Claudine Etter
©

Kristine Braden

Transparenz ist Trumpf!

Düstere Deals, protzige Partys: So stellen sich manche Leute das Bankerleben vor. Oft zu Unrecht. Denn langfristig sind Integrität und Transparenz an der »Wall Street« die wichtigsten Erfolgsfaktoren, meint Kristine Braden, Chefin der Citibank Switzerland.

Kristine Braden
Kristine Braden
5 min
Claudine Etter
©
Der Charakterkopf

»Ich habe einem Mann einen Scheck über eine Million ausgestellt, obwohl er nichts vorweisen konnte«, schrieb John Pierpont Morgan, kurz J. P. Morgan (1837 bis 1913): »Der Charakter ist wichtiger als alles andere.« Morgan postulierte, dass die Lohndifferenz von Stufe zu Stufe bei erfolgreichen Firmen nie mehr als 30 Prozent betragen sollten. Der scheue Mann, der in der Schweiz und in Deutschland studierte, galt in den USA als Banker der Nation und übernahm fast die Rolle der heutigen Zentralbank. Seine Bank lebt in der JP Morgan Chase & Co. weiter.
Claudine Etter
©
Der Kooperative

Die Not der Bauern im deutschen Heddesdorf ging Bürgermeister Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818 bis 1888) zu Herzen. Nach dem Motto »gemeinsam statt einsam« nahm er Geld von den Dorfbewohnern als Spareinlagen entgegen, um Bedürftigen zu günstigen Bedingungen Kredite zu gewähren. So förderte er nicht nur das Unternehmertum, sondern auch die Solidarität. Nach Raiffeisens Vorbild tourte Pfarrer Johann Traber bald auch durch die Schweiz, um Sparkassen zu gründen. Heute finden sich Genossenschaften in über hundert Ländern.

An eine Begebenheit erinnere ich mich so, als ob es gestern gewesen wäre: 1997 erhielt ich ein Stellenangebot von einer Bank. Am darauffolgenden Sonntag besuchte ich die Kirche. Prompt fragte mich ein Kirchenmitglied: »Wie kannst du als Christin bloß Bankerin werden? Banker sind schrecklich. In diesem Geschäft gibt es keine Moral!« Das war lange vor der Finanzkrise, die 2008 ausbrach. Doch schon damals hielten viele Christen in den USA die Finanz-

industrie für wenig vertrauenswürdig. Ich stellte eine Gegenfrage: »Wäre es nicht wünschenswert, wenn alle Banker Christen wären, damit sich die Moral der Branche verbessert?« Meine Antwort überraschte mich selbst, aber sie gab und gibt mir das Selbstvertrauen, meinen Weg als Bankerin zu gehen – und die Hoffnung, dass Gott mir helfen könnte, die Finanzwelt ein bisschen zum Guten zu verändern. In meinen zwanzig Jahren als Bankerin konnte ich drei Bereiche identifizieren, in denen Integrität für mich große Relevanz hat.

Auf Englisch pflege ich stets zu sagen: »Hire for character, train for skills.«

1. Führen: Sei authentisch!

In der Welt des Handels gilt Integrität seit jeher als Erfolgsfaktor. Aber warum eigentlich? Die Generation der »Millennials« und ihre jungen Kollegen beobachten ihre Vorgesetzten ganz genau. Sie wollen sichergehen, dass sie ihnen vertrauen können. Die beiden führenden europäischen Leadership- und Organisationsexperten Robert Goffee und Gareth Jones fragten in einem Bestseller: »Warum sollte dir irgendjemand folgen?« Eine Antwort darauf ist, dass Mitarbeiter uns folgen, wenn sie uns vertrauen. Als Führungskraft beginne ich darum stets damit, Vertrauen in meinen Charakter zu vermitteln. Das geschieht dadurch, dass ich in guten und in schlechten Zeiten nach denselben Prinzipien handle. Die Leute in meinem Umfeld können dies wahrnehmen. Über die Jahre hinweg habe ich zudem verstanden, dass ich nicht für alle Fälle eine Antwort bereithaben muss. Aber ich muss immer vertrauensvoll, verlässlich und konsistent agieren. Das bedeutet gleichsam, dass ich ein hohes Maß an Transparenz aufweise. Häufig spreche ich vor Publikum. Nach vielen Reden kommen Leute auf mich zu und erzählen mir, dass meine Anekdoten sehr offen, ehrlich und persönlich gewirkt hätten. Wenn wir so sprechen und handeln, dass dies unseren echten Charakter reflektiert, können wir eine Inspiration für andere sein. Schließlich habe ich gelernt, dass ich in meinem Arbeitsleben und in meinem Privatleben dieselbe Person bin und sein muss. Das gibt mir Ausgeglichenheit, Freiheit und Frieden. Authentizität ist ein Schlüssel zur Integrität für Führungskräfte.

2. Einstellen: Achte auf den Charakter!

So wie ich meinen Angestellten meinen Charakter offen zeige, achte ich auch bei Bewerbern auf deren Charakter – vor allem auf ihre Integrität, Ehrlichkeit und Beständigkeit. Der Chef der Fluggesellschaft Cebu Pacific, Lance Gokongwei, sagte mir einmal, dass er Leute anstelle, wenn sie eine gute Einstellung hätten. Dann bringe er ihnen die nötigen Fähigkeiten gerne bei. Mir gefällt dieses Konzept. Auf Englisch pflege ich stets zu sagen: »Hire for character, train for skills.« Das gilt auch für die Finanzwelt: Ich stelle Leute wegen ihres Charakters an, dann bilde ich ihre Fähigkeiten aus. In einem Vorstellungsgespräch frage ich danach, was eine Person motiviert, wie sie sich in schwierigen Situationen verhält, welchen ethischen und moralischen Problemen sie schon begegnet – und wie sie mit Gegenwind umgegangen ist. Kann ein Kandidat diese Fragen nicht beantworten, setze ich ein großes Fragezeichen. Ein Kollege meinte, dass Selbsterkenntnis – die Gabe, sich selbst wahrzunehmen – eine unentbehrliche Kernkompetenz sei. Er hat recht! Wenn ein Kandidat sich selbst kennt und seine Werte zeigen und ausleben kann, wird er zu einer guten Arbeitskultur beitragen. Ist dies nicht der Fall, besteht das Risiko, dass wir früher oder später wieder in eine Krise schlittern – so wie 2008.

Wir sollten andere an unserem Entscheidungsprozess teilhaben lassen.

3. Entscheiden: Tausche dich aus!

Transparenz ist auch wichtig im Hinblick auf Entscheidungen. Allzu oft betreiben Führungskräfte eine Art Geheimniskrämerei und schließen andere von ihrem Entscheidungsprozess aus – leider insbesondere, wenn es um schwierige Entschlüsse geht. Das Problem: Alle schauen genau hin, ob ein Vorgesetzter den Mut hat, zu seinen Überzeugungen zu stehen, wenn es um ethische Fragen geht. Dabei müssen wir eine Entscheidung nicht nur gegenüber unserem Gewissen rechtfertigen können, sondern gegenüber der ganzen betroffenen Gemeinschaft. Vor einigen Jahren, als ich in Südostasien lebte, war ich mit einer schwierigen Entscheidung konfrontiert. Sollte ich ein rasant wachsendes Spielcasino-Unternehmen bei der Eigenkapitalbeschaffung unterstützen? Monatelang brütete ich darüber, bis mein Chef mir klarmachte, dass er von mir erwartete, dem Unternehmen eine Offerte für diesen Deal zu unterbreiten. So suchte ich zunächst Wege, um mich selbst zu beruhigen, denn ich fürchtete, die Auseinandersetzung mit meinem Chef könnte mich meine Stelle kosten. Doch eines Tages sprach mich ein Kollege auf die Casino-Transaktion an: »Warum beschäftigst du dich noch mit dieser Firma? Sie schadet der Nachbarschaft und anderen Leuten in diesem Geschäft.« Das stimmte! Und der Deal würde die Werte dieser Firma zementieren, mit denen ich nicht einverstanden war. So fasste ich mir ein Herz und teilte meinem Chef mit, dass ich mich nicht wohl dabei fühlen würde, mit diesem Casinobetrieb zu arbeiten. Zu meiner Überraschung sagte er: »Kein Problem.« An diesem Tag habe ich eine wichtige Lektion gelernt: Der Entscheidungsprozess läuft oft unnötigerweise in einem Vakuum ab. Wir sollten andere daran teilhaben lassen und sie miteinbeziehen. Das Team sowie Kollegen verfolgen ohnehin, ob wir die Integrität und die Beharrlichkeit haben, ein Projekt abzulehnen, das sich nicht mit unseren Überzeugungen vereinbaren lässt.

Das Erfolgsprinzip

Wie können wir dazu beitragen, dass unser Arbeitsplatz von Integrität geprägt wird? In jedem Moment, in dem wir eine Entscheidung so treffen, dass wir sie vor Gott verantworten können, bringen wir Transparenz und Gerechtigkeit an den Arbeitsplatz. Wenn wir Führungskräfte integer sind, schaffen wir ein gesundes und fröhliches Arbeitsumfeld!

Kristine Braden

Kristine Braden

Sie zählt zu den wenigen Frauen an der Spitze einer Bank: Kristine Braden (42) ist Chefin der Citibank Schweiz, Liechtenstein und Monaco. Zugleich führt sie hier das Corporate & Investment Banking. Die Amerikanerin studierte Politologie, bevor sie ihre Bankerkarriere begann, die sie rund um die Welt führte. Sie spricht englisch, spanisch und deutsch. Vor Kurzem ist Kristine Braden auch für den Verwaltungsrat der Schweizerischen Bankiervereinigung (SBVg) nominiert worden. Sie ist verheiratet und Mutter zweier Kinder im Teenageralter. In ihrer Freizeit engagiert sie sich in einer Kirche.