Doris de Craigher
Sind Bienen humaner als Menschen, Frau Biologin?
Imkern ist hip geworden. Die Biologin Doris de Craigher von der Landesanstalt für Bienenkunde der Universität Hohenheim hat alle Hände voll zu tun. Bis heute staunt sie über die großen Wunder, die uns die kleinen Bienen bescheren: Honig, Wachs, Blütenbestäubung – und jede Menge sozialer Lektionen.
Frau de Craigher, wie viele Bienen haben Sie schon gestochen?
Unsere Bienen sind sanftmütig und stechen selten. Bei Führungen, sogar von Schulklassen und Kindergartengruppen, können wir Bienenwaben zeigen, ohne dass etwas geschieht. Aber manchmal kommt man doch nicht ohne Stiche davon. Um die 50 im Jahr stecke ich schon ein, ausnahmsweise waren es auch schon mal mehr als 100 am Tag.
Bienen sind hoch im Kurs. »Die Geschichte der Bienen«, ein Buch der norwegischen Autorin Maja Lunde, landete letztes Jahr auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste.
Ich habe lediglich eine Rezension zum Buch gelesen. Als Wissenschaftlerin befürchte ich allerdings, dass der Roman die Wirklichkeit der Bienen verklärt darstellt. Das gilt auch für den bekannten Dokumentarfilm »More than honey«, der die Bienenhalter in ein eher negatives Licht rückt.
Bienen sind auf Imker angewiesen, die nicht nur für das Futter, sondern auch für ihre Gesundheit sorgen.
Der Film legt nahe, dass wir die Honigbienen mit industrieller Haltung ausbeuten und sie bedroht sind. Sorgen wir uns da vergebens?
Wir müssen unterscheiden zwischen der Bienenhaltung in Deutschland und der Schweiz und jener in den USA. Bei uns betätigen sich viele Menschen hobbymäßig oder im Nebenerwerb als Imker. Sie betreuen ihre überschaubare Zahl Bienenvölker meist tiergerecht. Die Hauptursache für Bienenvölkerverluste in Deutschland ist die Varroamilbe. Diese saugt an erwachsenen Bienen und an der Brut. In der Folge verkümmern die Bienen und sind weniger vital. Das führt zu den beklagten Winterverlusten. Wegen dieser Varroamilbe ist es auch fahrlässig, ein Bienenvolk in den Garten zu stellen und sich selbst zu überlassen, in der Meinung, der Natur etwas Gutes zu tun. Ein solches Volk verelendet und geht zugrunde. Bienen sind auf Imker angewiesen, die nicht nur für das Futter, sondern auch für ihre Gesundheit sorgen.
In den USA sieht es düsterer aus?
Ja, dort gibt es größere Bienenvölkerverluste. Das liegt an der Betriebsweise. In den USA führen Imker regelrechte Massentierhaltungen. Sie verdienen ihr Geld nicht mit der Honigproduktion, sondern indem Bienen beispielsweise die Mandelbaumplantagen bestäuben. Großimker fahren mit ihren Bienenvölkern – egal, in welchem Zustand sie sind – über weite Strecken, von einer Obstplantage zur nächsten. Das ist ein Riesenstress für die Bienen. Wegen des flächendeckenden Einsatzes von Medikamenten gibt es in Amerika zudem Arzneimittelresistenzen, zum Beispiel der Varroamilbe gegen Akarizide und der amerikanischen Faulbrut gegen Antibiotika.
Ohne Biene kein Leben, soll Albert Einstein bemerkt haben. Sind wir von diesem kleinen Insekt so abhängig?
Viele Studenten erwähnen dieses Zitat in ihren Arbeiten. Doch es ist ein »Fake« aus den Sechzigerjahren. Laut dem Albert Einstein Institut ist eine solche Aussage nirgends in seinen Schriften zu finden.
Aber sinngemäß trifft sie zu: Wir sind darauf angewiesen, dass Bienen die Pflanzen bestäuben?
Auch Hummeln und weitere Insekten bestäuben die Pflanzen. In unseren Breitengraden leben über 570 Wildbienenarten, die ebenfalls bestäuben. Vor einigen Jahren haben wir Versuche durchgeführt mit Apfelbäumen, die in Gazezelten standen und nicht von Honigbienen bestäubt wurden. Wir konnten ebenfalls Früchte ernten, jedoch deutlich weniger. Die Bienen vermehren die Ernte und die von ihnen bestäubten Früchte werden schöner und größer.
Laut einer UN-Studie soll die Blütenbestäubung der Insekten eine Wertschöpfung von 153 Milliarden Euro respektive 9,5 Prozent der weltweiten Nahrungsmittelproduktion leisten.
Die finanzielle Größenordnung kann ich nicht beurteilen. Es gibt auch die Windbestäubung bei Nutzpflanzen wie etwa Getreide. Aber die Natur geizt nicht: Wo man hinschaut, gedeiht alles im Überfluss.
Sind Honigbienen ungezähmte Haustiere?
Es kommt darauf an, was man unter »gezähmt« versteht. Eine einzelne Biene ist nicht zähmbar. Aber die Bienenvölker sind hierzulande generell recht zahm. Sie wurden auf Sanftmut, Schwarmträgheit und Ertrag gezüchtet. Der Bienenhalter managt seine Bienenstöcke.
Er kann sie nach seinen Wünschen in die Nähe verschiedener Trachtquellen aufstellen. Je nachdem tragen sie Nektar von bestimmten Pflanzen oder Honigtau ein. Die Bienen fliegen jeweils tagsüber aus und kommen nachts zurück in ihren Bienenstock. Bienen sind aber im rechtlichen Sinn keine Haustiere, sondern Nutztiere. Denn einige wilde Eigenschaften haben sie behalten: Im Mai wollen sie beispielsweise ausschwärmen. Da lassen sie sich von niemandem kontrollieren.
Sie sprechen aus Erfahrung?
Ja. Ich halte neben meinen 25 beruflich betreuten Bienenvölkern auch Bienen zu Hause im Garten neben der Terrasse. Jedes Bienenvolk hat einen individuellen Charakter. Es gibt fleißige Völker, Langschläfer, gut organisierte, unordentliche, brave und unberechenbare. Aber den Schwarmtrieb haben alle gesunden Bienenvölker. Auch mir sind schon einige entkommen.
Bienen sind erstaunlich intelligent!
Bienen haben einen guten Orientierungssinn und unterscheiden Formen und Farben. Doch es ist die soziale Intelligenz, die sie auszeichnet. Sie leben arbeitsteilig und kommunizieren differenziert miteinander durch Freisetzung von Pheromonen, Summtöne, Schwänzeltänze und Fühlersprache. Sie sind bemüht, dass im Bienenstock niemand Mangel leidet. Finden sie Trachtquellen, teilen sie das ihren Stockgenossinnen mit. Einige Bienen schwitzen Wachs, andere formen es. Genau so, dass alle Zellen sechseckig und gleichmäßig gelingen. Bienen bereiten auch Propolis (Kittharz) aus Blütenknospen zu. Damit überziehen sie das ganze Innere des Bienenstocks, dichten Spalten ab und desinfizieren die Oberflächen, die sonst wegen der hohen Luftfeuchtigkeit, dem Zuckergehalt und der Dunkelheit mit Schimmel befallen würden. Es ist rätselhaft, woher die Bienen wissen, welches Material sich für Propolis eignet. Faszinierend ist zudem, dass Bienen auch Menschen erkennen: Wenn etwa ein Familienmitglied unseren Rasen mäht, mögen unsere Bienen das nicht. Einige tapfere Arbeiterinnen umschwirren die Person und versuchen, sie zu stechen. Sie attackieren nicht den Rasenmäher, sondern gezielt den Menschen, der ihn schiebt. Sind weitere Familienmitglieder im Garten, ignorieren die Bienen diese. Kommt aber der Typ, der den Rasen gemäht hat, bedrohen die Bienen ihn wieder.
Weil jede Biene das beiträgt, was sie hat oder kann, gibt es weniger Mangel. Keine hortet nur für sich.
Auch für Menschen ist Honig wohlbekömmlich. »Iss Honig, mein Sohn, denn er ist gut«, steht schon in der Bibel.
Im alten Griechenland galt Honig als Dopingmittel – und das zu Recht. Denn Honig besteht aus verschiedenen Zuckerarten, unter anderem Traubenzucker, Fruchtzucker, Saccharose. Unser Körper baut diese unterschiedlich schnell ab. Darum sorgt Honig für eine Langzeitenergieversorgung, die gut schmeckt. Darüber hinaus enthält er Enzyme und in geringem Maß natürliche Antibiotika und Pollen.
Schadstoffe wie Pestizide verderben die Qualität nicht?
Die Bienen riechen viele Pestizide und meiden frisch gespritzte Trachtquellen. Sollten Bienen dennoch einmal Nektar mit Schadstoffen sammeln, schaffen sie es, diese weitgehend auszufiltern, wenn sie den Honig zubereiten. Die Bienen können in gewissem Maß entgiften. So verhindern sie, dass ihre wertvolle Brut mit dem von ihnen eingetragenen Nektar vergiftet wird.
Bei Menschen steht die Selbstverwirklichung an erster Stelle, bei Bienen das Wohl des Volks. Können wir etwas von ihnen lernen?
Ziemlich viel sogar. Bienen sind sehr soziale Tiere. Als Volk bereiten sie sich auf Krisenzeiten und den Saisonwechsel vor. Die Königin gibt dem Volk Zusammenhalt. Sie kann 1500 Eier am Tag legen. Im Juni entstehen so rasch 35 000 Arbeiterinnen, plus die männlichen Drohnen. Der einzelnen Biene geht es gut, wenn es dem Bienenvolk gut geht. Kehren Bienen des Volkes ohne Nektar und Pollen heim, erhalten sie wie ihre Stockgenossinnen Anteil an allem. Keine hortet nur für sich. Jede Biene arbeitet immer für ihre Schwestern und auch für die nächste Generation. Weil jede das beiträgt, was sie hat oder kann, gibt es weniger Mangel!
Für Biologen, die aufrichtig forschen und logisch denken, ist es auf die Dauer sehr schwierig, an die Evolutionstheorie zu glauben.
In der Bionik versucht man, die Flugtechnik der Biene zu kopieren.
Wenn es eine Biene eilig hat, erreicht sie eine Geschwindigkeit von bis zu 30 Kilometer pro Stunde. Und sie braucht sehr wenig Energie, um weite Strecken zu fliegen. Zudem können Bienen noch »Nutzlast« bis zur Hälfte ihres Körpergewichtes transportieren. Nehmen wir an, eine Trachtquelle ist 150 Meter vom Bienenstock entfernt und eine Biene macht 15 Flüge pro Tag dorthin und zurück. Auf die Größe eines Menschen hochgerechnet, würde sie etwa 520 Kilometer weit düsen. Das entspricht der Luftlinie von Berlin nach Wien. Und die Hälfte davon fliegt die Biene mit der Last des halben Körpergewichts!
Die blinde Evolution hat da einiges zustande gebracht …
Schon Charles Darwin erkannte, dass diese sozialen Insekten seine Theorie in Frage stellen. Um sie nicht verwerfen zu müssen, passte er seine Argumentation an. Bei den Bienen gelte das »survival of the fittest« nicht für das einzelne Tier, sondern für das ganze Volk. Allerdings kommt man auch so rasch in einen Erklärungsnotstand. Denn das hochkomplexe Verhalten der Bienen könnte sich nur durch abertausende Evolutionsschritte herausgebildet haben. Hierzu wäre ein fast unendlich langer evolutionärer Zeitraum nötig.
Liegen alternative Erklärungen näher?
Für mich ist es einfacher zu glauben, dass die Bienen den Gedanken eines allmächtigen Schöpfers entspringen. Sonst sind zu viele Phänomene im komplex aufgebauten und hervorragend organisierten Bienenvolk nicht erklärbar.
Kommen Forscher da ins Grübeln?
Für Biologen, die aufrichtig forschen und logisch denken, ist es auf die Dauer sehr schwierig, an die Evolutionstheorie zu glauben.
Dennoch zweifeln nur sehr wenige Wissenschaftler an der Evolutionstheorie.
Das hat mit einer ureigenen Eigenschaft von uns Menschen zu tun: Wir schenken anderen Menschen unser Vertrauen. Darum glauben wir grundsätzlich das, was uns andere erzählen. In der Folge interpretieren wir die Befunde oft nicht selbst. So glauben wir etwa an die Evolutionstheorie, weil Autoritäten an den Universitäten diese lehren.
Denken wir zu wenig weit?
Menschen denken durchaus sehr weit und dehnen die Grenzen immer weiter aus. Doch wir können kein noch so einfaches Leben schaffen. Als Biologin sehe ich, wie die Natur voller Wunder des Lebens ist – vom kleinsten Bakterium an. Auch unsere Honigbienen sind so genial, dass wir bis jetzt nicht in der Lage sind, sie zu verstehen, geschweige denn, sie nachzukonstruieren. Sie sind eine starke Botschaft, die uns ins Nachdenken bringen kann.
Doris de Craigher
Wenn sich alle Frauen nur für die Karriere und gegen Kinder entscheiden würden, wäre die Menschheit in 70 Jahren ausgestorben – sagt die diplomierte Biologin Doris de Craigher (60). 20 Jahre lang widmete sie sich intensiv ihrer Familie mit vier Kindern. Seit 2008 steht sie wieder im Dienst der Wissenschaft an der Landesanstalt für Bienenkunde an der Universität Hohenheim. Dabei gilt ihr Augenmerk den kleinen Wundern der Natur: den Bienen. Diesen zuzuschauen, ist für sie immer wieder eine Ermunterung: »Bienen wirken so lebensfroh. Sie kennen keine Depressionen.«