Tobias Koch
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Peter Tauber

Wie nah waren Sie dem Tod, Herr Staatssekretär?

Peter Tauber war Generalsekretär der CDU, als er schwer erkrankte. Im Interview erzählt er von seiner Notoperation, was ein Tattoo mit Gott zu tun hat und wieso er kein Problem mit einem Leben im Hamsterrad hat.

Christine Frischke
Christine Frischke
9 min

Herr Tauber, eine lebensbedrohliche Darmentzündung warf Sie 2017 aus der Bahn. Wann wussten Sie, dass Sie Hilfe brauchen?

Ich bekam nachts sehr starke Schmerzen. Trotzdem habe ich mich lange gequält, den Notruf zu wählen. Ich habe mir immer wieder gesagt: Du bist doch ein relativer junger Mann, du bist gesund. Das machst du jetzt nicht. Zwei Tage vorher bin ich noch in Frankfurt Marathon gelaufen. Um Hilfe zu bitten, passte nicht in das Bild, das ich von mir hatte. Dieses Bild zu zerstören, war extrem hart.

Wenn man Hilfe braucht, ist es keine Schande, danach zu rufen.

Am Ende haben Sie sich richtig entschieden, wie Ihnen ein Arzt im Krankenhaus bestätigte.

Ja, alleine wäre ich nicht durch diese Nacht gekommen. Heldentum war fehl am Platz. Wenn man Hilfe braucht, ist es keine Schande, danach zu rufen. Das habe ich gelernt.

Vor diesem Einschnitt sind Sie die Karriereleiter steil nach oben geklettert. 2013 wurden Sie zum damals jüngsten Generalsekretär in der Geschichte der Partei ernannt. Mit der Flüchtlingskrise wurde der Ton aber zunehmend rauer. Wie ging es Ihnen damals?

Weihnachten 2016 dachte ich, das nächste Jahr wird die Hölle. Politisch war die Lage vor drei Landtagswahlen extrem schwierig. Die Siegeschancen der Union wurden allgemein als sehr gering bewertet. Ob die CDU im folgenden Herbst auf Bundesebene weiter regieren können würde, war ebenfalls fraglich. Und dann kam überraschend eine Kaskade an Siegen. Annegret Kramp-Karrenbauer fuhr bei den Landtagswahlen im Saarland einen fulminanten Sieg ein, und bei den Wahlen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein stellten wir auf einmal die Ministerpräsidenten. Die Bundestagswahl gewannen wir ebenfalls. So gesehen lief 2017 für mich sensationell. Trotzdem war für mich schon zu Jahresbeginn klar, so kann es nicht weitergehen.

Wo lag das Problem?

Erstens bin ich vielen Leuten in der Partei auf die Füße getreten. Das kann man nur eine bestimmte Zeit machen, dann hören die Menschen nicht mehr zu. Zweitens war die Lage so angespannt, da musste eine Veränderung und Erneuerung her. Ich habe Angela Merkel irgendwann während der Wahlkämpfe erklärt, dass ich nach der Bundestagswahl nicht mehr als Generalsekretär weitermachen möchte.

Wollten Sie das Amt vielleicht auch deshalb so bereitwillig aufgeben, weil der Druck zu groß geworden war?

Das habe ich mir erst später eingestanden. Ich dachte ja immer, all die Kritik, die Häme, die Hetze, der Hass und die persönlichen Beleidigungen berühren mich nicht. Das stecke ich einfach weg. Nur leider stimmte das nicht. Mich ließ nicht alles kalt, was über mich gesagt oder geschrieben wurde. So richtig klar wurde mir das wohl erst während der Reha. Aber der Wunsch nach Veränderung war vorher schon da.

Ihre Krankheit fiel in eine politisch heiße Phase. Die Bundestagswahl war zwar gewonnen, aber die CDU steckte mitten in den Jamaika-Verhandlungen. Einen schlechteren Zeitpunkt hätten Sie sich kaum aussuchen können …

Ich hatte eine andere Wahrnehmung. Es stand ja bereits fest, dass ich nicht Generalsekretär bleibe. Angela Merkel war wiedergewählt worden, das war meine Hauptmission. Jetzt wollte ich die Koalitionsverhandlungen nur noch gut zu Ende bringen. Ich sagte mir immer wieder: Das ist nur noch eine Frage der Zeit, dann bin ich raus. Dann habe ich es, wenn auch mit einigen Blessuren, durchgestanden. Innerlich war ich erleichtert – und dann kam meine Erkrankung.

Nachdem Sie zweimal innerhalb kurzer Zeit im Krankenhaus gelandet sind, haben Sie sich entschieden, einen Teil des Darms entfernen zu lassen. Es kam zu Komplikationen, eine Notoperation wurde angesetzt. Wie nah waren Sie dem Tod?

So genau habe ich das den Arzt nie gefragt, aber es waren wohl Stunden. Am dritten Tag nach der ersten Operation wurden meine Schmerzen immer schlimmer. Obwohl die Dosis an Schmerzmitteln erhöht wurde, hielt ich es irgendwann nicht mehr aus. Eine halbe Stunde später stand der Arzt, der mich operiert hatte, in Straßenklamotten an meinem Bett. Da war mir klar, es ist ernst. Sterben war plötzlich im Bereich des Realistischen.

Haben Sie bewusst losgelassen?

Ich wusste, ich hab es nicht mehr in der Hand. Ich habe den Ärzten vertraut. Gleichzeitig ging mir durch den Kopf: Wenn der liebe Gott andere Pläne hat, dann soll es so sein. Auch nach der OP gab es Momente, in denen ich nicht wusste, ob meine Kraft ausreicht. Das waren stille Augenblicke. Doch da ich grundsätzlich ein fröhlicher Mensch bin, habe ich mich an kleinen Dingen aufgerichtet: das erste Mal an der Bettkante aufsitzen, das erste Mal mit dem Rollator zum Waschbecken gehen.

Vor der Not-OP haben Sie Ihre Mutter angerufen. Was sagt man in so einem Moment?

Das war eine skurrile Situation. Mir war schon eine Magensonde gelegt worden. Ungeübt hat man damit eine ganz komische Stimme. Meine Mutter würde sich natürlich Sorgen machen, wenn ich kurz vor Mitternacht aus dem Krankenhaus anrufe. Da wollte ich wenigstens möglichst normal klingen. Doch die Ärzte wollten die Sonde natürlich nicht noch mal entfernen. Ich möchte nicht wissen, wie es meinen Eltern in der Nacht ging. Sie haben sich wahrscheinlich mehr Sorgen gemacht als ich.

Sie sind Christ. Hat Ihnen das geholfen?

Ich konnte die Situation zumindest annehmen, ohne zu hadern. Da hat mir mein Glaube geholfen.

Hatte Ihre Lage auch etwas Befreiendes?

Durch die Krankheit war ich gezwungen, mich auf mich selbst zu konzentrieren. Immer waren andere Dinge wichtiger, hier eine E-Mail, dort ein Rückruf. Es war bequemer, sich mit den Problemen anderer zu beschäftigen, als mit mir selbst. Ich dachte, ich muss einfach nur durchhalten – und für eine lange Zeit ging das ja auch gut. Erst als ich im Krankenbett lag, auf dem Weg der Besserung, konnte ich mich ernsthaft fragen: War ich eigentlich zufrieden und glücklich? War das gesund, wie ich gelebt habe?

Seit wann sind Sie gläubig?

Seit ich ein kleines Kind war. Wenn ich bei meiner Oma übernachtet habe, hat sie mit meinen Geschwistern und mir gebetet und manchmal etwas aus der Bibel erzählt. Später hat es mich immer wieder in die Kirche gezogen, auch wenn ich kein durchgängig guter Kirchgänger war oder bin. Ich hatte das Glück, mich nie mit einem großen Problem an Gott wenden zu müssen. Meine Kindheit war eine behütete. Beruflich habe ich meine Ziele fast immer erreicht. Wenn ich mit Gott in Berührung kam, habe ich die Gelegenheit genutzt, ihm Danke zu sagen.

Nun spürte ich, Gott ist auch da, wenn es schlecht läuft. Das war eine gute Erfahrung.

Hat sich Ihre Beziehung zu Gott dann durch die Krankheit verändert?

Meine Erkrankung hat zum Glück nicht dazu geführt, dass ich gehadert oder meinen Glauben verloren habe. Aber mein Blick hat sich verändert. Bis zu diesem Zeitpunkt hat mir der Glaube geholfen, demütig und dankbar zu sein für alles, was ich im Leben erfahren durfte. Nun spürte ich, Gott ist auch da, wenn es schlecht läuft. Das war eine gute Erfahrung.

Sie haben unter anderem Kraft in Kirchenliedern gefunden. Liegt Ihnen eines besonders am Herzen?

Ich finde es toll, wenn Menschen singen und musizieren. Leider bin ich selbst ganz schrecklich unmusikalisch. »Von guten Mächten« von Dietrich Bonhoeffer ist für mich ein wichtiger Text. Und »Nun danket alle Gott« ist für mich eines der schönsten Lieder überhaupt. Daraus spricht eine Grundhaltung, die ich mir für mein Leben bewahren möchte: dankbar zu sein, für das, was man hat. Diese Dankbarkeit macht einem das Leben sehr viel leichter.

Sie haben sich die Koordinaten Ihrer Heimatkirche auf den rechten Unterarm tätowieren lassen. Wie kamen Sie auf die Idee?

Eigentlich war ein Tattoo für mich nie ein Thema. Der Wunsch entstand aus dem Impuls heraus, dass sich etwas in meinem Leben ändern muss. Diese Veränderung wollte ich sichtbar festhalten. Gestochen wurde das Tattoo übrigens schon kurz vor meiner Erkrankung. Ich wollte kein Allerweltssymbol. Auch nichts, was ich nur cool finde, einen Star-Wars-Fighter oder so. Es sollte eine Symbolik sein, dir mir wirklich was bedeutet. Eine Bekannte hatte sich die Geodaten eines für sie wichtigen Ortes auf das Handgelenk tätowieren lassen. Mir gefiel die Idee. Also habe ich überlegt, welcher Ort mir viel bedeutet. Schnell bin ich bei meiner Kirche in Gelnhausen gelandet, der Marienkirche. So trage ich immer die beiden wichtigsten Koordinaten in meinem Leben bei mir: den lieben Gott und meine Heimatstadt.

Bleibt es bei dem einen Tattoo?

Inzwischen habe ich ein zweites, ein Jerusalemkreuz auf der linken Wade. Jetzt trage ich auf jeder Körperhälfte eine Tätowierung. Das reicht erst mal.

Heute arbeiten Sie als Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Das klingt nach Karriererückschritt.

Klar, es gibt nur einen Generalsekretär, aber ganz viele Staatssekretäre. Ich denke aber in anderen Kategorien: Ich habe noch nie ein politisches Amt gehabt, das mir so viel Freude und Genugtuung verschafft hat. Ich bin ja selbst Reserveoffizier und lerne viele Soldaten und zivile Mitarbeiter der Bundeswehr kennen. Die haben es alle verdient, dass man sich von ganzem Herzen für sie einsetzt. Ich bekomme viel Wertschätzung zurück.

Ein klassischer Neuanfang sieht anders aus. Haben Sie nicht Hamsterrad gegen Hamsterrad getauscht?

Ich bin immer noch in einem Hamsterrad, ja. Das Arbeitspensum ist vergleichbar hoch, die Verantwortung eher größer geworden. Was ich früher als unangenehm empfunden habe, war die permanente öffentliche Bewertung meiner Person. Das mediale Interesse an mir ist geringer geworden. Das empfinde ich als positiv. Außerdem kann ich jetzt frei entscheiden, ob ich Lust habe, mit einem Journalisten über ein Thema zu reden. Als Generalsekretär konnte ich mir selten ein Nein erlauben. Mir aussuchen zu können, worüber ich sprechen möchte, und nicht mehr ständig in der Öffentlichkeit zu stehen, das ist für mich eine wirklich krasse Veränderung, ein Befreiungsschlag.

Gestehen Sie sich Schwächen heute eher zu?

Meine Mitarbeiter kennen meine Geschichte und achten daher auch anders auf mich. Da bekomme ich schon mal zu hören: »Herr Staatssekretär, es wäre gut, wenn Sie am Wochenende mal nichts machen.« Das empfinde ich als fürsorglichen Ratschlag. Einen Tag in der Woche versuche ich mir freizuhalten, in der Regel den Sonntag.

Wenn morgen Ihr letzter Tag wäre, was würden Sie tun?

Ich würde den Tag auf jeden Fall in meiner Heimat Gelnhausen verbringen. Da ich sehr gerne Kuchen esse, würde ich wahrscheinlich die Menschen, die mir wichtig sind, zu Kaffee und Kuchen einladen. Und ich würde noch mal in die Kirche gehen. Später würde ich mich nach draußen setzen und die Welt noch einmal auf mich wirken lassen. Das würde mir reichen.

Wären Sie zufrieden mit dem, was Sie bis hierhin geleistet haben?

Bilanz habe ich schon vor zwei Jahren während meiner Krankheit gezogen. Ich habe in den mehr als vierzig Jahren viele krasse, tolle und wunderschöne Dinge erlebt, trotz allem Ärger. Mein Leben war ausgefüllt. Sicher gibt es noch Dinge, die ich gerne tun würde, aber das liegt nicht in meiner, sondern in Gottes Hand.

Peter Tauber

Peter Tauber

Historiker, Reserveoffizier, Christ – mit diesen drei Worten beschreibt sich Peter Tauber (45) selbst. Als junger Mann trat er der CDU bei und legte eine steile politische Karriere hin. Er war Landesvorsitzender der Jungen Union Hessen, schaffte den Sprung in den Bundestag und bekleidete mehr als vier Jahre lang das Amt des Generalsekretärs. Eine schwere Krankheit, die für ihn fast tödlich endete, warf ihn aus der Bahn. Darüber hat Tauber ein Buch geschrieben: »Du musst kein Held sein«. Heute arbeitet er als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung.