Thorsten Doerk
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Carsten Israel

Sie implantieren Hoffnung?

Herzschrittmacher sind hierzulande längst Routine. »So aufregend wie eine Plombe beim Zahnarzt«, sagt Dr. Carsten Israel. In Afrika aber leben Menschen mit Krankheiten, die hier als Notfall behandelt werden. Der Kardiologe rettet mit ausrangierten Herzschrittmachern vielen Bedürftigen dort das Leben.

Jörn Schumacher
9 min

Sie verschenken seit über zehn Jahren ausrangierte Herzschritt-macher an bedürftige Menschen in Afrika. War ein Preis als »Hero of Hope« nicht überfällig?

(Lacht.) Es gibt so viele Menschen, die anderen helfen, vielleicht
hätten die es auch verdient. Es ist schön, dass es mich erwischt hat.

Wo liegen die größten Herausforderungen bei Ihrer Arbeit für den Verein »Herzschrittmacher für Ostafrika«? In der Bürokratie? In der Logistik? In der Medizin?

Das größte Problem ist, unsere Materialien durch den Zoll zu bekommen. In Afrika ist es extrem schwierig, aber auch in Indien und in einigen mittelamerikanischen Ländern ist es fast unmöglich, ohne quasi-korrupte Aktivitäten etwas durch den Zoll zu bekommen. Oft kommen wir in ein Krankenhaus nach Afrika, und keines unserer Pakete ist zuvor angekommen, weil in irgendeiner Behörde irgendeine neue Lagerungsgebühr angeblich nicht bezahlt wurde. Da sind dann beispielsweise 25 Euro pro Kilogramm pro Tag fällig, da kommt bei 500 Kilo in zwei Wochen schnell ein sechsstelliger Betrag zusammen. Klar, manchmal ist es auch unser Fehler, dann haben wir irgendeine neue Sonderregelung bei humanitären Spenden nicht gekannt. Also, Bürokratie und Zoll sind unsere größten Herausforderungen. Außerdem müssen wir immer Kooperationspartner in den Ländern finden. Ein afrikanisches Krankenhaus, das einen Operationssaal hat, muss ihn uns erst noch zur Verfügung stellen, da sind die wirtschaftlichen Zwänge ähnlich wie bei uns. Für unsere Behandlungen bezahlen die Menschen ja nichts, und selbst wenn wir einen Sonderpreis für die Nutzung der Räume bekommen, sagen wir: 400 Dollar, dann ist das immer noch viel, die Menschen verdienen dort vielleicht 300 Dollar im Jahr. Dann schießen wir von unserem Verein manchmal etwas dazu.

Sie bringen ausrangierte Herzschrittmacher in diese Länder. Auch andere Materialien?

Hauptsächlich geht es um Herzschrittmacher, manchmal implantieren wir aber auch Defibrillatoren. Das ist im Prinzip das Gleiche, doch ein Herzschrittmacher gibt jede Sekunde einen Pulsschlag ab, ein Defibrillator, wenn nötig, einmal im Quartal. Die Technik ist bei einem Defi etwas anspruchsvoller, und wenn es Komplikationen gibt, aber es im ganzen Land niemanden gibt, der sich auskennt, ist das ein Problem. Daher implantieren wir mehr Herzschrittmacher als Defibrillatoren. Übrigens eine Standardtherapie seit den Siebzigerjahren. Das ist heutzutage so aufregend wie eine Plombe beim Zahnarzt. Doch während das bei uns alltäglich ist, leidet in Afrika vielleicht jemand unter einem zu langsamen Puls, dadurch bekommt er eine immer schwerere Herzschwäche. Einen Herzschrittmacher kann er sich aber nicht leisten. Das ist furchtbar mit anzusehen. Wenn wir einem Patienten einen unserer Herzschrittmacher implantieren konnten, bekommt er auf einmal wieder Luft, er kann wieder ganz normal aufstehen. Es ist unglaublich schön mitanzusehen, wie die Menschen sich freuen. Oft kommen die Patienten mit ihrer ganzen Familie zum Krankenhaus – mit sieben Kindern und 22 Enkeln. Da ist die Dankbarkeit riesig.

Es ist unglaublich schön mitanzusehen, wie sehr diese Menschen sich freuen.

Wo kommen die Herzschrittmacher her?

Ich war einmal im Urlaub in Kenia und habe mir dabei auch verschiedene Krankenhäuser angesehen. Da gab es teilweise gar nichts an Materialien; ein paar Pflaster und etwas Gips vielleicht. Meine Frau stammt aus Kenia, da habe ich immer schon die vielen Berichte gehört: Jemand kam in die Notaufnahme und verstarb dort. Kein Wunder! Dort gibt es manchmal nur eine Schwester oder eine Hebamme, aber kaum einen Arzt. Ich war auch im damals größten Krankenhaus Ostafrikas, im Kenyatta National Hospital in Nairobi. Ein Kollege aus der dortigen Kardiologie zeigte mir Akten von Patienten mit Herzschwächen durch langsamen Puls. Er rechnete mir vor: Die Menschen in Kenia verdienen rund 340 Dollar im Jahr. Ein Herzschrittmacher kostet aber 5000 Dollar. Zum Vergleich: In Deutschland bekommt man einen Herzschrittmacher schon für 800 Euro. Als ich wieder nach Deutschland kam, ging kurz danach ein Firmenvertreter mit mir das sogenannte Konsignationslager durch. Die Herzschrittmacher darin gehören so lange der Herstellerfirma, bis sie implantiert werden, erst danach gelten sie als gekauft. Der damals teuerste Defibrillator im Wert von rund 20 000 Euro war gerade zwei Tage zuvor abgelaufen. Die Firmen verschrotten diese Geräte dann, das kostet extra Geld. Dabei ist die Batterie noch gut, und auch die Sterilität ist gegeben, diese Geräte sind dreifach verpackt und eingeschweißt. Der Vertreter warnte mich: Wenn Sie den Defi dennoch implantieren, können Sie dafür ins Gefängnis kommen, denn das gilt als Betrug. Selbst wenn das Gerät nur eine Stunde über dem Verfallsdatum ist, gilt es danach offiziell nicht mehr als zugelassenes Medizinprodukt. Das hat mich sehr geärgert. Ein voll funktionsfähiges teures Gerät wird kostenpflichtig verschrottet! Und das passiert permanent, in allen Krankenhäusern des Landes, etwa mit Herzschrittmachern, die noch gut zehn Jahre funktionstüchtig sind. So entstand die Idee: Die Hersteller sammeln die abgelaufenen Herzschrittmacher und geben sie mir, ich unterschreibe ihnen eine Bestätigung, dass ich sie voll übernehme. Ich schicke sie nach Afrika oder implantiere sie dort selbst. Dort sind sie auf jeden Fall noch wertvoll.

Warum hier Geräte wegwerfen, die in Afrika Leben retten?

Und das geht ohne weitere Probleme?

Ein Vertreter warnte mich, es könnte sich theoretisch ein Kollege in Afrika beschweren nach dem Motto: Die weißen Patienten in Deutschland bekommen von den Herstellern die Modelle, die noch nicht abgelaufen sind, aber unsere schwarzen Patienten in Afrika bekommen die Modelle über dem Verfallsdatum … Da ist der Vorwurf nicht weit, man sei rassistisch. Ein anderer Vertreter aber sagte mir: »Unsere Firma unterstützt euch gerne bei eurem Vorhaben! Sagt uns, wenn ihr wieder nach Afrika fliegt, wir spenden euch Herzschrittmacher!« Und so kam die Sache in Gang. Inzwischen spenden alle großen Hersteller in Deutschland regelmäßig Herzschrittmacher sowie Programmiergeräte, mit denen die eingebauten Schrittmacher abgefragt werden können. Die Idee hat viele begeistert. Warum hier Geräte wegwerfen, die in Afrika Leben retten? In Afrika behandeln wir oft Menschen, die bei uns als Notfälle gelten würden.

Warum kostet ein Herzschrittmacher in Afrika so viel mehr als bei uns?

Der Vertrieb läuft über mehrere Personen, die alle daran mitverdienen möchten. Wenn in Nairobi jemand einen Schrittmacher haben möchte, wird eine Firma in Südafrika angerufen, die schickt einen Verkäufer zu einem Mittelsmann, der verkauft das Gerät an einen weiteren Händler, der das Gerät dann zum Krankenhaus bringt, der Arzt will am Ende eventuell auch noch etwas abhaben. Übrigens nehmen die Krankenhäuser eine Behandlungsgebühr, die liegt mittlerweile bei umgerechnet 200 Euro. Manche Patienten aus den Slums können sich aber nicht einmal die Fahrt zum Krankenhaus leisten.

Vor Ihnen steht eine Kiste, in denen sind auch Herzschrittmacher?

Ja, manche Herzschrittmacher werden mir auch von Bestattern und von Gerichtsmedizinern zugeschickt, die kennen mich durch meine Vorträge. Auch in unserem eigenen Krankenhaus gibt es Fälle, wo ein Patient einen Einkammer-Schrittmacher hat, aber nun einen Dreikammer-Defibrillator benötigt, der Schrittmacher ist aber noch neu, und seine Batterie hält noch für zehn Jahre. Dann bekommen wir diese Geräte, inzwischen übrigens auch von anderen Krankenhäusern, etwa aus Leipzig, Dresden oder Mannheim. Ich frage dann den Status der Geräte ab und schaue, wie lange ihre Batterien noch halten, sie werden re-sterilisiert, und alle Patientendaten werden gelöscht. Wir nehmen nur Schrittmacher, deren Batterie noch mindestens vier Jahre hält.

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Von wie vielen Schrittmachern pro Jahr reden wir da?

Das sind rund 300 Schrittmacher. Von denen haben etwa 100 Batterien, die noch gut sind, und die ich nach Afrika verschicken kann.

Und die gehen vor allem nach Kenia?

Wir haben mittlerweile auch Kontakte nach Sambia zur einzigen Kardiologin im ganzen Land – eine beeindruckende Frau –, sie macht in der Hauptstadt Lusaka alles: Herzkatheter, Schrittmacher, Defibrillatoren. Auch nach Mosambik, Malawi und Sierra Leone haben wir gute Kontakte.

Kann man das eigentlich nicht auch mit anderen medizinischen Geräten so machen, etwa mit Kathetern?

Katheter werden in Afrika in der Tat re-sterilisiert, in Deutschland hingegen alle weggeworfen. Der Aufwand muss sich allerdings lohnen. Katheter kosten nur rund vierzig Euro, da würde sich das Verschicken nicht lohnen. Bei Schrittmachern wird die Sache interessant: Sie kosten einige Tausend Euro und können mit verhältnismäßig wenig Aufwand direkt Leben retten.

Wie oft fliegen Sie nach Afrika?

Wir fliegen einmal im Jahr, dann sind wir zwei Wochen im Einsatz. An einem Tag schaffen wir in der Regel vier Schrittmacher, also etwa vierzig Patienten insgesamt. Es helfen dann Julia Fürstenhoff, sie ist Sekretärin, und Sergio Richter, Chefarzt vom Herzzentrum Dresden. Meistens kommen noch zwei Schwestern und zwei oder drei Ärzte mit. Dann kontrollieren wir auch die Schrittmacher der Patienten vom vorherigen Jahr.

Bilden Sie auch Personal vor Ort aus?

Das beginnt gerade. Aber es ist schwierig, den Ärzten dort so etwas von Grund auf beizubringen. Wenn jemand noch nie operiert hat, ist eine Herzschrittmacher-Implantation nicht ohne. Ein Problem ist auch: Die Patienten, die wir versorgen, sind abhängig von ihren Schrittmachern, das heißt, wenn bei der OP irgendwelche Probleme auftreten, sind sie sogleich in Lebensgefahr. Am liebsten würde ich Personal eine Zeitlang nach Deutschland holen und sie hier ausbilden. Das scheitert aber meistens an EU-Regularien: Wer hierzulande operieren möchte, benötigt nicht nur eine Berufserlaubnis als Arzt, sondern auch einen Nachweis über Deutschkenntnisse. Das alles kann vier Jahre dauern.

Bekommen Sie trotz der großen Distanz etwas von der Dankbarkeit der Menschen in Afrika mit?

Nachdem wir helfen konnten, sind in Afrika die Patienten, aber auch ihre Angehörigen, völlig aus dem Häuschen. Das ist auch für mich immer wieder Grund zur Freude. Bei einer Operation in Nairobi kam ein Polizist als Patient zu uns. Er sollte einen Herzschrittmacher bekommen. Der Mann hat zuvor wirklich jeden Angestellten des Krankenhauses gefragt und sich vergewissert, ob es tatsächlich stimmt, dass er kostenlos einen Herzschrittmacher eingepflanzt bekommt. Er beziehe zwar ein Gehalt, das sei aber nicht der Rede wert, und er müsse fünf Kinder ernähren. Er konnte es einfach nicht glauben.

Sie sind Chefarzt in der Kardiologie, Nephrologie und Diabetologie, Herausgeber einer Fachzeitschrift, Mitglied mehrerer Arbeits-gruppen und Vereine, Autor von über hundert Publikationen. Wie und wann tanken Sie Energie auf?

Ich habe drei süße Kinder im Alter von zwei, fünf und sieben Jahren. Das kostet zwar auch Zeit, aber es ist eine sehr schöne. Und ich bin eine Leseratte. Wenn ich Romane und Sachbücher lese, kann ich auftanken.

Carsten Israel

Carsten Israel

Dr. Carsten Israel wurde 1967 in Hagen geboren. Er promovierte 1992 an der Ruhr-Universität Bochum, von 1999 an war er an der Klinik für Kardiologie der Universität Frankfurt beschäftigt. Seit 2009 ist er Chefarzt der Klinik für 

Innere Medizin am Evangelischen Klinikum Bethel. Dr. Israel ist international bekannter Experte für Herzschrittmachertherapie. Im Jahr 2012 gründete er den Verein »Herzschrittmacher für Afrika«.