David Vogt
©

Renate Menneke

Die Hoffnungsmalerin

Renate Menneke malt mit vollem Körper- und Herzenseinsatz. Die großformatigen Werke der Künstlerin sollen Gutes bewirken – und das nicht nur beim Betrachter. Mit dem Erlös ihrer Bilder hilft die Schwäbin prostituierten Kindern in Indien.

Debora Höly
Debora Höly
9 min

Ein bissiger Geruch von Terpentin und Ölfarben liegt in der Luft – so fühlt sich Renate Menneke wohl. Die Künstlerin sitzt in ihrem kleinen Atelier, um sie herum stehen Hunderte großformatige Leinwände. Die Grundfläche des Raumes auf dem Hof Gnadenthal bei Hünfelden ist klein, die 59-Jährige nutzt jeden Quadratmeter. Auf der Hochebene, unter der Treppe, an den Wänden lehnen die fertigen Werke. Schon von Weitem sehen Besucher durch die große Glastür die hellen und frischen Farben ihrer Bilder. In kleinen Regalen stehen sortiert Farbtöpfe und -tuben sowie zahlreiche Pinsel.

Ich setze mich hier vor der leeren Leinwand auf die Treppe, komme zur Ruhe und bete erst einmal.

Auf dem Boden liegt eine Plane, auf die Menneke die Leinwand legt. »Wenn ich anfange, habe ich kein Bild vor Augen«, erklärt sie. »Ich setze mich vor der leeren Leinwand hier auf die Treppe, komme zur Ruhe und bete erst einmal.« Nur Gott wisse ja, wo das Bild am Ende hängen wird, wer es kaufen will, ob es überhaupt jemandem gefällt – kurz: wen es berühren soll. »Es ist sehr überwältigend, was passiert, wenn ich mit Jesus im Gespräch bin«, sagt sie. »Ich saß schon hier und mir liefen die Tränen. Denn das, was ich schaffen darf, ist so schön. Da bin ich völlig überwältigt von dem, was entsteht.« Zuerst malt Menneke Farben auf die weiße Leinwand, dann werden diese wieder abgewaschen, abgekratzt oder gewischt. Sie ist körperlich ständig in Bewegung. Wenn sie nach vier Stunden im Atelier nach Hause kommt, ist sie völlig erschöpft. »Es kostet viel Kraft, etwas Neues zu erschaffen«, sagt sie. Bis ein Bild fertig ist, vergehen etwa drei Monate. Weil die Ölfarbe lange zum Trocknen braucht, malt Menneke meist mehrere Bilder, die eine Serie bilden. Während eines trocknet, bearbeitet sie das nächste – so lange, bis im Atelier kein Platz mehr ist, um weitere Bilder zum Trocknen auszulegen.

Aufgewachsen in einer Gaststätte

Den Geruch von Ölfarben und Terpentin habe sie schon mit der Muttermilch aufgenommen, erzählt Menneke. Denn der Eigentümer des Hauses, in dem die Schwäbin aufwuchs, war Maler. Obwohl sie erst drei Jahre alt war, als ihre Familie von dort wegzog, erinnert sie sich lebhaft an den Künstler, seine Technik und den Geruch. »Ich war so fasziniert davon, wie aus einzelnen Tupfen ein ganzes Bild entstehen konnte«, erinnert sie sich. Bei ihm durfte sie schon als Dreijährige kreativ sein – etwas, das ihr ganzes Leben prägen sollte.

Auch ihr Vater gab ihr etwas mit, das für sie heute unbezahlbar ist: Selbstbewusstsein. »Wir hatten fünfzehn Jahre lang eine Gaststätte und ich wuchs sozusagen unter Männern auf.« Dort lernte sie schon früh vor allem zwei Dinge: Gastfreundschaft und selbstsicher aufzutreten. »Was andere sich mühsam erarbeiten müssen, ist ein ganz selbstverständlicher Teil von mir. Mein Vater gab mir dieses Handwerkszeug mit, von dem ich bis heute profitiere.« Auch deswegen war es für sie ganz natürlich, mit zwanzig Jahren nach Indien zu reisen.

Mit christlichen Werten aufzuwachsen, ist unsere Prägung, es ist tief in uns verankert.

»Wie lange hast du vor zu feiern?«

Sie habe dort nichts gesucht und auch nichts in ihrem Leben vermisst. Eigentlich sollten es nur ein paar Monate Urlaub sein, doch daraus wurden drei Jahre. »Mich faszinierten die Menschen, das Essen, die Gerüche, die Wärme. All das nahm mich richtig gefangen und ich habe viel gefeiert in der Zeit.« Irgendwann lief ihr in Goa ein Pfarrer über den Weg, der sie fragte, was sie hier mache. »Feiern, sagte ich«, erzählt Menneke. »›Aber wie lange hast du vor zu feiern?‹, entgegnete er. Das brachte mich ins Grübeln: War das alles?« Der Pfarrer, der sich zur Aufgabe gemacht hatte, in seiner Freizeit die Hippies und Aussteiger einzusammeln, erzählte ihr nichts Neues. »Ich kannte die Geschichten von Jesus und tief in meinem Inneren wusste ich auch, was er für uns getan hat. Als Jugendliche sagte ich mir dann aber ›Mein Glaube hat nichts mit mir zu tun‹. Aber das stimmte nicht. Mit christlichen Werten aufzuwachsen, ist unsere Prägung, es ist tief in uns verankert. Und dort in Indien habe ich gemerkt: Zwischen den Göttern des Hinduismus und dem der Bibel liegen Welten.« Zum ersten Mal sei ihr das aufgefallen, als sie in Indien sah, wie die Leute mit ihren Einkäufen einfach über sterbende Menschen hinwegliefen. Ein Inder lebe in seinem Karma, aus seiner Sicht habe Gott entschieden, dass dieser Mensch stirbt und er dürfe sich nicht über die Gottheit stellen. Also steigt er einfach über den Sterbenden. »Aber als Christ gehe ich sofort auf die Knie und schaue, was mit diesem Menschen ist. Ich kann gar nicht anders, weil ich durch christliche Werte geprägt wurde. Das ist Nächstenliebe.«

Dort in Goa begann Menneke sich Jesus wieder zuzuwenden. Ihre Reise führte sie zurück nach Deutschland. Von nun an wollte sie ihren Glauben konsequent leben. »Ich sagte zu Jesus: Ab heute entscheide ich nicht mehr selbst. Ich möchte wissen, was du aus meinem Leben machst.«

David Vogt
©

Zur Ruhe gefunden

Ein bisschen bange war Menneke schon, dass Jesus sie womöglich als Dorfsekretärin auf die schwäbische Alb schicken könnte. Doch es dauerte nicht lange, da hatte sie ein Geschäft, in dem Teppiche und teure Kunstgegenstände aus dem Orient verkauft wurden. Gemeinsam mit Freunden betrieb sie den Laden und unterstützte mit der Arbeit christliche Minderheiten in den Maghreb-Staaten. »Von da an hatte ich keine Sorge mehr, dass Gott mir etwas geben könnte, was nicht zu mir passt. Ich liebe den Orient, ich liebe es, Geschäfte zu machen, ich liebe Menschen. Und da setzt er mich doch tatsächlich in so einen Laden!« Durch ihren Glauben sei sie zur Ruhe gekommen, sagt Menneke. Sie habe einen Frieden gefunden, der ihr unabhängig von äußeren Umständen Ruhe gibt. »Auch als ich mit drei kleinen Kindern allein in einem bayerischen Dorf saß, weil mein Mann ständig unterwegs war, wusste ich: Ich bin da, wo ich sein soll.«

Wenn ich gefragt werde, ob ich ein bestimmtes Bild malen kann, sage ich immer Nein.

Der Geruch der Heimat

Menneke hatte eigentlich nie vorgehabt, ihr Hobby zum Beruf zu machen. Doch irgendwann stieß sie in Gnadenthal auf den Maler Andreas Felger. »Ich kam in sein Atelier und roch das Terpentin. Da war ich sofort zu Hause.« erzählt sie. Felger nahm sie damals unter seine Fittiche. Zuvor hatte Menneke hobbymäßig mit Acryl gemalt und hier und da ausgestellt. Felger sagte zu ihr: »Du müsstest eigentlich mit Öl malen.« Daraus entstand eine siebenjährige gemeinsame Schaffenszeit, in der Felger Menneke von der Pike auf in die Ölmalerei einführte. »Ich bin zwar schon mutig und experimentiere gerne«, sagt Menneke. »Aber man kann nur experimentieren, wenn man die Grundregeln beherrscht.« Und die lernte sie bei Andreas Felger. Er sagte auch zu ihr: »Wir künsteln hier nicht, wir schaffen.«

Die Zeit dafür kann sich Renate Menneke nehmen. Sie ist in einer Situation, um die viele Künstler sie beneiden würden: Sie muss von ihrer Kunst nicht leben können, denn ihr Mann verdient als Manager genug für ihren Lebensunterhalt. Kunst – vor allem die abstrakte – sollte zweckfrei sein. Sie lebe von der Freiheit, sagt sie. »Es muss etwas entstehen dürfen.« Sobald Erwartungen oder Vorstellungen an ein Bild geknüpft sind, schränken diese das künstlerische Schaffen und die Kreativität ein. Deshalb widerstrebt es ihr, Kunst zu erschaffen, um Geld zu verdienen. »Wenn ich gefragt werde, ob ich ein Bild mit bestimmten Motiven oder Farben malen kann, sage ich immer Nein.« Ihre Kunst gebe es um der Kunst willen, die Gemälde seien nicht Mittel zum Zweck. Unabhängig davon schätzt Menneke die Möglichkeit, die Erlöse ihrer Bilder, die zwischen 300 und 10 000 Euro kosten, für die Arbeit mit prostituierten Kindern und Slumkindern in Indien spenden zu können. Das tut sie seit nunmehr fünfzehn Jahren.

Kinder, die niemand mehr will

Menneke beschreibt sich selbst als wunschlos glücklich. Auch deswegen kommt das Geld aus ihrem Schaffen Kindern in Indien zugute, die niemand mehr haben möchte. Als sie mit Anfang zwanzig in Mumbai war, hatte sie dort ein prägendes Erlebnis. Sie übernachtete in einem Hotel und hörte in der Nacht lautes Kindergeschrei über sich. Als sie sich am nächsten Morgen an der Rezeption über die Familie, die dort eingezogen war, beschweren wollte, wirkte die Rezeptionistin peinlich berührt. Man erklärte ihr, dass dort Männer eingezogen seien, die Kinder gemietet hatten. Wofür man denn Kinder miete, fragte Menneke ahnungslos. Die Zuhälter hätten die Kinder für drei Wochen an die Männer verkauft, hieß es. Dieses Erlebnis schockierte Menneke zutiefst. Am nächsten Tag holte sie die Kinder ab und machte mit ihnen einen Ausflug. »Wenn ich einmal Geld habe, helfe ich euch«, versprach sie ihnen. Das ist nun über 35 Jahre her und die ersten Mädchen, die mit zwei und drei Jahren aus den Händen der Zuhälter geholt wurden, sind nun erwachsen und machen eine Ausbildung.

Die Malerin, die sich stilvoll kleidet und im Gespräch viel lacht, erzählt auch von einem anderen Projekt in Goa, das sich um prostituierte Kinder und Slumkinder kümmert. »Sie werden von ihren Eltern in einen Zug gesetzt und fahren bis zur Endstation durch. Es sind Tausende. Sie steigen in Goa aus und wissen nicht wohin.« Menneke engagiert sich seit einiger Zeit in einem der Kinderhäuser, das diesen Kindern Nahrung und Ausbildung gibt. Jedes Jahr besucht sie die Kinder und bietet Malkurse an. Ein Traum von ihr ist es, auch mit Führungskräften zu arbeiten. In einem Malkurs würde sie mit ihnen herausfinden, ob sie bereit sind loszulassen. »Manager sind die Kreativen unserer Gesellschaft. Sie sind die Schalter und Walter. Aber sind sie noch beweglich oder sehen sie nur starr nach vorne, immer der Kohle hinterher?« Wir Deutschen seien begabt und hätten viel erreicht, aber können wir das alles auch noch mit Werten bestücken? Den Menschen sehen, nicht nur das Geld?

Mit Kunst Hoffnung geben

Menneke möchte gestalten und Hoffnung geben. »Kunst muss guttun«, sagt sie. »Leid haben wir schon genug.« Ihre Bilder sollen durch die frischen Farben wohltun und durch die vielen Schichten zum Nachdenken anregen. Dafür brauche es Zeit. Zeit, um durch die fünf, sieben oder zehn Schichten ihrer Ölgemälde hindurch die helle – meist gelbe – Grundierung zu sehen. Ihr Wunsch ist, dass der Betrachter sich fragt: »Was bedeckt mein Leben? Mit wie vielen Schichten habe ich mein helles Inneres zugekleistert?«.

Kunst muss guttun. Leid haben wir schon genug.

Am Ende ist es ihr wichtig, etwas klarzustellen: »Ich bin nicht die große Künstlerin, die tolle Bilder verkauft und halb Indien rettet«, sagt sie. »Es ist alles vorbereitet, jeder Kunde ein Geschenk. Es geht nicht um Größe oder Popularität, sondern um die Frage: Was legt Gott mir vor die Füße?« Materielle Wünsche habe sie nicht. Stattdessen möchte sie sich mit ihrem Schaffen und ihrem Geld investieren – »in den Menschen, in das Leben.«

Renate Menneke

Renate Menneke

Renate Menneke ist Künstlerin und Innenarchitektin aus Bad Camberg. Schon in frühester Kindheit verbrachte sie begeistert Zeit bei einem Maler. Nach Jahren als Kunsthändlerin machte sie die Malerei in den 90er-Jahren dann zu ihrem Beruf. Mit den Erlösen aus ihrem künstlerischen Schaffen unterstützt Menneke soziale Projekte in Indien, die sich um prostituierte Kinder und Slumkinder kümmern. Ihre großformatigen Arbeiten in Öl und Acryl sind in Banken, Krankenhäusern, Kirchen, Gemeindehäusern und sozialen Einrichtungen wie auch im privaten Umfeld zu finden.