Claudia Weaver
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Joachim Fuhrländer

Der Windkraftpionier

Joachim Fuhrländer tüftelte schon in den Achtzigerjahren an seinem ersten Windrad. Mit seiner Fuhrländer AG verkaufte er Windkraftanlagen in die ganze Welt. Doch in der Finanzkrise verlor er seine Firma und seinen Halt. Dann fand er die Kraft für einen Neubeginn.

Anne Albers
Anne Albers
8 min

Joachim nimmt den Emaillebecher, der im Stall an der Wand hängt, streicht der Kuh über die kräftige Flanke und melkt einen Becher voll warmer Milch. Seine Großmutter hat ihm gezeigt, wie er die Kraft seiner Kinderfinger dabei einsetzen muss. Jahre später hält die junge Männerhand den Griff des schweren Hammers in der Schmiede seines Vaters und donnert ihn auf den Amboss nieder. Draußen fährt der kalte Wind durch die Bäume des Dorfs. Joachim kennt die Kraft dieses Windes und seine eigene. Er weiß, wie er sie nutzen wird: Er will Windräder bauen. »Ich konnte hart arbeiten, sei es als Schmied, Schweißer oder Bauer. Doch ich träumte davon, Dinge zu bauen, von denen viele Menschen einen sinnvollen Nutzen haben könnten«, erzählt er. »Die Nutzung von Windenergie wurde mir zu einer faszinierenden Idee, die mich nicht mehr losließ.« 

Vom Schmied zum Unternehmer

Joachim Fuhrländer hat viele Windräder gebaut. Die Schmiede seines Vaters in Waigandshain, einem Dorf mit weniger als 200 Einwohnern in Rheinland-Pfalz, verwandelte er binnen zweier Jahrzehnte in ein millionenschweres Unternehmen mit 700 Mitarbeitenden. »Wir waren in den Neunzigern voller Tatendrang und glaubten an die erneuerbaren Energien«, sagt er. Aus dem Betrieb, der landwirtschaftliche Maschinen reparierte, wuchs die Fuhrländer AG, die Windkraftanlagen in die ganze Welt verkaufte. Sie war Vorreiter der Windenergie in Ländern wie Japan, China und Vietnam, Bulgarien, Polen und Südafrika.

An seiner ersten Anlage tüftelte Fuhrländer schon Mitte der Achtzigerjahre. »Zu dieser Zeit waren Windräder noch etwas für Ökospinner«, sagt der heute 64-Jährige. Er ließ sich mitreißen von den damaligen Protestbewegungen gegen die Atomkraft und suchte nach Alternativen zur fossilen Energie. In der kirchlichen Jugendarbeit im Nachbarort, in der er sich seit seiner Teenagerzeit engagierte, diskutierten sie häufig darüber. »Wie können wir die Schöpfung bewahren?«, war ihre bange Frage. Fuhrländer wollte eine Lösung finden, die Welt ein wenig besser machen. 

Aufstieg zum Vorzeigechef

Nach dem schnellen Wachstum seiner Firma wurde er von Prominenz und Politik hofiert. Fuhrländer war einer der erfolgreichsten Aufsteiger in der innovativen Branche Windenergie. Man zeigte sich gerne mit ihm und fuhr busweise auf dem Firmengelände vor, um seinen Vorzeigebetrieb zu besichtigen. Äußerlich fiel er als Firmenchef aus dem Rahmen: lange, lockige Haare, blaue Augen unter buschigen Augenbrauen und ein Vollbart, der mal mehr, mal weniger rauschte. Er sah aus wie einer, den nichts so schnell umweht. »Ich wollte nie aalglatt sein. Gegen dieses Bild eines Unternehmers habe ich mich immer gesträubt«, sagt er, der die skeptischen Blicke der Sekretärinnen genoss, die ihn in den Chefetagen häufig am falschen Ort wähnten.

Bald wurde er von Politik und Prominenz hofiert.

Auch sonst ging er unkonventionelle Wege, war bekannt dafür, dass er Jugendlichen, die keinen Schulabschluss hatten oder straffällig geworden waren, eine Lehrstelle gab. Über 180 Auszubildende hatte er zeitweise. Er wollte ihnen Chancen geben, auch immer wieder neue. Gnade statt Strafe war sein inneres Motto. Diese Haltung faszinierte ihn an Jesus in den biblischen Geschichten, die er im Konfirmandenunterricht zum ersten Mal gelesen hatte. »Wir haben den jungen Menschen vermittelt: Du bist gewollt!«, das sei ein Zuspruch, den viele zuvor noch nie gehört hätten. Für seine Ausbildungsarbeit wurde ihm das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen.

Hohes Lebenstempo 

Das war 2007. Da lebte Fuhrländer schon allein, getrennt von seiner ersten Frau, die er 1981 als 22-Jähriger geheiratet hatte. Ihre drei Kinder sind mit der Fuhrländer AG groß geworden. »Ich war viel auf Reisen, um unser internationales Geschäft aufzubauen. In dieser Zeit habe ich meine Familie stark vernachlässigt, das weiß ich heute«, offenbart er. Er lebte für die Firma, spürte und trug viel Verantwortung für seine Mitarbeitenden, auch während schlafloser Nächte, sagt er. Aber er liebte »die große Gemeinschaft in der Firma«, die dynamisch war und ausstrahlte. 

Wozu sollte ich morgens noch aufstehen?

Ein Teil davon war die Fuchskaute, ein Gasthof mit Hotel, den sein Unternehmen im Jahr 2005 als in die Jahre gekommenen Betrieb übernommen und modernisiert hatte. Er wurde zum Anziehungspunkt. Zu Veranstaltungen, wie einem Public Viewing während der Fußball-WM 2006 oder einem Motorradgottesdienst kamen Tausende Menschen. Fuhrländer ließ seine Geschäftspartner aus der ganzen Welt dort bewirten. »Bei einem Essen schaut man sich in die Augen und spürt, ob man sich vertrauen kann«, erzählt er. An der Scheunenwand der Fuchskaute ließ er ein großes Kreuz anbringen und in der Speisekarte Tischgebete abdrucken. »Es gibt ein Bedürfnis nach Halt. Viele Menschen wollen an irgendwas glauben. Also habe ich ›das Irgendwas‹ konkretisiert. Auch weil wir dazu neigen unsere Seele zu vernachlässigen. Ein Tischgebet ist ein Anstoß innezuhalten.«

Expansion und Absturz 

2008 lief das Geschäft für die AG so gut, dass das Firmengelände in Waigandshain an seine Kapazitätsgrenze stieß. Deshalb baute Fuhrländer am wenige Kilometer entfernten Siegerland-Flughafen ein neues Gebäude für Produktion und Verwaltung – ein großer Schritt für den Mittelständler. Doch 2012 kam für sein Unternehmen der Fall: Nachdem die Finanzkrise die Welt erschüttert hatte, strichen die Banken der Firma die Kredite. Die Fuhrländer AG stand aber in der finanziellen Vorleistung von Projekten und ihre Liquidität schwand zusehends. Verschiedene Rettungsversuche scheiterten. »Ich übergab schweren Herzens meine Firmenanteile zu einem symbolischen Preis einem ukrainischen Kunden und Investor, der die finanzielle Lücke der Banken von fünfzehn Millionen Euro schließen wollte. Er versprach, das Unternehmen in meinem Sinn weiterzuführen. Denn er war auch Lizenznehmer in der Ukraine und durfte unseren Firmennamen nutzen. Leider kam es doch ganz anders«, erzählt er. Fuhrländer musste aus seinem eigenen Betrieb ausscheiden, schließlich meldete das neue Management den Konkurs der AG an. Dem Insolvenzverwalter, der die Firmenpleite verhindern wollte, blieb zu wenig Zeit. Fuhrländer fühlte sich von Politik und Banken fallen gelassen: »Es hätte den Staat nicht viel gekostet, unsere Firma zu retten. Wir hatten laufende Serviceverträge für über 700 Windkraftanlagen.«  

Ein gnadenloses Klima

Fuhrländer stürzte in eine Lebenskrise. »Wozu sollte ich morgens aufstehen? Ich sah keinen Sinn mehr«, sagt er. Die vielen Finger, die auf ihn zeigten, und seine eigene Scham drängten ihn in die Isolation. Er traute sich nicht mehr vor die eigene Haustür oder sonntags in die Kirche. Es trieb ihn um, dass er die Verantwortung für seine Mitarbeitenden nicht mehr wahrnehmen konnte. »Wer in Deutschland mit einer Unternehmung scheitert, bekommt die ganze Härte zu spüren. Da herrscht hier ein gnadenloses Klima«, erzählt er. Noch heute sprächen ihn manchmal Menschen an: »Sind Sie nicht der pleitegegangene Windkraftunternehmer?« 

Fuhrländer trank damals viel Alkohol, kam morgens nicht aus dem Bett. Bis ein »leiser Engel« morgens an seine Tür klopfte und ihn bat aufzustehen, damit sie das Bett neu beziehen konnte. Das war Ina, die früher als Haushaltskraft für ihn gearbeitet hatte, und nun für ihn da war, sich einfach kümmerte. Er holte sich professionelle psychologische Hilfe und sah trotzdem jahrelang kein Licht: »Ich hatte meinen Halt verloren, aber nicht meine Haltung. An Gott habe ich nicht gezweifelt. Ich habe ihn nicht für mein Scheitern verantwortlich gemacht oder für das Versagen von Politik und Banken. Aber ich konnte mir selbst lange nicht vergeben.«  

Endlich Kraft, neu anzufangen

Schließlich zwang ihn eine Diabeteserkrankung, gesünder zu leben. Fuhrländer wurde leichter – seine Tage auch. Er lernte die Violinistin und Kapellmeisterin Anna Hoppa kennen, die das Kurorchester in Bad Füssing leitet. Sie heirateten 2018 und pendeln heute zwischen Niederbayern und dem Büro seiner neuen Firma in Waigandshain.

Denn ein Jahr später fand er auch die Kraft für einen beruflichen Neustart: Mit seinem Unternehmen Afreeca will er wieder Pionierarbeit leisten und mit kompakten Solaranlagen Krankenhäuser, Schulen und die Landwirtschaft in abgelegenen Gebieten Afrikas mit Strom versorgen. Er erzählt ein konkretes Beispiel: »Dr. Beatrice Viave hat in Kumasi in Ghana ein Krankenhaus für Brustkrebspatientinnen. Sie möchte ein MRT-Gerät betreiben, um Gewebe und Organe untersuchen zu können. Das ging aber bisher nicht, weil dort fünfzehnmal am Tag der Strom ausfällt. Wir installieren dort ein alternatives Energiesystem, das über Batterien Energie speichert und sie dem MRT dann zur Verfügung stellt, wenn es auszufallen droht.«

Zudem will er mit seinem Team in Ghanas Hauptstadt Accra eine Akademie für erneuerbare Energien aufbauen und junge Leute in den damit verknüpften Berufsfeldern ausbilden. »Das ist eine Herausforderung. Aber die brauche ich, um mich lebendig zu fühlen«, sagt er. Für ihn ist klar, dass Afrika besondere Aufmerksamkeit verdient: »Dieser Kontinent ist jung und ressourcenreich. Dort werden wirtschaftliche Zukunft und Völkerwanderung entschieden.« 

Viele Chancen zur Erneuerung

»Ich möchte zeigen, dass es viele Chancen zur Erneuerung gibt. Das macht uns schon die Schöpfung vor«, sagt er. Darum schrieb er ein Buch über seine Geschichte. In »Erneuerbar« mahnt er auch, dass es für die Erde bereits kurz nach zwölf sei: »Die Geschichte der Erde ist sehr alt, aber wir haben innerhalb eines Jahrhunderts gravierende Dinge verändert. Wir fliegen, wir fahren mit 200 Kilometern pro Stunde auf der Autobahn, verbrennen Öl und Gas in wahnsinnigen Mengen. Innerhalb weniger Generationen brauchen wir unsere Ressourcen auf. Deshalb müssen wir auf die Kraft der erneuerbaren Energien setzen.« 

Zu seiner Erneuerung gehören auch solche Momente, in denen »ehemalige Mitstreiter anrufen und bei Afreeca mitmachen wollen«, erzählt er. Selbst der ehemalige Insolvenzverwalter der Fuhrländer AG sei inzwischen mit eingestiegen. »Da fühle ich, dass wir damals auch vieles richtig gemacht haben.« Heute weiß er wieder, warum er morgens aufsteht. Das tut er meist um 5.30 Uhr. Dann kocht er für seine Frau Anna und sich Kaffee. Sie nehmen sich Zeit zum Reden, denn später ist bei ihnen viel los. Häufig sind Musiker aus aller Welt und Mitarbeitende aus Afrika zu Gast. Dann arbeitet er wieder mit den Händen, aber anders als früher: Er schält Kartoffeln, kocht für alle und putzt. »Dabei spüre ich das Leben«, sagt er. 

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Joachim Fuhrländer

Joachim Fuhrländer

In den 90er-Jahren baute Joachim Fuhrländer ein Windkraftunternehmen mit 700 Mitarbeitenden auf und verkaufte Anlagen in die ganze Welt. In der Finanzkrise verlor er seine Firma und stürzte in eine Lebenskrise. 2019 startete er sein Unternehmen AFREECA, das mit Solaranlagen Krankenhäuser, Schulen und Landwirtschaft in Afrika mit Strom versorgen will. Der 64-Jährige ist mit der Violinistin Anna Fuhrländer verheiratet und hat drei erwachsene Kinder.