Thomas Kotulla
Wie kann ein Intellektueller an den Himmel glauben, Herr Professor?
Als Thomas Kotulla, Doktorand der Wirtschaftswissenschaften, dem Tod ins Auge sieht, beginnt er, Gott zu suchen. Innerhalb weniger Jahre wird aus dem Skeptiker ein gläubiger Christ. Seither versucht der Wirtschaftsprofessor, nebenbei die Welt zu erklären.
Jungfrauengeburt, Auferstehung, Himmel, Hölle – warum glaubt ein 37-jähriger Intellektueller wie Sie an solche Sachen?
Um es kurz zu machen: Ich glaube daran, weil ich es für plausibel und wahrscheinlich halte. Wer sich mit den Grundfragen des Lebens und des menschlichen Wesens beschäftigt, findet im christlichen Glauben eine realistische Weltsicht. Ohne etwas Übernatürliches ließe sich unsere Existenz zum Beispiel nicht erklären. Und wenn man einmal erkannt hat, dass es Dinge gibt, die über die Naturwissenschaften hinausgehen, fällt es intellektuell nicht schwer, so etwas wie die Auferstehung anzunehmen.
Ohne etwas Übernatürliches ließe sich unsere Existenz nicht erklären.
Wissenschaftler sagen, es gab einen Urknall und Evolution. Die Bibel sagt, dass Gott die Welt in sieben Tagen erschaffen hat. Was stimmt?
Glaube und Naturwissenschaften bewegen sich auf unterschiedlichen Erkenntnisebenen. Die Naturwissenschaften können die Natur erklären, aber keine Aussage darüber machen, ob es etwas gibt, was über sie hinausgeht. Wenn Naturwissenschaftler glauben, sie könnten mit ihren Mitteln alles erklären, dann überschätzen sie ihre Kompetenz. Wenn Gläubige hingegen sagen, der Schöpfungsbericht könne alles erklären, dann würde ich ihnen entgegnen, dass die vollständige Welterklärung womöglich gar nicht der Anspruch der Schöpfungsgeschichte ist.
Sie haben nicht immer an Gott geglaubt. Wieso haben Sie sich auf die Suche nach ihm gemacht?
Ich bin als Kind katholisch getauft worden, war später sogar Messdiener. Aber ich wusste eigentlich nie, was christlicher Glaube bedeutet. Geschweige denn, was es mit diesem Jesus auf sich hat. Als ich Jugendlicher war, hatte mein Bruder einen schweren Unfall. Da haben meine Eltern aufgehört, in die Kirche zu gehen – und ich mit ihnen. Mit neunzehn Jahren hatte ich dann einen Freund, der einer Kirche angehörte und mich immer wieder gefragt hat, ob ich nicht mitkommen möchte. Das tat ich und es schreckte mich damals ab. Ich empfand die Kirche als beengend und wissenschaftsfeindlich. Ich wurde zu einem Gegner des christlichen Glaubens.
Bis Sie selbst krank wurden …
Mit 26 Jahren spielten plötzlich meine Nieren verrückt. Ich bekam schwere chronische Darmkrämpfe, verlor kontinuierlich an Gewicht, es ging bergab mit mir. Ich kam ins Krankenhaus, wo die Ärzte eine schwere Nierenkrankheit diagnostizierten, die Ursache aber nicht feststellen konnten. Die Mediziner sagten mir unmissverständlich, dass ich auf alles gefasst sein müsse. Ich sollte mich auf den Tod vorbereiten.
Was ging da in Ihnen vor?
Ich fiel ins Bodenlose. Meine Freunde erkannten mich nicht mehr wieder, ich stand völlig neben mir. Alles, worauf ich bis dahin meine Hoffnung gesetzt hatte, war nichts mehr wert: Ich hatte meine Promotion angefangen, hatte gute Freunde, keine Geldsorgen und war bis dahin immer gesund. Doch mir wurde bewusst, wie vergänglich all das ist. Sogar die Menschheit und damit all unsere Erinnerungen würden irgendwann mit unserem Sonnensystem verglühen. Ich begann, mich zu fragen, ob es mehr geben könnte als das – zum Beispiel ein Leben nach dem Tod. Ich wusste zu diesem Zeitpunkt nicht, ob ich selbst in zwei Monaten noch leben würde. Als ich meine Suche begann, war ich dem christlichen Glauben gegenüber sehr verschlossen. Er beinhaltete für mich zu viele Widersprüche: Die Frage nach dem Leid in der Welt zum Beispiel. Jesus selbst fand ich befremdlich.
Sie haben also explizit nach dem christlichen Gott gesucht? Oder haben Sie auch andere Glaubensrichtungen einbezogen?
Der christliche Glaube war aufgrund meiner Vergangenheit und meiner Herkunft naheliegend. Aber im Laufe meiner Suche habe ich mich auch mit anderen Glaubensrichtungen beschäftigt. Es wäre wissenschaftlich unlauter gewesen, sie auszuschließen.
Am Ende hat ausgerechnet Jesus Christus Sie überzeugt. Warum?
Zu diesem Schluss bin ich erst drei Jahre später gekommen. Nachdem ich erkannt hatte, dass die Existenz von etwas Übernatürlichem plausibel ist, habe ich mich gefragt, ob es Sinn ergibt, an einen persönlichen Gott zu glauben – oder eher an ein unpersönliches Prinzip. An diesen und vielen weiteren Weggabelungen bin ich immer dorthin abgebogen, wo mir der Weg am plausibelsten erschien – und bin am Ende beim christlichen Glauben gelandet.
Warum haben Sie sich für den persönlichen Gott entschieden?
Jeder Mensch hat eine Persönlichkeit, sogar höher entwickelte Tiere. Woher könnte das kommen, wenn unsere Existenz ausschließlich auf unpersönliche Atome zurückginge, die auf Basis unpersönlicher Naturgesetze miteinander reagieren? Es ist plausibler anzunehmen, dass wir selbst auf ein personales Wesen zurückgehen. Es gibt in der Natur kein bekanntes Phänomen, bei dem aus etwas Unpersönlichem etwas Persönliches entstanden wäre. Die Naturwissenschaften können das ebenso wenig erklären, wie sie erklären können, wie aus unbelebter Materie das erste Lebewesen hervorgegangen ist.
Die christliche Lehre geht davon aus, dass Gott den Menschen nach seinem Bilde gemacht hat – und dennoch sind die Menschen fehlerhaft. Wie passt das zusammen?
Christen glauben, dass Gott vollkommene Liebe und vollkommene Gerechtigkeit ist. Liebe ist erst dann vollkommen, wenn sie erwidert wird. Folglich würde Gott sich wünschen, dass wir seine Liebe erwidern. Ein weiteres Merkmal von Liebe ist aber, dass sie auf Freiwilligkeit beruht. Also könnte Gott uns nicht dazu zwingen, ihn zu lieben, er müsste den Menschen mit einem Willen ausstatten. Wir müssen uns für oder gegen das Gute, die Liebe oder Gott entscheiden können. Und obwohl wir ein Gewissen haben, entscheiden wir uns aus egoistischen Motiven oft für das Falsche. Wir sind keine Marionetten.
Gott selbst richtet die Welt durch schlechte Menschen zugrunde?
Nein. Liebe erfordert Freiheit; und wir Menschen nutzen diese aus. So gesehen gibt es keine logische Alternative zu der aktuellen, leidvollen Welt. Christen glauben aber, dass diese Welt nur ein Übergangszustand auf dem Weg zum Paradies ist und dass Gott uns für das Paradies ein neues, reines Herz schenken will. Wir müssen es in der aktuellen Welt nur annehmen. So könnten im Paradies sowohl Liebe als auch Freiheit möglich sein – ohne neues Leid. Das schließt mit ein, dass wir uns im Hier und Jetzt für Liebe und Gerechtigkeit einsetzen.
Liebe ist erst dann vollkommen, wenn sie erwidert wird.
Woher können wir wissen, ob Gott gut ist?
Wissenschaftliche Studien zeigen, dass wir Menschen mit einem Gespür für Gut und Böse geboren werden. Am stärksten positiv empfinden wir Liebe und Gerechtigkeit. Menschen, die im Kleinkindalter viel Liebe erfahren, haben ein stärkeres Gehirnwachstum, vor allem derjenigen Areale, die für Optimismus, Intelligenz und psychische Stabilität zuständig sind. Schon fünfzehn Monate alte Kinder reagieren mit Entsetzen, wenn sie ungerechtes Verhalten beobachten. Hirnforscher haben gezeigt, dass wir bereits mit jenem Gehirnareal zur Welt kommen, das für das Gerechtigkeitsempfinden zuständig ist. Unser Gewissen ist angeboren. Das Gespür für das Gute ist in uns verankert.
Unser Gewissen ist also ein Gottesbeweis?
Manche Wissenschaftler betonen, dass sich Menschen liebevoll und gerecht verhalten, weil sie sich davon Vorteile in der nächsten Begegnung mit dem Gegenüber versprechen. Oder weil sie so ihren Genpool sichern. Gemeinsam haben diese Erklärungsmodelle, dass Liebe und Gerechtigkeit immer Mittel zum Zweck sind. Es gibt aber Menschen, die sich in Krisengebieten für Fremde einsetzen. Diese Menschen sind sicher nicht verrückt. Neben unserem Gewissen haben wir außerdem eine tiefe Verletzlichkeit: Soldaten kehren traumatisiert aus dem Krieg zurück, Liebeskummer stürzt uns in tiefe Krisen. Das alles hat keinen evolutionären Vorteil. Es spricht für einen liebevollen und gerechten Gott, der das Gewissen in uns hineingelegt hat. Unser Gewissen, unser Gespür für das Gute ist sozusagen der »Gottesfunke« in uns.
Wie gut kann ein Gott sein, der die Menschen mit der Hölle bestraft, wenn sie ihm nicht folgen?
Wenn wir einen liebenden und gerechten Gott für plausibel halten, müssen wir uns fragen, wie er mit dem Leid in der Welt umgehen würde, das wir verursachen. Jemand, der liebevoll ist, möchte nicht bestrafen. Er sehnt sich nach Versöhnung. Wenn Gott ausschließlich liebevoll wäre, würde er uns also wohl alles vergeben. Aber wie wäre das für jene Menschen, denen schlimmes Leid zugefügt wurde? Es wäre ungerecht! Ein gerechter Gott müsste die Verursacher von Leid angemessen bestrafen. Das ist auch das Prinzip der Justiz. Das Problem ist: Jeder von uns verursacht Leid. Und wenn man bedenkt, wie viel Unheil wir in der Menschheitsgeschichte angerichtet haben, wäre es unmöglich, eine gerechte Strafe zu finden, die all das aufwiegt.
Der christliche Glaube ist keineswegs leistungsorientiert. Er basiert auf Gnade.
Also bleibt am Ende nur die Hölle, die ewige Trennung von Gott?
An dieser Stelle kommt Jesus Christus ins Spiel. Dass er gelebt hat, ist historisch belegt. Christen glauben, dass er göttlich ist – und dass er sich aus Liebe freiwillig dazu bereit erklärt hat, die menschliche Schuld auf sich zu nehmen, sogar die ultimative Strafe, den Tod am Kreuz. Warum? Damit unsere Schuld als beglichen gilt – und wir keine Strafe mehr fürchten müssen. So ist der Weg frei für die Liebe und das Paradies. Der christliche Glaube ist also keineswegs leistungsorientiert, nach dem Motto, tu dies oder tu das, damit du nicht in die Hölle kommst. Er basiert auf Gnade. Das ewige Leben ist ein Geschenk – wir müssen es nur annehmen. Wenn wir ehrlich sind, dann erkennen wir, dass wir auf Jesu stellvertretendes Opfer angewiesen sind. Dass unser Herz dadurch geheilt werden kann. Wer das nicht erkennt und nicht zulässt, könnte ohnehin nicht friedlich mit Gott im Himmel leben. Womit wir wieder beim Gewissen wären. Ich bin davon überzeugt, dass wir früher oder später bei Jesus landen, wenn wir uns ehrlich mit der Welt auseinandersetzen und nach dem Sinn des Lebens fragen. Jesus ist über alle Weltanschauungen hinweg die einzig plausible Antwort, die auch intellektuell standhält. Sogar für seine Auferstehung gibt es überzeugende Indizien.
Sie sind Professor an einer privaten Hochschule. Wie kommen diese Thesen bei Ihren Studierenden an?
Ich bin Wirtschaftswissenschaftler und spreche in meinen Vorlesungen nicht über Glaubensthemen. Doch wer meinen Namen googelt, findet mein Buch. Es kam schon einige Male vor, dass mich Studierende darauf angesprochen haben – aber nur positiv. Sie haben gesagt, dass sie es spannend finden, womit ich mich beschäftige und dass ich versuche, einen intellektuellen Zugang zum Glauben zu finden.
Sie schreiben, dass letztlich jeder Mensch versucht, glücklich zu werden. Hat der christliche Glaube Sie glücklich gemacht?
Es wäre einfach, jetzt nur Ja zu sagen. Ich denke, es gibt zwei Formen von Glück: ein eher oberflächliches Empfinden von Freude sowie einen tiefen inneren Frieden. Oberflächlich betrachtet würde ich sagen: Ich bin noch immer nicht ganz gesund und habe Probleme wie jeder andere auch. Aber ich habe einen tiefen inneren Frieden gefunden und Antworten bekommen, die mich intellektuell überzeugt und emotional getroffen haben. Ich habe Dinge erlebt, die für mich Wunder oder Gottesbegegnungen sind. Und ich weiß, dass mir das ewige Leben geschenkt ist. Ich bin in Gott geborgen.
Thomas Kotulla
Thomas Christian Kotulla, Jahrgang 1981, hat Wirtschaftswissenschaften in Iserlohn und Cambridge studiert sowie in Berlin promoviert. Heute ist er Professor für wertorientierte Unternehmensführung und -finanzierung an der University of Europe in Berlin, Vortragsredner sowie Affiliate Professor an der ESCP Europe in Paris, Berlin, London, Madrid und Turin. Die Ergebnisse seiner Forschung wurden mit internationalen Wissenschaftspreisen ausgezeichnet. In seinem Buch »Was soll ich hier?« beschreibt er seine Suche nach Gott. Kotulla lebt mit seiner Frau und der gemeinsamen Tochter in Berlin.