Roland Juker
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Monisha Kaltenborn

Wann treten Sie auf die Bremse, Frau CEO?

Sie war die erste und bisher einzige Teamchefin eines Formel-1-Rennstalls. Heute leitet Monisha Kaltenborn ein Start-up, das Rennsimulatoren entwickelt und vertreibt. Sie kennt nur eine Richtung: vorwärts – und meist schneller als die anderen.

Ladina Spiess
Ladina Spiess
9 min

Frau Kaltenborn, als Sie acht Jahre alt waren, zogen Ihre Eltern von Indien nach Österreich. War das ein Aufbruch oder Abbruch?

Für mich war das definitiv ein Aufbruch. Wissen Sie, damals stieg man nicht einfach in einen Flieger und reiste in ein anderes Land. Das allein schon war abenteuerlich. Ich hatte nicht das Gefühl, etwas zurücklassen zu müssen. In Indien ging ich in ein Mädcheninternat und war es gewohnt, von meinen Eltern und meinem Hund Abschied zu nehmen. Zudem verließen wir damals Indien in der Ferienzeit und meine Eltern lösten den Haushalt gar nicht auf. 

Der Umzug von Indien nach Wien hat meine Denkweise geprägt.

Warum verließen Ihre Eltern die Heimat?

Es bestand keine Notwendigkeit, aus Indien wegzugehen. Die Familie meines Vaters besaß ein Unternehmen, das gut lief. Nur hatte mein Vater kein Interesse daran und suchte nach einer neuen Herausforderung. Ich glaube, letztlich ging es meinen Eltern weniger um sich selbst als vielmehr um mich. Sie wollten mir eine akademische Laufbahn ermöglichen und wussten, dass ich anderswo auf der Welt mehr Chancen haben würde als in Indien.

Warum Wien?

Mein Vater suchte nach einem passenden Ort für uns. Dabei machte er einen Zwischenhalt in Wien bei seinem Onkel. Schon nach kurzer Zeit schrieb er meiner Mutter einen Brief – man schrieb ja damals noch Briefe –, dass es uns hier gefallen könnte. Das wars dann auch schon. Wir sind gekommen und geblieben.

Sie wurden gleich eingeschult, obwohl Sie kaum ein Wort Deutsch konnten. Wie haben Sie das gemeistert?

Das war eine fantastische Zeit. Die Klasse und vor allem die Lehrerin, die mir freiwillig Deutschnachhilfe gab, haben mich sehr gut aufgenommen. Es gab keine Anfeindungen, im Gegenteil. Ich hatte so etwas wie einen »Exoten-Bonus«. Die Schulstunden hingegen waren speziell. Mir schwirrte abends der Kopf, weil ich nichts verstanden hatte – außer, wenn es um Zahlen ging. Da wir in Indien mit dem Mathematikstoff weiter waren als meine Klasse in Österreich, war ich in kürzester Zeit Klassenbeste. Das hat den Jungen, der diese Position bislang hielt, zwar gewurmt. Dennoch haben wir uns gut verstanden.

Was haben Sie aus dieser Zeit für Ihr weiteres Leben mitgenommen?

Der Umzug von Indien nach Österreich hat meine Denkweise geprägt. Ich lernte, in der neuen Umgebung und für die Menschen um mich herum offen zu sein. Ich musste mich anpassen, aber auch durchsetzen. Das war sicherlich sehr wichtig für mich.

Nach ihren Kinder- und Jugendjahren studierte Kaltenborn Rechtswissenschaften an der Universität Wien sowie an der London School of Economics (LSE). Anschließend heuerte sie 1998 bei der Fritz Kaiser Gruppe in Liechtenstein an. Für das Unternehmen kümmerte sie sich als Juristin um die Beteiligung am Formel-1-Rennstall Sauber. Im Jahr 2000 zog sich die Fritz Kaiser Gruppe aus dem Rennstall zurück. Kaltenborn wechselte in die Rechtsabteilung von Sauber und wurde 2001 Teil der Geschäftsleitung. Von 2006 bis 2009 hielt BMW die Mehrheitsbeteiligung an dem Schweizer Rennstall – bis Peter Sauber den Betrieb 2010 von BMW zurückkaufte und Kaltenborn zur Geschäftsführerin machte. Zwei Jahre später löste die Österreicherin Peter Sauber als Teamchef ab. Sie war im Formel-1-Zirkus die erste und bisher einzige Frau in einer solchen Position.

Wie haben Sie Ihren Einstieg in den Motorsport erlebt?

Schon als Kind habe ich mir zusammen mit meinem Vater die Rennen angeschaut. Ich war kein Riesenfan, aber ein bissel mit dabei und kannte Niki Lauda, Gerhard Berger, Karl Wendlinger. Als ich beruflich in diese Welt eintauchte, hat sie mich von Anfang an fasziniert. Ich bekam sehr schnell einen Einblick hinter die Kulissen und kümmerte mich um die Fahrer- und Sponsoringverträge, hatte mit dem Verband, der FIA, zu tun, musste mich mit dem Reglement auseinandersetzen, die kommerziellen Rechte halten und an Meetings teilnehmen.

Roland Juker
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Fahrgefühl, Beschleunigung, Kurvenlage: Simrace steht
der Formel 1 in beinahe nichts nach.

2012 wurden Sie Geschäftsführerin von Sauber. Kam Peter Sauber eines Tages und sagte: »Monisha, du hast Talent, mach das!«?

(Lacht.) Jetzt schreiben Sie sicher, dass ich lachen muss! Lassen Sie mich zurückblicken: Es war eine herausfordernde Zeit für ein privates Formel-1-Team. Der damalige Finanzchef und ich waren eng mit Peter Sauber unterwegs. Wenn es etwas zu entscheiden gab, nahm er uns mit ins Boot. Der Kampf gegen die großen Teams war allgegenwärtig. Wir wollten und mussten investieren, um Schritt zu halten. Dann kam die BMW-Zeit, womit die Firma auf eine neue Ebene gestellt wurde. Sauber hatte als Herstellerteam den Anschluss an die moderne Formel-1 geschafft. Ich war überzeugt, dass nun jemand von BMW meine Funktion übernehmen würde. Umso größer war die Überraschung, dass ich weiter mit dabei sein konnte. Diese BMW-Zeit war eine tolle Erfahrung. Wir agierten plötzlich aus einer ganz anderen Stärke heraus, standen aber auch unter höherem Druck. Als der unerwartete Ausstieg von BMW kam und wir kurz vor dem Aus standen, schloss Peter Sauber einen Vertrag zum Rückkauf seines Betriebs ab. Er fragte mich nicht, ob ich die Geschäftsleitung übernehmen wolle. Es war mehr eine Feststellung. Ich hatte keine Zeit, darüber nachzudenken.

Lief das Auto schlecht, wars mein Fehler. Lief es gut, wars die Technik.

Angenommen, Sie hätten Zeit gehabt, in Ruhe darüber nachzudenken und dann zu entscheiden …

(Ohne eine Sekunde zu zögern:) Ich würde es wieder machen. Auf jeden Fall! Man muss wissen, wann man etwas beenden muss. Aber man muss auch erkennen, wo die Chancen liegen. Ich lebe nach dem Motto »wenn sich eine Türe schließt, öffnen sich zwei weitere«. Und mit dieser Einstellung bin ich den Ausstieg von BMW und meinen Einstieg als Geschäftsführerin angegangen. Dass ich 2012 Teamchefin wurde, war nur noch ein formeller Schritt. Praktisch hatte ich vorher schon das Team vertreten und war in allen Gremien beteiligt.

Vonseiten der Medien mussten Sie als Teamchefin einiges einstecken. Wie sind Sie damit umgegangen?

Das habe ich nicht zu sehr an mich herangelassen. Hätte ich meine Energie für unqualifizierte, polemische Aussagen aufopfern sollen, von denen ich wusste, dass sie jeder Grundlage entbehren? Wenn ich mich darauf eingelassen, mich verteidigt und verdrehte Aussagen richtiggestellt hätte, wären die Diskussionen endlos weitergegangen. Lieber investierte ich meine Kraft in das Unternehmen, die Mitarbeitenden und in die Verantwortung, die ich trug.

Der E-Sport hat Zukunft und wird für Sponsoren immer attraktiver.

Was hatten die Kritik und das Misstrauen damit zu tun, dass Sie in der Formel 1 die erste Frau in einer führenden Position waren?

Meines Erachtens sehr viel. Ich habe mich zum Beispiel auch mit technischen Themen beschäftigt. Da wurde mir zum Vorwurf gemacht, ich würde mich überall einmischen. War das Auto schlecht unterwegs, war es mein Fehler. Lief es gut, wars der Techniker.

Hatten Sie mit diesem Gegenwind aus den Medien gerechnet?

Nein, überhaupt nicht. Im inneren Kreis der Formel 1 war das nie ein Thema. Ich wurde weder von den anderen Teamchefs noch von den Fahrern anders behandelt. Formel-1-Chef Bernie Ecclestone begegnete mir ebenfalls äußerst respektvoll, wir hatten ein gutes Verhältnis. Allerdings kam die Kritik nur von einer Handvoll Journalisten.

Wie stark beeinflusste die Zeit Ihr Privatleben?

Die Formel 1 war natürlich auch zu Hause ein Thema. Aber weder die Kinder noch mein Mann und ich wurden auf negative Art und Weise angegangen. Im Gegenteil: Ich bekam viel Zuspruch. Das finde ich so bemerkenswert an der Schweiz. Hier wird man in Ruhe gelassen. Das ist längst nicht überall so.

2017 kam es zu Ihrem Abgang bei Sauber. Wieder die Frage: Aufbruch oder Abbruch?

Wenn ich zurückschaue, sehe ich in allem eine gewisse Kontinuität. Ich hatte nie das Gefühl, in eine Sackgasse zu geraten - weder privat noch beruflich. Das gilt auch für meinen Weggang bei Sauber. Ich brauchte einfach eine neue Herausforderung. In der Formel 1 hatte ich alles gesehen, alles erlebt. 2017 war das Ende einer Station meines Lebensweges, aber die Straße führte weiter. Mit dem Projekt Racing Unleashed kam der Aufbruch in eine für mich neue Welt. Ich kann zwar mein Know-how aus der Formel 1 einbringen, aber den E-Sport kannte ich in dieser Dimension noch nicht. Das weckte meine Neugier, den Entdeckergeist.

Die Firma Racing Unleashed stellt Rennsimulatoren her und vertreibt sie in einem Franchising-System. An bisher vier Standorten in der Schweiz, in München und Madrid können Simulator-Fahrten (Simrace) gebucht werden. In den beiden E-Sport-Ligen (Challenge League und Racer League) treten Fahrerinnen und Fahrer aus aller Welt gegeneinander an und messen sich virtuell auf den Originalstrecken der Formel 1. Monisha Kaltenborn ist seit Juli 2019 Geschäftsführerin der Firma Racing Unleashed.

Von der Formel-1-Rennstrecke zu Simrace. Ist das nicht wie vom Karibikstrand ins Solarium?

Ich nenne Ihnen ein anderes Bild. Formel 1 wird immer als »Pinnacle of Motorsport« bezeichnet. Unseren Wettbewerb, die Championship bei Racing Unleashed, nenne ich »Beyond the Pinnacle«. Simrace geht einen Schritt weiter. Wir geben den Leuten eine reelle Chance, ihren Traum des Motorsports zu verwirklichen: nachhaltig, risikofrei und flexibel. Beim Simracing steht der Mensch im Vordergrund. Alle können dabei sein, ohne Formel-1-Team, ohne finanzielle Mittel.

E-Sport wird noch immer belächelt. Zu Recht?

Überzeugen Sie sich selbst! Wenn Sie länger als zehn Minuten durchstehen, dann Hut ab. Die Fliehkräfte werden über die Gurte simuliert, Sie spüren jede Bodenwelle und Sie sind während der Fahrt physisch und mental gefordert. Die Fahrer der ersten Liga sind Profis. Sie werden von einem Institut ganzheitlich betreut: körperliches Training, psychologische Unterstützung, Ernährung, Taktik, Strategie. Der E-Sport hat Zukunft und wird nicht nur für die Bevölkerung, sondern auch für Sponsoren immer attraktiver.

Monisha Kaltenborn hat sich bislang noch nie in ein Simracing-Auto gesetzt. Wenn sie in der Racing-Lounge ist, stehen geschäftliche Besprechungen oder Gäste im Zentrum. Irgendwann schaffe sie es bestimmt, meint sie und fügt mit einem Schmunzeln an, dass sie dafür wohl nachts herkommen müsse.

Sie sind fünfzig Jahre alt. Ist Simracing Ihr Ziel und damit letzte berufliche Station?

Wir stehen hier erst am Anfang und haben noch so viel vor. Mir gehen die Ideen nicht aus. Meine Mitarbeitenden erkennen es mittlerweile schon an meinem Gesichtsausdruck, wenn ich mir wieder etwas Neues ausgedacht habe. Und das kommt recht häufig vor. Solange ich die Perspektive habe, etwas zu bewegen, solange bleibe ich dabei.

Wo schöpfen Sie Kraft für Ihre Herausforderungen?

Das Umfeld, wie zum Beispiel meine Familie, kann mich unterstützen, Zuspruch geben, kritisch hinterfragen. Aber im Endeffekt muss ich in mir selbst den Ruhepol finden.

Und wo ist Ihre Heimat?

Heimat ist für mich der Ort, wo ich mich zugehörig und wohl fühle. Das ist die Schweiz, wo ich mit meiner Familie lebe – und Wien.

Monisha Kaltenborn

Monisha Kaltenborn

Nach den Sternen greifen – das gehört zu Monisha Kaltenborns (50) Leben. Auch wenn aus dem Kindheitstraum, einst zum Mond zu fliegen, nichts wurde, hat sie mit Ehrgeiz und Fleiß eine einzigartige Karriere hingelegt. Sie war die bisher einzige Teamchefin im Formel-1-Zirkus, heute ist sie die starke Frau im Simulatoren-Racing. Kaltenborn wurde im Norden Indiens geboren und zog mit ihren Eltern im Alter von 8 Jahren nach Österreich. Mit ihrem Mann und den beiden Kindern (16 und 19 Jahre alt) lebt sie in der Schweiz. Als Ausgleich zu ihrem Job genießt sie ausgiebige Spaziergänge mit ihrem Hund.