Roland Juker
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Salome Wieland

Das Wunder von Wielandleben

Inmitten der sanften Hügelzüge des Emmentals liegt ein Bauernhof, auf dem nicht nur Getreide und Gemüse aufblühen, sondern auch gebrochene Menschen. Dabei sind Salome und Thom Wieland fast so zum Hof gekommen wie Maria zum Kind.

Stephan Lehmann-Maldonado
Stephan Lehmann-Maldonado
8 min

Wellness für die Schweine: Als wir nach einer kurvenreichen Fahrt den Hof Wielandleben auf über tausend Metern Höhe erreichen, glitzern die Felder in der Sonne. Und Lilou spritzt gerade die Wollschweine mit einem Schlauch ab. Sie ist sieben Jahre alt und die Tochter von Salome und Thom Wieland. »Die Tiere mögen die Dusche«, erklärt Salome, das Herz des Hofes.

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Wielandleben ist der ideale Rastplatz für Radler und Radlerinnen, die mit E-Bikes durch die sanften Hügelzüge des Emmentals kurven. Hier können sie im Hofbistro auftanken – und ihre Stahlrösser an der Ladestation. Diese erinnert daran, dass fast zweihundert Jahre verstrichen sind, seit der Schriftsteller und Pfarrer Jeremias Gotthelf (1797–1854) und der Emmentaler Käse der malerischen »Berner Toskana« zu Weltruhm verholfen haben. 

Liebe zum Detail

Ansonsten lässt einen das mächtige Emmentaler Bauernhaus mit dem typischen Walmdach mit Vordach und Laube und dem schmucken hölzernen »Spycher« – Speicher – die Zeit vergessen. Bei Wielandleben scheint jedes Detail wie für Instagram gemacht. Und oft ist es das auch. Mit ihrem Gespür für Dekoration punktet Salome in den sozialen Medien genauso wie bei ihren Gästen. Vom geschnitzten Fensterladen bis zum alten Ackergerät ist auf dem Wielandleben alles malerisch in Szene gesetzt und erzählt Geschichten von naturnahem Handwerk und vor allem: von viel Liebe und Leidenschaft.

Die saftig grünen Wiesen und das Ackerland rundherum bilden das Zuhause von 10 Milchkühen, 35 Mutterschafen, 5 schottischen Hochlandrindern, Eseln, Ponys, Schweinen, Ziegen, Enten, Hühnern, Truthähnen und Hasen. Nebst Gemüse und Früchten wachsen hier Urdinkel, Emmer, Linsen, Leinsamen, Hanf und Mais. Alles ist nicht nur nach Biorichtlinien zertifiziert. Vielmehr wollen Wielands die natürlichen Kreisläufe in Schwung halten und dem Boden zurückgeben, was er schenkt.

Selbstversorger aus Überzeugung

»Wir sind Selbstversorger«, sagt Salome stolz: »Essig stellen wir aus Äpfeln her, Öl beispielsweise aus Leinsamen. Wir produzieren zudem Teigwaren und Gebäck und konservieren Gemüse und Früchte für den Winter.« Da trifft es sich gut, dass Thom gelernter Bäcker und Konditor ist und Karriere bei der Biskuitfabrik Kambly gemacht hat. Nur ab und zu stehen Zucker für die Backstube und Olivenöl auf dem Einkaufszettel.

Doch das Reich von Salome und Thom Wieland ist weit mehr als eine Bilderbuch-
idylle. Denn neben Hofladen, Bistro, Bed & Breakfast für stadtmüde Touristen und Eventinfrastruktur bietet der landwirtschaftliche Betrieb auch betreutes Wohnen für Menschen mit Beeinträchtigungen, Behinderungen und Burn-out. Und wenn heute alles blüht und gedeiht, dann steckt dahinter ein großer Traum und ein langer Weg.

Es war ein Geschenk, an Land und Hof zu kommen.

Einen Meilenstein stellte der 1. Januar 2018 dar. An diesem Tag konnten Wielands den ganzen Hof in Röthenbach von den Vorgängern, Ernst und Lydia Lehmann, offiziell übernehmen. »Das war ein Geschenk für uns. Denn es ist sehr schwierig, außerhalb der Familie zu Land und Hof zu kommen«, betont Salome. Dafür, dass das Paar auch einen langen Atem und starke Nerven brauchte, um die Finanzierung zu stemmen, hat es heute nur noch ein Lächeln übrig. Eigentlich hat die Vision eines Hofs mit betreutem Wohnen schon viel früher begonnen – und vor allem viel dramatischer. 

Blenden wir zurück: Salome absolvierte zwar pflichtbewusst eine kaufmännische Ausbildung bei der Post und bildete sich zur Sportmasseurin aus. Doch eigentlich trieb es den Wildfang in jeder freien Minute in die Höhe. »Die Berge zogen mich beinahe magisch an«, erzählt Salome. »Je verrückter die Route zur Spitze, desto größer die Faszination. Ich liebte es, an meine Grenzen zu stoßen, Abenteuer in der Wildnis zu erfahren und die majestätische Aussicht auf dem Gipfel zu genießen.« Aber Salome war nie nur auf den Kick aus. In ihr schlummerte eine Ursehnsucht: »Zwischen Fels und Himmel erlebte ich Gottes Schöpfung und somit ihn sehr intensiv.«

Als ich arbeitsunfähig war, begann ich umzudenken.

Bis ein Kletterunfall in einer Boulderhalle Salome jäh aus ihrem Alltag riss. Lange war sie ans Bett gefesselt, monatelang arbeitsunfähig. Drei Operationen am Arm musste sie innerhalb von drei Jahren über sich ergehen lassen. Nach diversen Fehlversuchen sagten die Sportmediziner lapidar: »Entweder Sie müssen lebenslang Schmerzen ertragen, oder wir amputieren den Arm und Sie kommen mit einer Prothese zurecht.« Als junge Kämpfernatur – Salome war Mitte zwanzig – entschied sie sich für den eigenen Arm.

Rezepte auf Facebook

Wichtiger als das, was äußerlich um sie herum geschah, war das, was in ihr vorging. »Plötzlich merkte ich, dass es auch Menschen um mich herum gibt und sich nicht alles um meine Leistung dreht«, sagt Salome. »In mir wuchs der Wunsch, ein offenes Haus für Menschen mit Behinderung zu gründen.« Das kam nicht von ungefähr. Schon vorher hatte sich Salome für Sozialpädagogik interessiert und in verschiedene soziale Einrichtungen hineingeschnuppert. »Die kindliche und ehrliche Art von Menschen mit Behinderung hat mich bereichert.« Gut, dass Thom, den Salome kurz vor ihrem Unfall kennenlernte, ihre Vision teilte.

Mit der Kraft, die ihr geblieben war, begann Salome während ihrer Genesung zu gärtnern, Früchte zu trocknen und Rezepte auf Facebook zu posten. Und das so erfolgreich, dass ein Lokalradio auf sie aufmerksam wurde. Dort äußerte sie spontan den Wunsch nach einem Bauernhof. Und siehe da: Schon bald konnten sie und Thom, mittlerweile ihr Ehemann, ein Anwesen im Emmental pachten. Endlich hatte Salome wieder einen Ort, in den sie ihre Energie und Kreativität hineinstecken konnte. 

»Im Kleinen haben wir alles schon gemacht, was wir heute tun: Landwirtschaft, Bed & Breakfast, Hoflädeli und Menschen mit Beeinträchtigung aufnehmen«, berichtet Salome. Einzig die Milchkühe fehlten. »Wir wollten bewusst Erfahrungen sammeln, um eines Tages unseren eigenen Betrieb bewirtschaften zu können.« 

Im Rückblick ist sich Salome sicher: Gott hat ihren Unfall benutzt, um ihr einen Neuanfang zu ermöglichen. Zuerst boten Salome und Thom benachteiligten Menschen einen Wochenendaufenthalt an, dann Ferien. Daneben studierte Salome, wie Betreuung in ländlicher Umgebung funktioniert. Das wiederum half, das Vertrauen von Angehörigen zu gewinnen. »Wir sind in unsere Aufgaben hineingewachsen. Gott hat uns immer genau so viel zugemutet, wie wir auch stemmen konnten«, schmunzelt Salome. Trotz großer Ambitionen hätte sie sich nie vorstellen können, einmal über zehn Leute pro Tag zu betreuen. Genau das ist heute der Fall.

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Vielfältiges Wielandleben: Salome Wieland prüft, welche Salate und Gemüse erntereif sind. Dann produziert sie Leckereien für den Hofladen und den Eigenkonsum. Für frisches Öl aus garteneigenen Lein-, Hanf- und Leindottersamen muss in die Pedale getreten werden. Darin steckt hundert Prozent Menschenkraft.
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Kühe mit Sozialkompetenz

Nur, wie hält sie ihre Schmerzen aus? »Ich litt in den ersten Jahren wirklich unerträglich. Und auch danach begleiteten mich die Schmerzen auf Schritt und Tritt. Aber vor zwei Jahren haben Menschen für mich gebetet und es ist ein Wunder geschehen: Seither lebe ich schmerzfrei.« Nur wenn Salome sich überarbeitet, schwere Lasten schleppt, macht sich der Arm manchmal kurz bemerkbar.

Meist geht Salome aber alles leicht von der Hand. Sie blüht in ihrer Arbeit auf. »Wenn ich sehe, dass jemand mit einer psychosomatischen Gehbehinderung zu uns kommt und nach drei Monaten ist diese verschwunden, motiviert mich das sehr«, schwärmt Salome. Aber auch kleine Fortschritte seien ermutigend. Zum Beispiel, wenn ein Puls plötzlich wieder normal tickt. »Miteinander unterwegs zu sein, ist schön – auch mit unseren freiwilligen Helferinnen und Helfern. Sie unterstützen uns. Und geben uns immer wieder die Rückmeldung, dass sie selbst viel erhalten hätten.« 

Wir fühlen uns als große Familie.

Wer immer Wielandleben besucht, legt an Sozialkompetenz zu. Sogar die Tiere. »Weil wir mit Menschen mit Beeinträchtigungen arbeiten, müssen unsere Kühe oft eine halbe Stunde länger warten, bevor wir sie melken. Darum sind sie geduldiger und pflegeleichter als jene anderer Bauern«, ist Salome überzeugt. Weniger flexibel ist das Heu. Bevor der Regen kommt, muss man es ins Trockene bringen. Gut, dass einige Personen aus dem Sozialbereich mittlerweile sehr speditiv mitanpacken. »Und sonst müssen uns die Sozialpädagogen den Rücken freihalten und sich um unsere Betreuten kümmern«, fügt Salome hinzu.

Die Landwirtschaft ist das Herzstück von Wielandleben. Um die Erträge aufzubessern, suchen die Wielands immer wieder Paten. So hat der Hof heute rund 45 Paten und Patinnen für Tiere und Hochstammbäume. »Auf die Idee mit den Hochstämmen sind wir aus der Not heraus gekommen. Damals sind viele Erträge weggebrochen, weil die Gastronomie weggefallen ist.« Für die Paten gibt es jährlich eine Naturaldividende in Form von Köstlichkeiten vom Hof – und einen Apéro.

Werden Salome, Thom und Lilou die Dauergäste, die Personen in Tagesstrukturen und die Praktikanten eigentlich nie zu viel? »Privatsphäre kennen wir kaum. Aber wir fühlen uns als große Familie«, antwortet Salome. Vom Frühstück bis zum Abendbrot essen alle auf dem Hof gemeinsam. Zuvor wird gebetet, weil Salome und Thom gläubig sind. Allerdings sucht die Familie manchmal tatsächlich Rückzugsoasen. Deshalb will sie momentan die Küche vergrößern. Und darum widmen sich Wielands vier Wochen im Jahr nur der Landwirtschaft und schließen den Hof für andere. 

Wenn Pflanzen und Tiere rufen

Ferien? Den Hof sich selbst zu überlassen, ist undenkbar. Je nach Saison müssen ihn mehrere Personen in Schwung halten. Nur schon, um die Kühe zu melken und die Leute zu betreuen. »Darum bleiben wir lieber hier. Bei uns ist es auch ein bisschen wie in den Ferien«, sagt Salome und lacht. Verschiedenste Menschen, Tiere und die Natur leben bei Wielandleben in Harmonie. Das geht, wie eingangs erwähnt, so weit, dass sich sogar Schweine auf Wellness freuen dürfen.

Ausgabe 32

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Salome Wieland

Salome Wieland

Bäuerin, Betreuerin, Dekorateurin, Social-Media-Managerin

Sie ist Bäuerin, Betreuerin, Dekorateurin, Social-Media-Managerin und vieles mehr: Salome Wieland hat ihren Traum von einem Biobauernhof, der zugleich ein Haus für Leute mit Handicap ist, verwirklicht. Die Idee dazu ist ihr gekommen, nachdem sie ein Kletterunfall jäh aus der Routine gerissen hat. Inzwischen bietet der Hof auch Bistro und Bed & Breakfast an und dient als Event Location. Salome ist verheiratet mit Thom Wieland und Mutter von Lilou.