Pirmin Zurbriggen
Wieso hast du dich trotz Erfolg zurückgezogen?
Wie gelingt es, zur Ruhe zu kommen, wenn man ständig im Rampenlicht steht? Pirmin Zurbriggen, der einst die
Skipisten dominierte, hat schon vor 35 Jahren eine Antwort darauf gefunden – und ist vom Skizirkus zurückgetreten. Heute ist er erfolgreicher Hotelier in Zermatt. Und es ist schwierig, ihn aus der Ruhe zu bringen.
Er galt als Phänomen auf zwei Brettern. Pirmin Zurbriggen eroberte die Skiwelt im Sturm. Viermal Gesamtweltcupsieger, vierzig Weltcupsiege, Olympiagold und vier Weltmeistertitel – Zurbriggen dominierte den alpinen Skisport wie kaum ein anderer. Zu seinen vier Silbermedaillen sagte er nur: »Es braucht zweite Plätze, damit man wieder Erster wird.«
Doch sein Wille zu siegen, forderte auch seinen Tribut. »Es zeigte sich, dass ich mit 27 bereits ein wenig ausgebrannt war«, gestand Zurbriggen später. »Ich war ziemlich müde – körperlich und geistig.« Auf dem Höhepunkt seiner Sportkarriere zog er die Reißleine. 1990, mit nur 27 Jahren, trat er zurück. Er heiratete die Zermatterin Monika Julen, mit der er fünf Kinder hat. Und er baute ein erfolgreiches Leben abseits des Rampenlichts auf, ein Leben im Einklang mit der Natur und seiner Familie. »Ich hätte sicher einige Jahre weiterfahren und Erfolge sammeln können. Doch es ist gut, wie es herausgekommen ist.«
Die größte Kraft liegt nicht im Training, sondern darin, den Willen Gottes zu tun.
Pirmin, trotz unzähliger Rennen hast du dir immer eine gewisse »Coolness« behalten. Wie hast du das fertiggebracht?
Das hatte stark mit meiner Entwicklung und Erfahrung zu tun. Weil ich ständig von Disziplin zu Disziplin wechseln musste und jeder Tag mit einem fixen Programm belegt war, musste ich mir eine ruhige Basis schaffen. Ein Fundament, damit ich nicht unnötig Energie verliere. Der christliche Glaube war dabei ein ganz wichtiger Faktor. Ich hatte im Laufe der Zeit gelernt, dass mir der Glaube, die Bibel und christliche Bücher helfen. So schlief ich vor den Rennen früh ein, in einem Seelenfrieden.
Hast du gebetet und so Ruhe gefunden?
Das hat nicht nur mit dem Beten zu tun. Es hat stark damit zu tun, was man alles hört und auf sich wirken lässt. Wichtig war auch die Perspektive, was wichtig im Leben ist. Egal, wo ich auf der Welt unterwegs war: Wenn immer möglich habe ich eine Messe besucht. Oder ich besuchte Kirchen, um zur Ruhe zu kommen. Für mich war wichtig, dass es auch noch andere Dinge gibt im Leben als den Skisport.
Gelang dir das immer?
Ich tat mich oft auch schwer. Es gab Tausende von Anfragen, alles drehte sich um mich, immer musste ich als Teamleader den Kopf hinhalten. Manchmal wünschte ich mir, ich könnte alles um mich herum für dreißig Minuten einfrieren, nur um etwas Ruhe zu haben. So musste ich mich gelegentlich abkapseln, um mich vor dem endlosen Rummel zu schützen.
War der ruhige Pirmin Zurbriggen auf der Piste ein wilder Kerl?
Ich war einer, der keine Angst hatte. Je steiler es war, desto besser fühlte ich mich. Es brauchte für mich nicht viel, mich zu überwinden. Ich erinnere mich an ein Jahr in Kitzbühel. Im Training hatte ich die Startnummer eins und die Piste bestand aus blankem Eis. Ich sagte mir voller Überzeugung, dass ich den ersten Teil volle Kanone fahre, nur, um die anderen zu schockieren. Und das ist mir gelungen. Das sind so kleine taktische Spielchen, wie du mit deinen Fähigkeiten spielen kannst – und die großen Einfluss haben.
Was war dein Erfolgsrezept?
Vor allem mein Glaube hat mir sehr viel gebracht. Es braucht nicht nur die richtige Vorbereitung und eine gute Kondition, es braucht auch den Willen, eine gute psychische und philosophische Einstellung. Das bekam ich durch meinen Glauben.
Der Glaube als eine Art mentales Training?
Für mich war der Glaube wie Vitamin B. Er gab mir einen Schub. Will man Kraft haben, muss man zuerst mit sich selbst im Reinen sein. Man kann nicht mit Wut im Bauch fahren, das geht nicht lange gut. Das macht dich kaputt. Wenn man den Frieden in sich tragen kann, wenn man Frieden mit seinen Freunden und Konkurrenten hat, ist das die Basis. Im Vaterunser heißt es: »Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.« Das Wort Kraft ist mir dabei enorm wichtig geworden. Die größte Kraft, die größte Energie liegt nicht nur im Training, sondern, wenn man sich ganz unter Gottes Willen begibt. Dann hat man echte Power.
War dein Rücktritt damals ein Entscheid, den du aus der Ruhe getroffen hast?
Auf einen Knall kam es bei mir sicher nicht. Ich habe mir Gedanken gemacht, was ich noch für Pläne habe. Da hat sich immer mehr herauskristallisiert, dass ich noch eine Saison mache und es dann sein lasse. Den Entscheid beeinflussten verschiedene Dinge, aktuelle Hochs und Tiefs, aber auch der Verlauf der Karriere. Irgendwann erkennt man, dass der Moment gekommen ist. Es ist ein sehr persönlicher Entscheid, der jeder in seinem Innersten spüren muss.
Wie pflegst du dein Innerstes?
Ich habe gemerkt, wie wichtig der Glaube ist und mir alles gibt. Gerade zum Ende meiner Karriere sind viele Athleten zu mir gekommen und wollten wissen, wie ich es schaffe, so gut mit allen Dingen umzugehen. Ich finde wichtige Inspiration auch in der Natur, in der mächtigen Bergwelt, die uns umgibt. Ich habe es als junger Mann genossen, die Kuhherden zu hüten oder meiner Großmutter die Schafe zu holen. Das hat viel Boden gegeben.
Als Athlet steht das Ich im Zentrum. Nach der Karriere wird daraus ein Du. Es geht auch um die Anliegen anderer.
Gibt es für dich einen Bibelvers, der dir wichtig wurde?
Ja, solche Bibelstellen hatte ich immer wieder. Es sind auch Dinge vorgefallen, wo mir die Bibel immer wieder Beispiele brachte, und ein Fenster öffnete. Diese Beispiele haben mich ergriffen und inspiriert. Ich habe die Bibel nicht von Anfang bis zum Schluss durchgelesen. Ich habe sie immer ganz spontan aufgeschlagen und oft die richtigen Sachen zum richtigen Zeitpunkt erhalten, die ich gerade gebraucht habe. Auf den Menschen prasseln aus seiner Umgebung eine Flut von Informationen und Verhaltensweisen. Das kann einen unheimlichen Einfluss haben. Um das zu neutralisieren, habe ich immer wieder aus den Beispielen in der Bibel gelernt.
Das hat dir Boden gegeben?
Ja, genau. Ein Buch, das mir sehr wichtig wurde, heißt »Die Liebe ruft« von Schwester Josefa Menéndez. Das hat mich immer wieder begleitet und in andere Bereiche gebracht. Es gab mir einen Blick weg von mir hin zu dem, was ich gerade brauche. Ich brauchte eine Quelle, die mir guttut. Einen Halt, um mit allem in Einklang zu leben. Das hat nach außen gestrahlt. In den Jahren als Skifahrer hatte ich persönlich keine Probleme.
Wie findest du heute den Rhythmus von Arbeit und Ruhe?
Als Skifahrer war ich mit den Herausforderungen allein. Heute ist das anders. Mit der Familie gibt es einen neuen Einfluss. Es geht auch um die Anliegen meiner Ehefrau, der Kinder, der Gäste unseres Hotels. Als Athlet steht das Ich im Mittelpunkt. Erst nach der Karriere wird daraus ein Du. Das ist ein ständiger Prozess. Wir sind in einer ständigen Veränderung von der Geburt bis zu unserem Tod.
Du wurdest erfolgreicher Hotelier. Wo tankst du auf?
Es wäre langweilig, wenn immer alles gleich wäre. Ich lasse mich gerne inspirieren von anderen, die gute Erfahrungen gemacht haben. Darum lese ich gerne Geschichten von Menschen, die Gott erlebt haben. Das Geistliche und Psychische haben miteinander zu tun. Man kann die Psyche nicht einfach packen und massieren. Hier habe ich entdeckt, dass das Geistliche eine gute Wirkung auf die Psyche hat. Aus mir allein kann ich nichts machen, wenn es mir nicht von oben gegeben wird. Da beginnt der ganze Handlungsprozess in allem, was wir tun, reden und handeln. Dabei macht man immer wieder Fehler und merkt, dass wir nur Menschen und auf die Hilfe Gottes angewiesen sind. Viele Leute haben früher über meinen Glauben gelacht. Heute lerne ich immer mehr Leute kennen, die sich dafür interessieren.
Pflegst du einen Ausgleich zur vielen Arbeit?
Ja, der Besuch der Messe ist mir sehr wichtig. Vor allem das Abendmahl. Über die Jahre wurde mir immer mehr bewusst, was es heißt, wenn Jesus gegenwärtig ist. Jesus sagt: »Das Mahl ist mein Leib, dies ist mein Blut, das tut zu meinem Gedächtnis.« Was das jedes Mal für ein Prozess ist, dafür habe ich eine unheimliche Hochachtung. Das ist für mich richtiges Glück und hat mir schon als Skifahrer gutgetan. Wenn ich zur Messe gehe und das Abendmahl feiern kann, dann geht es mir gut.
Pirmin Zurbriggen
Er beherrschte alle Alpindisziplinen und wird von vielen als der perfekteste Skifahrer aller Zeiten betrachtet: Pirmin Zurbriggen, 1963 in Saas-Almagell geboren, ist der einzige Skifahrer, der in einer Saison (1986/87) nicht nur die Gesamtwertung im FIS Alpine Ski World Cup, sondern auch vier der fünf Disziplinenwertungen gewann. Nach seiner Karriere übernahm er das Hotel seiner Eltern und erwarb ein weiteres in Zermatt.