Antje von Dewitz
Sauberer Stoff aus Schwaben
Die Outdoorbekleidungsmarke Vaude ist vom kleinen Familienunternehmen zum Branchenprimus herangewachsen – aber nicht auf Kosten von Umwelt und Gesellschaft. Die Geschäftsführerin Antje von Dewitz beweist, dass erfolgreiches Unternehmertum und soziale Verantwortung keine Gegensätze sind.
Als Grundschülerin fühlte sich Antje von Dewitz oft anders als die anderen Kinder. Kein Wunder: Sie und ihre zwei Schwestern waren die einzigen Unternehmerkinder in Obereisenbach am Bodensee. »Dein Vater ist ein Ausbeuter«, behauptete einer ihrer Mitschüler. Dann verhaute er die Viertklässlerin. Eine Ausnahme. Doch skeptisch beäugt wurde sie in all den Jahren.
Eigentum darf nicht dem Profitstreben Einzelner, sondern muss dem Gemeinwohl dienen.
Gut drei Jahrzehnte später, an einem Septembertag 2019, sitzt die 47-Jährige in ihrem Büro und sagt: »Vielleicht sind meine Kindheitserlebnisse ein Grund, warum wir bei Vaude so großen Wert auf Transparenz, faire Arbeitsbedingungen und eine ökologische Produktion legen.« Wenn Antje von Dewitz, sportlich, blonde lange Haare, Lachfalten um die Augen, über ihr Lieblingsthema Nachhaltigkeit spricht, rattert sie ihre Leitlinien herunter wie eine Nähmaschine im Highspeed-Modus: »Eigentum darf nicht dem Profitstreben Einzelner, sondern muss dem Gemeinwohl dienen. Kosten müssten die tragen, die sie verursachen und nicht die Allgemeinheit.«
Seit zehn Jahren ist von Dewitz Geschäftsführerin von Vaude. Der Hersteller von Rucksäcken, Fahrradtaschen und Sportbekleidung gilt als Vorzeigeunternehmen der Branche. Das bestätigen sogar Experten, die der Textilindustrie kritisch gegenüberstehen. Der Chemiker und Greenpeace-Fachmann für Schadstoffe in der Textilproduktion Manfred Santen beispielsweise. Er sagt: »Was Nachhaltigkeit betrifft, ist Vaude für uns glaubwürdig.« Im September 2019 verlieh Bundesentwicklungsminister Gert Müller (CSU) an Vaude das Siegel »Grüner Knopf« für sozial und ökologisch nachhaltig produzierte Textilien.
Wasserfest, atmungsaktiv und gefährlich
Dabei zählt die Outdoorbranche naturgemäß nicht zu den umweltfreundlichen Wirtschaftszweigen. Jacken und Hosen sollen Wind und Nässe abhalten, aber gleichzeitig Luft zirkulieren lassen und Schweiß nach außen befördern. Das gelingt mit Membranen aus perfluorierten Kohlenstoffverbindungen (PFC) – teilweise giftige Moleküle, die nach jedem Waschmaschinengang ins Grundwasser und später in unser Blut oder die Leber gelangen, wo sie Krebs auslösen können. Auch kuschlige Fleecejacken belasten die Umwelt. Deren Polyester wird nach dem Stricken mechanisch aufgeraut, um die typischen Flauscheigenschaften zu erreichen. Die dabei entstehenden Faserreste aus Mikroplastik lösen sich beim Waschen, können von Kläranlagen nur teilweise herausgefiltert werden und verschmutzen Gewässer. Eine einzige Fleecejacke setzt pro Waschgang bis zu einer Million Fasern frei.
Dazu kommen die Arbeitsbedingungen. Von den weltweit rund 75 Millionen Beschäftigten in der Textilindustrie – 85 Prozent davon sind Frauen – arbeiten viele zu extrem niedrigen Löhnen. Die meisten sind nicht direkt bei den bekannten Labels angestellt, sondern bei Zulieferern, Subunternehmern oder Sub-Subunternehmern. Nachzuvollziehen, welcher
südostasiatische Betrieb mit welchen Chemikalien unter welchen Arbeitsbedingungen ein ganz bestimmtes Garn einfärbt und ob dafür wirklich existenzsichernde Löhne gezahlt werden, ist aufwendig. Noch schwieriger ist es, Zulieferer, die unter hohem Kostendruck stehen, zu überzeugen, dass Menschenrechte und Umweltschutz kein Luxus sind.
Umweltpolitik am Abendbrottisch
Im idyllischen Tettnang-Obereisenbach, zehn Kilometer östlich von Friedrichshafen, entwirft und erprobt Vaude neue Produkte. Einen kleinen Teil der Kollektion, etwa Fahrradtaschen, produzieren Mitarbeiter vor Ort. Der Firmensitz mit Biokantine, Kinderhaus und Kletterwand ist klimaneutral und erinnert an den Stil skandinavischer Ferienhäuser. Albrecht von Dewitz gründete Vaude 1974. »Anfangs residierte die Firma in einem Raum in unserer Vierzimmerwohnung«, erinnert sich Antje von Dewitz. Schon seinerzeit sei am Abendbrottisch über Umweltpolitik diskutiert worden. Heute achtet Vaude auf Nachhaltigkeit, lange bevor eine Kollektion in den Läden hängt, nämlich bereits beim Design.
In einem weitläufigen Atelier unter Dachschrägen arbeitet Mario Schlegel. Der Chefdesigner erklärt: »Neue Modelle entwickeln wir immer auch nach ökologischen Gesichtspunkten.« So verzichte man nicht nur auf schädliche Chemie, sondern verwende ressourcenschonende Werkstoffe. Schlegel zeigt auf die Schnallen des Rucksacks und sagt: »Diese bestanden bisher aus Kunststoff, also aus Erdöl, künftig fertigen wir sie aus einem nachwachsenden Rohstoff auf Rizinusölbasis.« Auch bei den übrigen Materialien habe er den Umweltschutz im Blick. »Wir verwenden Biobaumwolle und Naturfasern aus Holzresten. Statt Gurten aus Polyamid sollen künftig Biokunststoffe Rucksack und Rucksackträger verbinden«, betont der Diplomingenieur. Bis zu vier Monate arbeiten die Designer an einem neuen Modell. Ein weiteres Ziel bei jeder Neuentwicklung: möglichst wenig Verschnitt. Auf das umweltschädliche PVC als wasserabweisende Schicht für Bekleidung verzichtet Vaude schon seit Jahren. Antje von Dewitz sagt: »Wir mussten uns von einigen Lieferanten trennen und andere motivieren, ihre Produktion umzustellen – ein Kraftakt für ein vergleichsweise kleines Unternehmen.«
Dass sie einmal an der Spitze des Unternehmens stehen würde, war keineswegs klar. Ihre Mutter habe sie gewarnt: »Übernimm bloß nicht Papas Firma.« Vor allem wegen der Arbeitsbelastung. »Ich konnte mir damals vorstellen, bei einer NGO zu arbeiten«, sagt Antje von Dewitz. Doch nach Studium und einer Selbstfindungsphase beginnt sie 1998 bei Vaude, arbeitet sich durch verschiedene Abteilungen. Sie sorgt dafür, dass auf dem Betriebsgelände ein Kindergarten eingerichtet wird, Beruf und Familie besser vereinbar sind. Als von Dewitz 2009 auf den Posten der Geschäftsführerin rückt, möchte sie mehr Frauen in Führungspositionen – was bis heute nicht selbstverständlich ist in der männerdominierten Outdoorbranche.
Frauenfreundliches Klima
»Das ist ja nett, aber nein danke«, antworten ihr Kolleginnen, die sie für Leitungsfunktionen gewinnen will. Sie fürchten um zu lange Arbeitszeiten, um ihr Privatleben. Also strukturiert Antje von Dewitz Vaude um. Sie ermöglicht Führungsaufgaben auch in Teilzeit und arbeitet daran, dass Besprechungen nicht nach siebzehn Uhr angesetzt werden. Antje von Dewitz sagt: »Das Thema Nachhaltigkeit ist extrem komplex, statt Entscheider, die ein Machtwort sprechen, brauche ich Mitarbeiter, die auf Augenhöhe kommunizieren.«
Vera Schintler ist eine dieser Mitarbeiterinnen mit großer Verantwortung. An einem Dienstag schlüpft sie in ihre Winterjacke, zieht die Mütze über, durchquert ihr kleines Refugium und öffnet eine dicke Sicherheitstür. Dahinter schlummert seit Stunden eine reglose Gestalt bei 25 Grad Celsius unter Null. Immerhin in einem Schlafsack. Vorsichtig öffnet Schintler den Reißverschluss, kontrolliert erst die aus dem Mund hängenden Kabel, dann die Zahlenkolonnen auf dem Display an der Wand und sagt: »Der Proband hat überlebt.« Der Proband ist eine lebensgroße Schaufensterpuppe. Schintler arbeitet in der Abteilung Qualitätssicherung. An diesem Tag testet sie einen Schlafsack für die Winterkollektion 2020. Im Raum nebenan simuliert eine rotierende Trommel mit innen liegenden Metalldornen eine Tour durch stachliges Brombeergebüsch. Schintler testet Jacken, Hosen und Shirts auf Abrieb, Reißfestigkeit, Wärmehaushalt, Wasserdichte, Luftdurchlässigkeit und jede Menge anderer Parameter. In der Kältekammer misst sie, wie oft sich die Heizung zuschaltet, um die Puppe auf konstant 40 Grad Celsius zu halten. Je geringer der Energieverbrauch, desto besser isoliert der Schlafsack.
Doch selbst beim Thema Funktionalität, eines der wichtigsten Kriterien bei Outdoorbekleidung, macht Vaude, wenn nötig, Abstriche zugunsten der Umwelt. »Bestimmte Eigenschaften – etwa wasserdicht und gleichzeitig atmungsaktiv – erreicht man optimalerweise mit PFC«, sagt Schintler. »Weil wir aber auf problematische Chemikalien verzichten, testen wir so lange verschiedene Möglichkeiten, bis unsere Alternativen dieselbe Beschaffenheit haben wie das herkömmliche Material.« Das gelingt nicht immer. Das kommuniziere man dann aber den Kunden. »Eine leichte Jacke für den Sonntagnachmittagsausflug muss auch nicht so wetterbeständig sein wie Modelle für Klettertouren«, sagt Schintler.
Integration made in Obereisenbach
Den überwiegenden Teil der Warenpalette lässt Vaude in Vietnam fertigen. »Dabei halten wir uns an die höchsten Sozial- und Umweltstandards«, betont Unternehmenssprecherin Birgit Weber. »Wir haben einheimische Mitarbeiter vor Ort, die unsere Zulieferer kontrollieren.« Hinzu kommen externe Prüfer der »Fair Wear Foundation«, einer Nichtregierungsorganisation, die für gute Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie kämpft. Diese befragten regelmäßig Mitarbeiter in den Manufakturen. Zudem gebe es Beschwerde-Hotlines, um Verstöße schnell zu bemerken.
In Tettnang-Obereisenbach nähen, schweißen, kontrollieren, verpacken und versenden rund fünfzig Mitarbeiter die Taschen. Elf von ihnen sind Geflüchtete. Als 2015 Hunderttausende Menschen nach Deutschland flohen, wollten Mitarbeiter schnell helfen. Vaude organisierte Sprachkurse, Bewerbungstrainings und Praktika. »Klar ist Integration anstrengend, aber es lohnt sich – zumal es in unserer Region an Arbeitskräften mangelt«, sagt die Firmenchefin. Nicht allen gefällt dieses Engagement. Von Dewitz bekommt wütende E-Mails von sogenannten besorgten Bürgern. »Diesen Hass zu spüren, das war erschreckend.« Einschüchtern lasse sie sich davon jedoch nicht. »Wir werden weiter für unsere Werte einstehen und Haltung beziehen.«
Antje von Dewitz
Antje von Dewitz (47) studierte in Passau Wirtschafts- und Kulturraumstudien und promovierte 2005 im Fach Wirtschaftswissenschaft. 2009 übernahm sie von ihrem Vater die Geschäftsführung des Outdoorausrüsters Vaude. 2018 gründete sie mit anderen Unternehmern die Initiative »Bleiberecht für Flüchtlinge mit einem festen Arbeits- oder Ausbildungsplatz«, dem derzeit achtzig Firmen in Baden-Württemberg angehören. Für ihre Arbeit und ihr Engagement wurde die vierfache Mutter vielfach ausgezeichnet, etwa mit dem Verdienstorden des Landes Baden-Württemberg.