Ulrich Prediger & Holger Tumat

Kommt Zeit, kommt Rad

Ulrich Prediger und Holger Tumat haben mit JobRad eine Million Fahrräder auf die Straße gebracht. Dabei sah es anfangs gar nicht danach aus. Über jahrelanges Abstrampeln, Geschenke an die Konkurrenten – und warum es das Unternehmen ohne himmlischen Beistand wohl nicht geben würde.

Nicolai Franz
Nicolai Franz
8 min

Freiburg, der weitläufige Innenhof eines Bürokomplexes. Holz an den Fassaden, riesige Betonplatten auf dem Boden, alles neu und clean, ein Retro-Trailer aus Hochglanz-Edelstahl: Ein bisschen fühlt es sich an wie im Silicon Valley. Gerade ist Fotostunde für die beiden JobRad-Chefs Holger Tumat und Ulrich Prediger. Prediger schwingt sich auf sein E-Bike, vollgefedert und matt lackiert, ein massiger Rahmen, grobes Profil. Mit ihm legt er so gut wie alle Alltagswege zurück. Ganz anders das Gefährt von Tumat. »Ein Biobike«, sagt der groß gewachsene Tumat, der sich seine Brille in die mittellangen Haare gesteckt hat, will meinen: Den Antrieb übernimmt die Muskelkraft. Der Rest ist Minimaldesign. Schlichte Eleganz und Understatement, aber aus hochwertigen Komponenten.

Der Weg zum Erfolg war steinig – und Gott hatte eine Menge mitzureden.

So unterschiedlich wie die Fahrräder sind auch ihre Eigentümer. Das führt schon mal zu Konflikten zwischen den beiden Männern, die mit dem Fahrrad-Leasing-Dienstleister JobRad ein enorm florierendes Unternehmen führen. Der Weg zum Erfolg war steinig, ungewöhnlich – und Gott hatte eine Menge mitzureden. Doch nun zu den Anfängen.

450 Kilometer mit dem E-Bike

Anfang 2009 arbeitet Holger Tumat nicht im Poloshirt wie heute, er trägt als Angestellter im Salesbereich natürlich Anzug. Auf dem Kongress christlicher Führungskräfte weckt ein Angebot sein Interesse: »Hörendes Gebet«. Er sei ja experimentierfreudig, berichtet Tumat, und so macht er einen Termin. Er betritt einen Raum, in dem vier Menschen sitzen. Sie wissen nichts von ihm, außer, wie er heißt, damit sie ihn als »Holger« ansprechen können. »Hörendes Gebet« bedeutet, dass Menschen im Gebet versuchen zu hören, was Gott ihnen sagen will. Einer schreibt mit, welche Gedanken und Eindrücke den Betern in den Sinn kommen. Tumat sitzt die ganze Zeit gespannt dabei. Nach einer halben Stunde bekommt er den DIN-A4-Zettel überreicht. Die Aussage darauf wird sein Leben verändern: »Gott wird dir ein Fahrrad schenken. Das fährt aber nicht. Er muss dir erst noch die Räder dazu schenken.«

Tumat hat nicht im Ansatz eine Ahnung, was das bedeuten soll. Er arbeitet weiter. Bis er wenige Monate später seinen Job verliert. Ein Schlag. Orientierungslosigkeit. Tumat versucht, Klarheit über sein Leben zu bekommen – und lernt die damals noch neuen E-Bikes kennen. Mit einem Modell fährt er von München über die Alpen bis an den Gardasee. »Das war mein E-Bike-Bekehrungserlebnis.« Vorher hatten ihn beim Fahrradfahren immer Knieschmerzen geplagt. Jetzt schaffte er die 450 Kilometer schmerzfrei, dafür mit einer Menge Spaß. Ihm kommt ein Gedanke: Was, wenn mit den Worten auf dem A4-Zettel ein Business gemeint ist? Er macht sich an die Arbeit: Aus seiner neuen Leidenschaft fürs E-Bike will er mit einem Freund ein Geschäft machen. Die Idee: Hotels sollten ihren Kunden E-Bikes zum Mieten anbieten. Er zieht samt Familie nach Berlin, putzt Klinken. Aber: Die Idee ist ihrer Zeit wohl voraus, die Infrastruktur nicht gut gewählt, und zu allem Überfluss kann ein Wettbewerber die Preise deutlich unterbieten. Das Start-up scheitert. Vielleicht, weil die Räder gefehlt hatten, wie es auf dem Zettel des hörenden Gebets gestanden hatte?

Vergebliches Klinkenputzen

Zu diesem Zeitpunkt kennen sich Holger Tumat und sein jetziger Geschäftspartner Ulrich Prediger noch nicht. Prediger fällt um 2007 etwas auf: Zwar hat er einen Dienstwagen. Doch der verstaubt zusehends in der Garage, weil Prediger viel lieber mit dem Rad zur Arbeit fährt. Trotzdem gefällt dem zweifachen Vater das Modell Dienstwagen: Versicherung, Steuervorteil, Service inklusive – und zudem ein erfolgreiches Geschäftsmodell. »Ich dachte mir: An diesen Erfolg will ich auch anknüpfen. Und zwar mit dem Fahrrad.« 2008 gründet er »LeaseRad«, benennt das Unternehmen später in »JobRad« um. Er klopft den Markt nach potenziellen Kunden ab, vor allem nach Arbeitgebern. Überall trifft er auf dieselben erstaunten, sogar amüsierten Gesichter. Die ersten drei Jahre sind hart: »Wir haben Hunderte Angebote geschrieben, am Ende kamen vielleicht zehn Projekte dabei heraus.«

Predigers Argumente von damals sind dieselben, die JobRad auch heute noch nennt: Fahrradfahren ist in den Städten nachhaltiger und schneller als mit dem Auto, die Unternehmen sparen Parkplätze und können sich zudem nach außen als umweltbewusste und attraktive Arbeitgeber präsentieren. Die Finanzierung läuft über eine Gehaltsumwandlung, durch die der Mitarbeiter im Vergleich zum Direktkauf deutlich spart. Doch was heute völlig normal ist, galt damals noch als exotisch. Prediger strampelt sich ab, kommt aber nur schwer weiter.

Wir warfen unsere gesamte Existenz in die Waagschale.

Carepakete von Freunden

2009 sitzt er im Gottesdienst, um ihn herum singen Menschen Anbetungslieder, und er fühlt: Er ist am Ende. »Meine Frau und ich hatten unsere komplette Existenz in die Waagschale geworfen, ich hatte meinen Job gekündigt. Aber es ging nicht voran.« Die Familie knapst, bekommt von Freunden am Ende des Monats Carepakete mit Nudeln, Tomatensoße und Schokolade geschickt. Gehungert hätten sie nie, sagt Prediger. Hart sei es trotzdem gewesen. Selbstzweifel nagen an ihm. Lohnt es sich, immer wieder von Neuem Investorengespräche zu führen, wieder abgewiesen zu werden, wieder neu anzufangen?

Einige Zeit später sitzt er wieder im Gottesdienst. »Da hat Gott mir ins Herz gesprochen: Deine Firma wird mal groß werden«, erinnert er sich. Der Unternehmer nimmt ernst, was er da hört. Er fasst wieder Mut, bekommt Hoffnung und Kraft. »Ich weiß nicht, ob ich durchgehalten hätte, wenn ich damals diese Erfahrung im Gottesdienst nicht gemacht hätte«, erinnert er sich.

Der Durchbruch

Neben ihm am Tisch sitzt Holger Tumat. Die beiden sind mit JobRad erst kürzlich in das schicke Gebäude gezogen, es riecht noch nach frischem Holz, nach Aufbruch. Zum Aufeinandertreffen der beiden Gründer kommt es 2011, als ihre Unternehmen in derselben Ausgabe eines Fachmagazins porträtiert werden. »Die Begegnung mit Uli – das waren die Räder, die am Fahrrad noch fehlten.« Die beiden Businessleute eint so manches: Die Liebe zum Fahrrad, der Sinn für ein gutes Geschäft – und der Glaube an Gott. Sie beschließen, sich zukünftig voll auf das Dienstradkonzept zu konzentrieren. Tumat und Prediger gehen ab sofort gemeinsam auf einem Weg, der bis dahin kein leichter war. 

Ein Knackpunkt an dem Modell von LeaseRad ist die fehlende gesetzliche Regelung dafür, ein dienstlich und privat nutzbares Fahrrad als geldwerten Vorteil steuerlich so zu behandeln wie einen Dienstwagen. Erst nach zäher Lobbyarbeit kommt 2012 schließlich der Durchbruch für das steuerlich subventionierte Dienstrad – und damit die Wende für das Unternehmen. 

In den Folgejahren kann sich JobRad vor Aufträgen kaum retten, sie verbuchen jährliche Wachstumsraten von über hundert Prozent. Im Sommer 2020 schaffen die JobRad-Mitarbeiter es kaum noch, die hohe Nachfrage zu bedienen – die Pandemie hat zu einem riesigen Boom geführt. Die Bearbeitungszeit der Anträge steigt auf acht bis zehn Wochen. »Das konnte nicht unser Anspruch sein«, erinnert sich Prediger, »und wir wollten auch nicht einfach maximalen Profit aus der Situation ziehen, sondern den Menschen aufs Fahrrad helfen.« Kurzerhand ruft er bei Konkurrenzfirmen an und fragt, ob er die JobRad-Kunden an sie weiterverweisen dürfe. Mancher Mitbewerber denkt an einen schlechten Scherz, lässt sich dann aber doch überzeugen.

2022 hat JobRad das millionste Fahrrad auf die Straße gebracht, »im Schnitt zu einem vierstelligen Listenpreis«, sagt Prediger nicht ohne Stolz. Bei all dem geschäftlichen Erfolg sind den beiden Unternehmern ihre christlichen Werte wichtig geblieben: »Unsere höchste Prämisse ist nicht, möglichst viel Geld zu verdienen. Wir wollen, dass sich unsere Mitarbeiter wertgeschätzt fühlen.« Im Onboarding-Programm lernen neue Mitarbeiter auch, dass die Basis der Unternehmenswerte der christliche Glaube ist. Das führt manchmal zu Nachfragen, etwa ob man Christ sein müsse, um befördert zu werden. »Auf keinen Fall«, sagt Tumat. »Wir bevorzugen niemanden, nur weil er einer Religion angehört.« 

Ein ungleiches Paar

Das Wertefundament bedeutet auch nicht, dass im Unternehmen immer Harmonie herrscht. »Uli ist ein Visionär, der Entwicklungen spürt, bevor sie sichtbar oder rational greifbar sind, der Begeisterungstalent hat, aber weniger Wert auf Details und Struktur legt«, sagt Tumat über Prediger. »Ich dagegen mache zum Denken Excel auf und versuche, die Welt präzise zu strukturieren, ich neige zu kritischen Kommentaren – um das Beste herauszuholen.«

Da knallt es auch schon mal. Zum Beispiel, wenn Tumat sich zum Bremsen gezwungen fühlt, weil ihm die Pläne seines Partners allzu tollkühn vorkommen. »Die Frage ist: Schaffe ich es, in Konflikten so in die Beziehungen zu investieren, dass ich Verletzungen auch wieder hinter mir lassen kann?« Christen hätten da einen Vorteil: »Weil sie wissen, wie wichtig es ist, dass sie Vergebung empfangen. Aber auch, dass sie Vergebung aussprechen.« Tumat ist sich sicher: Ohne diese Vergebungsbereitschaft wäre einer von ihnen beiden nicht mehr im Unternehmen. Aber Tumat und Prediger haben gelernt, mit ihrer ungleichen Art umzugehen. Sie setzen mehr auf Aufgabenteilung. 

»Dann warten wir eben«

Ein gutes Miteinander ist den Gründern enorm wichtig – und man spürt es an der Atmosphäre bei JobRad. Zum Beispiel, als ein junger Mann auf Tumat und Prediger zueilt, die gerade mit ihren Rädern in den Innenhof zur Foto-Location rollen. »Sorry, wir sind mit dem Video noch nicht fertig. Wir brauchen noch zehn Minuten«, sagt er. Wie andere Chefs eines Multimillionen-Euro-Unternehmens mit vollem Terminkalender wohl reagieren würden? »Kein Problem«, meint  Tumat, »dann warten wir eben.« Und er nutzt die Zeit, um mit Begeisterung die Vorzüge seiner elektrischen Schaltung zu erklären. 

Ulrich Prediger

Ulrich Prediger

Ulrich Prediger (51) liebt es, Fahrrad zu fahren. 2008 kündigte er seinen Job, um das Dienstrad salonfähig zu machen. Geboren in Siebenbürgen, wohnt er schon lange in der Fahrradstadt Freiburg. Prediger ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Holger Tumat

Holger Tumat

Knieprobleme erschwerten ihm lange Zeit das geliebte Radeln. Erst mit umgebautem Rad mit E-Antrieb konnte Holger Tumat (49) schmerzfrei fahren. Das führte zu einer Geschäftsidee: E-Bikes zu vermieten. Er ist verheiratet und Vater von drei Kindern.