Barbara Gandenheimer
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Walter Gunz

Blöd war ich nicht

Selbstironisch bezeichnet sich der Mann hinter dem Milliardenkonzern als »Media-Markt-Fuzzi«. Walter Gunz definiert sich heute am liebsten über sein philosophisches Vermächtnis. Seine Ideologie bildet einen eklatanten Kontrast zur Realität der Unterhaltungselektronik-Branche.

Sara Kreuter
Sara Kreuter
7 min

Dreizehn Gesichter strahlen ihm aus dem Bierlokal entgegen. »Es war so schön mit Ihnen. Wenn Sie etwas Neues machen, wären wir gerne dabei.« Walter Gunz – heute Multimillionär, damals arbeits- und perspektivlos – starrt seine ehemaligen Karstadt-Mitarbeiter an, die ihn auf oa Maß bitt’schön eingeladen haben. Nachts fährt er in seinem 5er-BMW nach Hause. Er grübelt. »Welches Unternehmen nimmt uns alle?« Es ist Weihnachten. Eine neue Idee wird geboren.

Kein Jahr nach seiner spontanen Kündigung bei Karstadt eröffnet 1979 die erste Media- Markt-Filiale in München. Alle dreizehn Mitarbeiter sind mitgekommen – »obwohl ihnen Karstadt mehr Geld geboten hat«, bemerkt Gunz, sichtlich stolz. Mehr Geld und mehr Sicherheit. Denn ob sich seine Vision – der Elektronikeinzelhandel – bewähren wird, ist ungewiss. Als er auf der Bank einen Kredit aufnehmen will, bekommt er nur knapp die Hälfte von dem, was er verlangt. »Haben Sie irgendwelche Sicherheiten?« Hat er nicht. Seine Dreizimmerwohnung ist nicht abbezahlt.

Gegangen ist Gunz, weil ihm der Führungsstil bei Karstadt nicht passte, die Hierarchien, die festgefahrenen Denkmuster. Seine Mutter schimpft ihn aus. Innerlich stimmt Gunz ihr zu: »Ich dachte damals, das wäre das Ende meiner Karriere.« Die Nacht vor der Media-Markt-Eröffnung hat er nicht geschlafen. »Wer Angst hat, sollte kein Unternehmer werden.« Er fährt sich mit den Händen über die langsam ergrauenden Augenbrauen. Warum seine ehemaligen Angestellten den Schritt trotzdem gewagt haben? »Bei mir ging es nicht ums Geld, sondern um die Idee der Freiheit.« Diese Idee bildet die Basis seiner Lebensphilosophie, seiner Unternehmer-DNA.

Zwischen profan und profund

Gunz und Media Markt, das passt vordergründig nicht zusammen. Media Markt schreit, Gunz inszeniert sich als Beobachter. Media Markt setzt auf eine banale Wettbewerbsstrategie: Billig, billig, billig. Gunz liebt Goethe, Hölderlin, Pascal und Kant. Media Markt wirbt mit Slogans wie »ich bin doch nicht blöd«. Gunz klammert sich an den Grundsatz: »Was du aussendest, kommt zurück.« Industrieprodukte hält Gunz für »seelenlos«. Seinen Fernseher schaltet er nur selten an. Stattdessen sammelt er sakrale Kunst, besitzt etwa ein Fresko aus einer italienischen Kapelle. Jedes Sammelstück hat seine Geschichte, ist bewusst – und geschmackvoll – ausgewählt. Die Komposition zeugt von Stil – und Perfektionismus.

Ich dachte, das wäre das Ende meiner Karriere.

Gunz und Media Markt: Es bleibt eine Spannung, die sich bis zum Ende nicht ganz lösen lässt. Media Markt hätte wohl auch eine Verlagsgesellschaft werden können, ein Sportbekleidungsvertrieb. Es ging um das Wie, nicht um das Was. Warum dann Elektrohandel? »Das ist irgendwie passiert.« Als der junge Gunz sich völlig orientierungslos bei Karstadt um einen Aushilfsjob bemüht, werden die Weichen gestellt. In welche Abteilung er denn wolle, fragte der Personalchef. »Keine Ahnung.« Ob er irgendwelche Hobbys habe? »Musik!« »Dann stecken wir sie in die Fernsehabteilung.« So kam Gunz zur Unterhaltungselektronik.

Es wäre schön, wenn ich heute ein Kind hätte.

Es geht um Menschen, nicht um Marken

Gunz liebäugelt mit dem Neuplatonismus, der Strömung in der Philosophie, die sich auf die metaphysische Realität hinter der sinnlich greifbaren Welt konzentriert. An sein VWL-Studium hat er zwölf Semester Philosophie angehängt. Er will die Art Philosoph sein, die vom Elfenbeinturm herabsteigt und sich auf den Weg macht: um zu helfen. Seine Ideologie ist eine moderne Neuinterpretation des American Dream. Nicht jeder Tellerwäscher muss Millionär werden – aber jeder kann zur besten Version seines Selbst werden: Schuhputzer, Hundebesitzer, Großunternehmer.

Walter Gunz ist Christ, Mystiker. Sein Credo: »Liebe ist die Grundlage für das Sein.« Sein ganzer Stolz ist ein marokkanischer Windhund. Er gibt sich als Philanthrop, als Tony Stark der Realität – ohne das Playboyimage. »Meine Mitarbeiter sollten so viel Spaß und Erfüllung haben, wie es geht.« Denn »man kann von einem Menschen, der ausschließlich für Lohn arbeitet, keine Höchstleistungen erwarten«. Als operativer Chef wirbt er um das Vertrauen seiner Mitarbeiter. »Ich stelle nur so viele Leute ein, wie ich in schlechten Zeiten auch behalten kann«, lautet seine Maxime. Man spürt: Das ist keine 08/15-Leadership-Strategie. Der Unternehmer interessiert sich wirklich für die Menschen, die für ihn arbeiten.

Die Ideale der Freiheit und geteilten Verantwortung verankert Gunz tief in die Unternehmensstruktur von Media Markt. Basierend auf einem Geschäftsführer-Beteiligungsmodell halten die Führer der einzelnen Märkte einen Geschäftsanteil von bis zu zehn Prozent. Die Filialen selbst sind dezentral organisiert, jede Filiale bestimmt Preis und Sortiment mit. Nur ein einziges Mal spielt Gunz seine Chefkarte aus und verfügt: Media Markt wird keine Tamagotchis ins Sortiment aufnehmen: »Die Vorstellung, dass ein Kind einem Gegenstand die Liebe entgegenbringt, die sich stattdessen auf andere Menschen oder Tiere konzentrieren sollte, konnte ich nicht ertragen.«

Was es kostet, Millionär zu werden

Walter Gunz’ Leben ist keine Erfolgsstory. Es ist die Geschichte eines Mannes mit Idealen, für die er Opfer gebracht hat. Für seine Millionen hat er teuer bezahlt. »Es wäre schön, wenn ich heute ein Kind hätte.« Aber niemand baut einfach so nebenbei einen Milliardenkonzern auf. »Ich war viele Jahre mit Media Markt verheiratet, das war mein Baby.« Seine wenigen Beziehungen sind gescheitert. Ob er etwas bereut? »Vielleicht – nein.« Man müsse sich eben mit seinem Leben versöhnen.

Umso wichtiger ist es ihm, ein ideelles Erbe zu hinterlassen. Sein Debütwerk »Ich war doch nicht blöd« hat mehrere Vorwörter. Und Nachwörter. Das Leben ist vielschichtig. Walter Gunz auch. Eine Geschichte reiht sich an die nächste. Eine Weisheit seines Mentors Professor Friedrich Weinreb an die andere. Gunz zitiert den Papst, den kleinen Prinzen. Er ist gebildet, aber nicht herablassend. Seine Autobiografie ist weniger Biografie als vielmehr Reflexion über die Welt, Kulturkritik, Gesellschaftskritik.

»Backi, do do do!«

Gunz spricht, wie er schreibt: eindringlich, sein ganzer Körper ist am Sprechakt beteiligt. Mit blitzenden Augen beugt er sich vor, weiter und weiter, je tiefer er in seine Erinnerungen eindringt. Mit gekrümmten Fingern zeichnet er den Aufstieg von Media Markt nach, gestikuliert. Erster Finger: 1979 wird Media Markt gegründet. Zweiter Finger: 1984 eröffnet die vierte Filiale, in Rosenheim, »da wusste ich, jetzt haben wir es geschafft«. Dritter Finger: 1988 beteiligt sich die heutige Metro Group, bekommt 54 Prozent der Anteile – »im Nachhinein unser größter Fehler«. Fünfter Finger: 1990 übernimmt Media Markt die konkurrierende Handelskette Saturn, »ein großer Erfolg«. Der vierte Finger – irgendwie vergessen. Unwichtig.

Heute ist Media Markt ein Betrieb wie jeder andere.

Sein Sloughi winselt nach Aufmerksamkeit. Und bekommt sie. »Backi, do do do.« Am Tegernsee baut der Unternehmer ein Haus für den Windhund. Sein Riad in Marrakesch, ein Sieben-Jahre-Mammutprojekt, steht leer, aktuell wohnt Gunz in einem Reihenhäuschen in München. Stilvoll, klein. Die Nachbarn können ins Wohnzimmer linsen. Gunz zuckt mit den Schultern. »Sollen sie ruhig. Ich feiere ja keine Sexpartys.«

Heute ist der Media-Markt-Gründer 75 Jahre alt. Rüstig, aber in die Jahre gekommen. Trotzdem ist er noch genau so überzeugt von seinen Idealen wie bei seiner Kündigung 1978. Wer seinen Ausschweifungen lauscht, läuft manchmal Gefahr, ihn innerlich ein wenig zu belächeln. Das Problem: Seine Biografie gibt ihm recht. Seine Erfolge geben ihm recht. Obendrein wäre es ihm relativ egal, belächelt zu werden. »Früher wurde ich auch für dumm gehalten. Ich war schlecht in der Schule.« Heute weiß er: »So blöd war ich wohl doch nicht.« Zu dem Slogan musste er sein Team damals überreden. Das sind sie, wusste er, die Worte, die Media Markt zum Erfolg führen würden. Er lag richtig, goldrichtig.

Als die grauen Männer kamen

1999 verlässt Walter Gunz sein Lebenswerk, verkauft alle Anteile – und zieht in die rote Stadt, nach Marrakesch. »Es war damals Zeit zu gehen«, weiß er. Nachdem Media Markt die Mehrheit der Anteile an die Metro Group verkauft hatte, schien ihm, als würden Momos Männer in grauen Anzügen »in die Welt eindringen, die ich geschaffen habe«. Plötzlich ging es um Profite, nicht mehr um Personen. Dezentralität und Eigenverantwortung wurden abgeschafft. »Heute ist Media Markt ein Betrieb wie jeder andere auch.« Wehmut schwingt in seinen Worten mit. Die Entscheidung war trotzdem richtig. Als Gunz zur Jahrtausendwende aussteigt, ist das Unternehmen 13 Milliarden wert – heute nur noch rund 500 Millionen.

Was tut ein Unternehmer ohne Unternehmen? Eine Zeit lang arbeitet Gunz als externer Berater, auch für Media Markt. Gerade schreibt er an seinem dritten Buch, Quintessenz. Diese besteht für ihn darin, die Hoffnung zu bewahren. Hoffnung, auch im Angesicht einer Zeitenwende. Die lässt sich nicht leugnen. Auch da hat Media Markt Fehler gemacht, zu spät auf den wachsenden Onlinemarkt reagiert. Doch Gunz hat Hoffnung – und passt sich an. Rasierwasser bestellt er heute online. Aber wenn er einen Fernseher kauft – dann geht er zu Media Markt. Immer in die erste Filiale, am Euro-Industriepark in München.

Walter Gunz

Walter Gunz

Walter Gunz (75) gründete nach längerer Tätigkeit für Karstadt die Handelskette Media Markt mit. Sein Anliegen: eine von Freiheit und Verantwortung des Einzelnen geprägte Firmenkultur. Aktuell lebt er in München, besitzt ein Riat in Marrakesch und renoviert eine Villa in Lucca. Am Tegernsee lässt er ein Haus für seinen Windhund bauen. Nachdem er 2000 die letzten Firmenanteile verkaufte, machte er sich als Unternehmensberater selbstständig. Sein Buch »Ich war doch nicht blöd« ist sein ideologischer Beitrag zur Geistesgeschichte und liest sich als kritischer Kommentar zum Zeitgeschehen.