Andrea Schombara
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Volker Schmidt-Sköries

Bäcker mit Laib & Seele

Volker Schmidt-Sköries führt ein Backunternehmen mit 350 Mitarbeitern, das als Sponti-Idee einer Alternativgruppe entstand. Anders als damals gibt es heute Hierarchien bei »Biokaiser«. Die Welt will der Chef trotzdem besser machen: Er kümmert sich besonders um seine Mitarbeiter, achtet auf gute Rohstoffe – und teilt seinen Firmengewinn.

Nicolai Franz
Nicolai Franz
7 min

Es blubbert im Edelstahltrog. Ein Knethaken dreht geduldig seine Runden, hält die Masse aus Wasser und Mehl in Bewegung. Es riecht säuerlich, leicht nach Apfel, sehr ursprünglich. Die Masse ist ein Roggenvollkornsauerteig, und der spielt in der Backhalle des Bäckers »Biokaiser« eine wichtige Rolle. Die Menschheit nutzt Sauerteig seit Jahrtausenden, überall auf der Welt. Er entsteht, indem man Wasser und Mehl mischt – und dann nichts tut. Die Mikroorganismen, vor allem die Hefen und Milchsäurebakterien vermehren sich stetig, indem sie den Zucker vergären und Milch- sowie Essigsäure produzieren.

Wir waren damals absolute Exoten.

Sauerteig lockert ein Brot nicht nur, die unsichtbaren Helferlein machen es auch besser bekömmlich, länger haltbar, geschmackvoller. Sie erhöhen die Nährstoffverfügbarkeit. Ein Wunder der Natur, das Zeit braucht.

Und genau die haben moderne industrielle Bäckereien nicht. Ein Roggenbrot mit dreistufiger Führung braucht etwa einen ganzen Tag, bis es fertig ist. Brote aus Weizen oder Dinkel teils noch länger, erklärt Bäckermeister Torsten, der durch die Backstube von Biokaiser führt. 

Die meisten Brothersteller verzichten auf diese langen Gehzeiten. Dafür fügen sie mehr industrielle Hefe und andere Zusatzstoffe hinzu. Ein Brot ist so binnen weniger Stunden fertig. Von außen sieht es genauso gut aus, aber traditionelle Qualität geht anders. Wer meint, dass die »Tütenbäcker«, wie die traditionellen Bäcker ihre konvenionellen Kollegen etwas abschätzig nennen, eine neue Erscheinung sind, irrt. Schon vor einem halben Jahrhundert stand das althergebrachte Bäckerhandwerk unter Druck.

Damals, im Jahr 1976, gründete Theo Kaiser das Unternehmen »Biokaiser«. Ein Jahr später kam ein 23 Jahre junger Mann dazu, der gerade sein Lehramtsstudium geschmissen hatte und der sich bis heute als »Weltverbesserer« bezeichnet: Volker Schmidt-Sköries. An einem milden Vormittag im Frühherbst sitzt er am Besprechungstisch seines Büros in Mainz-Kastel. Dort ist der Verwaltungssitz von Biokaiser, ein paar Meter von der Bäckerei entfernt. Der heute 69-Jährige wirkt immer noch ein bisschen wie der Lehrer, der er nie war: Ein krawattenloses Hemd, lässiger Sakko mit Ellenbogenpatches. Er erinnert sich an die ersten Jahre des Unternehmens, an dessen Anfang kein Businessplan stand, sondern viele Ideen
aus der Frankfurter Schule und der Spontibewegung. »Die Idee war, die Welt zum Besseren zu verändern«, sagt Schmidt-Sköries. Am Anfang des Unternehmens hätten drei Ebenen gestanden: erstens der Umgang miteinander, der unter anderem auf einen Chef und andere Hierarchien verzichtete; zweitens ein sinnstiftendes Produkt ohne künstliche Inputs; drittens gute, ethisch produzierte Rohstoffe.

Ein Muffin mit Ackerbohnen

Heute kann man Bioprodukte, auch Gebäck, im Discounter kaufen. Mitte der Siebzigerjahre war der Markt noch weit davon entfernt. »Wir waren damals absolute Exoten.« Ihr Produkt nannten die jungen Idealisten »Schrotbrot«, die Konkurrenz nannte es nur »Schrottbrot«. Schmidt-Sköries und seine Kollegen besuchten die Bauern der Region und fragten, ob sie nicht auch ohne Pestizide arbeiten könnten, wenn sie ihr Getreide abnehmen würden.

Sein Anliegen ist es, in Menschen zu investieren.

Ein achtsamer Umgang mit der Natur, nachhaltige Produktion, Rücksicht auf die Biodiversität – das sind heute Mainstream-themen. Schmidt-Sköries gehört zu denen, die den Weg dafür bereitet haben. Heute verarbeitet Biokaiser ausschließlich Produkte mit Biosiegel. Das Siegel alleine reicht dem Unternehmen aber nicht aus. Ein Beispiel dafür ist ein recht neues Produkt, ein Muffin mit Schokoladen-Kirsch-Füllung. Die Besonderheit: Eine der Zutaten ist Ackerbohnenmehl. Bauern pflanzen die Ackerbohne hauptsächlich als Stickstofftransporter an, um die Bodenqualität zu verbessern. Doch der Ertrag ist dadurch niedriger als mit einem Getreide für die Lebensmittelverarbeitung. Die Ackerbohnen werden normalerweise an das Vieh verfüttert und spielen für Bäcker kaum eine Rolle. Biokaiser will das ändern – auch um die Bauern zu unterstützen.

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Das Parisienne ist ein beliebtes Brot von Biokaiser, das von Volker Schmidt-Sköries geführt wird.
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Wichtig für die Qualität: eine lange Gehzeit, die in speziellen Gärschränken eingehalten wird.

Jedes Brot ein Einzelstück

Am Anfang backte auch die »Alternativbäckerei«, wie der Vorläufer von Biokaiser heißt, Brote mit Fertigmischungen. Erst nach und nach lernten die jungen Handwerker die traditionellen Methoden kennen, sattelten auf Vollkorn um, besorgten Biomehl aus der Schwäbischen Alb.

In seinem Buch »Der Bäcker und sein Brot« berichtet Volker Schmidt-Sköries, wie er lernte, Sauerteige zu hegen und zu pflegen, auf den Brotteig gut zu achten und seine Arbeit so zu verstehen, dass jedes Brot ein Einzelstück wird, dem er sich mit Hingabe widmet.

Dieses Handwerk hat ihn gelehrt, »das ganze Unternehmen wie einen Teig zu betrachten, der auf allen Ebenen einen behutsamen Umgang erfordert«. Und das ist Schmidt-Sköries eigentliches Anliegen: Nicht nur gutes Brot zu backen und Geld zu verdienen, sondern in Menschen zu investieren. »Wie beseeltes Arbeiten und nachhaltiges Wirtschaften gelingt«, heißt der Untertitel seines Buches. Und dazu hat der Unternehmer viel zu sagen.

Führen mit der Vier-Stuhl-Methode

Mit dem kleinen Alternativbetrieb der Anfangszeit hat Biokaiser heute nicht mehr viel zu tun. Die Zeiten änderten sich, und auch die Menschen, die zusammen lebten und arbeiteten. Die einen zog es in eine andere Stadt, die anderen bis nach Indien. Schmidt-Sköries blieb – und merkte, dass es ohne Hierarchien nicht mehr ging. »Die Menschen brauchen schon Orientierung.« Heute ist er Chef mit Leib und Seele, aber nicht in dem Sinne, Macht ausüben zu müssen. Denn immer noch sieht er Leben und Arbeiten gewissermaßen als Einheit, wenn er etwa berichtet, wie er Mitarbeiter führt. Er selbst hat verschiedene Berater- und Coaching-Ausbildungen gemacht, besuchte spirituelle Treffen der christlichen Kommunität Taizé, hörte selbst auf Mentoren und weise Menschen. 

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Andere klassische Brote gehen im Gärkörbchen.

Wenn er mitbekomme, dass eine Führungskraft schroff mit seinen Mitarbeitern umgehe, erzählt Schmidt-Sköries, würde er ihn nicht einfach kritisieren und eine Verhaltensänderung fordern. »Du gehst mit jemandem in einer Art um, das tut mir in der Seele weh. Und ich will wissen, wie es dir damit geht und was die Ursachen dafür sind. Wofür brauchst du das? Denn: Er hat wahrscheinlich einen guten Grund dafür, dass er so schroff und ungerecht ist.«

Bei Gesprächen mit einem Mitarbeiter wendet er die »Vier-Stuhl-Methode« an, wie er sie nennt. Damit meint er die jeweils zwei Rollen, die Chef und Mitarbeiter haben. Beide existieren im Arbeitskontext, aber eben auch als Mensch. »Wenn wir ein Gespräch führen, geht es immer darum, dass alle vier Stühle mit dem Ergebnis leben können und auch vorkommen.«

Er rettete die Firma mit seinem Privatvermögen.

Wertschätzung ist Schmidt-Sköries ebenfalls wichtig. Das wird an vielen kleinen Dingen sichtbar. Im Flur des Bürogebäudes hängen Fotos von Mitarbeitern. Es ist aber weder die Galerie der Altvorderen noch die versammelte Führungselite. Hier prangen die Auszubildenden an der Wand. Manche machen eine Lehre zur Fachverkäuferin, andere zum Bäcker.

Rendite teilen

»Wissen Sie, wie viele Auszubildende wir haben?«, fragt der Bäckerunternehmer. Es ist einer der wenigen Sätze in dem Gespräch, die er voller Stolz sagt. »Jedes Jahr dreißig bis vierzig.« Neunzig Personen arbeiten in den Hallen, wo zwar handwerklich gearbeitet wird, wo die Bezeichnung »Backstube« aber eine eindeutige Untertreibung wäre. 21 Filialen hat das Unternehmen, vieles läuft aber über den B2B-Bereich. 350 Mitarbeiter beschäftigt Biokaiser heute.

Gutes Geld hat Volker Schmidt-Sköries natürlich verdient. Mitte der Neunziger wäre die Firma trotzdem fast pleitegegangen. »Damals herrschte ›Geiz ist geil‹, das schlug sich auch auf die Nachfrage nieder.« Doch während seine Bäckerei den Bach herunterging, lief es für Schmidt-Sköries persönlich blendend. Längst betätigte er sich als Unternehmensberater, kassierte Tagessätze von fünftausend Mark. »Das war verführerisch.« Dabei war Geld zu verdienen mit dem eigenen Unternehmen, also Profit zu machen, für den Alternativen grundsätzlich nichts Gutes. »Ich musste lernen, dass es zwar gut ist, Geld zu verdienen, aber dass man eben schauen muss, was man mit diesem Geld macht.« Er steckte sein privates Geld in die Firma, rettete und sanierte sie damit. Heute sagt er: »Wenn man viel Geld hat, muss irgendwann der Punkt kommen, an dem man realisiert: Ich werde nicht glücklicher, wenn ich noch mehr habe. Glück kommt durch Teilen.« 

Damit macht Schmidt-Sköries ernst. Wenn Biokaiser mehr als fünf Prozent Rendite einfährt, wird sie geteilt: 35 Prozent bleiben im Unternehmen zur Kapitalbildung, 35 Prozent gehen an die Gesellschafter – das sind neben Schmidt-Sköries noch zwei gemeinnützige Organisationen –, 30 Prozent gehen an die »Stakeholder«. »Das sind die, die am Prozess beteiligt sind: Die Mitarbeiter, die Landwirte und die Müller.« Alle sollen am Gewinn beteiligt werden, den sie mit erwirtschaftet haben.

Sein letztes eigenes Brot hat Schmidt-Sköries vor Jahren gebacken. Brot isst er trotzdem noch so gern wie früher, als er als kleiner Junge den Mischlaib vom Bäcker holte und unbedingt naschen musste. Davon gibt es aktuell aber nichts: Der Chef nimmt gerade ab. Da gibt es im Moment nur Low-Carb-Brot. Aber immerhin aus der eigenen Bäckerei.

Ausgabe 32

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Ökopionier

Er ist ein Ökopionier der ersten Stunde. Lange bevor Biosiegel und nachhaltige Landwirtschaft Mainstream wurden, backte er »Schrotbrot«, was die Konkurrenz als »Schrottbrot« belächelte. Ein gutes Brot braucht Hingabe und gute Rohstoffe, ist er überzeugt. Sein Unternehmen ist in den vergangenen 50 Jahren um ein Vielfaches gewachsen. Eine Konstante dabei: Die Firma und die Mitarbeiter müssen gehegt und gepflegt werden – wie ein Laib Brot.