Timm Ziegenthaler
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Friedhelm Wachs

Wann beißen Sie zu, Mr. Alligator?

Friedhelm Wachs weiß, wie man mit Donald Trump verhandelt und warum Angela Merkels Schweigen eine Waffe ist. Der weltweit agierende Berater und Verhandlungsexperte verrät, warum ihn ein fliegender Laptop in der Managementsitzung nicht aus der Ruhe bringt.

Christine Frischke
Christine Frischke
10 min

Herr Wachs, wie viele Stunden Ihres Lebens saßen Sie an Verhandlungstischen?

Ich führe seit vierzig Jahren Verhandlungen. Wenn ich das hochrechne, waren es definitiv über 20 000 Stunden.

Zu Ihren Kunden zählen Regierungen ebenso wie Dax-Konzerne. Sie gelten mit dem St. Galler Matthias Schranner als der beste Verhandlungsberater in Europa. Wie sehen Sie Ihre Rolle?

Ich versuche, für meinen Auftraggeber das bestmögliche Verhandlungsergebnis zu erzielen. Dafür muss ich bis an die Schmerzgrenze seines Verhandlungspartners gehen. Aber am Ende müssen mindestens zwei unterschreiben. Dazwischen liegt mein Handlungsfeld.

Heikel sind Verhandlungen immer dann, wenn Sie nicht wissen können, wie die Sache ausgeht.

Sie bekamen Titel wie »Mr.  Negotiation«, »Schattenmann« oder »Dschungelführer« zugeschrieben. Welche Beschreibung trifft Sie am besten?

Ich denke, zwei Bilder passen ganz gut. Das eine ist sicherlich Dschungelführer. Oft geht es darum, eine unwägbare Situation so zu analysieren, dass Risiken minimiert und Chancen genutzt werden, und mit der Analyse und Erfahrung den Mandanten sicher durch den Verhandlungsdschungel zu führen. In Japan bekam ich den Spitznamen Alligator verpasst. Ich kann lange zugucken und dann blitzschnell zubeißen. Das haben die Japaner gut beobachtet.

Sie gelten auch als Mann für heikle Missionen. Geben Sie uns ein Beispiel.

Heikel sind Verhandlungen immer dann, wenn Sie im Vorhinein nicht wissen können, wie die Sache ausgeht, und im Zweifel Menschen oder Firmen gefährdet sind. Wir arbeiten immer diskret und vertraulich, deshalb gebe ich Ihnen eine alte Geschichte. In meinen frühen Jahren musste ich in Moskau gegen den KGB verhandeln. Das war 1985 während der Weltjugendfestspiele. Damals waren die Russen noch in ihren Afghanistankrieg verwickelt. Es ging um die Frage, ob Norweger mit einem T-Shirt in Moskau rumlaufen dürfen, auf dem »Russen raus aus Afghanistan« steht.

Lassen Sie mich raten, die sowjetische Regierung war nicht begeistert.

Im Vorhinein war politisch vereinbart worden, dass jeder frei seine Meinung äußern darf. Bei der Einreise fiel ein Shirt dann aber einem jungen Zöllner ins Auge und der machte dicht. Ich war Mitglied des Vorbereitungsgremiums und zu der Zeit am Flughafen. In den nächsten Stunden eskalierte die Situation. Ich telefonierte mit den Korrespondenten von FAZ und Stern und sagte: »Jungs, wenn ihr bis morgen zwölf Uhr nichts von mir hört, ist was passiert.«

Wie ging die Sache aus?

Die Verhandlung habe ich halb verloren, denn der Zoll behielt das eine T-Shirt. Viele weitere waren aber längst durchgeschlüpft und wir haben Teile des Flughafens Scheremetjewo für einen Tag lahmgelegt. Nach einer Besprechung mit dem Moskauer KGB-Chef haben die Zöllner den Konflikt nicht weitergetrieben, sondern den Flughafenabschnitt dichtgemacht und uns quasi ausgehungert. Etliche Norweger waren zu dem Zeitpunkt allerdings schon im Land und fuhren munter mit den T-Shirts durch die Stadt. Das war hochgefährlich.

Können Sie uns ein paar gute Verhandlungstricks verraten?

Verhandeln ist wie Schach und Go spielen. Sie müssen analysieren. Planen, wie Sie vorgehen wollen. Gefahren, Chancen und Verbündete ausmachen. Die ganzen vermeintlichen Tricks am Verhandlungstisch sind bei relevanten Themen nicht wirklich nutzbar. Da geht es zu wie im Kalten Krieg. Das erfordert informierte Planung.

Kalter Krieg?

In der Liga, von der wir sprechen, haben die Menschen ähnliche Ausbildungen genossen, ähnliche Seminare besucht und ähnliche Entwicklungen durchgemacht. Um Vorteile zu haben, müssen Sie da schon anders gestrickt sein, nicht erratisch, sondern generalstabsmäßig vorgehen. Deshalb ist unsere Kanzlerin beispielsweise eine der besten Verhandlerinnen, die wir auf diesem Globus haben.

Das müssen Sie erklären.

Es gibt wenige Menschen, die so viel Ehrgeiz in der Sache haben und so wenig zur eigenen Person. Angela Merkel erträgt das öffentliche Bild von Führungsschwäche, um die jeweils beste Lösung zu schaffen. Ihr Schweigen ist eine Stärke, keine Schwäche. Sie hält sich den Handlungsspielraum bis zum Schluss offen.

Wie schätzen Sie im Vergleich Donald Trump ein?

Trump wird oft als narzisstisch beschrieben. Narzissten müssen Sie immer loben, nie kritisieren. Trump hat im Bau- und Immobiliengeschäft gelernt, Maximalforderungen zu stellen, um seine eigentliche Forderung durchzusetzen. Er wirft den Anker weit. Wenn Sie mit ihm verhandeln, müssen Sie das amerikanische System verstanden haben. Amerikanische Präsidenten sind Wahlkönige. Die einzelne Person hat große Macht, ist am Ende jedoch auf die Umsetzung im Regierungsapparat angewiesen. Wo Trump mit Ihnen nicht einer Meinung ist, müssen Sie die amerikanischen Interessen treffen.

Was braucht es für eine gelungene Verhandlung?

Alternativen, Geduld und Kreativität. Ich muss wissen, was ich will und vor allem meine möglichen Alternativen kennen. Noch wichtiger ist, zu verstehen, was die Gegenseite will und was deren Alternativen sind. Aus diesen vier Kernelementen baue ich eine Strategie auf.

Was sind die größten Fehler, die man machen kann?

Zu wenig Zeit in die Vorbereitung zu stecken. Viele Menschen glauben, Verhandlungen finden am Verhandlungstisch statt. Die meisten relevanten Entscheidungen werden aber vorher schweigend getroffen. Die Vorbereitung macht 95 Prozent der Arbeit aus. Die restlichen fünf Prozent sind Gelassenheit und Ruhe, die Sie durch die gute Vorbereitung bekommen. Die brauchen Sie dringend, um Chancen am Verhandlungstisch zu erkennen und auch auf bizarre Situationen bestmöglich reagieren zu können. Bei einem großen Autovermieter ist es etwa nicht unüblich, zwischendurch mit Laptops zu schmeißen.

Bitte was?

Physische und psychische Gewalt wird zum Teil bewusst eingesetzt. Wenn man die andere Seite in emotionale Grenzzustände treibt, macht sie Fehler und ist eher zu Zugeständnissen bereit. Da kann es schon hart und brutal zugehen. Ich habe beispielsweise erlebt, wie der Vorstand eines Dax-Konzerns bei einem Konkurrenten in die Ecke des Sitzungssaals gepinkelt hat. Als Machtdemonstration. Da ist man erstmal perplex.

Ich muss wissen, was ich will und vor allem meine möglichen Alternativen kennen.

Das bin ich jetzt auch … Wie haben Sie reagiert?

Wir haben eine ältere Dame von der Reinigungsfirma geholt, einen sehr mütterlichen Typ. Die hat dem Pinkler einen Lappen in die Hand gedrückt und gesagt: »Das machen Sie jetzt bitte weg.« In dieser Situation haben wir psychologisch mit den Rollen Eltern-Kind gearbeitet und uns gleichzeitig komplett aus dem Konflikt rausgenommen. Der Inhaber des Büros hätte ja genauso gut explodieren oder handgreiflich werden können.

Kann man sich auf so eine Situation überhaupt vorbereiten?

Ja, Resilienztraining ist wichtig. Und Sie müssen die Gegenseite im Vorfeld studieren. Das ist vergleichbar mit dem Profiling, das die Polizei betreibt, wenn sie an einen Tatort kommt und Indizien sammelt. Wenn Sie beispielsweise wissen, dass Sie es mit einem Choleriker zu tun haben, kann es durchaus Sinn machen, ihn mehrmals auf die Palme zu bringen. Danach ist er dann so ruhig, dass man ordentlich verhandeln kann. Auch sich selbst sollte man übrigens gut kennen. Sie werden nahezu nie erleben, dass ich in Verhandlungen Kaffee trinke. Das ist eine ziemlich schlechte Idee, wenn Sie die Sitzung nicht jederzeit unterbrechen können, um aufs Klo zu gehen.

Timm Ziegenthaler
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Über seine Kundenkartei bewahrt Friedhelm Wachs striktes Still-schweigen. Diskretion ist in seiner Branche oberstes Gebot.

Muss man ein harter Hund sein, um gut zu verhandeln?

Es geht nicht um Härte, sondern um Klarheit. Als Jugendlicher habe ich bei der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft mitgearbeitet. Als Verhandler bin ich oft auch Notarzt. Dessen erste Frage ist: Wer schreit und wer schreit nicht? Wer schreit, kriegt Luft und ist nicht am Sterben. Ähnlich ist es beim Verhandeln. Sie müssen analysieren, wo die Problembereiche sind, wo Sie zuerst eingreifen müssen.

Sie bemühen gerne das Bild von David und Goliath, wenn Mittelständler mit Monopolisten verhandeln. Wie schafft es der Schwache, den Starken zu besiegen?

Die Geschichte von David gegen Goliath wird meist falsch verstanden. Versetzen wir uns in die damalige Zeit: Goliath war ein Riese, eine genetische Anomalie. Diese Menschen waren extrem unbeweglich, in der Regel hatten sie große Sehschwierigkeiten und brauchten einen Führer. David war ein Hirte und geschickt mit der Steinschleuder. Zu seiner Zeit war das eine Form der Jagd. Wer in der Lage ist, mit einem Stein einen Singvogel abzuschießen, kann auch den Punkt zwischen den Augen treffen. Außerdem gab es auf dem Feld, auf dem sich die beiden gegenüberstanden, mit Bariumsulfid ein extrem schweres Gestein. Wird so ein Stein mit der Schleuder beschleunigt, hat er eine ähnliche Wucht wie ein Schuss aus einem 45er-Revolver. David ist also nicht der Schwache, sondern bestens ausgebildet. Er nutzt die Unbeweglichkeit Goliaths aus.

Und wie hilft das in Verhandlungen weiter?

Ein kleines Unternehmen kann sich die Schwächen zunutze machen, die aus dem großen Entscheidungsapparat eines Konzerns herrühren.

Haben Sie ein Beispiel?

Wir haben einem mittelständischen Unternehmen geholfen, dem größten Technologiekonzerns Deutschlands ein Betriebsgrundstück abzukaufen. Das Grundstück war drei Jahre zuvor bebaut worden, Gebäude und Grundstück waren bei der Bebauung 23 Millionen Euro wert. Was glauben Sie, haben wir dafür gezahlt?

Wenn Sie gut abgeschlossen haben, vielleicht die Hälfte?

Wir haben 700 000 Euro gezahlt. 

Wow. Wie haben Sie das geschafft?

Der Konzernvorstand wollte alle nicht betriebsnotwendigen Grundstücke verkaufen, um die Bilanz aufzubessern. Wenn du das als David weißt, bist du im Vorteil. Wir haben auf Zeit gespielt und unser Angebot erst sehr knapp vor dem Bilanzstichtag abgegeben. Die Abteilung wollte das Grundstück unbedingt noch loswerden und hat unterschrieben.

Der Glaube prägt mein Handeln als Unternehmer und Verhandler.

Ihr »David-Prinzip« stammt aus der Bibel. Diese bringt man sonst schwer mit den kapitalistischen Verhandlungen zusammen!

In einer Schlichtung in einer Tarifverhandlung hat ein Politiker, von dem man das nicht erwarten würde, jeden Morgen einen Bibelvers vorgelesen. Er hat damit einen gemeinsamen Besinnungspunkt außerhalb des Streits geschaffen. Als Ganzes hat die Bibel vielleicht nichts am Verhandlungstisch zu suchen, aber die Reflexion von Teilen kann die Perspektive erweitern.

Was prägt Ihren eigenen Glauben?

Meine Schwester ist mit 36 Jahren an Brustkrebs gestorben. Sie war eine sehr gläubige Frau. Wir haben sie vor ihrem Tod begleitet. In diesem Alter geht niemand freiwillig. Dennoch hat sie eine positive Zugewandtheit demgegenüber gezeigt, was da kommt. Es hat mich tief geprägt, keine Angst zu haben vor dem, was einen erwartet. Zum anderen prägt mich die lutherische Erkenntnis »Zur Freiheit seid ihr geboren«. Freiheit bedeutet immer Verantwortung. Ohne Freiheit gibt es keine Verantwortung. Insofern bin ich ein extrem freier Mensch und treffe meine Entscheidungen aus meiner Verantwortung heraus. Und mich trägt auch ein Bibelvers: »Gott hat uns nicht den Geist der Furcht gegeben, sondern der Kraft, der Liebe und der Zuversicht.« In schwierigen Situationen ist das ein wunderbar tragender Satz.

Nehmen Sie Ihre persönlichen Überzeugungen mit in den Verhandlungsraum?

Der Glaube prägt mein Handeln als Unternehmer und Verhandler. Ich muss allerdings akzeptieren, dass mein Gegenüber andere Werte haben kann. Dadurch ist man in der Lage, selbst mit einem Geiselnehmer zu verhandeln. Sie stellen sich auf das Wertegerüst des anderen ein, können aber zugleich Entscheidungen auf der Grundlage Ihrer eigenen Kriterien in die Verhandlung einfließen lassen.

Können Sie abschalten, wenn Sie nach vielen Stunden im Sitzungssaal heimkommen?

Als Stratege spinne ich im Kopf ganz viel weiter und muss mich zum Aufhören zwingen. Dabei hilft mir Meditation: beten, mich hinsetzen, ein Waldspaziergang, Menschen beobachten. Es macht mir großen Spaß, mich mit meinen Kindern zu beschäftigen. Das lenkt den Fokus auf das Wesentliche. 

Sie haben zwei Söhne und eine Tochter, der Älteste ist elf. Müssen Sie mit denen auch mal verhandeln, etwa wann es Zeit ist, ins Bett zu gehen?

Dummerweise haben die was von mir gelernt. Kinder können ja sehr gut die Schwächen von Eltern wahrnehmen und ausnutzen. Meine Tochter ist sehr impulsiv und hat gerade in der Grundschule eine Streitschlichterausbildung gemacht. Die hat schon eine Menge drauf. Da kommt es schon mal vor, dass sie das letzte Wort hat.

Friedhelm Wachs

Friedhelm Wachs

Trotz Hauptschulempfehlung gelang Friedhelm Wachs (57), aufgewachsen in Berlin, der Sprung aufs Gymnasium. Er studierte Politik an der FU Berlin, International Management an der HHL Leipzig und besuchte die Harvard Business School. Seit fast vierzig Jahren bietet er seine Dienste als internationaler Berater für Verhandlungen an. Er ist Präsident des European Negotiation Institute ENI und Partner von LaxWachsSebenius, einem führenden Beratungsunternehmen für Verhandlungen. Zudem hat er den stellvertretenden Vorsitz des Arbeitskreises Evangelischer Unternehmer (AEU) inne.