Nina Mareen Junker
Sind Eltern die besseren Chefs, Frau Psychologin?
Eltern haben mit Führungskräften viel gemeinsam. Das haben aber noch nicht alle Unternehmen erkannt. Die Sozialpsychologin Dr. Nina M. Junker von der Goethe-Universität Frankfurt am Main erforscht, wie sich Familie und Beruf vereinen lassen.
Frau Junker, sind Eltern bessere Führungskräfte?
Nicht automatisch. Aber wenn sie die Lernmöglichkeiten, welche die Elternrolle bietet, nutzen, werden sie zu besseren Führungskräften.
Inwieweit ist die Familie eine Schule für den Charakter?
Familie und die Interaktionen mit Partner und Kindern bieten zahlreiche Möglichkeiten, Erfahrungen zu sammeln, die nicht nur in der Elternrolle hilfreich sind, sondern auch im Freundeskreis, im kirchlichen Umfeld – oder eben als Mitarbeiter und Führungskraft. In der Familie reifen wir und werden noch einmal ganz anders herausgefordert zu sehen, welche Werte und Vorstellungen wir haben.
Die Elternrolle hilft, geduldiger zu sein – auch im Beruf.
Lassen sich Fähigkeiten, die man in der Familie erworben hat, in den Job einbringen?
Auf jeden Fall! Die Familienrolle – bei der Erziehung der Kinder wie bei der Pflege der eigenen Eltern – bietet großes Potenzial, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu entwickeln, die auch im Job nutzbar sind. So berichten uns Eltern in unseren Studien, dass sie durch ihre Elternrolle stressresistenter geworden sind, ein besseres Zeitmanagement haben und besser mit Konflikten umgehen können. Zudem hilft die Elternrolle, geduldiger zu sein – auch im Beruf.
Tatsächlich sehen viele Vorgesetzte Familie vor allem als Hindernis. Liegen sie da falsch?
Vorgesetzte spielen bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie eine zentrale Rolle: Sie können unterstützen, aber auch verhindern. Gutes Führungsverhalten zeigt sich insbesondere dadurch, dass Vorgesetzte individuell auf ihre Mitarbeiter eingehen und geeignete Lösungen finden, Verständnis für Familien zeigen. Das Arbeitsresultat zählt für sie mehr als die reine Präsenz im Unternehmen.
Was kann ein Vorgesetzter tun, außer großzügig Elternzeit zu bewilligen?
Führungskräfte sind wichtige Rollenmodelle. Wenn ich als Chefin mit gutem Beispiel vorangehe, erleichtere ich es meinen Mitarbeitern, sich etwa im Krankheitsfall ohne schlechtes Gewissen um die Kinder zu kümmern.
Kennen Sie Unternehmen, welche die Fähigkeiten von Müttern und Vätern honorieren?
Ja. Glücklicherweise gibt es mittlerweile zahlreiche Firmen, die den Wert von berufstätigen Eltern erkannt haben, auch wenn wir uns natürlich noch mehr wünschen. Unterstützen und Wertschätzen zeigt sich ja auf ganz unterschiedliche Weise. Das können »Windelprämien« sein, bei denen Eltern die Windeln für die ersten drei Lebensjahre bezahlt bekommen. Oder Teilzeitmodelle: Wer nach einem Jahr Elternzeit zu 50 Prozent zurückkehrt, erhält in den beiden folgenden Jahren 65 Prozent des Gehalts. Vor allem aber spielt der tägliche Umgang unter den Kollegen und mit Vorgesetzten eine große Rolle.
Der Wettbewerb um qualifiziertes Personal hat längst begonnen. Welche Anreize sollten Unternehmen bieten?
Junge Arbeitnehmende schätzen eine Balance zwischen Beruf und Familie stärker als ältere Generationen. Geeignete Modelle unterstützen das. Neben den zuvor genannten, sollte stärker über Job-Sharing-Modelle nachgedacht werden – auch in Führungspositionen. Zudem sind Sabbatical-Optionen und Lebensarbeitszeitmodelle interessant: Arbeitsstunden werden auf einem Konto gutgeschrieben und können im Bedarfsfall genutzt werden. Neben solchen eher formalen Anreizen spielt vor allem das Unternehmensklima eine große Rolle.
Die Politik propagiert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf seit Jahren. Erkennen Sie gesellschaftspolitische Fortschritte?
Grundsätzlich ja. Allerdings braucht es mehr Flexibilisierung. Zuletzt gab es viele Bestrebungen, Mütter früher wieder in eine Vollzeitanstellung zu bringen. Das ist jedoch ein Modell, das nicht alle Eltern bevorzugen. Gleichzeitig erspart es Unternehmen, sich groß zu ändern. Väter, die mehr als zwei Monate Elternzeit nehmen, schaut man in vielen Firmen immer noch schräg an. Führungspositionen sind zumeist Vollzeitjobs oder 80-Prozent-Stellen. Hier gibt es weiterhin Handlungsbedarf.
Einige Bücher werben mit alarmistischen Titeln »Die Alles-ist-möglich-Lüge«, »Das Märchen vom Segen der Ganztagsbetreuung«, »Die verkaufte Mutter«. Was sagen Sie dazu?
Aus meiner Sicht wird vor allem deutlich, dass es zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie unendlich viele Meinungen und auch viele Vorurteile gibt. Grundsätzlich sehe ich den Bedarf einer größeren Toleranzkultur. Toleranz für unterschiedliche Lebensmodelle, auch wenn sie vielleicht nicht dem eigenen Modell entsprechen.
Früher hat die Bäuerin die Kinder nicht allein aufgezogen, sondern ein ganzes Dorf hat sie unterstützt.
Ist Ihnen in Ihrer Studie der männliche Teilzeitvorgesetzte mit mehrmonatigem Vaterschaftsurlaub und Homeoffice-Tagen begegnet?
Solche Männer sind tatsächlich nach wie vor die große Ausnahme – ebenso wie die weibliche Teilzeitvorgesetzte mit mehrmonatigem Mutterschaftsurlaub und Homeoffice-Tagen.
Vor der Industrialisierung hat die Bäuerin ein Dutzend Kinder aufgezogen, Familie und Hof zusammengehalten – und ist dabei nicht alt geworden. Heute werden Frauen oft zwischen Familie und Beruf zerrieben, bisweilen endet es im Burnout …
Einer der großen Unterschiede ist hier wohl, dass die Bäuerin dieses Dutzend Kinder nicht allein aufgezogen hat, sondern es sprichwörtlich ein ganzes Dorf gab, das sie unterstützte. Dieses Dorf benötigen wir auch heute: ein unterstützendes Netzwerk, sowohl beruflich als auch privat.
Frankreich hat eine höhere Geburtenrate: Frauen sind hier drei Monate nach Entbindung zurück im Beruf, das Baby mit drei Monaten in der Krippe. Ein Vorbild?
Wir können von Frankreich manches lernen, ebenso wie von Schweden und Norwegen. Ich befürworte aber eine Vielfalt an Modellen anstelle eines Idealbildes. So wie es normal sein sollte, dass eine Mutter nach drei Monaten in den Job zurückgeht, sollte es normal sein, wenn sich eine Mutter entscheidet, drei Jahre zu Hause zu bleiben und sich um ihr Kind zu kümmern.
Europas Königshäuser zelebrieren Familie und Beruf. Europas Regierende hingegen haben oft keine Kinder. Fallen Ihnen erfolgreiche Frauen in der Wirtschaft ein, die Familie und Beruf leben?
Ich möchte keine Namen nennen. Vorbilder sind extrem wichtig. Marissa Meyer, damals CEO von Yahoo, wurde regelrecht zerrissen, als sie direkt nach der Geburt ihrer Kinder wieder arbeiten gegangen ist, während das bei einem jungen Vater vermutlich nicht thematisiert worden wäre. Allein daran sieht man, wie aufgeladen dieses Thema ist.
Was kommt für Sie zuerst: Karriere oder Familie?
Mir ist beides wichtig. Mein berufliches wie privates Umfeld ermöglicht mir eine hohe Flexibilität, sowohl zeitlich wie räumlich. Dadurch kann ich Beruf und Familie gut vereinbaren, auch wenn es natürlich Tage gibt, an denen die Karriere Vorrang hat und andere, an denen die Familie wichtiger ist.
Nina Mareen Junker
Welche Parallelen gibt es zwischen der Elternrolle und der Funktion des Vorgesetzten? Über Antworten konnte man bisher nur spekulieren. Das ändert die Sozialpsychologin Dr. Nina Mareen Junker (34). Selbst Mutter, erforscht sie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf am Institut für Psychologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Ergebnis: Eltern beherrschen das Zeitmanagement und können mit Stress und Konflikten umgehen. Die Studie »Elternkompetenz & Arbeit« wird fortgeführt. Sie können sich beteiligen unter http://kompetenzexpert.de/studie2.