Roland Juker
©

Daniel Bachmann

Gestalter der Zukunft

»Streiche diese Spenden«, sagte der Buchhalter zu Daniel Bachmann, nachdem dessen Firma internezzo das zweite Jahr in Folge rote Zahlen schrieb. Bachmann ignorierte den Rat – und fährt heute Rekordgewinne ein.

Stephan Lehmann-Maldonado
Stephan Lehmann-Maldonado
10 min

Holz, Leder – und ein Hauch süßliche Vanille in der Luft: Wer es nicht besser weiß, wähnt sich in einer Lodge in den wilden Rocky Mountains. Irrtum. Wir befinden uns in der Innerschweiz, im Rückzugsrevier von Daniel Bachmann in seinem Einfamilienhaus. Er räkelt sich im Sessel, pafft Rauchschwaden zur Decke und stopft seine Pfeife nach. »Eine Pfeife erfordert Konzentration. Sie beschäftigt mich dreiviertel Stunden. Es ist kaum möglich, sie zu rauchen und etwas anderes zu machen.«

Die Jugendarbeit war meine persönliche Kaderschmiede.

Das kontemplative Ritual gönnt sich Bachmann etwa dreimal pro Woche. Es unterbricht den hektischen Rhythmus seines Alltags. Mit seinem Unternehmen internezzo mit 25 Mitarbeitenden mischt er einen dynamischen Markt auf. internezzo verhilft Unternehmen zu einem Onlineauftritt und begleitet sie bei der digitalen Transformation. »Ich bin einer, der einen starken Drang hat, die Zukunft zu gestalten und Möglichkeiten sieht, ohne Risiken auszublenden«, charakterisiert er sich.

Chef ohne Schreibtisch

Während Bachmann privat seine stille Ecke kultiviert, verzichtet er in den Räumlichkeiten von internezzo auf einen persönlichen Arbeitsplatz. Genauso wie seine Mitarbeitenden. Bachmann hat sein Hauptquartier kürzlich einer Verjüngungskur unterzogen. Herausgekommen ist eine Art Coworking-Space. Die Mitarbeitenden suchen das frisch eingerichtete Vorzeigeoffice nur dann auf, wenn dieses für die anstehende Tätigkeit wirklich der beste Ort ist. Zur Wahl stehen hier auf mehreren Etagen: offene Flächen für den kreativen Austausch, ergonomische Schreibtische, Präsentationszimmer, Rückzugszonen, Leseecke, Tischfußball, Grillterrasse. Auch Externe sind willkommen und können sich in »das Ökosystem« einmieten. »Wir wünschen uns bei internezzo Persönlichkeiten, die sich selbst organisieren. Nur um Präsenz zu markieren, muss niemand im Büro erscheinen.« 

Dieses Jahr hat Bachmann sein 21-Jahresjubiläum bei internezzo gefeiert. Im letzten Jahr konnte die Agentur mit einem Rekordergebnis auftrumpfen. Seit jeher fließt ein Prozent des Umsatzes in gemeinnützige Projekte. Daneben fördert Bachmann beispielsweise Start-ups via nezzo Holding, engagiert sich in der Leitung der Markuskirche in Luzern sowie als Bildungskommissionspräsident der Schule seines Wohnortes. Obendrein produziert er Honig. Ein harmonisches Privatleben – Bachmann ist verheiratet und Vater von zwei Kindern – rundet das Bild des Erfolgsunternehmers ab, dem scheinbar alles gelingt, was er anfasst.

Jugendarbeit als Karrieresprungbrett

Doch der oberflächliche Blick durch den sanften Qualm trügt. Bachmann hat schwierige Jahre hinter sich. 2018 und 2019 tauchte die internezzo in die Verlustzone ab. Der klassische Verkauf von Weblösungen stockte, trotz erhöhter Anstrengungen. Seine Ehefrau erkrankte an Brustkrebs. Bachmann erinnerte sich wieder, dass ihm die Welt der Wirtschaft in seiner Jugend weitgehend fremd war. Nicht einmal im Traum dachte er damals daran, einmal Unternehmenslenker zu werden.

Bei Entlassungen blutet mein Herz.

Gehen wir der Reihe nach. Beginnen wir dort, wo bei Bachmann der »gute« Same gelegt wurde: eben in den Teenagerjahren. Während Gleichaltrige an Partys rumhängten, baute Bachmann eine zweistöckige Baumhütte mit allem Komfort – Betten, Gaskocher, Wassertank. Mit neunzehn stellte er hauptverantwortlich ein ganzes Kinder- und Jugendlager mit sechzig Teilnehmenden auf die Beine. »Das ehrenamtliche Engagement mit Kindern und Jugendlichen hat mich geprägt. Es ruft nach Führungskompetenz auf höchstem Niveau. Denn wo alle freiwillig anpacken, kann auch jeder sofort aussteigen. Ich musste früh lernen, nicht einfach Befehle zu erteilen, sondern durch Vorbild zu führen – und Menschen den Sinn hinter einer Aufgabe aufzuzeigen.«

Nicht jeder Kunde ist erwünscht

Bachmann hatte Elektromonteur gelernt, Erfahrungen im Beruf gesammelt und sich als PC-Supporter und Webmaster weitergebildet. Schließlich heuerte er als Programmierer bei internezzo an. Was er damals nicht wusste: Die Firma hatte noch nie schwarze Zahlen geschrieben. Nur eineinhalb Jahre nach Bachmanns Amtsantritt wollten die Inhaber das Handtuch werfen. Sie konfrontierten ihn mit einem Ultimatum: »Wir schließen den Laden – es sei denn, du kaufst ihn.« Bachmann war Mitte zwanzig, in den ersten Jahren seiner Ehe. Der Deal reizte ihn. Um das Kapital zusammenzutreiben, verschuldete er sich hochkant, unter anderem bei seinen Eltern. »Hätte ich geahnt, was alles auf mich zukommt, hätte ich das Angebot wohl ausgeschlagen«, meint er. »Zugleich war das Highrisk-Investment einer der besten Entscheide meines Lebens.« Dadurch sei er zu dem geworden, der er heute sei. 

Wenn Daniel Bachmann an seiner Pfeife zieht, wirkt er mit sich und der Welt im Reinen. »Ich habe gelernt, auch harte Entscheide zu treffen – zum Wohl aller Beteiligten.« Nächstenliebe heiße nicht, beide Augen zuzudrücken, sondern Fehler offen anzusprechen. In den Anfangsjahren hatte internezzo mit klaren Strukturen und Checklisten gutes Geld verdient. In den vergangenen Jahren erhöhte sich die Komplexität von Projekten. Sie lassen sich nicht mehr anhand von Checklisten abwickeln. Ein agiles Vorgehen ist hier der Schlüssel zur Lösung. »Agilität bedeutet nicht, dass wir improvisieren. Vielmehr nähern wir uns nach klaren Prinzipien dem Ziel – Schritt für Schritt. Am Anfang haben wir noch keinen fertigen Plan, sondern lediglich eine Vorstellung davon, wohin wir kommen wollen.« Es gab Mitarbeitende, die sich von diesem neuartigen Vorgehen überfordert fühlten. »Obwohl mein Herz blutete, musste ich sie entlassen«, räumt Bachmann ein. Aber auch von manchen Kunden trennte sich internezzo. »Firmen, die schon genau wissen, was sie wollen und sich nicht zusammen mit uns auf eine Entdeckungsreise machen wollen, sind nicht mehr unsere Kunden.«

Unzählige Organisationen und Unternehmen hadern mit der Digitalisierung. Sie spüren, dass sie sich bewegen müssen. Aber wohin und wie? Meist genügt es nicht, einzelne Arbeitsschritte zu automatisieren – oder eine neue Website aufzuschalten. Es geht darum, die ureigene Wertschöpfungskette, ja, die Daseinsberechtigung, neu zu denken. »Wir schaffen Klarsicht im digitalen Wandel«, lautet das Credo von Bachmann. Internezzo habe zwar einst mit technischen Lösungen begonnen. Aber längst sieht sie sich nicht mehr als Lieferantin, sondern als Wegbegleiterin. »Wir untersuchen mit Kunden, wo sie im digitalen Raum stehen, wo sich ihre Zielgruppe aufhält und was diese wirklich beschäftigt. Dann wird klar, wo unausgeschöpftes Potenzial liegt.« Die digitale Transformation verändert Kultur, Wertvorstellungen und Menschen. »Der digitale Wandel hat oft weniger mit Technik zu tun, als wir denken.« 

Stille Revolution am Arbeitsplatz

Bevor Bachmann zu dieser persönlichen Mischung aus stoischer Ruhe und gestalterischer Unruhe durchgebrochen ist, musste er sich durchs Tal der Tränen kämpfen. Die Verluste und innere Spannungsfelder lasteten auf ihm, zwangen ihn, Gewohntes zu hinterfragen und die Stärken von internezzo neu zu entdecken. Trotz des Drucks tätigte er allerdings die zugesagten Spenden. »Die Buchhaltung und der Revisor konnten das nicht nachvollziehen, aber ich wusste, dass wir nicht zu kurz kommen würden, wenn wir an unseren Versprechen festhielten«, betont Bachmann. 

Die Veränderung startete ganz leise, in mir drin.

Der Turnaround begann schließlich weder mit einer Restrukturierung noch mit einer externen Durchleuchtung. »Er startete ganz leise, mit einem Mindset-Wechsel in mir drin«, erzählt Bachmann. Um andere zu führen, müsse man zuerst mal sich selbst führen können. Echte Veränderung dringe von innen nach außen. »Wenn wir jetzt auf einer Erfolgswelle schwimmen, so geht dies auf meine Veränderung zurück. Dabei möchte ich viele Menschen mit auf diese Reise nehmen, damit auch sie ihr Potenzial entfalten können.« 

Bachmann freut es mehr, wenn er sieht, wie Mitarbeitende über sich selbst hinauswachsen, als wenn er einen neuen Großkunden gewinnt. Was hat sich gewandelt? »Aufgrund schwieriger, gar traumatischer Erfahrungen bildeten sich in mir unbewusst Blockaden, wieder Risiken einzugehen. Das waren Schutzmechanismen, die mich hinderten, Chancen wahrzunehmen, Erkanntes umzusetzen«, sagt Bachmann. Mittlerweile hat er einen »gesunden Umgang« mit seinen Bedenken gefunden. Er genießt es wieder, seine unternehmerischen Fähigkeiten auszuleben. 

Kraftquelle Gebet

Gerade in seiner Krise hat Bachmann aus seinem Glauben Kraft geschöpft. »Ich bin zutiefst überzeugt, dass da ein Gott ist, der sich für mich interessiert und gute Pläne für mein Leben hat.« Existierte Gott nicht, würde Bachmann die Sinnhaftigkeit fehlen. Und diese sei sein Antrieb. Schon kurz nach dem Kauf der internezzo entdeckte er einen ungewöhnlichen Weg, seine unternehmerischen Sorgen aufzuarbeiten. Er schrieb seine Anliegen auf – und verschickte sie per Newsletter an einen Kreis von Menschen, die dafür beten wollten. Inzwischen sei eine solche Vertrautheit mit Gott herangewachsen, dass er nicht mehr so viel zu Papier bringen müsse. »Aber der Gebets-Newsletter, den ich zweimal im Jahr versende, bleibt wichtig für mich. Gebet ist eine Kraftquelle, die Unternehmerinnen und Unternehmer zu wenig anzapfen.«

Schlittere er in Schwierigkeiten, begegne er diesen heute entspannter. Denn er habe erfahren, dass wir manche wichtigen Lektionen nur über Schmerzen lernen – leider. So traf es internezzo mit voller Wucht, als sein Lieferant für das Content Management System (CMS) alle Lieferverträge ohne Voranmeldung kündigte. »Zuerst einmal waren alle vier Beine des Stuhls abgesägt«, sagt Bachmann. Doch diese Not zwang das Unternehmen, auf ein Open-Source-Produkt umzusteigen. Im Nachhinein hat sich diese Strategie als alternativlos und als Marktvorteil entpuppt. »Umarme dein Scheitern, es bringt dich weiter«, hat Bachmann für sich selbst in einem Manifest getextet. Dabei rappelt er sich auch deshalb stets rasch auf, weil er sich bewusst von anderen Menschen begleiten lässt, die in sein Leben hineinsprechen dürfen. 

»Im letzten Jahr fühlte es sich für mich so an, als ob internezzo ein Mähdrescher wäre, der vorne sät und hinten erntet«, sagt Bachmann. Im Zeichen des Kulturwandels war die Belegschaft teilweise tageweise weg, neue Köpfe stießen zum Team, eine neue Arbeitswelt wurde implementiert und Investitionen vollzogen. Doch am Bilanzstichtag war die »Scheune zum Bersten voll«. Letztlich kann sich Bachmann das nur mit göttlichem Segen erklären.

Gebet ist eine Kraftquelle, gerade für Unternehmer.

Diesen Segen wollte Bachmann schon immer mit anderen teilen. So ist er in die Rolle als Investor gerutscht, hat Start-ups mitgegründet. Das operative Dach dieser Aktivitäten bildet die nezzo Holding. Am längsten am Markt ist die Healthy Plus, eine Firma, die Wissensmanagementlösungen im Gesundheitsbereich anbietet. Bachmann liebäugelt aber auch mit Unterfangen im Landwirtschaftsbereich. Gezielt will er zudem Projekte im Ausland fördern. Sein Grundprinzip: Hilfe zur Selbsthilfe. In der Regel reist er einmal pro Jahr in ein Land, um in eine andere Kultur einzutauchen, mit Einheimischen zu sprechen und sich über Hilfsprojekte zu informieren. Unter anderem besuchte er in den letzten Jahren Nordkorea, Benin, Burkina Faso, Nepal und Thailand. 

Segen teilen, aber weise

»Ich bin jedoch sehr vorsichtig geworden mit ausländischen Investitionen. Afrika würde heute möglicherweise besser dastehen, wenn nie Geld von Europa dorthin geflossen wäre.« Er habe verschiedenste Projekte gesehen, die in Europa als vorbildlich angepriesen, aber vor Ort nach Kurzem ausrangiert wurden. Sie passten schlichtweg nicht zur lokalen Kultur. 

»Wenn ich in exotischen Breitengraden jemanden mit unternehmerischer Perspektive antreffe, sage ich oft: Mach einen Businessplan und komme auf mich zu«, sagt Bachmann. »Ein überzeugender Businessplan ist für mich der Wink Gottes, mich einzubringen.« In positiver Erinnerung ist ihm ein Hühnerprojekt in Burkina Faso. Dort bildete der lokale Kirchenverband Hühnerzüchter aus, um die Landflucht zu stoppen. Die Farmer erhielten einen Mikrokredit, den sie innerhalb eines Jahres zurückbezahlen mussten, damit wieder andere davon profitieren konnten. Die soziale Kontrolle funktionierte im kirchlichen Kontext. Das Geld war dreimal im Umlauf. Genau nach solchen Multiplikationseffekten hält Bachmann Ausschau. Jahr für Jahr packt internezzo aber auch Weihnachtspakete für Osteuropa. Damit könne er Mitarbeitende ganz konkret motivieren: »Die Mitarbeitenden sehen, dass der Umsatz nicht nur dazu da ist, dem Chef ein neues Auto zu finanzieren.«

Bachmanns inneres Feuer lodert, wenn er über Werte spricht. Aber seine Pfeife erlischt zwischendurch. Immer wieder aufs Neue zündet er sie an. »Auch bei anderen möchte ich vermehrt den Funken der Hoffnung entfachen.« Noch fehlt ihm dazu die Muße. Aber in wenigen Jahren möchte er operativ kürzertreten – verrät Bachmann und blickt den Rauchwolken nach, die himmelwärts emporsteigen.