Ricky de Haas
Motorradflüsterer im Gegenwind
Ricky de Haas ist eine gefeierte Größe in der Bikerwelt – und ein Exot. Er wirbelt die Klischees der Szene durcheinander – mit technischen Experimenten und mit seinem Glauben. Das ist nicht immer gut fürs Geschäft.
Maria de Haas seufzt: »Der Ricky jagt sich noch irgendwann in die Luft.« Un- fälle mit Motorrädern und Autos, mehrere Explosionen – zwölfmal schwebte ihr Ehemann in den vergangenen fünfzehn Jahren in Lebensgefahr.
Der produziert im hessischen Rechtenbach Teile für Motorradbesitzer, die ihrem Bock eine exklusive Note verleihen wollen. Bei »Wannabe-Choppers« gibt es Blinker, Fußrasten, Tankdeckel bis hin zu selbst gebauten Tanks. »Custom Parts« nennen sich die begehrten Objekte der Chopperszene, und die entspricht so ziemlich jedem Klischee, das man von Bikern hat. Es ist laut, wild, es riecht nach Öl und Metall in der Halle von Enrico »Ricky« de Haas. Der Zweiradmeister nutzt noch traditionelle Methoden der Metallbearbeitung. Schon mit fünfzehn Jahren gründete er sein Label, damals zusammen mit zwei Freunden. Mittlerweile ist de Haas in der Chopperszene eine gefeierte Größe. Wer genauer hinsieht, entdeckt auf allen von ihm gefertigten Teilen ein »SDG« oder auch »Soli Deo Gloria« – lateinisch für »Allein Gott sei die Ehre«.
Arbeit und Leben sind für Ricky de Haas eine Einheit, seine Wohnung ist Teil der Produktionshalle. Direkt neben der Drehbank von 1957, der Bandsäge und den anderen schweren Werkzeugen führt eine stählerne Treppe nach oben in die Wohnung. De Haas sitzt am Tisch seiner spartanisch eingerichteten Küche. Im Hintergrund erschlägt seine Frau Maria die Fliegen, die die Klebefalle überlebt haben. Ruhig sitzt er da, zu Späßen aufgelegt. Seine Stimme klingt zarter, als es sein Äußeres erwarten lässt. Wenn man es nicht besser wüsste, man würde nicht ahnen, dass er gerade frei und beschwingt davon erzählt, dass es bald aus sein könnte mit seinem Unternehmen.
Elektroantrieb und Motorradrocker, das passt so gut zusammen wie Haferflocken und Bier.
Der erste Elektro-Chopper
Aber der Reihe nach. Vergangenes Jahr bekam Ricky de Haas ein Angebot, das er nicht ablehnen konnte: Beim »European Biker Build-Off« sollte er als einer von zwei Motorradschmieden ein eigenes Bike vor Publikum zusammenbauen. Seit Langem träumte er davon, ein Motorrad komplett selbst zu bauen – inklusive Motor. Die Zeit bis zur Messe würde aber nie und nimmer reichen, es fehlten etwa tausend Arbeitsstunden, rechnete de Haas. Eine neue Idee musste her: ein Elektro-Chopper. »Elektromotorräder sehen kacke aus, zumindest momentan noch«, findet de Haas. »Die Typen, die bisher so was gemacht haben, sind entweder Ökos oder Leute, die Performance wollen: möglichst hohe Leistung, Beschleunigung, Endgeschwindigkeit.« De Haas ging es aber auch um die Zukunft seiner Zunft. Elektromobilität wird flächendeckend kommen, da ist er sich sicher. »Wir wollten den Proof of Concept liefern, dass so etwas gut aussehen kann und dass traditionelle Fertigungstechniken, mit denen seit über hundert Jahren Motorräder gebaut werden, überleben werden.« Das bedeutete: Rohre biegen, Metallguss, drehen, fräsen, Stahl und Aluminium schweißen. Heraus kam die »AlSi9Mg«, benannt nach der für das Motorrad verwendeten Aluminiumlegierung. »Das ist das erste Elektromotorrad, bei dem mehr Wert auf Design gelegt wurde als auf Technik.« Ricky de Haas ist stolz auf das Ergebnis. Der Alu-Chopper ist mit seinen achtzig Kilogramm so leicht, dass er ihn mit eigenen Händen hochheben kann.
Der Showdown
Doch: Elektroantrieb und Motorradrocker, das passt in etwa so gut zusammen wie Haferflocken und Bier. Das wusste auch de Haas – und rechnete mit Empörung in der Fanszene. Doch dass es ihn an den Rand der Existenz bringen würde, hätte selbst er nicht erwartet. Im Vorfeld des Wettkampfs spekulierte die Fangemeinde darüber, dass Wannabe-Choppers einen selbst konstruierten Verbrennungsmotor präsentieren würde. Ein Hype entstand, die Fachpresse veröffentlichte die Gerüchte ungeprüft. De Haas bat darum, sie nicht weiterzuverbreiten, wartete aber bis zur Messe, bis er das Rätsel lüftete. Dann war es so weit, das Build-Off begann. Ricky wickelte vorsichtig die Schutzfolie vom Motor, oder was das Publikum dafür hielt, ab. Der Aluminiumblock funkelte im Licht der Messehalle. Doch was er da einbaue, sei kein Motor, sagte de Haas ins Mikro. Er hielt kurz inne. »Wir bauen ein Elektromotorrad.« Schweigen im Publikum. Das hatte es noch nie gegeben. Am Ende verlor Wannabe-Choppers das Duell gegen einen Platzhirsch der Branche, auch wenn das Publikum sein Bike wegen der Innovation durchaus schätzte.
Alles, was in meinem Leben passiert, betrachte ich als Führung Gottes.
Nicht so aber die Fachpresse. Die Chefredakteurin der europäischen Ausgabe des größten Bikemagazins, »Easy Riders«, verriss das Projekt beispielsweise noch Tage nach der Messe. »Das ist, als wenn du zu einem Kochduell mit einer Tiefkühlpizza kommst und vor Ort nur noch Oregano draufstreust«, zitierte die einflussreiche Journalistin zustimmend einen Kritiker. Obendrein habe Wannabe-Choppers nicht das Know-how, ein professionelles Motorrad zu bauen. Wannabe-Choppers – ein Möchtegernbetrieb? Das saß. Die Kritik schlug Wellen. In der Kundschaft sprach sich herum, Wannabe-Choppers könne gar nicht qualitativ produzieren.
Kurz vor dem Aus
Seit den negativen Berichten ist der Umsatz im Direktvertrieb von Customteilen, dem Brot-und-Butter-Geschäft, um 90 bis 95 Prozent eingebrochen. »Das ist existenzbedrohend«, räumt Ricky de Hass ein. Nach Jahren des Wachstums hatte das Unternehmen schon Ende 2016 hohe Verluste verzeichnen müssen. Der Umsatz brach nach einem Wegfall der zwei größten Kunden um 80 Prozent ein, von fünfzehn Mitarbeitern konnten nur fünf bleiben. Immerhin hätten alle anderen einen neuen Job gefunden. Von der Insolvenz sei Wannabe-Choppers aber weit entfernt gewesen, sagt de Haas. Alle Maschinen seien sein Eigentum, nur auf einen Teil der Halle laufe ein Kredit – in Zeiten billigen Geldes eine Seltenheit. Nach dem PR-technischen Super-GAU um das Elektromotorrad wurden schließlich die Amerikaner auf die »AlSi9Mg« aufmerksam – und waren begeistert. Die Veranstalter der »The 1 Moto Show« und die Messe des Harley-Davidson-Museums »Mama Tried« wollten es präsentieren. De Haas packte das zerlegte Motorrad in ein paar Koffer und flog mit ihnen im Gepäck in die Staaten – mit Erfolg. »Als wir drüben waren, ist das ganze komplett explodiert.« Mehrere US-Medien berichteten, der Discovery Channel drehte einen Beitrag. Ob die Verkaufszahlen nun wieder steigen, muss sich noch zeigen.
De Haas will sich der schmerzhaften Kritik aus Deutschland aber nicht kampflos geschlagen geben, sondern auf alle Kritikpunkte mit brutalstmöglichen Leistungsdaten reagieren. Sein nächstes Projekt: Ein Hybridmotorrad. »Das wird für noch mehr Gegenwind sorgen«, sagt er und klingt dabei eher belustigt als besorgt. Darin soll voraussichtlich ein 1936er-Modell der britischen Motorfirma J.A.P. knattern. Uriger geht es kaum.
Christus ist mein Leben, Sterben mein Gewinn, ist auf seiner Wade tätowiert.
»Wir werden alle an uns herangetragenen Bedenken ausmerzen: Das ölt nicht, das stinkt nicht, das macht keinen Lärm, das vibriert nicht, Leistung und Reichweite sind schlecht.« Zwei Elektromotoren am Vorder- und Hinterrad mit jeweils 700 Newtonmetern, zumindest behauptet das der Motorenhersteller, sollen das Motorrad in bisher ungeahnte Leistungsbereiche katapultieren. Vor allem wäre es dann möglich, beide Räder in unterschiedliche Richtungen zu drehen. Ein sogenanntes Burnout, bei denen die beiden Reifen in zwei Wolken, eine nach vorne und eine nach hinten, in Rauch aufgehen, ist Ricky de Haas’ Traum. Nach einer profitorientierten Wachstumsstrategie klingt das nicht gerade. »Technisch ergibt das keinen Sinn«, gibt er zu. »Aber es muss auch nicht immer alles sinnvoll sein.«
Ein Exot in der Szene
All das meint de Haas ernst. Seine innere Ruhe bei diesen Waghalsigkeiten spielt er nicht vor. »Alles, was in meinem Leben passiert, betrachte ich als Führung Gottes«, sagt er. »Gerade, wenn ich Anfeindungen erlebe, macht mich dieser Gedanke unfassbar entspannt.« Zu seinen Überzeugungen will er stehen. Einmal gewann er mit seiner Maschine »Messed Up« einen Preis, zu dem ein Shooting mit dem obligatorischen Oben-ohne-Mädchen gehörte. »Wenn hier jemand halbnackt fotografiert wird, dann ich«, sagte de Haas. Sein Oben-ohne-Foto wurde zum Erfolg. In der rauen Bikerszene erntet de Haas aber auch Spott und Häme für seinen Glauben. »Nicht so sehr dafür, dass ich Christ bin, aber dafür, dass ich dazu öffentlich stehe.« De Haas berichtet von Onlinekommentaren, in denen Nutzer über das Glaubensbekenntnis auf seiner Website spotten. Dort schreibt der Zweiradmeister, dass er »mit Jesus als Chef« lebt: »Jesus war und ist unendlich gut zu uns. Er hat unvorstellbar viel Geduld mit uns und liebt uns trotz all dem Mist, den wir immer wieder bauen.« Seine Arme sind voll mit christlichen Tattoos. »Jahwe« steht dort zum Beispiel – der hebräische Gottesname.
Keine Angst vorm Sterben
Maria de Haas hat sich mit an den Tisch gesetzt. Die beiden haben jung geheiratet, sind in jeder Hinsicht ein festes Team. Anfangs wohnten sie in Containern mitten in der Halle, fuhren zum Duschen zu Rickys Eltern. Sie arbeitet als Maßschneiderin in der Kleiderkammer der Bundespolizei, kümmert sich aber auch um die Buchhaltung von Wannabe-Choppers. 2015 traf die beiden ein schwerer Schlag. Maria spürte eine Schwellung am Hals. Die Ärzte stellten fest, dass ihre Lymphdrüsen derart vergrößert waren, dass sie an einer zugedrückten Luftröhre hätte ersticken können. Diagnose: Krebs. »Wir sind immer davon ausgegangen, dass ich zuerst sterben würde«, sagt Ricky. Er aber sei bei all den lebensgefährlichen Situationen stets bewahrt worden. »Gott hämmert es uns immer wieder in unseren Kopf, wie gut es ist, ihm zu vertrauen.« Nach einem Jahr galt Maria als geheilt, die Zeit danach war hart. Nicht nur der Krebs, sondern auch dessen Behandlung gingen an ihr nicht spurlos vorbei. Als ihre lockigen Haare ausfielen und sie die Chemotherapie verkraften musste, war es noch einfacher, ihre Schwäche einzugestehen, sagt sie. Sich in Selbstmitleid zu suhlen, bringe nichts, ist sie überzeugt. »Als ich Krebs hatte, dachte ich mir: Ich habe jetzt Krebs, aber ich kann mich trotzdem über meine Glatze freuen.«
Ricky schmunzelt. »Christus ist mein Leben, Sterben mein Gewinn«, ist auf seiner Wade tätowiert, seit er 18 ist – ein Bibelzitat. »Deswegen sollten wir das hier alles nicht zu ernst nehmen. Wenn ich glaube, dass ich im Himmel bei Gott sein werde, dann muss ich mich doch eigentlich freuen, wenn ich sterbe«, sagt Ricky so fröhlich wie überzeugt. »Dann komme ich eben ein bisschen früher nach Hause.«
Ricky de Haas
Enrico »Ricky« de Haas war zarte 15 Jahre alt, als er mit zwei Freunden »Wannabe-Choppers« gründete. Bald machten die beiden Schluss, er zahlte sie mit 30 Euro aus. Die Motorradmanufaktur wurde eine feste Größe unter Bikern. Blinkerhebel, Benzintanks und mehr produzierte der Hesse mit immer größerem Erfolg. Die »Custom Parts« mit dem charakteristischen Aufdruck »Soli Deo Gloria« fertigt er mit traditionellen Herstellungsmethoden. Laut, rau, wild – so manche Klischees über die Szene stimmen. Nicht bei allen macht Ricky mit. Das sorgt für Gegenwind.