Dagmar Wöhrl
Lieber Löwin als Lamm
Dagmar Wöhrl war Miss Germany, Anwältin und CSU-Politikerin. Nun beweist sie als Jurorin in der TV-Show »Die Höhle der Löwen« Mut zum Risiko. Über eine Frau, die sich immer wieder neu erfand.
Montagabends ist Dagmar Wöhrl eine Löwin: Ihr Revier ist ein ausladender Sessel, aus einer Feuerschale schlagen Flammen – eine martialische Kulisse für den Streit, der gleich toben wird. Wöhrl hat die langen Beine überschlagen und ihre grünen Augen auf den Tunnel gerichtet, durch den sich die Auserwählten zu ihr in den Käfig wagen. Vor sie treten Gründerinnen und Gründer, die ein neues Produkt oder eine Dienstleistung präsentieren und dafür auf finanzielle Unterstützung hoffen.
Mit vier anderen Löwen kämpft Wöhrl um die besten Deals in der TV-Show »Die Höhle der Löwen«. Sie hat als Investorin das geballte Kapital ihres Familienunternehmens im Rücken. Die INTRO-Verwaltungs GmbH wurde mit Hotels, Modehäusern und Restaurants groß. Die Familie Wöhrl kann auf eine erfolgreiche Unternehmensgeschichte zurückschauen. In der Gründershow sicherte sich Dagmar Wöhrl bereits Firmenanteile an Erlebnisübernachtungen in futuristischen Zelten, sie setzte auf veganes Hundefutter, rohen Keksteig zum Löffeln oder eine Zahnschiene, die den Trägern das Knirschen abgewöhnen soll.
Wie eine Raubkatze auf der Lauer
Ob jemand das Interesse der Löwin weckt, entscheidet sich schnell. »Wenn die Gründer durch den Löwenkäfig auf einen zukommen, spürt man, ob die Chemie passt«, sagt Wöhrl. Zeit, sich ein vollumfassendes Bild zu machen, bleibt bei so einem Pitch im Fernsehen kaum. Dabei ist Wöhrl niemand, der sich auf jedes Investment stürzt. Sie gleicht eher der Raubkatze, die sich auf die Lauer legt und auf lohnende Beute wartet.
»Bin ich unsicher, setze ich sehr stark auf mein Bauchgefühl«, sagt sie. So erwies sich ausgerechnet eine Podusche im Nachhinein als einer ihrer besten Deals. Während die anderen Löwen über »das große Geschäft« spotteten, das die Gründer mit ihrer Erfindung machen wollten, schlug Wöhrl als Einzige zu. »HappyPo«, eine Art Minibidet, entwickelte sich zu einem Riesenerfolg und soll unlängst für eine siebenstellige Summe verkauft worden sein. Wöhrl lag mit ihrem Gefühl goldrichtig.
Wenn es einem gut geht, sollte man auch etwas zurückgeben.
Vielfältig engagiert
Abseits der Investmentshow erwischt man Dagmar Wöhrl selten in Deutschland. An einem Tag Ende März sitzt sie in einem Hotel auf Sri Lanka und erklärt der Anruferin in schönstem Fränkisch, dass sie das Haus wegen der Corona-Bestimmungen für zwei Wochen nicht verlassen dürfe. Verschiedene Hilfsprojekte ließen sie die verpflichtende Quarantäne nach Ankunft auf der Insel in Kauf nehmen. Den SOS-Kinderdörfern hilft sie hier beim Aufbau einer Schule, sie unterstützt ein Sprachprojekt für Kinder und kümmert sich um die Rettung von Elefanten und Straßenhunden.
Die Liste ihrer Ehrenämter ist lang. Wöhrl setzt sich als stellvertretende Vorsitzende von UNICEF Deutschland für Kinderrechte ein und ist seit vielen Jahren Präsidentin des Tierschutzvereins Nürnberg-Fürth. »Wenn es einem gut geht, sollte man auch etwas zurückgeben«, findet sie. Für ihr Engagement erhielt sie 2008 das Bundesverdienstkreuz.
Dagmar Wöhrl, die Löwin, die Tierschützerin, die Soziale. Das sind nur drei Facetten einer Frau, die in ihrer Laufbahn an vielen Kreuzungen stand und sich meist für das neue, das unbekannte Terrain entschied. Läuft man mit ihr zusammen die Stationen ab, entsteht schnell der Eindruck, sie hätte nicht eines, sondern gleich mehrere Leben gelebt.
Nebenjob Topmodel
Am 5. Mai 1954 wurde sie als Dagmar Winkler in Stein bei Nürnberg geboren. Die Eltern arbeiteten Vollzeit bei Siemens, tagsüber passte die Oma auf sie auf. Als Kind war sie ein wenig mollig, besaß eine Ratte als Haustier und verkroch sich stundenlang hinter Büchern.
Dagmar war ein gescheites Mädchen, machte Abitur und schrieb sich an der Universität in Erlangen für Jura ein. Ihr Studium finanzierte sie, inzwischen zu einer bildhübschen jungen Frau gereift, mit Modeljobs.
Aus Dagmar, der Schüchternen, wurde Dagmar, das Topmodel.
Es war dann die Mutter, die eine Anzeige für die Miss-Germany-Wahl in der Zeitung entdeckte, vielmehr den ersten Preis: ein Auto. Also trat Dagmar 1977 an und brauste bald als frisch gekürte Schönheitskönigin in einem nagelneuen weißen Mercedes durch ihre bayerische Heimat. Wahlen zur »Miss International« in Tokio, zur »Miss World« in London und zur »Miss Europe« in Helsinki folgten, Dagmar schaffte es immer unter die Top drei. »Diese Zeit hat mich immens geformt«, sagt sie. »Früher war ich introvertiert und hatte Schwierigkeiten, auf Menschen zuzugehen. Plötzlich hielt ich Reden vor internationalem Publikum.« Aus Dagmar, der Schüchternen, wurde Dagmar, das Topmodel. Und wenige Jahre später aus der Studentin Winkler Frau Wöhrl.
Mit Ende zwanzig saß sie, einen Gesetzeskommentar auf den Knien liegend, in einem kleinen Businessflieger von Nürnberg nach Paris. Der Kapitän wusste um die schöne Passagierin und reichte persönlich Snacks und Drinks herum. Er hieß Hans Rudolf Wöhrl. Obwohl ihm die Fluggesellschaft gehörte, stieg der Unternehmer ab und zu selbst ins Cockpit. Drei Jahre nach ihrem ersten Treffen im Flieger heirateten Dagmar und Hans Rudolf 1984, die Flitterwochen verbrachten sie auf Sri Lanka.
Leben zwischen Karriere und Familie
Ende der 1980er-Jahre führte Dagmar Wöhrl als Rechtsanwältin ihre eigene Kanzlei und gründete zwei Parkhausverwaltungsfirmen, in einer ist sie bis heute geschäftsführende Gesellschafterin. Damit schienen die nächsten Jahre gesetzt, doch 1990 stellten sich die Weichen für einen völlig anderen Lebensweg. Eines Tages ereilte ein Anruf die Kanzlei. Wöhrl wurde von der CSU eine Kandidatur für den Stadtrat angetragen. Dabei war sie nicht einmal Parteimitglied. Ihr Mann, um Rat gefragt, sagte: »Man darf nicht nur meckern, man muss auch etwas tun.« So begann Wöhrls Laufbahn als Politikerin.
Was im Nürnberger Stadtrat seinen Anfang nahm, führte sie 1994 in den Bundestag nach Bonn. Der Kanzler hieß Helmut Kohl, der CSU-Vorsitzende Theo Waigel und der Anteil an weiblichen Abgeordneten lag bei bescheidenen 26 Prozent. Trotz ihrer Erfahrungen als Unternehmerin und Rechtsanwältin hatte sie unter den eingesessenen Herren anfangs einen schweren Stand, dem sie mit Arbeitseifer begegnete. »Ich bin der Auffassung, dass man Vorurteile am besten durch Leistung entkräftet«, erklärt sie.
Wöhrl war mittlerweile Mutter zweier Söhne – Marcus und Emanuel. Das Leben zwischen Bonn und Nürnberg war aufreibend. Abends im Bett beschlich sie mitunter ein schlechtes Gewissen. Die Schulbücher hatte sie doppelt gekauft, um ihren Kindern helfen zu können. Die Hausaufgaben gingen per Fax hin und her. »Meine Familie war immer mein Stabilitätsanker«, sagt Wöhrl. Keine Entscheidung habe sie ohne den Rat und Zuspruch ihres Mannes gefällt. Gemeinsam meisterten sie den Spagat zwischen Unternehmertum, Politik und Familienleben.
Fast dreißig Jahre lang machte Dagmar Wöhrl Politik. Sie wurde Landesschatzmeisterin der CSU, rang als Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium mit den Folgen der Finanzkrise und wurde später als Vorsitzende des Ausschusses für Entwicklungszusammenarbeit mit der internationalen Flüchtlingskrise konfrontiert. Erfolgreich setzte sie sich für eine Verankerung des Tierschutzes im Grundgesetz ein.
Lieber für einen Tag eine Löwin als sein ganzes Leben lang ein Schaf sein.
Frei von Kritik blieb ihre Arbeit nicht. So kam es nicht gut an, als sich Wöhrl 2012 bei einer wichtigen Abstimmung im Parlament krankmeldete, zeitgleich aber ins Ausland flog.
Neben ihrer politischen Arbeit saß sie in zahlreichen Aufsichtsräten. Ihre hohen Nebenverdienste stießen manchen übel auf.
Von der Politikerin zur Löwin
Im Jahr 2017 stellte sich Dagmar Wöhrl nicht erneut zur Wahl. Sie wollte sich künftig verstärkt um ihre sozialen Projekte kümmern. Bereits im April 2016 kündigte sie ihren Abschied aus der Politik auf ihrem Blog an, dem »Wöhrl Wide Web«, indem sie dort den schönen Satz schrieb: »Es ist aber besser, für einen Tag eine Löwin zu sein, als ein Schaf sein ganzes Leben lang.« Dass sie gut ein Jahr später tatsächlich als Löwin vor der Fernsehkamera stehen würde, war damals noch nicht im Gespräch.
Als das Angebot für »Die Höhle der Löwen« kam, habe sie nicht lange gezögert, erzählt Wöhrl. Ihr Mann sei ein großer Fan der Sendung gewesen. Sie selbst findet: »Die Show gibt jungen Menschen einen Anreiz, sich selbstständig zu machen. Ich finde es großartig, wenn heute jemand zu uns Juroren sagt: Wir haben nur gegründet, weil wir von Anfang an ›Die Höhle der Löwen‹ gesehen haben.«
Aus dem Leben gerissen
Während der Aufzeichnungen sitzen Hans Rudolf Wöhrl und Sohn Marcus meist in der Garderobe und verfolgen das Geschehen live über einen Monitor. Die Familie steht sich sehr nahe, vor allem seit eine Tragödie ihrer aller Leben aus der Bahn geworfen hatte. Kurz vor seinem dreizehnten Geburtstag kam Emanuel Wöhrl, Bruder und geliebter Sohn, 2001 bei einem tragischen Unfall ums Leben.
Es war eine gewittrige Frühsommernacht, die ganze Familie saß zu Hause. Dagmar Wöhrl arbeitete noch spät am Schreibtisch. Der zwölfjährige Emanuel schlüpfte aus seinem Zimmer aufs Vordach und zog sich auf der rutschigen Fläche nach oben, vermutlich um sich das Partytreiben im Nachbarsgarten anzusehen. Vom Hausdach stürzte er auf die Terrasse, fast zehn Meter in die Tiefe. Schwer verletzt starb er kurz darauf im Krankenhaus.
In die Todesanzeige schrieben die Eltern: »Dein ›cool‹ und ›gleich‹ und ›was is?‹ hat uns oft genervt – wir würden alles geben, es wieder tausendmal am Tag zu hören!«
Mein Erfolgsrezept? Ich bin alle meine Wege mit Leidenschaft gegangen.
Mit Trauer geht jeder anders um. Die Wöhrls packten ihr Haus voller Kinder. Sie luden Freunde von »Manu« und Marcus ein, weinten und lachten gemeinsam. »Es war wie ein Zeltlager mit Schlafsäcken und Luftmatratzen«, erinnert sich Dagmar Wöhrl. Traurig, aber auch voller positiver Energie. In der folgenden Zeit las sie viel über andere Eltern, die ihre Kinder verloren hatten. Sie suchte nach Antworten, die keiner geben konnte: »Dein Kind fehlt und du möchtest wissen, wo es ist.« Die Auseinandersetzung mit dem Leben nach dem Tod habe ihr geholfen, sagt sie. »Ich habe die Hoffnung, dass wir uns wiedersehen werden.«
Im Netz finden sich Hunderte Bilder von Dagmar Wöhrl. Auf vielen trägt sie ein silbernes Kreuz um den Hals. Sie hat den Anhänger nach Emanuels Tod gekauft und von Papst
Benedikt XVI. segnen lassen. Obwohl sie Protestantin ist, zieht sie Kraft aus dieser Geste. »Ich trage das Kreuz fast immer, es beruhigt mich«, erzählt Wöhrl. Ihr Glaube hat ihr schon in vielen Lebenssituationen geholfen, auch wenn sie keine Kirchgängerin ist. Abends betet sie oft und dankt für das Gute, das ihr widerfahren ist.
Einsatz für Kinder weltweit
Der Verlust ihres jüngsten Kindes führte Wöhrl zu einer weiteren Rolle. Sie wurde Stiftungsrätin. Als 2004 ein Tsunami die Küsten Südostasiens überrollte, rief die Familie die Emanuel-Wöhrl-Stiftung ins Leben, zunächst um Menschen auf Sri Lanka zu helfen. »Manu hat dieses Land sehr geliebt«, erklärt Wöhrl. Inzwischen hilft ihre Stiftung Kindern auf der ganzen Welt. »Für mich war der soziale Bereich immer Teil meines Lebens und hat mir einen gewissen Sinn gegeben«, sagt sie.
Fragt man Dagmar Wöhrl, in welcher ihrer Rollen sie sich am wohlsten gefühlt hat, ob sie nun im Herzen eher Model, Anwältin, Politikerin oder Löwin ist, antwortet sie ohne Zögern: »Das waren alles Lebensabschnitte, jeder davon hatte seine Berechtigung. Ich bin alle meine Wege mit Leidenschaft gegangen, anders kann man auch keinen Erfolg haben.« Sie ist gespannt, was sie an der nächsten Kreuzung erwartet.
Dagmar Wöhrl
Dagmar Wöhrl (67) ist verheiratet mit dem Piloten und Unternehmer Hans Rudolf Wöhrl. Mit Anfang 20 wurde sie zur »Miss Germany« gekürt. Sie hat Rechtswissenschaften in Erlangen studiert und eine eigene Kanzlei geführt. Von 1994 bis 2017 saß sie für die CSU im Bundestag. Sie ist Stiftungsrätin der Emanuel-Wöhrl-Stiftung, die nach ihrem verstorbenen Sohn benannt ist und sich weltweit für Kinder einsetzt. Daneben engagiert sie sich für den Tierschutz und zahlreiche soziale Projekte. Seit 2017 steht Wöhrl als Investorin in »Die Höhle der Löwen« vor der Kamera.