Sabina Paries
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Jürgen Mack

Was hat denn die Kirche im Europa-Park verloren, Herr Parkchef?

Mit dem 150-Millionen-Projekt Rulantica wächst Deutschlands turbulenteste Feriendestination weiter. Finanzgeschäftsführer Jürgen Mack will im Europa-Park aber nicht nur oberflächliches Vergnügen, sondern auch Tiefgang bieten.

Jo Berlien
Jo Berlien
7 min

Es gibt ein Foto von Jürgen Mack, das ihn an seinem fünfzigsten Geburtstag mit Fußballstar Günter Netzer zeigt. Ein anrührendes Bild. Netzer legt ihm den Arm auf die Schulter; und beide schauen wie Männer in einem Wildwestfilm. Ernst, beinahe melancholisch. Das Foto unterläuft die Erwartung, die man von einem Vergnügungspark hat. Tatsächlich charakterisiert es Jürgen Mack ganz gut. Er ist nicht der Haudrauf, der den Europa-Park rockt und in der Achterbahn für ein Foto posiert. Jürgen Mack, inzwischen 61, ist höflich, zurückhaltend, besonnen und leitet mit seinem älteren Bruder Roland den Europa-Park im südbadischen Rust.

Diese Zeit des »Höher, schneller, weiter!« gab es in der Branche. Allerdings nie bei uns.

Herr Mack, Sie sind als Kind mit Karussells und Fahrgeschäften aufgewachsen. Welche Erinnerung haben Sie?

Ich bin Jahrgang 1958. Ein Jahr zuvor hat unser Familienunternehmen den Prototyp der Achterbahn »Wilde Maus« entwickelt. Die damaligen Zeiten sind mit den heutigen nicht vergleichbar. Auf völlig neu entwickelten Karussellen wurden wir Kinder als Testpiloten eingesetzt. Stellen Sie sich das heute vor! Ich weiß nicht, was meine Frau davon gehalten hätte, wenn unsere Kinder gesagt hätten: »Nehmt die Sandsäcke raus, wir wollen fahren!« – Obwohl ich natürlich Vertrauen in unsere Produkte habe (lacht).

Das Unternehmen Mack wurde 1780 gegründet. Zunächst baute es Kutschen, dann Zirkuswagen, Anfang des 20. Jahrhunderts die ersten Fahrgeschäfte. Hatten Sie je eine Wahl für eine Karriere außerhalb des Europa-Parks?

Ursprünglich war es nicht vorgesehen, dass ich in die Geschäftsleitung einsteigen würde. Ich war siebzehn Jahre alt, als der Europa-Park 1975 eröffnet wurde. In unserem Unternehmen war es vertraglich geregelt, dass von den drei Familienstämmen jeweils nur einer nachrücken kann. Mein Bruder war ein paar Jahre älter und hatte Maschinenbau studiert. Er war an der Reihe. Ich habe mir mit zwölf Jahren überlegt, was aus mir werden könnte. Wahrscheinlich wäre ich im Finanzdienstleistungsgewerbe gelandet. Plötzlich ergab sich aber die Chance, ins Unternehmen einzusteigen. Die habe ich genutzt.

Sie wohnen direkt am Europa-Park. Man könnte sagen: Das ist wie Dauercampen auf höherem Niveau – Sie haben immer Urlaub.

Ich genieße es, zu Fuß durch den Park ins Büro zu gehen und denke oft: »Wie schön ist das!« Natürlich fahren wir trotzdem in den Urlaub. Man kokettiert auch etwas damit. Tatsächlich passiert es uns auf Reisen hin und wieder, dass wir ein Bauwerk sehen, eine Kulisse, ein Wahrzeichen und sagen: »Das sieht aus wie daheim im Park (lacht)!«

Höher, schneller, weiter – das olympische Motto gilt auch für die Freizeit. Unsere Gesellschaft sucht immer den nächsten Kick. Spüren Sie das?

Wir haben sehr viele Besucher, die immer wieder in den Europa-Park kommen. Der Wiederholeranteil liegt bei über achtzig Prozent. Daraus resultiert eine gewisse Erwartungshaltung: Was gibt es Neues? Aber dieser Wettbewerb hat sich verändert. Wir erleben nicht mehr diesen Drang, wie er jahrzehntelang in den USA üblich war. Die konkurrierenden Parks dort haben versucht, einander immer wieder zu übertreffen. Diese Zeit des »Höher, schneller, weiter!« gab es. Bei uns war das jedoch nie der Fall.

Warum nicht?

Natürlich bieten auch wir rasante Achterbahnen. Diese sind vor allem bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen beliebt. Im Mittelpunkt steht für uns aber die ganze Familie. Alle Altersgruppen sollen auf ihre Kosten kommen. Schon bei unserem Vater waren familiengerechte Attraktionen als Konzept fest verankert. Er sagte: »Wir wollen ein Familienpark sein!«

Auf welche Trends setzt die Familie Mack?

Wir sind in der glücklichen Situation, dass wir zwei Generationen in der aktuellen Geschäftsführung gebündelt haben. Die jüngere Generation sorgt dafür, dass wir keinen Trend verschlafen. Zum Beispiel setzen wir auf Virtual Reality, also VR-Brillen auf der Achterbahn. Wir haben das intensiv diskutiert – am Ende zählen Argumente. Die Achterbahn »Alpenexpress«, die 1984 an den Start ging, ist mit der VR-Brille neu erfahrbar. Auch beim »Eurosat CanCan Coaster« haben wir das Digitalangebot implementiert.

Rund 150 Millionen Euro sollen in den Wasserpark Rulantica fließen. Wird Rust dadurch zum Ferienparadies?

Es ist zumindest ein attraktives Angebot für die Region. Mit Rulantica gehen wir konsequent den Schritt weg vom Tagesausflugspark hin zur Kurzreisedestination - mit Übernachtung in parkeigenen Hotels. Wenn Sie einen Kurzurlaub buchen, kommen Sie nicht alleine wegen der Achterbahn, dann spielen andere Dinge eine Rolle: die Gastronomie, die Shows, die Parklandschaft, die Gartenanlagen und Blumen. Bevor wir investiert haben, gaben wir Untersuchungen in Auftrag. Der Trend geht zum Kurzurlaub. Die Gäste bleiben länger vor Ort. Wir sind sehr zuversichtlich, dass wir durch den Wasserpark die Aufenthaltsdauer erhöhen können. Das ist auch positiv für die Urlaubsregion Ortenau und die Gemeinde Rust.

Ende Mai letzten Jahres brannten im Europa-Park Teile der Themenbereiche Skandinavien und Holland. Was ist in Ihnen vorgegangen, als Sie davon hörten?

Ich war zehn Kilometer entfernt, mit Blick auf den Park. Mein Neffe hat mich angerufen. Erst habe ich gedacht: »Wird schon nicht so schlimm sein.« Dann habe ich die Rauchsäule aufsteigen sehen … Gott sei dank ist niemand verletzt worden.

Inmitten Ihres Vergnügungsparks steht eine Kirche. Wieso?

Bevor wir den Europa-Park gegründet haben, existierte hier schon die 1955 geweihte Böcklin-Kapelle. Sie gehörte zum Anwesen Schloss-park Balthasar und wurde in den Europa-Park integriert. 1991, beim Bau des skandinavischen Themenbereichs, kam die Idee auf, die heutige norwegische Stabkirche zu bauen. Nicht als Kulisse, sondern als geweihte Kirche. Gemeinsam mit der Erzdiözese Freiburg und der Badischen Landeskirche haben wir das hinbekommen. Heute finden hier Trauungen, Taufen und Ehejubiläen statt. Für uns war es nicht nur architektonisch reizvoll, diese Kirche zu bauen, sondern es hat auch inhaltliche Gründe: Wir wollten neben der Böcklin-Kapelle eine Kirche im Park haben.

Alle großen Bauten, ob Hotel oder Achterbahn, segnen wir.

Warum?

Der Glaube ist für unsere Familie ein Anker. Das war bei unseren Eltern schon so. Die Schausteller waren früher unsere Kunden. Wir pflegten einen engen Kontakt mit ihnen. Und beim fahrenden Volk spielt der Glaube eine große Rolle. Auf jedem Volksfest gibt es in der Regel eine Messe im Festzelt und einen kirchlichen Beauftragten, der die Schausteller betreut.

Dieser Tradition fühlen Sie sich verpflichtet?

Ja, das führen wir fort: Zunächst wurde mit Zirkuspater Schönig in der Böcklin-Kapelle der jährliche Gottesdienst der Artisten gefeiert – seit 1991 in unserer Stabkirche. Der Glaube hat für uns immer eine wichtige Rolle gespielt. Es gibt eine Mahnung unserer Mutter, die mir für immer bleibt: Wenn es im Tagesgeschäft mal wieder impulsiv zuging, sagte sie: »Vergesst den Herrgott nicht!« – Es ist bei uns Tradition, dass wir alle großen Bauten, ob Achterbahn oder Hotel, segnen.

Haben Sie es schon erlebt, dass Ihnen der Glaube geholfen hat?

Durchaus. Nehmen wir den Tod der Eltern. Da hat mir der Glaube geholfen, zuversichtlich zu sein und den Schmerz auszuhalten und Hoffnung zu schöpfen.

Es arbeiten sogar zwei Seelsorger im Europa-Park.

Ja, der evangelische Diakon Martin Lampeitl ist seit 2005 hier, ebenso sein katholischer Kollege Andreas Wilhelm. Zudem arbeiten wir mit dem Schweizer Zirkusseelsorger Adrian Bolzern zusammen. Im Herbst 2005 haben wir ein Experiment gestartet. Die Kirchen

haben je einen Diakon freigestellt für die Arbeit im Park. Wenn die Menschen nicht mehr in die Kirche gehen, kommt die Kirche zu den Menschen. Für die Seelsorger war es anfangs nicht ganz einfach, die richtige Mischung von Ansprache und Angebot zu finden. Die Freizeitpark-Besucher rechnen ja nicht damit, auf einen Geistlichen zu treffen.

Es heißt, Sie hätten den Diakonen gesagt: »Macht nicht noch eine weitere Show, die machen wir im Zweifel besser …«

Klar. Einer der Diakone arbeitet am Herzklinikum in Lahr, das ist eine komplett andere Welt. Es war schon nicht einfach, in einem Freizeitpark, wo es ausgelassen zugeht und das Vergnügen Vorrang hat, als Seelsorger eine passende Rolle einzunehmen. Wir haben einiges ausprobiert und wieder verworfen. Inzwischen haben die beiden Diakone ein gutes Angebot gefunden. Ich bin sehr froh um diese Kooperation. Es wird jährlich evaluiert: Was war gut, was müssen wir verändern? Aber ich habe nicht das Gefühl, dass das Projekt seitens der Kirchen infrage gestellt wird.

Inwiefern kann der Europa-Park dazu beitragen, dass Menschen wieder Tritt im Leben finden?

Zum Beispiel durch unser soziales Engagement. Die »Frohe Herzen«-Aktion ist ein Tag der offenen Tür für Heimbewohner. Wir möchten den Menschen einen Tag schenken, an dem sie Freude erleben und am Ende mit einem positiven Impuls von hier weggehen.

Jürgen Mack

Jürgen Mack

Er leitet den Europa-Park zusammen mit seinem Bruder und ist der Finanzminister des Ferienlandes: Jürgen Mack (61). Der Wirtschaftsingenieur trat nach seinem Diplom 1986 als Geschäftsführer in das Familienunternehmen ein. Heute verantwortet er im Park nicht nur die Finanzen, sondern ist auch Gesellschafter von Mack Rides, dem 1780 gegründeten Familienunternehmen, das bis heute Achterbahnen baut. Für sein soziales Engagement wurde Jürgen Mack mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande. Er ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.