Claudine Etter
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Ludwig Hasler

Exzellenz verlangt Charakter

Maschinen arbeiten präziser als Menschen –, ohne je zu ermüden. Und doch fehlt ihnen eine entscheidende Zutat für Exzellenz: die Leidenschaft. In jeder Branche sind Künstler die wahrhaft Exzellenten.

Ludwig Hasler
Ludwig Hasler
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Ich war einmal zu einem Dinner geladen, da stellten sich fast nur Exzellenzen ein. Drei, vier Dutzend Botschafter, dazwischen wir Normalmenschen, eine Handvoll nur, doch mit der kuriosen Wirkung, dass nun wir zu Herausragenden wurden, um die alle sich scharten. Wir hoben uns ab, weil jeder sich hervortat – mit Musik, Kunst, Denken. Exzellenz taugt nur als Spezies rara, als Abweichung vom Standard, Ausschlag nach oben. Schlagen zu viele aus, stufen sie sich selbst zurück – und etablieren sich als neuer Standard. Galt zum Beispiel früher ein Fußballer, der so fit war, dass er neunzig Minuten rennen konnte, als Sensation, kommt heute einer, der das nicht schafft, gar nicht mehr aufs Spielfeld. So verschiebt sich – auch in Produktion, Dienstleistung, Forschung – der Maßstab erwartbarer Qualität. Und mit ihm die Exzellenz: der Gipfel des scheinbar Unerwartbaren.

Professionell ist lediglich Standard

Wie kommt es dann, dass heute an fast jeder Straßenecke Exzellenz gefordert wird? Es liegt zunächst an der professionalisierten Aus- und Weiterbildung. Das steigende Level beruflichen Könnens bewirkt, dass Qualität (etwa in Bau, Gastronomie, Gesundheit) schlicht normal ist. Dazu wirkt sich auch die zunehmende Automatisierung aus: Nicht nur Chirurg und Architekt verlassen sich immer mehr auf digitale Steuerung, auch der Schreiner arbeitet praktisch als Programmierer von Fertigungsmaschinen, die keine Fehler machen. Wer professionell, also verlässlich gut bedient werden will, braucht keine exzellente Adresse mehr. Exzellenz beginnt erst jenseits professionellen Könnens. Gibt es ein Können, das allein ich kann? Gibt es ein Wissen, das nur wenigen zugänglich ist? Können wie Wissen sind beliebig teilbar. Exzellenz dagegen ist eine höchst persönliche Affäre – eine unnachahmliche Einstellung zu Können und Wissen.

Erotische Beziehung zur Leistung

Beispiel Roger Federer, bald zwei Jahrzehnte der exzellenteste, erfolgreichste, beliebteste Tennisspieler der Welt. Ein Künstler, sagt man, kein Powerathlet. Ein Tänzer, kein Gladiator. Plausible Beschreibungen, doch was steckt hinter der Eleganz, die noch die schwierigsten Schläge federleicht aussehen lässt? Anders als die Haudraufs, die den Gegner von der Grundlinie aus wegdrücken wollen, muss Federer seine Schläge mischen, sein Spiel raffinierter, also riskanter machen. Das gibt zu tun. Vor allem Arbeit im Kopf. Er erfindet unermüdlich Strategien, Rezepte gegen jeden Gegner, er plant, denkt, ist wandlungsfähig wie keiner. Klar gewinne er gern, sagt er, doch was ihn am Tennis reize, sei das Spiel als solches – also die Arbeit am Spiel, am schlaueren Spiel.

Diese erotische Beziehung zur Leistung macht exzellent. Leistungserotiker sind keine Profis, eher deren Gegenteil. Profis wissen, wie es geht, und sind eben darum von gestern, Wissen ist ein Kind der Vergangenheit. Leistungserotiker sind nie fertig, sie haben etwas unverwüstlich Kindliches, deshalb können sie nie aufhören. Erfolg hin oder her, sie müssen variieren, optimieren, raffinieren. Hört ein Künstler auf, bloß weil er zwanzig Bilder sündhaft teuer verkauft hat? Ein Künstler bleibt lebenslang ein Kind, ein begehrendes Wesen. Albert Einstein sagte, er sei gar nicht speziell intelligent, er habe sich lediglich so langsam entwickelt. Die kindliche Neugier sei erst erwacht, als er schon erwachsen war.

Mut – ein Muss!

Die wahrhaft Exzellenten sind – in jeder Branche – die Künstler. Als Bertrand Piccard, Psychiater und Abenteurer, sein Solarflugzeug bauen wollte, rieten ihm die Profis des Flugzeugbaus, seinen Traum zu vergessen. Es sei unmöglich, den Flieger zu realisieren. Zufällig traf er einen Schiffbauer, der »wusste noch nicht, dass es unmöglich sei, das Flugzeug zu bauen – und baute es«. Diesen Sinn fürs scheinbar Unmögliche können wir vielleicht üben, aber sicher nicht lernen. Er braucht Menschen, die sehen, was jeder sieht, dabei aber denken, was keiner gedacht hat. Menschen, die intuitiv erkennen, dass der Weg von A nach C nicht über B führt, sondern über Q oder X. Dies erfordert Mut.

Mut ist für herausragende Leistung die wichtigste Gabe. Exzellenz ist also Charaktersache. Die Digitalisierung wird das verstärken. Bisher definieren wir uns über rationale Intelligenz. Heute bauen wir Maschinen, die uns darin überlegen sind. Dr. Watson von IBM schlägt bei der Diagnose bereits die Spezialisten. Kein Wunder, er hat mehr Speicher, ist nie müde, nie verliebt, nie deprimiert. So werden Roboter erwachsen, organisieren sich selbst, lernen dazu, übernehmen unsere Fachkompetenzen. Während wir endlich Zeit bekommen für das, was nur wir können: Leidenschaft, Motivation, Ehrgeiz, Entdecken, Erfinden, Träumen – der Mensch in Schöpferlaune. Das Gehirn als Sozialorgan, nicht als Rechenmaschine. Der Mensch als innovativer Künstler – in Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur. Exzellent ist der Mensch nur als Mensch. Als Antimaschine.

Ludwig Hasler

Ludwig Hasler

Er inspiriert die höchsten Wirtschaftskreise genauso wie die Kulturelite: Dr. Ludwig Hasler (73) zählt zu den gefragtesten Querdenkern im deutschsprachigen Raum. Er finanzierte sich sein Philosophie- und Physikstudium mitunter als Heizungsmonteur. Beim »St. Galler Tagblatt« und bei der »Weltwoche« wirkte er als Mitglied der Chefredaktion. Daneben lehrte er an den Universitäten Zürich und Bern. Heute hilft er auch Großkonzernen auf die Sprünge. Zum Beispiel, indem er Economiesuisse, den Dachverband der Schweizer Wirtschaft, beim Thema »Digitalisierung« unterstützt.