Roland Juker
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Alexander Hunziker

Ist Dankbarkeit ein Schlüssel zum Erfolg?

Dankbarkeit und das menschliche Wohlbefinden sind eng miteinander verknüpft, wie unter anderem die Forschung von Alexander Hunziker, Ökonom und Professor für Positive Psychologie, zeigt. Die gute Nachricht: Die Tugend kann man lernen.

Daniel Jungen
Daniel Jungen
9 min

Der Aufklärer Immanuel Kant zählte die Dankbarkeit in seinem Werk Metaphysik der Sitten (1797) zu den Tugendpflichten. Der römische Philosoph Cicero (103 – 43 v. Chr.) ging sogar so weit, dass er sie als die größte aller Tugenden, ja, als »Mutter von allem«, beschrieb. Intuitiv scheint es Sinn zu machen, dass Dankbarkeit etwas Positives, vielleicht sogar Erstrebenswertes ist. Auf den zweiten Blick dürfte sich manch einer aber die gleiche Frage stellen, die auch der Protagonist im Film »Revolver« in den Raum wirft: »Was habe ich davon?« Darüber sprechen wir mit Alexander Hunziker, Professor an der Berner Fachhochschule BFH. Er ist Ökonom und Psychologe mit Berufserfahrung in der Schweiz, in Deutschland, Südafrika, Japan und den USA.

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Die Schnittstelle von Ökonomie und Psychologie, das Zusammenspiel von harten und weichen Faktoren, fasziniert Alexander Hunziker seit jeher.

Professor Hunziker, wann haben Sie zuletzt »Danke« gesagt und wofür sind Sie heute dankbar?

Das letzte Mal »Danke« gesagt habe ich meiner Frau heute Morgen, als sie einen Kaffee für mich zubereitet hat. Das ist einer der vielen Vorteile des Homeoffice. Heute und ganz generell bin ich dankbar für das Privileg, einer Arbeit nachgehen zu dürfen, die mich interessiert und mir Spaß macht. Das war nicht immer so und ich nehme das nicht als selbstverständlich.

Sie sind Professor für Positive Psychologie und Achtsamkeit an der Berner Fachhochschule BFH. Erklären Sie uns, was Ihr Fachgebiet absteckt.

Die Positive Psychologie beschäftigt sich, im Gegensatz zur klinischen Psychologie, nicht mit psychischen Krankheiten und wie man sie heilen kann, sondern mit Stärken, Tugenden und Wohlbefinden und damit, wie man Letzteres vermehren kann. Es zeigt sich dabei, dass einiges vererbt, vieles aber beeinflussbar ist. Und dass wir uns als Einzelne und als Gesellschaft nicht so schlau dabei anstellen, glücklich zu sein. Eine Konzentration auf Stärken und Positives bringt spürbare Vorteile, sowohl im privaten wie im geschäftlichen Umfeld. Bei Achtsamkeit und Meditation geht es darum, den gegenwärtigen Moment bewertungsfrei und bewusst wahrzunehmen. Dies hilft zum Beispiel, Situationen in unserem Alltag anders zu erleben, glücklicher zu sein. Auch wenn dies in der Öffentlichkeit eher unbekannt ist, sind doch sehr viele Aspekte der Positiven Psychologie heute bereits sehr gut erforscht. 

Mit welchen Aspekten befassen Sie sich in Ihrer Arbeit?

Die meisten Studien der Positiven Psychologie beschäftigen sich mit dem Individuum. Meine Forschungen konzentrieren sich daher auf die kollektive Ebene: Was passiert, wenn mehrere Leute gemeinsam achtsam sind? Kann Achtsamkeit im Team gelebt werden? Und hat dies Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit eines Teams? Außerdem unterrichte ich an der BFH und bin dabei mit der Frage unterwegs, wie ich Inhalte so präsentieren kann, dass sie einfach aufgenommen werden.

Was sagt die Positive Psychologie zum Thema Dankbarkeit?

Dankbarkeit ist eine Charakterstärke. Alle Menschen können zumindest ein bisschen dankbar sein. Dankbarkeit ist grundsätzlich zu weiten Teilen lernbar und trainierbar, wenn auch die Begabung dazu eine Rolle spielt. Es ist eine der Charakterstärken, die am engsten mit Wohlbefinden oder Glück in Zusammenhang stehen. Wer glücklicher werden möchte, kann sich ein Ziel setzen: dankbarer zu werden.

Hat Dankbarkeit auch wissenschaftlich belegte Second-Order-Effekte? Ein Beispiel: Weil ich dankbar bin, sehe ich die Welt optimistischer. Dies veranlasst mich dazu, mehr zu wagen, was mein Leben positiv beeinflusst und mich erfolgreicher macht.

Für Dankbarkeit kenne ich keine Studien dazu, jedoch für ein verwandtes Konstrukt: den Optimismus, also der Fähigkeit, in einer unangenehmen Situation auch positive Aspekte zu erkennen. Eine optimistische Weltanschauung führt zur Öffnung der Wahrnehmung und dies zum Aufbau von Ressourcen, die wiederum einer besseren Lebensqualität zugutekommen und es leicht machen, das Positive zu sehen. Man spricht von einer Aufwärtsspirale. 

Kann und sollte man überhaupt versuchen, eine Verbindung zwischen Dankbarkeit und Erfolg herzustellen? 

Viele Menschen sind an den Ergebnissen der Positiven Psychologie interessiert, weil sie sich eine persönliche Leistungssteigerung oder ein »besseres Leben« wünschen. Dies sind selbstbezogene Wünsche, was aber nicht primär schlecht ist. Ich gebrauche gern einen bildhaften Vergleich, um die Beziehung zwischen Dankbarkeit und dem Wunsch nach Leistungssteigerung zu veranschaulichen. Der Wunsch nach einem besseren, leistungsfähigeren Leben ist wie ein Paar Schuhe. Diese Schuhe führen einen auf der Suche nach mehr Erfolg zur Positiven Psychologie und unter anderem zum Raum der Dankbarkeit, der ein heiliger Raum ist. An der Schwelle zu diesem Raum müssen die Schuhe ausgezogen werden. Denn wahre Dankbarkeit ist nie zweckorientiert. Wer den Raum der Dankbarkeit betritt, ohne die Schuhe auszuziehen, kann lange auf eine positive Wirkung warten.

Studien zeigen, dass Dankbarkeitsübungen Ängste und Depressionen reduzieren können. Können Sie uns einige Dankbarkeitsrituale nennen?

Dankbarkeit ist wie ein Muskel, den man trainieren kann. In meinen Seminaren ermutige ich die Teilnehmenden jeweils, einen Dankesbrief an eine Person zu schreiben, der man von Herzen dankbar ist. Dies kann zum Beispiel ein Lehrer sein, ein Elternteil, der Partner oder der Trainer eines Sportteams. Diese Übung lässt einen die Dankbarkeit spüren, erleben und verstehen. In einem zweiten Schritt kann der Brief der jeweiligen Person überreicht, oder noch besser, vorgelesen werden. Dies ist jedoch fakultativ. Eine weitere Übung besteht darin, einen Monat lang jeden Abend fünf Dinge aufzuschreiben, für die man heute dankbar war. Dabei kann man sich selbst beobachten und wird feststellen, dass das Lebensgefühl ein anderes wird. Man kann sich auch im Alltag angewöhnen, »Danke« für die kleinen Dinge zu sagen, sei dies gegenüber den eigenen Mitarbeitenden oder der Bedienung im Restaurant. Das funktioniert allerdings nicht als Automatismus, sondern nur als Herzensangelegenheit.

Ich sehe Undankbarkeit nicht als Wurzel des Übels, sondern als üble Frucht.

Kindern in Europa wird heute oft der rote Teppich ausgerollt. Doch soll es mehr denn je viele mit psychologischen Schwierigkeiten geben. Hat das mit Undankbarkeit zu tun?

Undankbarkeit ist interessant. Ich weiß nicht, ob sie wissenschaftlich direkt untersucht worden ist. Dem Ausdruck hängt etwas Negatives an. Jemanden als undankbar zu bezeichnen, ist kein neutrales Statement. Da schwingen unerfüllte Erwartungen mit, was genau das Gegenteil von Dankbarkeit ist. Ich sehe Undankbarkeit aber nicht als die Wurzel des Übels, sondern eher als üble Frucht. Auf Social Media werden Kinder mit Eindrücken bombardiert, die eine unglaubliche Erwartungshaltung aufbauen und zu ungesundem Vergleichen und zu Neid führen. Der Weg von überhöhten Erwartungen und negativen Emotionen zu einer undankbaren Haltung ist dann kurz. Ich habe deshalb mit meinen Töchtern, als sie klein waren, ein Ritual angefangen. Jeden Abend, vor dem Schlafengehen, fragte ich sie, was heute Schönes in ihrem Leben geschehen ist. Dadurch durfte ich an vielen wunderbaren Dingen teilhaben. Auch an nicht so guten Tagen fanden sie immer Antworten. Einmal, als eine von ihnen in einer Krise steckte und nichts Erfreuliches zu erzählen wusste, konnten wir gemeinsam auf all die Tage zurückblicken, an denen viel Positives passiert war. Sie war überzeugt, dass sie damit »mindestens sieben Rucksäcke füllen« könnte. Das gab ihr Zuversicht für die kommenden Tage.

In der Wirtschaftswelt entdecke ich viele talentierte, gut ausgebildete Menschen, die mit Blick auf ihre Arbeit resigniert haben. Sie fühlen sich zu wenig wertgeschätzt. Haben es Führungskräfte verlernt, ihre Dankbarkeit auszudrücken?

In vielen Köpfen ist der Glaube verankert, dass Mitarbeitende für ihre Arbeit bereits bezahlt werden, weshalb man nicht andauernd wertschätzend kommunizieren müsse. Nur wenn jemand die Extrameile geht oder Herausragendes leistet, so der Glaube, hat er sich Wertschätzung und Anerkennung verdient. Hierzu gibt es ein spannendes Gedankenexperiment. Überlegen Sie sich einmal, wie viele Mitarbeitende in Ihrem Unternehmen nur gerade so viel leisten, dass sie ihren Job nicht verlieren. Die meisten Führungskräfte, welchen ich diese Frage stelle, haben keine oder höchstens eine solche Person in ihrem Team. Für das, was eine Person leistet, um den Job zu behalten, dafür ist sie bezahlt. Was sie darüber hinaus leistet, ist freiwillig. Ist es im Interesse der Unternehmung, dass diese Person bleibt? Natürlich, und damit ist meines Erachtens belegt, dass dankbar sein eine Führungsaufgabe ist. Spannend ist, dass es oftmals den Führungskräften schwerfällt, Dankbarkeit auszudrücken, die den Weg zur Dankbarkeit selbst noch nicht unter die Füße genommen haben. Deshalb rate ich immer wieder, sich bewusst im Alltag Zeit zu nehmen, die Kleinigkeiten im Leben zu genießen und bewusst dankbar zu sein. Dies kann ein Sonnenaufgang auf dem Weg zur Arbeit sein, den man statt für zwei Sekunden satte zwanzig Sekunden bestaunt. Oder ein Espresso, den man bewusst genießt. Es geht also um eine innere Haltung der Dankbarkeit, die zuerst im eigenen Leben und dann im Umgang mit den Mitarbeitenden zum Ausdruck kommt

Wird das Gebiet der Positiven Psychologie in der Businesswelt ernst genommen? Sind Führungskräfte offen, von den Erkenntnissen Ihrer Forschungen zu lernen?

Manche Führungskräfte sind gestresst oder anderweitig beschäftigt. Viele sind aber sehr offen für die Erkenntnisse der Positiven Psychologie. Dies hat einerseits mit den sich häufenden gesellschaftlichen Herausforderungen wie Stress und Burn-outs zu tun, anderseits mit dem persönlichen Bedürfnis, ein gutes Arbeitsklima zu schaffen. Wenn man als Führungskraft weiß, dass man noch zwanzig Jahre im Arbeitsmarkt verbleiben wird und dabei einen Großteil seiner Zeit auf der Arbeit verbringt, wünscht man sich positive Energie und ein gutes Arbeitsklima für sich und sein Team. Da die Positive Psychologie praktikable Anleitungen zu diesem Zweck bereithält, stößt sie vielerorts auf Interesse.

Sie sagten einmal, dass gewisse Führungskräfte davor zurückschrecken, zu viel Dankbarkeit auszudrücken – und zwar wegen der Befürchtung, dass die Mitarbeitenden mit utopischen Lohnforderungen kämen. Sie scheinen diese Befürchtung nicht zu teilen. Wie sieht die Realität in der Arbeitswelt aus?

Ganz ausschließen kann man das nicht, aber es ist selten. Und für den Fall, dass Lohnforderungen kommen, hat ein Unternehmen ja hoffentlich nachvollziehbare Lohnrichtlinien. In der Regel ist es genau umgekehrt: Viele Mitarbeitende verzichten gerne auf etwas mehr Lohn, wenn sie dafür viel Wertschätzung erfahren. Der Schmerz, respektlos behandelt zu werden, lässt sich kaum mit Geld aufwiegen.

Stimmt es, dass Dankbarkeit lebensverlängernd wirkt?

Wenn wir Dankbarkeit hier wieder unter Optimismus kategorisieren, gibt es tatsächlich Studien, die lebensverlängernde Effekte nachweisen. Und wir reden hier nicht von einigen Tagen oder Wochen, sondern eher von Jahren. Optimistischere Menschen haben nicht nur ein glücklicheres Leben, sie leben auch länger. Umgekehrt leben unglückliche Menschen im Durchschnitt kürzer, müssen das Leben also auch weniger lang erdulden. Übrigens: Eine der einfachsten Methoden, um glücklich zu werden, ist es, eine glückliche Person zu heiraten. Das Glück färbt positiv ab. Das wurde in einer Studie gezeigt. Der Haken für manche ist nur, dass glückliche Menschen selten ausgesprochene Miesepeter heiraten wollen.

»Sag Dank in allem«, heißt es in der Bibel. Was sagt Ihnen das?

Denkt jemand an einen strafenden Gott, so ist es schwierig, mit diesem Ratschlag etwas anzufangen. Denn Dankbarkeit mit Pflichtbewusstsein zu erzwingen, ist sinnlos. Sehen wir die Aussage jedoch als Lebensweisheit und als Ratschlag für ein gutes Leben, so lohnt es sich durchaus, diese Aufforderung zu beherzigen. 

Alexander Hunziker

Alexander Hunziker

Als Ökonom und Psychologe ist Prof. Dr. Alexander Hunziker (59) seit über zwanzig Jahren in der Organisationsberatung tätig und begleitet Führungsteams dabei, eine menschliche und produktive Arbeitskultur zu schaffen. In seinem Buch »Positiv führen, Leadership – mit Wertschätzung zum Erfolg« erläutert er den Weg zu einem neuen, wertschätzenden Führungsstil. Hunziker ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.