David Keller
Hoffnung durch Hühner
Einen Fuß und einen Teil seines Herzens hat er noch in Kambodscha. Das Land war für vierzehn Jahre das Zuhause von David Keller, wo er – zu seinem eigenen Erstaunen – eine Hühnerfarm aufgebaut hat.
Landwirtschaft? Das war Terra incognita für David Keller. »Ich hatte noch nie ein Huhn angefasst, außer mit Messer und Gabel«, sagt David Keller mit einem Schmunzeln. Bis er, zum eigenen Erstaunen, mit dem Aufbau einer Hühnerfarm in Kambodscha begann. Das war anno 2010. »Happy chicken eggs« nannte er das Projekt, das mit einem kleinen Hühnerstall hinter seinem Haus begann. Heute heißt das Unternehmen »eggscellent« und hat achtzehn Angestellte an drei Orten in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh, in Siem Reap und auf dem Land außerhalb von Siem Reap. Die Hühnerställe sind vierzig Meter lang. Absatz: Täglich rund 3500 Eier. Die Hauptkunden sind Luxushotels.
Der Exportmarkt lag vor der Tür: die Touristen.
Hotels als Marktnische
Wie ist der Betriebsökonom aufs Huhn gekommen? War es ein Traum? Eine Eingebung? Zuerst hatte der Schweizer die Vision, Arbeitsplätze in seiner Wahlheimat zu schaffen. Keine Sekunde habe er an Eier gedacht, erzählt David Keller, »eher an ein Start-up im Informatikbereich«. Nach der Vision kam die Marktforschung. Er führte in dreißig Dörfern Interviews durch. Er dachte an den Export, »weil dann die Margen höher sind«, fand jedoch die Aussicht, regelmäßig Waren aus dem Hafen zu schiffen, nicht ansprechend. Da merkte er, dass vor der Haustüre sozusagen ein »Exportmarkt« lag: die Touristen. Siem Reap, die Stadt in der er wohnte, liegt in der Nähe der berühmten Tempelanlage Angkor Wat. Entsprechend gibt es dort viele Hotels und Restaurants. Also führte David Keller die Marktforschung nun bei den Hotels und Restaurants durch, stellte Ihnen viele Fragen. »So viele, wie ich es mich heute nicht mehr getrauen würde«, lacht er.
Herausforderungen mit Sprengstoff
So sei er auf das »Nischending happy chicken eggs« gekommen. Mittlerweile beliefert eggs-
cellent nebst der Luxusgastronomie auch Supermärkte. Die Eier werden dort in Schachteln aus Palmblättern verkauft – handgewoben von betagten Frauen, die dadurch ein Einkommen erwirtschaften. Rund drei Jahre sind vom Bau des kleinen Hinterhofstalls bis zum Verkauf der ersten Eier verstrichen. Drei Jahre, in denen er zum zweiten Mal Vater geworden ist (das erste Kind war kurz davor geboren worden) und in denen Gott ihn immer wieder geführt hat, wie David Keller sagt: »Ich selbst war überfordert damit, große Hühnerställe zu bauen. Aber irgendwie kamen immer genau die richtigen Volontäre, die das nötige Know-how mitbrachten.«
Damit Beziehungen wachsen können, braucht es Zeit. Dies sei einer der Gründe, weshalb der ganze Aufbau von eggscellent relativ lange gedauert habe, sagt David Keller: »Mit schweizerischer Effizienz erreicht man in Kambodscha nichts.« Nur schon das Kaufen von Land ist eine langwierige Sache. Eine kritische – ja, lebenswichtige – Frage war etwa, ob das zukünftige Hühnerfarm-Land vermint war oder nicht. Also war David Kellers erster Schritt: googeln und beten. Die zweite Frage: zuerst das Land kaufen, das mit einer Absteckung einhergeht und danach entminen lassen oder umgekehrt? Wenn man es zuerst entmine, steige natürlich der Kaufpreis.
Schließlich hat David Keller das Land zuerst gekauft und es dann zusammen mit dem Dorfchef abgesteckt. Als es anschließend ums Entminen ging, wäre der Preis dafür ursprünglich höher gewesen als das Land selbst. »Es war Führung von Gott, dass wir es letztlich doch für einen guten Preis entminen lassen konnten«, erzählt David Keller.
Die Finanzen, das Startkapital, hielt ihn lange auf Trab. Als die Kellers jeweils für die Geburt ihrer Kinder für ein paar Monate in die Schweiz zurückkehrten, heuerte David in seinem Beruf als Betriebsökonom an. Eine Schweizer Eierfarm sowie eine Schweizer Bank sagten einen Betrag zu. Und er stellte in vierzig Läden einer Bekannten Sparbüchsen auf. »So sammelte ich kiloweise Kleingeld, um es auf die Bank zu bringen«, und wieder klingt beim Erzählen sein Schmunzeln durch. Eine Leichtigkeit, die wahrscheinlich nötig ist, um so ein Projekt neben der Familie zu stemmen. Schließlich steckte eggscellent gleichzeitig mit seinen Kindern in den Kinderschuhen – wobei sich die Schuhe, wenn überhaupt, auf Flipflops und Crocs beschränkten.
Ehrlichkeit und Fleiß – das kann jede und jeder geben.
2G-Methode: Gebet und Googeln
Auf das Schwierige bei eggscellent angesprochen, erwähnt David Keller nochmals seine 2G-Methode für den Umgang mit Problemen: »Gebet und Googeln«. Er habe sich sehr oft außerhalb seiner Komfortzone bewegt. Seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten natürlich mitbekommen, wie er mit Problemen umgehe. Viele von ihnen hätten einen anderen Glauben praktiziert als er. An christlichen Festen wie Weihnachten hat David Keller jedoch regelmäßig über seinen christlichen Glauben gesprochen. Natürlich sei jeder frei in der Wahl seines Glaubens. Doch jeder Mensch, egal welcher Bildung, ob arm oder reich, habe das Recht, sich zu entwickeln, seinen Horizont zu erweitern »und auch von Jesus und seiner revolutionären Botschaft zu hören«.
Von seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern fordert David Keller allerdings Ehrlichkeit, Fleiß und Qualität. Das sei etwas, das alle geben könnten. Dass ihm Qualität wichtig ist, spiegelt sich im Namen, die er dem Hühnerfarm-Unternehmen gegeben hat: eggscellent. Im Namen kommt aber auch sein Hang zum Verspielten, zu Wortspielen, durch.
Die Aufbauphase sei sehr intensiv gewesen. Sie habe ihn und seine Frau zusammengeschweißt, sagt David Keller: »Wichtig war natürlich, dass wir beide hinter der Vision stehen, das große Ganze sehen – dass es eine Berufung für uns ist.« Seine Frau Anne-Eva Keller, die bis zum zehnten Lebensjahr in Kamerun aufgewachsen war, übernahm bei eggscellent spezielle Aufgaben. Zum Beispiel entwickelte sie die Uniformen der Angestellten, welche mit Stolz getragen werden.
Auch die Covidpandemie hat eggscellent hart getroffen. Fast über Nacht kam der Tourismus zum Erliegen. Sogar Fünfsternehäuser schlossen ihre Pforten. Für David Keller kein Grund, aufzugeben. Kurzerhand ließ eggscellent die Eier, die normalerweise an Hotelbuffets aufliegen, in Kooperation mit lokalen Gemeinden und Hilfsorganisationen an Notleidende kostenlos verteilen. Und schon entstand das Hilfsprojekt »Egg Donation Programme«.
Mit Fernweh geboren
Schon als Kind träumte David Keller davon, einmal »an einem spannenden Ort zu leben«, wie er es ausdrückt. Er dachte jedoch eher an das Amazonasgebiet, weil er als Kind viel davon gehört hatte und ihn diese Berichte faszinierten. »Ich habe damals schon gewusst, dass man mit Gott alles machen kann«, sagt David Keller: »Ich glaube, dass wir Menschen von Gott geschaffen sind, um auf dieser Erde etwas zum Guten zu verändern.«
Bevor er und seine Frau aus der Schweiz nach Kambodscha ausreisten, war ihnen schon länger klar gewesen, dass sie einmal in einem Land leben wollten, wo es den Menschen ökonomisch schlechter geht als den Eidgenossen. Sie sondierten verschiedene Optionen, bis Südostasien auf den Plan trat. 2007 reisten sie mit einer internationalen Organisation aus, finanziert von Spendern. Zwei Jahre lang lebten sie in der Hauptstadt Phnom Penh, lernten Kambodschanisch (Khmer) und halfen Teilzeit in den Slums bei einer Organisation mit, die sich für Straßenkinder einsetzt.
Der König hatte noch keine Zeit, uns einzubürgern.
Small Talk als Volksvergnügen
Wenn David Keller von Kambodscha spricht, leuchten seine Augen: »Die Menschen sind herrlich, nahbar und haben Zeit. Wir sind gut mit ihnen ins Gespräch gekommen, weil wir ihre Sprache beherrschten. Auf dem Markt kannst du einfach mit jedem sprechen. Es gibt ein Wort für Small Talk, das in etwa so viel heißt wie Spaß reden oder spielerisch miteinander ins Gespräch kommen.«
Dieses Spielerische, diese Leichtigkeit – beides ist bei David Keller spürbar. Zum Beispiel, wenn er davon erzählt, dass er es in der Schweiz nun vermisse, nicht mehr einfach schnell aufs Moped hüpfen zu können. Hat er die Leichtigkeit von Kambodscha mit nach Hause genommen oder ist er gerade wegen seiner Leichtigkeit nach Kambodscha gegangen? Nicht ganz einfach zu sagen, was das Huhn und was das Ei ist.
Seit rund zwei Jahren leben die Kellers wieder in der Schweiz. Anne-Eva Keller arbeitet als schulische Heilpädagogin und David Keller bei der Non-Profit-Organisation SAM global. Dort ist er Länderverantwortlicher für Asien sowie Verantwortlicher für die Öffentlichkeitsarbeit. Vor ihrer Rückkehr haben sie die gesamte operative Leitung von eggscellent an die einheimischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter übergeben; finanziell steht die Hühnerfarm auf eigenen Beinen. Zugleich ist eggscellent ein Partnerprojekt von SAM global geworden. Das bedeutet beispielsweise auch, dass David Keller innerhalb seiner Anstellung jeden Dienstagmorgen ein Onlinemeeting mit der Verkaufsleiterin und dem Farm-Manager hat.
»Mit einem Fuß bin ich noch immer in Kambodscha«, nennt es David Keller. Und natürlich mit einem Teil seines Herzens. Seine kambodschanische Mobilenummer benutzt er nach wie vor für die schriftliche Kommunikation und für Sprachnachrichten. Die Beantragung der kambodschanischen Staatsbürgerschaft für die ganze Familie ist hingegen noch in Bearbeitung. »Der Ministerpräsident und der König hatten anscheinend noch keine Zeit, draufzuschauen«, sagt David Keller lachend.
Transformation durch Business
Visionen hat der 45-Jährige immer noch. Und immer noch brennt er dafür, Menschen, denen es in Ländern des Südens ökonomisch schlecht geht, durch Arbeitsplätze Hoffnung zu schaffen. Dafür ist er nun Teil des weltweiten Netzwerks »Business for Transformation«, kurz B4T. Innerhalb der Schweiz beteiligt sich David Keller am Aufbau eines Vereins, der Unternehmerinnen und Unternehmer mit Menschen verbinden möchte, die in einem Land des Südens faire Arbeitsplätze schaffen wollen. Der Vorstand sei formiert, einen Namen hätten sie noch nicht, jedoch bereits Beziehungen, Projekte und Menschen, die dabei sind. »Umfragen in Ländern des Südens zeigen immer wieder, dass gerade die jungen Menschen vielfach nach fairem Business, fairen Möglichkeiten rufen«, weiß David Keller. Sein Engagement für den Aufbau des Vereins kann er innerhalb seiner Arbeitszeit abwickeln, obwohl der Verein eigenständig sein wird. Dieses weite Denken schätzt David Keller. Die Vision von B4T trägt SAM global mit.
Gott kennt jeden Schritt von mir. Ich gehe gerne voran.
Für ihn ist das die Antwort auf die Frage, wo und wie er alles, was er während der eggscellent-Zeit gelernt hat, weiterhin gebrauchen kann. Denn diese Zeit kam ihm »wie eine Berufslehre« vor: »Ich war mir sicher: Alles, was ich lerne, kann ich später wieder irgendwo einsetzen.« Allerdings dachte er zwischenzeitlich sogar darüber nach, eggscellent in anderen Ländern einzuführen, wo Armut und Tourismus zusammenkommen.
Nicht alle Eier in einem Korb
»Ich allein kann die Welt nicht verändern. Aber ich kann einen Stein übers Wasser schlittern lassen, um viele Wellen zu erzeugen«, sagte einst Mutter Teresa. Anne-Eva Keller führt das Zitat auf der Website des Onlineshops CareTrade auf, den sie ins Leben gerufen hat. Hier kann man kambodschanische Produkte bestellen. »Gute Produkte, zum Teil von Freunden, die Mühe mit dem Absatz haben«, erklärt David Keller: »Wir wollen sie unterstützen.« Mit CareTrade möchten Kellers »so unterschiedliche Länder wie Kambodscha und die Schweiz miteinander verbinden«. So kann man zum Beispiel Produkte aus dem Superfood Moringa bestellen. Laut David Keller ist das ein regelrechter »Zauberbaum«. Täglich schluckt die ganze Familie Moringatabletten, auch darüber bleibt sie täglich mit Kambodscha verbunden.
Die Kellers lassen somit gleich »drei Steine übers Wasser schlittern«: eggscellent, CareTrade und der Aufbau eines Vereins im Sinne von B4T. Hinter allen diesen Projekten stehen Menschen, Beziehungen und Freundschaften. Dem Paar ist es wichtig, dass eggscellent nicht nur fleißig arbeiten bedeutet, sondern ein Stück weit auch eine Oase sein kann, in der die Mitarbeitenden aufblühen und tiefe Beziehungen untereinander entstehen. »Wenn ein Unternehmer sieht, dass seine Mitarbeitenden gut zusammen unterwegs sind, ist das doch einfach cool«, sagt David Keller.
Herausforderung mit Sprengstoff
Dass David Keller für die Awards »Heroes of Hope« nominiert wurde, ist ihm ein bisschen unangenehm. Er sieht sich nicht als Held: »Ich mache einfach das, was für mich dran ist. Wenn es eggscellent immer noch gibt, haben wir das Gott zu verdanken.« Trotz vieler Jahre in anderen Ländern klingt das nach schweizerischer Bescheidenheit. »Wenn ich weiß, dass Gott jeden Schritt von mir kennt, kann ich gar nicht anders, als zuversichtlich nach vorn zu blicken.« Christliche Zuversicht, die wahrscheinlich in kambodschanische David Keller’sche Leichtigkeit eingewickelt ist.
David Keller
Schon als Kind träumte David Keller (45) davon, in einem fernen Land zu wohnen. Vierzehn Jahre lang lebte der Betriebsökonom mit seiner Frau Anne-Eva in Kambodscha. Zuerst lernten sie in der Hauptstadt Kambodschanisch (Khmer) und arbeiteten unter Straßenkindern. Da sie die Vision hatten, Arbeitsplätze zu schaffen, zogen sie aufs Land und bauten die Hühnerfarm eggscellent auf. Diese beliefert die Luxushotellerie. Seit 2020 wohnen sie mit ihren zwei Kindern wieder in der Schweiz, wo David Keller für die Organisation SAM global arbeitet.