Wolfgang Grupp
Wie geht es Ihrem Affen, Herr Patron?
Wolfgang Grupp ist seit 50 Jahren Chef der Trigema. Das heißt: 50 Jahre ohne betriebsbedingte Kündigungen, ohne Kurzarbeit. Seit 30 Jahren wirbt er mit einem Schimpansen in TV-Spots. Das wirkt aus der Zeit gefallen. Und ist angesagter denn je.
Als das Textilunternehmen Trigema Ende 2019 das Hundertjährige feiert, kommt Schlagerkönigin Helene Fischer auf die Schwäbische Alb und haucht: »Meine Wäsche bekommen nur Sie zu sehen, Herr Grupp!«
Dieser Grupp ist eine Marke. All die Hymnen, die auf ihn niederprasseln, sind vergiftet mit einer Prise Spott. Die »Neue Zürcher Zeitung« sieht in ihm einen Unternehmer wie zu Ludwig Erhards Zeiten: Doppelreiher, Einstecktuch, Manschettenknöpfe. Junge Frauen nennt er »Fräulein«. Grupp wird wahlweise als Patriarch, Egomane und König tituliert. Wolfgang Grupp gilt als Mann von gestern: Ein Schimpanse als Werbefigur? Voll Achtziger!
Mein Job ist nicht, täglich Geld zu zählen, sondern Chancen zu suchen.
Mitten in der Krise ist Grupp zurück. Er musste Mitte März 2020 zwar die Geschäfte schließen. Doch gleichzeitig sattelte er in der Produktion auf Mund-Nasenschutzmasken um. Die ZDF-Satiresendung »Heute Show« widmete ihm einen Beitrag. In der ARD-Talkshow »3 nach 9« verabschiedete ihn Moderatorin Judith Rakers mit dem Satz: »Herr Grupp, Sie sind eine spezieller Typ. Aber ich mag Sie.« Grupp gehört zur Avantgarde des nachhaltigen Unternehmertums. Als Textiler setzt er auf Innovation und Qualität, steht für das Prinzip des bedarfsgedeckten Wirtschaftens. Grupp beschäftigt 1200 Mitarbeiter. Sogar Kindern seiner Mitarbeitenden garantiert er einen Arbeitsplatz. Wolfgang Grupp empfängt im Großraumbüro zum Interview, die Mitarbeiter sitzen in Hörweite. Er wird sich mehr als zwei Stunden Zeit nehmen und einige Male aufbrausen. Von seinem Temperament, seiner Ungeduld, seinem Jähzorn kündet sein Fuß: Grupp war auf der Jagd gewesen, der Stiefel wollte nicht runter, also zog er so brachial am Absatz, dass die Achillessehne riss.
Herr Grupp, wie meistern Sie die Krise?
Corona ist nicht die erste Krise, die wir meistern. Wir hatten die New-Economy-Krise (2000), die Finanzkrise (2008) … Meine Aufgabe ist es nicht, täglich Geld zu zählen. Meine Aufgabe ist es, konstant zu sehen: Was macht der Markt? In diesem Jahr haben mich Kliniken angefragt: Können Sie eine Maske produzieren?
Das brachte Sie nicht in Verlegenheit?
Ich kann alles, wenn ich will! Es muss nur passen. Ich will aber keine Billigprodukte machen. Ich erledige die Aufträge, für die ich meinen deutschen Lohn bezahlt bekomme. Den Kliniken habe ich gesagt: »Eine billige Wegwerfmaske mache ich nicht, aber eine Qualitätsmaske, die sich mehrmals verwenden lässt.« Zwei Wochen später musste ich wegen Corona alle Geschäfte schließen. Uns sind gut fünfzig Prozent des Absatzes weggebrochen. Indirekt habe ich mir durch diese Entscheidung selber geholfen. Die Maske hat sich millionenfach verkauft.
Vor fünfzehn Jahren waren Sie Dauergast in Talkshows. Corona hat Sie zurück ins Fernsehen gebracht. Ehrbare Kaufleute sind eher bierernst. Woher haben Sie Ihren Humor, Ihren Mutterwitz?
Ich bin so. Ich problematisiere nicht. Ich lache im richtigen Moment und löse rechtzeitig Probleme. Wenn mir einer eine blöde Frage stellt, versuche ich ihm schlagfertig eine Antwort zu geben.
Sie sind 78, wie blicken Sie auf die Welt von heute?
Was mich umtreibt: Ist unser Rechtsstaat noch ein Rechtsstaat? Jeder kann pokern. Gewinnt er, kassiert er mit Selbstverständlichkeit, verliert er, überlässt er die Zeche der Allgemeinheit. Es genügt Volksschulbildung, um zu verstehen, warum die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht.
Wie aber bringen Sie Ethik und Verantwortung in die Wirtschaft?
Wir brauchen wieder die Verantwortung zurück und persönliche Haftung für die eigenen Entscheidungen! Wenn die persönliche Haftung gleich besteuert wird wie die Rechtsformen ohne Haftung, dürfen wir uns nicht wundern, wenn alle aus der persönlichen Haftung fliehen. Ich sage schon lange: Einkommenssteuer noch etwas anheben und allen, die persönlich mit ihrem gesamten Vermögen für ihre Entscheidungen haften, fünfzig Prozent Steuerrabatt gewähren! Dann trennt sich die Spreu vom Weizen. Dann kommt die Verantwortung zurück! Entscheidungen werden überlegt und sind nicht länger der Gier und dem Größenwahn ausgeliefert!
Sie waren Schüler des Jesuitenklosters St. Blasien. Wie sehr hat Sie diese Zeit geprägt?
Ich entstamme einem christlichen Elternhaus und kam mit zehn Jahren in das katholische Internat. Rückblickend gesehen waren es für mich meine schlimmsten Jahre. Man war selber nichts. Man musste immer tun, was andere sagten. All die Jahre bis zum Abitur hatte ich Heimweh. Die Zeit hat mich stark geprägt.
In den Medien wird oft Ihre Hauskapelle erwähnt …
Jeden Morgen verbringe ich ein paar Minuten dort. Es ist ein Ort der Besinnung und ermahnt mich: Die Bäume wachsen nicht in den Himmel! In St. Blasien mussten wir fünfmal die Woche in die Hauskapelle und sonntags in den Dom. Wir haben konstant geklagt: Schon wieder Hauskapelle! Aber wenn man vor einer Klassenarbeit Angst hatte, ist man still und leise in die Kapelle und hat ein Stoßgebet gen Himmel geschickt. Irgendwann war mir klar: Das kann so nicht sein! Solange man Gott braucht, betet man. Braucht man ihn nicht, ist alles lästig!
Heuchelei, die man einem Kind leicht verzeiht.
Aber genau das passiert ja heute noch. Die Regierung bittet zum Trauergottesdienst, wenn etwas Gravierendes, ein Tragödie, passiert ist. Aber wir haben noch nie davon gehört, dass es auch einen Dankgottesdienst gibt, wenn uns ein nicht zu erwartendes Wirtschaftswachstum beschert wurde. Dabei gäbe es Gründe für Dankbarkeit.
Schon 2006 sprachen Sie vor dem Forum Deutscher Katholiken in Fulda von bedarfsgedecktem Wirtschaften.
Wir dürfen in einem Hochlohnland keine Massenprodukte produzieren. Wir müssen ausschließlich innovative Produkte herstellen. Der Bedarf an Kleidung ist gedeckt! Die Kleiderschränke sind voll. Deshalb ist die Textilbranche bei jeder Konjunkturschwankung sehr anfällig. Wenn der Verbraucher das Einkommen nicht mehr hat, spart er als erstes an Kleidung. Das muss mir als Unternehmer klar sein.
Was machen Sie anders?
Ich lebe von Flexibilität und Qualität. Das heißt, ich fahre Produkte zurück, die der Kollege in China auch macht, aber billiger. Oder ich gebe sie auf. Stattdessen setze ich auf Innovation. Wachstum heißt für mich nicht mehr, sondern besser. So haben wir schon immer nach dem Prinzip des »Grünen Knopfs« produziert und wurden als erstes Unternehmen zertifiziert! Wir setzen auf permanente Qualitätsverbesserung; dafür bezahlen Verbraucher gerne einen höheren Preis.
Es ist Heuchelei, wenn die Regierung zum Trauergottesdienst bittet.
2006 haben Sie die Branche erstaunt, als Sie die Cradle-2-Cradle-Kollektion auf den Markt brachten.
2004 rief mich Prof. Michael Braungart, der Vater des Cradle-2-Cradle-Prinzips, an. Er hatte erfahren, dass Trigema zu hundert Prozent in Deutschland fertigt: von der Stoffherstellung über Färberei und Bleicherei bis zur Stickerei, Druckerei und Konfektion. Braungart sah seine Idee der ökologischen Kreislaufwirtschaft bei uns umgesetzt. Bei uns sind alle Produktionsstufen unter einem Dach.
Und Sie erweitern nicht mehr. Manche werfen Ihrer Firma vor, sie würde vor sich hindümpeln.
Ja, wir erweitern seit Jahren unsere Kapazitäten nicht mehr. Trigema setzt ausschließlich auf Innovation, Qualität und Schnelligkeit. Mit Liefermöglichkeiten binnen 48 Stunden sind wir unseren Mitbewerbern im billigen Ausland jederzeit überlegen.
Von 26 Textilfabriken in Burladingen hat nur Trigema überlebt. Sie haben sich erfolgreich dem ruinösen Preisdruck widersetzt.
Die Kaufhaus- und Versandhauskönige Karstadt, Hertie, Horten, Quelle und Neckermann waren verantwortlich für den Niedergang der textilen Produktion. Sie haben den Wandel verschlafen und glaubten, durch Billigpreise im Einkauf bestehen zu können. Was ich anders gemacht habe? Als Produzent musste ich den Mut haben, zu diesen Preisforderungen Nein zu sagen.
Ihre Ware wurde aus dem Sortiment geschmissen.
Ja, und ich war gezwungen, mir neue Kunden zu suchen. Meine Kollegen haben Ja gesagt zu den Preisforderungen – und sind mit den Kaufhaus- und Versandhauskönigen untergegangen. Ich kam zu den Selbstbedienungs-Warenhäusern und später zu den Discountern. Aldi war ein Topkunde von uns. Aber als Aldi eine starke Preisreduktion forderte, gab ich nicht nach. In einer bedarfsgedeckten Wirtschaft muss ich den Teil der Handelsfunktion in eigene Hände nehmen, um nicht in totale Abhängigkeit der letzten Großkunden zu kommen.
Was haben Sie getan?
Die Firma Hugo Boss war ein großes Vorbild für mich. Das Factory-Outlet in Metzingen war schon damals sehr bekannt. Durch den Fabrikverkauf wurde ich selber zum Händler.
Trigema war einmal nahe dran, Trikotsponsor von Bayern München zu werden.
Ja, ich hatte mit Uli Hoeneß und dem damaligen Präsidenten Scherer Anfang der Neunzigerjahre abgemacht: Wenn Iveco seine Option nicht einlöst, werden wir zum Preis von 1,5 Millionen Mark neuer Trikotsponsor! Wir haben uns den kaufmännischen königlichen Handschlag gegeben. Aber dann wollte Adidas nicht, dass auf einem Adidas-Trikot groß TRIGEMA steht. Ich war erstaunt und enttäuscht. Aber so ist es nun einmal. Wenn man gebraucht wird, ist man begehrt. Meint man einen nicht mehr zu brauchen, ist alles schnell vergessen.
Sie gelten als Herrscher, als König von Burladingen, als Patriarch.
Patriarch ist etwas Positives; es kommt von Patron und das ist einer, der die Hand schützend über seine Familie oder Betriebsfamilie hält.
Waren Sie ein strenger Vater?
Ich war sicher nicht streng, aber konsequent. Wenn meine Kinder einen Fehler machten, habe ich ihnen stets erklärt, was falsch daran war. Unsere Kinder waren in einem englischen Internat. Ich habe sie großzügig erzogen. Sie haben alles bekommen, was sie wollten. Aber sie mussten selbstverständlich für alles die volle Verantwortung übernehmen und selber Vorbild sein.
Was ist Ihr wichtigster Rat an Ihre Kinder?
Meine Kinder müssen sich Ihrer Verantwortung bewusst sein; sie dürfen sich nicht von Größenwahn und Gier leiten lassen. Sie müssen konstant entscheiden, aber auch die Größe haben, eine Entscheidung zu korrigieren. Wenn eines meiner Kinder zu mir käme und sagen würde: »Ich habe ein großes Problem!«, müsste ich sagen: »Selber schuld! Jedes große Problem war klein. Löse es, solange es klein ist!«
Enttäuschend: Man ist nur begehrt, solange man gebraucht wird.
Was sagen Sie, wenn ein Jungunternehmer den Familienbetrieb an einen chinesischen Investor verkauft?
Das ist seine Verantwortung. Wenn der Investor die Firma verantwortlich weiterführt, ist dies in Ordnung. Wenn er ihn aber ausbeutet und in Insolvenz schickt und die Allgemeinheit dann dafür geradestehen muss, hat dies für mich mit klassischem Unternehmertum nichts zu tun. Hierauf müssten die Politiker achten!
Die Kinder des einstigen deutschen Drogeriemarktkönigs Anton Schlecker sitzen im Gefängnis. Tun sie Ihnen leid?
Nicht unbedingt. Sie waren alt genug, um zu erkennen, dass der Vater sie nur einsetzt und ihnen das Vermögen überträgt, weil er eine persönlich haftende Rechtsform hatte. Wenn sie das Spiel mitmachen, sind sie mit in der Verantwortung. Schlecker hat ein Schneeballsystem betrieben und sich dieses von seinen Lieferanten bezahlen lassen. Ob es in einem Rechtsstaat korrekt ist, wenn Schlecker senior als Hauptverantwortlicher mit einer Bewährungsstrafe davonkommt, die Kinder aber ins Gefängnis müssen, lasse ich dahingestellt.
Sie sind ein vehementer Gegner von Insolvenzen.
Es kann doch nicht sein, dass ein Unternehmer im Januar Insolvenz in Eigenverwaltung beantragt, anschließend 47 Geschäfte schließt, die er in einem Anfall von Größenwahn eröffnet hat, 300 Mitarbeiter entlässt und zum 1. Juli stolz verkündet: »Insolvenz beendet, ich eröffne neue Läden!« Dass dies alles vom Steuerzahler finanziert werden musste, darüber spricht man nicht.
Sie haben eine harte Schule hinter sich. Als Sie Trigema übernahmen, hatte das Unternehmen zehn Millionen Schulden.
Ja, es war eine schwierige Zeit. Aber ich habe mich deshalb ernsthaft gefragt, was in einem Unternehmer vor sich geht, der eigentlich alles hat und dennoch nicht damit zufrieden ist. Auch mein Vater hat immer mehr gewollt, diversifiziert und anschließend diesen Schuldenberg angehäuft. Daraus habe ich viel gelernt und gewusst, dass man mit dem, was man hat, zufrieden sein muss. Ich habe sechs Jahre gebraucht und hatte 1975 zehn Millionen Mark zurückbezahlt. Seit dieser Zeit habe ich nie mehr mit einer Bank über einen Kredit gesprochen!
Haben Sie einen Coach?
Nein.
Sie haben nie einen externen Businesscoach hinzugezogen, um wichtige Entscheidungen vorzubereiten?
Brauche ich nicht. Ich war in der Schule. Ich habe studiert. Und wenn das nicht ausreicht, nützt auch ein Coach nichts.
Sie haben auch keinen Berater?
Nein. Mir kommt kein Unternehmensberater ins Haus. Angenommen, ein Unternehmensberater sagt mir auf Anhieb: »Das müssen Sie ändern! Und das …« Dann muss ich meinen Platz räumen. Wenn einer ohne weitere Einblicke zu haben etwas sieht, was ich nicht erkenne, bin ich fehl am Platz.
Dann müssten Sie Ihren Platz räumen …
Und weil ich den Platz nicht räumen will, lass ich den Berater auch nicht kommen (lacht). Aber im Ernst: Das Beratergewerbe floriert, damit wird sehr viel Geld verdient. Aber bewirken diese etwas? Bei den Kaufhauskönigen wurden Millionen für Berater ausgegeben – untergegangen sind sie trotzdem. Ich bespreche meine Arbeit am Familientisch mit meinen Kindern. Überhaupt darf man mir alles vorschlagen. Dann müssen aber rasche Entscheide und nicht lange Diskussionen folgen. Stillstand geht mir gegen den Strich.
Hilft die Religiosität einem erfolgreichen Unternehmer?
Ich bin katholisch erzogen. Dadurch weiß ich, dass ich mich in meinem Leben so verhalten muss, dass ich mich jederzeit auch nach meinem Leben für meine Taten rechtfertigen kann. Man sollte nicht überheblich werden, wenn man Erfolg hat. Man sollte stets auch ein bisschen Demut zeigen und Danke sagen, wenn es einem gut geht.
Sie sind ein Entertainer, Herr Grupp. Man hört Ihnen gerne zu. Schon mal überlegt, ins Showbusiness zu wechseln?
Sicher nicht. Wie gesagt, man kann nur eine Sache machen, diese aber dafür richtig.
Wie geht es Ihrem Affen, Herr Grupp?
Mein Werbepartner aus den TV-Spots leistet uns seit 1990 wertvolle Dienste. Dafür ein herzliches Dankeschön! Ursprünglich wurde der TV-Spot für einen Großkonzern erstellt. Dieser war aber nicht mehr an dem Spot interessiert. Auf der Suche nach einem auffallenden Werbespot schien uns das genau die richtige Idee. Der Affe ist mittlerweile eine 3-D-Computeranimation. Trigema kommt damit allen entgegen, die sich für den Schutz frei lebender Schimpansen einsetzen.
Wolfgang Grupp
Seit 1969 steuert Wolfgang Grupp (78) die Geschicke der Trigema – einem Akronym für Trikotwarenfabrik Gebrüder Mayer. Nach dem Studium der Betriebswirtschaft übernahm er das Familienunternehmen – präziser gesagt: viele Schulden. Seither hat die Trigema den Umsatz vervielfacht. Zu Entlassungen und Kurzarbeit ist es nie mehr gekommen. Auch nicht in der Coronakrise. Den Kindern seiner 1200 Angestellten verspricht Grupp jeweils Arbeitsplätze. 2019 ist Grupp mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet worden. Er ist verheiratet und Vater zweier Kinder.