Nicola Leibinger-Kammüller
Die selbstlose Millionärin
Nicola Leibinger-Kammüller zählt zu den erfolgreichsten Unternehmerinnen Deutschlands. Dabei setzt die Schwäbin nicht auf Gewinnmaximierung um jeden Preis, sondern auf Menschlichkeit und christliche Werte.
Als Nicola Leibinger-Kammüller sechzehn Jahre alt wird, überreicht ihr Vater ihr eine braune Ledermappe. Darin befindet sich der Familienkodex der Leibingers. Er hält fest, welchen Werten sich die Familie verpflichtet sieht: soziales Engagement und Kirchenbezug, aber auch ein angemessener Umgang mit den Mitmenschen und Leistungsprofile für all diejenigen, die im Familienbetrieb Trumpf mitarbeiten wollen. zwanzig Seiten pietistischer Geist warten auf Nicola Leibingers Unterschrift.
Christliche Werte sind das Gerüst, das Fundament und das Navigationssystem meiner Arbeit.
Mit Erfolg durch die Finanzkrise
Bis heute verpflichtet sich jedes Familienmitglied als erwachsen werdender Teenager dieser christlich geprägten Charta. Pietismus – so nennt sich eine besonders fromme Spielart des Protestantismus. In Baden-Württemberg, der Heimat der Leibingers, ist er besonders verbreitet. »Man muss den Kodex feierlich unterschreiben, dann ist man Teil der Familienrunde«, sagte Leibinger-Kammüller einmal gegenüber der Süddeutschen Zeitung.
Es sind diese Werte, die Leibinger-Kammüller zu der erfolgreichen und geschätzten Geschäftsfrau gemacht haben, die sie heute ist. Bei einer Preisverleihung vor drei Jahren sagte sie: »Ich bin der festen Überzeugung, dass mir mein christlicher Glaube die Grundlage für verantwortliches Handeln gibt.« Christliche Werte seien »das Gerüst, das Fundament und das Navigationssystem« ihrer Arbeit. Als Chefin eines Werkzeugmaschinenherstellers mit 3,6 Milliarden Euro Umsatz im Jahr und 13 500 Mitarbeitern weltweit hat sie so auch durch die Finanzkrise hindurch Erfolge verzeichnet, ohne einen einzigen Mitarbeiter zu entlassen.
Eine Frage der Haltung
Dabei hat die heute 58-Jährige 2005 als Fachfremde die Unternehmensführung übernommen. Sie ist keine Ingenieurin wie ihr Bruder Peter oder ihr Ehemann Mathias. Stattdessen studierte Leibinger-Kammüller Germanistik, Anglizistik und Japanologie. Für den Vater Berthold Leibinger, der sich mit 75 Jahren aus der Geschäftsführung zurückzog, war seine älteste Tochter dennoch die erste Wahl. Dem Manager Magazin verriet er ein Jahr später, wieso: Führungsfähigkeit sei in erster Linie eine Frage der Haltung, so Leibinger. An seiner Tochter schätze er die Fähigkeit, eigene Interessen zurückzunehmen und sich für andere zu engagieren.
Auch Journalisten loben sie für ihre Zurückhaltung, wenn es um sich selbst geht und für ihre ehrlichen Worte, wenn sie etwa die Politik von Angela Merkel oder Donald Trump bewerten soll. Reporter erlebten in Interviews eine uneitle Frau, die viel lacht, aus ihrem breiten schwäbischen Dialekt keinen Hehl macht und zugleich nahezu druckreif spricht. Ihre Sätze wirken schnell dahingesagt, zugleich erscheint es kaum vorstellbar, dass ihr einmal etwas Unbedachtes herausrutscht. Disziplin – auch dieser Wert gehört zur pietistischen Schule, durch die Leibinger-Kammüller als Kind gegangen ist. Waren die Noten in der Schule schlecht, fiel auch mal eine lang ersehnte Ferienreise aus. Die vierfache Mutter wirkt wie die nette Hausfrau von nebenan, zugleich posiert sie auf Bildern zwischen Angela Merkel und Ivanka Trump. Tatsächlich gilt die Unternehmerin sogar als Vertraute der Bundeskanzlerin. »Wir sind uns so nah, wie man Frau Merkel nah sein kann«, tut sie selbst das in Interviews ab und gibt sich auf die positive Presse angesprochen bescheiden: »Um Himmels willen, wenn die eines Tages draufkommen, wie ich wirklich bin.«
Ich glaube an Eigenverantwortlichkeit und gleichzeitig an die Unterstützung der Schwachen.
Investitionen aus dem Privatvermögen
Kurz nachdem sie das Unternehmen von ihrem Vater übernahm, schlitterte auch Deutschland in die Finanzkrise. Bei Trumpf gingen die Umsätze zurück, Aufträge blieben aus, es gab nichts mehr zu tun für die vielen Mitarbeiter – Leibinger-Kammüller entließ dennoch keinen einzigen. Stattdessen entschied sie sich gemeinsam mit der Familie dazu, 75 Millionen aus dem privaten Vermögen zu investieren, um das Personal weiterbilden zu lassen. »Zwei Monate länger, dann wäre es eng geworden«, blickte Leibinger-Kammüller im vergangenen Jahr zurück. Doch die Konjunktur zog genau im richtigen Moment wieder an und Trumpf war im Gegensatz zur Konkurrenz aus dem Stand in der Lage, die zahlreichen neuen Aufträge auch zu bearbeiten. Seit Leibinger-Kammüller die Geschäftsführung übernommen hat, konnte sie den Umsatz des Unternehmens und die Mitarbeiterzahl verdoppeln.
Mehr Zeit für die Kinder
Damit bei all dem Erfolg das Privatleben nicht allzu kurz kommt, erspart sich die Baden-Württembergerin das Fernsehen oder eine übermäßige Beschäftigung mit dem Handy. Stattdessen liest sie Gedichtbände zur Entspannung. Jeden Abend deckt sie den Familientisch, damit morgens mehr Zeit für Kinder und Ehemann bleibt. Die Herrnhuter Losungen zu lesen, gehört zum Familienritual. Die Sammlung verschiedener Bibeltexte für jeden Tag ist unter Christen aller Couleur beliebt. Ihre glückliche Ehe sei kein Verdienst, sagt Leibinger-Kammüller, sondern »eine Gnade«. In einem Gespräch mit der Welt gab sie vor einigen Monaten selbstkritisch zu, dennoch zu wenig Zeit für die Kinder gehabt zu haben. Offenbar will sie dafür sorgen, dass es andere leichter haben. Sie hat das Zeitkontomodell bei Trumpf erneuert. Mitarbeiter können ihre Arbeitszeit nun alle zwei Jahre zwischen 15 und 40 Stunden neu festlegen – ein Vorteil, besonders für Eltern kleiner Kinder. Zugleich zeigt es, nach welchem Prinzip Leibinger-
Kammüller lebt und handelt: »Ich glaube an Eigenverantwortlichkeit und gleichzeitig an die Unterstützung der Schwachen«, sagte sie einmal. Ein pietistisches Prinzip, das so vielleicht auch im braun eingebundenen Familienkodex der Leibingers festgehalten ist.