater und Bruder studierten an der Universität St. Gallen HSG. Sie absolvierte dort den Bachelor in BWL. Entscheidungsfreudig gründete sie mit 23 Jahren Carvolution im bernischen Bannwil. Das Auto-Abo-Modell brachte sie schnell auf alle Medienkanäle. 2022 erhielt Carvolu-­

tion einen Swiss Economic Award, 2024 eine Finanzierung von 200 Millionen Franken. Diesen Frühling zeichnete die Universität St. Gallen die Absolventin Miggiano als »Gründerin des Jahres 2025« aus. Dennoch hält sie die Work-Life-Balance strikt ein: Sie reitet ein pensioniertes Spring­pferd und gönnt sich freie Wochenenden.