David Vogt
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Dominik Hofmann

Der Gemeinschaftsgründer

Im Heimathafen hält Dominik Hofmann das Steuer in der Hand. ­Mitten in Wiesbaden hat er einen Treffpunkt für Freiberufler, ­Kreative und Start-ups geschaffen. Firmen wie Ikea und Bosch ­pilgern zu ihm. Zuvor hatte er heftigen Schiffbruch erlitten.

Christine Frischke
Christine Frischke
9 min

An den Kapitän kommt man an diesem Morgen nur schwer ran. Gerade hat sich Dominik Hofmann für ein Gespräch ins Café gesetzt, da muss er eigentlich schon wieder weg – zwei Decks ­höher zu einer Besprechung. Auf dem Weg dorthin grüßt ihn im Flur ein junger Mann, einen Laptop unter den Arm geklemmt. Hofmann bleibt für einen kurzen Plausch stehen. Jetzt muss er aber wirklich weiter. Noch ein schneller Blick in die Kommandozentrale – alles okay –, dann verschwindet er in einem Konferenzraum. Auf seinem Schiff herrscht Hochbetrieb. Aber was ist das überhaupt für ein Kahn, der mitten in Wiesbaden vor Anker liegt, Kilometer vom nächsten Gewässer entfernt?

David Vogt
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Heimathafen nennt er sich. Ein fest stehendes Gebäude, höchstens der weiße Anker vor der Tür lässt von außen an ein Schiff denken. Zunächst stolpert man durch eine Glastür ins Café, das sich ebenso gut in einem hippen Berliner Viertel befinden könnte. Da stehen geblümte Sessel neben Samtsofas, runde Tische heben sich vor einer Ziegelwand ab. Die Ecke erhellt eine Vintage-Stehleuchte mit Stoffschirm. Frauen mit Kindern sitzen zusammen, eine Gruppe Freunde wärmt sich an Kaffeetassen, ein Mann mit Dreitagebart tippt auf seinem Laptop. Der wahre Kern des Heimathafens offenbart sich jedoch erst auf den oberen Decks.

In mehreren Räumen verteilt stehen Schreibtische, an denen vereinzelt gearbeitet wird. Die Menschen, die sich hier über ihre Computer beugen, sind keine Arbeitskollegen im klassischen Sinne. Man trifft auf einen Suchmaschinenoptimierer, einen Eventmanager, den Gründer einer Mensa, einen veganen Blogger. Meist sind es Leute aus der Kreativbranche, die sich im Heimathafen einmieten. Mal belegen sie den Schreibtisch nur für einen Tag, mal buchen sie sich monatsweise ein und reservieren sich gleich noch die Postadresse mit eigenem Briefkasten im Treppenhaus.

Für uns fängt der Wert von Coworking da an, wo Infrastruktur und Immobilie aufhören.

Solche geteilten Arbeitsplätze, Coworking

Spaces genannt, poppen in immer mehr Städten auf. Sie gelten vielen als Arbeitsmodell der Zukunft, sind flexibles Büro und Austauschort in einem, an dem sich die unterschiedlichsten Menschen vernetzen. Für Dominik Hofmann, einen der Gründer, ist der Heimathafen noch mehr: »Für uns fängt der Wert von Coworking da an, wo Infrastruktur und Immobilie aufhören. Das echte Interesse an Menschen ist groß.«

Hofmann hat wenig gemein mit dem stämmigen Kapitän im gestreiften Shirt, mit langem Vollbart, tätowierten Armen und Pfeife im Mund, der als eine Art Maskottchen an vielen Stellen im Gebäude abgebildet ist. Mit seinem wuscheligen dunklen Schopf und der Nickelbrille würde man Hofmann, 34 Jahre alt, eher zu den Kreativschaffenden zählen. Seine Sprache ist gespickt mit Anglizismen: input, com­munity, impact, craziness. Er streut sie so selbstverständlich ein, wie Seemänner über Backbord und Steuerbord fachsimpeln. Die Gesichter hier kennt er alle. Er weiß, woran seine Coworker gerade sitzen; weiß, wo sie nicht weiterkommen – beruflich, oft aber auch privat. Wer sich neu anmeldet, den lädt er erstmal auf einen Kaffee ein. »Die einen ­suchen ein Büro, die anderen schätzen die ­gute Infrastruktur, aber alle wollen sie eine ­Arbeitsfamilie.« Hofmann will Einzelne, ­Firmen, ja ganze Branchen in ihrer Entwicklung fördern, mit dem Heimathafen eine ­»Potenzialentfaltungsmaschine in die Stadt pflanzen«. Diese Vision treibt ihn an. Sie ­begann mit ­einem großen Scheitern.

Wie kann Kirche heute funktionieren?

Dafür muss man rund zehn Jahre zurückgehen. Hofmann war gerade 23, bereits verheiratet und studierte BWL und Publizistik in Mainz. Es lag Aufbruchstimmung in der Luft, die seine Frau Sabrina am stärksten spürte. 

Sie redete plötzlich über New York, über einen Umzug, ein unbestimmtes Gefühl, dorthin zu müssen. Heute spricht Hofmann auch von einem »divine appointment«, einem göttlichen Auftrag. Das Paar flog mehr oder weniger spontan in die USA, in der Tasche ein ­Visum für fünf Jahre. Ob und wann es zurückkehren würde, wusste es nicht. In der Millionenstadt machte Hofmann zwei wichtige Erfahrungen, die sein künftiges Leben prägen sollten. Erstens: Ab und zu muss man das deutsche Sicherheitsdenken über Bord werfen und der inneren Stimme folgen. Die zweite Erfahrung hatte mit einem Cafébesuch zu tun. Dazu muss man wissen: Hofmann wuchs in einem gläubigen Elternhaus auf. Zwar wurden er und seine Geschwister katholisch getauft, doch während sein Bruder anfangs noch Messdiener war, fühlte sich die Familie schon bald in der freikirchlichen Szene zu Hause. Je älter er wurde, desto enger wurden ihm die klas­sischen Strukturen.

Hofmann will Firmen, ja ganze Branchen in ihrer Entwicklung fördern.

In New York nun erlebten die Hofmanns einen ihnen bisher unbekannten Typus Kirche. Die Leute dort betrieben unter der Woche ein Café, für Gottesdienste mieteten sie eine Turnhalle an. Man traf sich nicht nur sonntags für wenige Stunden, das Café war ständiger Kontaktpunkt, ja Lebensmittelpunkt. »Es hat uns extrem inspiriert, wie sie gelebt haben«, sagt Hofmann. »Für sie war Gemeinde zum größten Teil Gemeinschaft, viel zusammen ­essen, zusammen lachen, zusammen weinen, zusammen anpacken.«

Wie wollten sie selbst Glaube und Gemeinschaft leben? Diese Frage trieb Hofmann seitdem um. Er wollte etwas Eigenes aufbauen und spürte, dass New York nicht der richtige Ort dafür war. Kaum ein Jahr später setzte sich das Paar wieder in den Flieger.

Zurück in Wiesbaden taten sie sich mit jungen Leuten und Freunden zusammen, die ein ähnliches Verlangen nach Gemeinschaft umtrieb. Zusammen suchten und fanden sie ein Haus in der Stadt, das zu ihren Vorstellungen passte. Einen Altbau mit Hinterhof, in dem die Hofmanns bis heute leben. Die Gruppe mietete gemeinsame Räume an: einen Proberaum für eine Band, eine Bar, eine kleine Werkstatt, ausgestattet mit vielen Sesseln und Stühlen, um zusammenzusitzen. Anfangs lief es gut. Man startete Projekte, spielte Tischkicker, trank ein Bier an der Bar oder im Hof, hielt Gottesdienste mit Wohnzimmeratmosphäre ab. Sie waren Freunde und Glaubensgeschwister, Projektpartner und Bandmitglieder – alles zusammen. »Es war supergeil, solange es ­supergeil war«, sagt Hofmann. »Doch als es zum Konflikt kam, war der überall.« Die ­Gemeinschaft zerbrach in Freundessplitter. Das tat weh, man hört es ihm heute noch an.

Leute finden hier eine Mannschaft, um auf Abenteuerfahrt zu gehen.

»Ich weiß jetzt, was passiert, wenn ein Gemeinschaftstraum platzt.« Inzwischen hat er gelernt, über sein Scheitern zu sprechen. Was schiefgelaufen war? Das kann er nur vermuten. Wahrscheinlich seien verschiedene Vorstellungen aufeinandergeprallt, sagt er. »Ich hab mich berufen gefühlt, diese Kirchengründung weiterzuführen; eine neue Art zu finden, wie Kirche im 21. Jahrhundert für aufgeklärte Leute funktioniert.« Andere hätten dieses Ziel wohl nicht geteilt und seine Vision daher als Eingriff in ihr privates Umfeld verstanden. Trotzdem hielt er am Grundgedanken von ­Gemeinschaft fest. Vielleicht musste er ihn ­einfach in ein anderes Umfeld übertragen? »Aus der Asche der Kirchengründung ist der Heimathafen entstanden«, erklärt er. Dabei ist die Einrichtung für ihn Business und kein christliches Projekt, stellt er klar. »Wir mis­sionieren nicht.«

Aus Asche wird Gold

Hofmann tat sich mit Albrecht von Schnurbein zusammen, einem guten Freund, mit dem er und seine Frau schon durch Italien getingelt waren. Von Schnurbein sagt über ihn: »Dominik legt viel Wert auf zwischenmenschliche Beziehungen. Er ist das Bindeglied im Netzwerk.« Wenn der Heimathafen ein Schiff ist, dann ist Hofmann der Motor, der ihn antreibt. Große Investitionen scheuten die jungen Männer. Das Startkapital liehen sie sich von Freunden und Verwandten. Auf Flohmärkten und in Secondhandshops erstanden sie die ersten Möbel. Fehlte noch ein Name. »Heimat ist für uns ein Bekenntnis zu unserer Heimat Wiesbaden, drückt aber auch aus, was für eine Atmosphäre wir uns wünschen«, sagt Hofmann. »Hafen ist ein wunderbares Bild, weil dort Leute aus ganz verschiedenen Himmelsrichtungen ankommen und eine Mannschaft finden, um auf Abenteuerfahrt zu gehen.«

Damals, 2012, war der Coworking-Gedanke bereits in einigen deutschen Städten angekommen. Doch Wiesbaden war nicht Berlin. »Vielen war die Idee neu, sie musste sich erst etablieren.« Die erste Zeit hielten sich Hofmann und von Schnurbein mit Nebenjobs über Wasser. Inzwischen arbeiten sie Vollzeit im Heimathafen, unter sich 25 Angestellte.

Ihre Konferenzräume mieten Firmen wie Jack Wolfskin, Ikea, Bosch und Microsoft. Im Café spielen abends Bands. Kreative treffen sich ­regelmäßig zum Gründerfrühstück oder tauschen beim »Donnerstalk« Ideen aus. Ein Netzwerk von mehreren Hundert Personen haben sie so in den vergangenen sechs Jahren gesponnen. 

Aufbruch zu neuen Ufern

An diesem Morgen geht es noch eine Spur turbulenter zu als sonst. Das hat mit einem neuen Programm zu tun, dem Accelerator. Kurz gesagt werden dabei Start-ups mithilfe von Mentoren gecoacht. Da trifft dann im Idealfall der etablierte Fashion-Hersteller auf den Gründer eines Labels für Sportaccessoires. In Zweiergruppen sitzen alter Hase und Neuling zusammen. Ein Team hat die Köpfe auf einem der Sofas im Café zusammengesteckt. Hofmann ist heute ebenfalls als Mentor eingespannt. Doch als eine Frau mit zwei kleinen Mädchen durch die Cafétür tritt, entschuldigt er sich. »Familienpause«, sagt er. Seine Töchter Yea und Liv sind fünf und drei Jahre alt.

Vom Heimathafen sind es nur wenige Hundert Meter bis zu ihrem Zuhause. Hofmann fährt meist mit dem Rad. Vor etwa einem Jahr packte ihn dort erneut die Gründungslust. Das Hausprojekt geht weiter. Im Sommer bekam es einen Namen: Kiezkirche. Die neue Gemeinschaft, die inzwischen entstanden war, heuerte einen Pastor an, der sie die erste Zeit begleiten wird. Noch weiß niemand so genau, wohin das Gemeindeschiff – oder eher Gemeindefloß – steuern wird. »Wir sind Leute, die mehr Fragen haben als Antworten«, räumt Hofmann ein. Die neue Kirche soll ein Ort sein, um Gott zu begegnen – auch für Menschen, die sich nicht unbedingt als Christen bezeichnen würden. Wieder liegt Aufbruch in der Luft. Er hat nicht nur das private Projekt Kirche, sondern auch den Heimathafen erfasst. In den nächsten Jahren wird sich die Einrichtung verändern. Im denkmalgeschützten ­Alten Gericht in Wiesbaden soll ein neuer Ort für Gemeinschaft entstehen, mit einer etwa fünfmal so großen Fläche wie bisher. Ein Heimathafen XXL sozusagen. Kein Kahn mehr, fast schon ein Kreuzfahrtschiff. In vielen Stunden hatten Hofmann und von Schnurbein die Stadt von ihrem Konzept überzeugt und schließlich eine Anschubfinanzierung ­erhalten.

Im Rückblick begreift Hofmann sein früheres Scheitern als Bewahrung und Chance. »Gott hat mir zur rechten Zeit die richtigen Dinge vorenthalten«, sagt er. »Vielleicht wollte er gar keine Kirche. Stattdessen haben wir einen Ort geschaffen, der vieles in der Stadt bewegen kann und viele Beziehungen ermöglicht.«

Dominik Hofmann

Dominik Hofmann

Das Thema Gemeinschaft treibt Dominik Hofmann (34) privat und beruflich um. 2012 gründete er in Wiesbaden den Heimathafen, einen Coworking Space mit Café. Im Sommer 2018 rief er die Kiezkirche ins Leben. Die Gottesdienste finden in seiner Hausgemeinschaft in Wiesbaden statt und sollen auch Menschen ansprechen, die sich nicht als Christen bezeichnen würden. Hofmann engagiert sich zudem im Leitungsteam des christlichen Netzwerks Spark. Gemeinsam wollen sie neue Projekte anstoßen und begleiten – von der Gemeindegründung bis hin zu sozialen Initiativen und Unternehmen.