Roland Juker
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Andy Moore

Verdirbt Geld den Charakter, Herr Finanzphilosoph?

Andy Moore hat vor drei Jahren seine Karriere in der Finanzbranche in London an den Nagel gehängt, um in den Metropolen der Welt ein »Festival of Thought« steigen zu lassen. Dabei soll es um nichts Geringeres als um die Klärung der brennendsten Fragen der Menschheit gehen.

Eric Johnson
Eric Johnson
11 min

Herr Moore, im zarten Alter von zehn Jahren haben Sie mit Ihrem Bruder zusammen Ihre erste Firma gegründet. Worum ging es?

Wir lebten in der Nähe einer Whiskey-Destillerie in Nordirland und trafen eines Tages auf einen Bauern, auf dessen Feld Hunderte alter Vintage-Whiskeyfässer lagerten. Da kam uns die Idee, die Fässer zu reinigen, den Holz- und Metallringen etwas Konservierungsmittel beizufügen und sie zu coolen Blumentöpfen umzufunktionieren. Unsere Oma kaufte den ersten dieser »Töpfe«, dann kamen unsere Cousins. Als Nächstes stellten wir ein Schild auf unsere Straße, das unsere »exklusiven« Produkte bewarb. Die Nachfrage hielt mehrere Sommer lang an. Das hat uns Spaß gemacht – und nebenbei unser Taschengeld aufgebessert.

Dienst du dem Geld oder dient das Geld dir? Mit dieser Frage setze ich mich immer wieder auseinander.

Auch als Student waren Sie unternehmerisch tätig. Wie?

Meine Studientage an der Universität waren geprägt von viel Rugby. Daneben haben mein Bruder und ich verschiedene Geschäftsvorhaben fortgesetzt. Unter anderem investierten wir in einen Take-away-Service, der übers Internet ablief - einen frühen Vorläufer des Online-Lebensmittel-Bestellservices JustEat, der heute den Markt dominiert. Als ich meine ersten Investitionen wagte, lernte ich einiges auf die harte Tour. Mit diesen Erfahrungen habe ich auch Freunde unterstützt, die eine Firma gründen wollten. Und um mein Studium solide zu finanzieren, nahm ich einen Job in der Buchhaltung an.

Ist es das Geld, das Sie antreibt, Geschäfte anzustoßen?

Nein. Da halte ich mich an Jesus, der sagte, dass wir im Leben nicht zwei Herren dienen können. Er erklärte: »Du kannst nicht Gott und dem Geld dienen.« Geld soll kein Selbstzweck sein, sondern ein Mittel zum Zweck. In diesem Sinn erfüllt es seinen Zweck am besten, wenn es fürs Gute eingesetzt wird – für den Dienst am Menschen. Für viele Leute bedeutet das einfach, dass man mit seinem Geld seine Familie unterstützt und für die Liebsten sorgt. Nun gibt es allerdings Branchen wie das Bankwesen und den Unternehmensberatungsbereich, in denen viele Manager so viel verdienen, dass dies ihren Bedarf übertrifft. Für diesen Fall hat mir ein ehemaliger Mentor einen guten Rat auf den Weg gegeben: »Geld ist eine Funktion des Vertrauens der Welt in dich. Kannst du dich dieses Vertrauens würdig erweisen? Dienst du dem Geld oder dient das Geld dir? Bist du sein Meister?« Dieser Gedanke hat mich in der Vergangenheit herausgefordert und er lässt mich wohl auch in Zukunft nicht los.

Sie waren Wirtschaftsprüfer und Private-Equity-Berater – und somit in einer rentablen Branche tätig. Wieso haben Sie danach Philosophie und Apologetik studiert und nicht einen MBA angehängt, wie es sich für Manager gehört?

Schon früher entstand tief in mir der Wunsch, gründlich über mein Leben und über die Welt nachzudenken. Wie schon Sokrates bin ich der Meinung, dass »das unerforschte Leben nicht lebenswert ist«. Ich spürte diese Sehnsucht danach, über die größten Fragen im Leben nachzudenken und darauf Antworten zu finden. Philosophie bedeutet wörtlich »Liebe zur Weisheit«. Es ist diese Liebe, die mich antreibt. Mein Studium war Teil meiner Reise, Antworten zu finden.

Welche Antworten haben Sie gefunden?

Sokrates hat selbst keine Schriften hinterlassen. Aber Aristoteles hat durch Plato viel von seinen Lehren übernommen. Sokrates lehrte, dass der Sinn des Lebens darin besteht, eine Reihe von kleinen, aufeinander aufbauenden Zielen zu erreichen. Eines ums andere. Menschen und Dinge sollen im Einklang mit ihrem ursprünglichen Zweck arbeiten. Vereinfacht gesagt: Wir sollen das tun, wofür wir da sind. Wenn wir das tun, setzen wir etwas frei, das wiederum etwas anderes freisetzt, das uns zu einem weiteren Ziel führt. Aristoteles fragte, was denn an der Spitze stehe. Er sprach von einem »Hauptgut«, einem übergeordneten Ziel, das es wert sei, danach zu streben. Was macht dieses Ziel aus? Meine Antwort habe ich im Neuen Testament gefunden. Dort sagt Jesus, dass es unser Hauptziel sei, zuerst eine Beziehung zu Gott und seinem Königreich zu finden. Gelingt uns dies, finden wir eine ganze Treppe von Zielen, die wir hinaufsteigen können. Erst als ich Jesus in mein Leben gelassen hatte, begann ich, meine Bestimmung zu entdecken – und es gibt noch immer viel zu entdecken.

Was empfehlen Sie anderen, die einen Sinn im Leben suchen?

Betrachten Sie die Dinge, denen Sie im Alltag nachgehen – und fragen Sie sich, warum Sie etwas tun. Dann folgen Sie dieser Kette von Gründen. Nehmen Sie zum Beispiel Ihre Karriere unter die Lupe. Warum haben Sie Ihr aktuelles Projekt übernommen? Vielleicht, weil Sie befördert werden wollen. Doch wieso wünschen Sie sich eine Beförderung? Vielleicht, um mehr zu verdienen. Aber wieso mehr verdienen? Vielleicht, um Ihre Familie besser versorgen zu können. So lassen sich die Dinge immer weiter hinterfragen. Bis Sie zu dem Punkt gelangen, an dem Sie Ihre wahre Motivation für Ihr Leben entdecken. Dann müssen Sie sich fragen: Ist diese Motivation wirklich gut und sinn-voll? 

Sie haben als Unternehmensberater viele Firmen analysiert. Welches war die wichtigste Lektion, die Sie daraus gelernt haben?

Wir können über ein Unternehmen und sein Umfeld unendlich viele Informationen sammeln. Aber die Informationsfülle hilft uns nicht weiter. Entscheidend ist, dass wir darin einen Sinn erkennen: Wozu ist das Unternehmen da? Was macht es einzigartig? Ein Unternehmen zu analysieren, bedeutet, durch ein Meer an Informationen zu waten und den Sinn darin zu suchen. Letztlich geht es um das Gleiche wie in unserem Leben: Genau wie jedes Unternehmen müssen wir erfahren, warum wir hier sind und was unsere Aufgabe ist. Die Wissenschaft erklärt uns zwar physikalisch und biologisch, was uns ausmacht, aber sie hat keine Antwort darauf, wofür wir hier sind. Schauen Sie sich mal Ihr iPad an, mit dem Sie dieses Interview aufnehmen. Was ist sein Zweck? Wenn wir nur aufs Äußere schauen, könnten Sie es gut als Schneidbrett benutzen. Aber dafür ist es nicht bestimmt …

Was war Ihre bisher beste Investition?

Bildung! Dabei meine ich mit Bildung nicht nur »Schulbildung«, sondern die Gesamtheit meiner Erfahrungen. Wichtig ist darum, dass wir bewusst wahrnehmen und reflektieren, was wir lernen. 

Sie waren erfolgreich in der Finanzwelt, arbeiten jetzt aber auch als Theologe. Sehen Sie keinen Konflikt zwischen dem Christentum und dem Kapitalismus?

Nein, mit einem Fuß stehe ich noch in der Wirtschaft und berate einige Firmen. Jesus selbst hat viel über Geld gesprochen. Und fast jedes Wirtschaftssystem hat seine Vorzüge und kennt Wege, um das Unternehmertum zu fördern und so neue Dinge zu schaffen.

Das kann im Einklang sein mit dem, was sich Gott für unser Leben wünscht. Gleichzeitig lauern in jedem System einige Stolpersteine, die uns vom guten Weg abkommen lassen. Freie Wirtschaften können sehr kreativ und produktiv sein, aber die Freiheit birgt immer das Potenzial des Missbrauchs. Der Kapitalismus hat seine Schattenseiten. Der russische Literaturnobelpreisträger Alexander Solschenizyn hat es so formuliert: »Durch jedes Herz fließt Gutes und Böses.« Die Geschichte des Christentums berücksichtigt die guten wie die dunklen Seiten der Menschheit und gibt Hoffnung zu einem nachhaltigen Wandel. Für mich ist das die Geschichte der Welt, die am meisten Sinn macht.

Informationen allein bringen nichts. Wir müssen den Sinn erkennen.

Verdirbt Geld nicht den Charakter?

Das kann tatsächlich geschehen. Doch es ist erstaunlich, dass Jesus sehr differenziert übers Geld gelehrt hat. Wenn wir das sechste Kapitel im Matthäusevangelium lesen, merken wir, dass Jesus voll und ganz anerkennt, dass wir verschiedene materielle Vorkehrungen fürs Leben brauchen - unter anderem Nahrung und Kleidung. Er betont dann aber: »Dein himmlischer Vater weiß, was du alles brauchst. Also suche zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, und alles andere wird dir gegeben werden.« Jesus hat nie behauptet, dass er seine Nachfolger reich machen würde. Die Moral kommt bei ihm klar vor dem Materiellen.

Wie können Sie sicher sein, dass das Christentum richtig liegt?

Hinter Ihrer Frage steht die Frage nach unserem Wahrheitskonzept. Das ist ein Symptom unserer multikulturellen, pluralistischen Gesellschaft. Viele gehen heute davon aus, dass es gar keine Wahrheit gibt. Wären wir mit dieser Aussage einverstanden, könnten wir nie wissen, ob wir richtig liegen. Aber auch diese Auffassung erhebt den Anspruch auf die Wahrheit. Zu behaupten, die Wahrheit sei, dass es keine Wahrheit gibt, ist nicht logisch. Die Natur der Wahrheit ist per Definition exklusiv. Die Wahrheit existiert unabhängig von mir und von dem, was ich glaube – denn ich kann danebenliegen. Das Christentum ist einzigartig unter den Weltanschauungen, weil es auf historischen Fakten beruht. Die Bibel ordnet ihre Geschichten dem Raum und der Zeit zu. Nähmen wir eine Zeitreisemaschine und reisten wir 2000 Jahre zurück, würden wir Jesus sehen und hören. Wir wären Zeuge seiner Kreuzigung und seiner Auferstehung. Es gibt keine Religion, die so intensiv erforscht und kritisch hinterfragt wurde. Speziell ist, dass sich das Christentum nicht nur intellektuell erforschen lässt. Wenn ich die Beziehung zu Jesus suche, erlebe ich, dass er wirklich wahr ist.

Jesus hat seinen Nachfolgern nie Reichtum versprochen. Die Moral kommt bei ihm vor dem Materiellen.

Einige Leute betrachten die Bibel aber eher als Geschichtensammlung!

Genau das war der Einwand des österreichischen Psychoanalytikers Sigmund Freud. Er meinte, wir Menschen würden uns Gott nur einreden, weil es so schön wäre, wenn Gott die Welt erschaffen hätte – inklusive einer moralischen Ordnung im Universum und einem Leben nach dem Tod. Das alles hielt er aber für eine Illusion, die wir Menschen uns einfach herbeisehnen, weil wir trostbedürftig sind. Freuds Einwand besteht letztlich darin, dass das Christentum automatisch falsch sein muss, bloß weil es Dinge enthält, die wir uns alle wünschen – nämlich eine erstaunliche Botschaft der Hoffnung für unser Leben und die Zukunft. Wenn wir diesen Gedankengang zu Ende denken, fällt allerdings auf, dass er nicht kohärent ist. Im Gegenteil, große Denker wie C.S. Lewis und Blaise Pascal haben hervorgehoben, dass gerade unsere tiefsten Wünsche uns helfen können, die Wahrheit zu entdecken. Wenn wir die Sehnsucht nach einem Gott verspüren, ist das ein Hinweis darauf, dass es einen Gott gibt. Ähnlich wie der Hunger ein Hinweis darauf ist, dass es Lebensmittel gibt, die ihn stillen können. Das Christentum hängt nicht von unseren psychologischen Zuständen ab, es basiert auf glaubwürdigen Fakten.

Gerade in der westlichen Welt kämpfen Kirchen jedoch mit Mitgliederschwund. Was ist denn das Problem?

Reichtum schafft Komfort und gibt uns die Illusion von Sicherheit und Wohlergehen. Wir nehmen uns vor, Geld auf die Seite zu legen für unsere Kinder oder unsere Pensionierung – denken, alles sei planbar. Dabei ist nicht der Reichtum das Problem, sondern, dass wir ihm oft die höchste Priorität einräumen. Wir stellen ihn sozusagen an die Spitze der aristotelischen Treppe. Es gibt viele berühmte und reiche Leute, die keinen Frieden gefunden haben. Doch Jesus offeriert allen, ob reich oder arm, die Möglichkeit, den Sinn im Leben zu finden.

Sie sind nebst Finanzfachmann, Theologe und Philosoph auch Rugbyspieler. Was ist Ihre Bestimmung?

Alles fasziniert mich. Aber beim Aufwachen denke ich als Erstes an Sport. Er hat mich von jeher angetrieben: Ich wollte es in bestimmte Teams schaffen, ein gewisses Level erreichen. Wäre mein Leben ein Wandteppich, wären meine Fäden Sport, Business und Theologie.

Rugby kann sehr brutal sein. Das ist nicht sehr christlich.

Klar, Rugby kann hart sein. Aber Rugbyspieler können Christen sein. Das Wichtigste am Rugby ist für mich die Kameradschaft. Die Sport-art fördert den Teamgeist, ermöglicht tiefe Freundschaften. Man kann mit jemandem, mit dem man zusammen aufs Feld rennt und verletzt wird, ganz anders über Gott und die Welt sprechen. Trotz einiger brutaler Techniken öffnet Rugby Menschen mehr füreinander als eine Gentlemen-Runde Tennis.

Sie gelten als Initiant des Festival of Thought, das in verschiedenen Städten der Welt über die Bühne ging. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?

Nach der Finanzkrise von 2008 zog mein damaliger Arbeitgeber ­KPMG den Riemen an. Der Konzern gab bekannt, sein Augenmerk auf die Integrität zu legen. Als Christ befürwortete ich das, wollte allerdings auch, dass es sich um mehr als ein Lippenbekenntnis handelte. Deshalb begann ich damit, meinen Kollegen Vorträge über Integrität zu halten. Bis 2011 sprach ich darüber in verschiedenen Unternehmen in Canary Wharf, die ebenfalls Interesse an Ethik zeigten. Es dauerte allerdings bis 2015, bis sich zwölf Unternehmen zusammentaten, um Vorträge über Ethik und deren Bedeutung in der Wirtschaftswelt zu organisieren. Innerhalb einer Woche gingen dabei achtzehn Vorträge über die Bühne. Mein Kollege Frog Orr Ewing, ein Exbörsenmakler, schlug einen Namen für das Ganze vor: Festival of Thought.

Warum findet das Festival in Unternehmen und nicht in Kirchen statt?

Mit dem Festival of Thought bieten wir als Christen Antworten auf viele Fragen, die sich im Geschäftsalltag stellen. Wenn Gott Realität ist, sollte der Glaube im Büro und in der Fabrik genau so stattfinden wie in der Kirche. Wir möchten ihn jenen zugängig machen, die nie einen Fuß in die Kirche setzen würden. In Büroräumlichkeiten oder in einem Hörsaal fühlen sich viele Menschen ungezwungener, weil sie sich diesen Ort gewohnt sind und nicht vorgeben müssen, etwas zu sein, das sie nicht sind.

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Er ist Sportler, Wirtschaftsprüfer und Theologe: Andy Moore (30) studierte Corporate Management an der Newcastle Business School, ging dann zur KPMG und erwarb die Qualifikation als Wirtschaftsprüfer. Danach arbeitete er als Private-Equity-Berater. Heute ist Andy Moore als Referent beim Zacharias Trust und Direktor des Festival of Thought tätig. Er besitzt Zertifikate in christlicher Apologetik und Theologie des Oxford Centre for Christian Apologetics respektive der University of Oxford und einen Master in Philosophie der Religion und Ethik der University of Birmingham.