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Jochen Mai

Wie viel Wildheit braucht die Wirtschaft, Herr Karriereguru?

Wie finden Firmen die heißbegehrten Fachkräfte? Wie hält man gute Mitarbeiter? Und wie verschafft man sich in der Flut an Angeboten Gehör beim Kunden? Antworten weiß ­Jochen Mai, ­einer der renommiertesten Experten in Sachen Karrierefragen und Social Media.

Simon Jahn
Simon Jahn
9 min

Herr Mai, Sie sind einer der gefragtesten Experten rund um Karriere und Social Media. Haben Sie alles richtig gemacht in Ihrer Karriere?

Wahrscheinlich nicht, aber im Nachhinein bin ich auch nicht unglücklich damit, weil man ja aus Fehlern genauso lernt. 

Auf Instagram haben Sie kürzlich gepostet: »Nur wer sich traut, im großen Stil zu scheitern, kann auch im großen Stil Erfolg haben.« Sind Sie selbst schon mal groß gescheitert?

Nein, das liegt aber vielleicht daran, dass ich versuche, stets aus allem das Beste zu machen. Am Ende gewinnt ja nicht der Cleverste, sondern derjenige, der am anpassungsfähigsten ist. Oder – ganz salopp formuliert – derjenige, der aus Scheiße Gold machen kann.

Wichtiger als PR und Marketing sind Beziehungen und Netzwerke.

Ist diese Fähigkeit auch das, was einen im Beruf erfolgreich macht?

Die ultimative Glücksformel gibt es leider nicht. Aber ein paar goldene Regeln kann man befolgen. Erstens: Vermeide den Tunnelblick und schaue auch am Wegesrand nach Chancen, die sich bieten. Zweitens: Bewahre dir den Mut, Dinge zu wagen. Drittens: ­Setze dir klare und eigene Ziele – nur dann kannst du auch eigene Erfolge feiern. Viele Leute verlieren sich im Klein-Klein des Alltags und haben dadurch kein großes Ziel vor Augen. Viertens – mein persönlicher Lieblings­leitsatz: Wer etwas will, findet Wege; wer etwas nicht will, findet Gründe. Also finde Wege, deine Ziele zu erreichen. Denn: Das Geschäftsmodell mit dem du als Selbstständiger beginnst, ist selten das, mit dem du endest. Und fünftens: Verfalle nicht in einen Beliebtheitswettbewerb. Gerade junge Leute ­messen ihren Erfolg an ihrer Beliebtheit und der Anzahl ihrer Follower oder den positiven Reaktionen in den sozialen Medien. Fehler! Klüger ist die ­Haltung, zu akzeptieren, dass nicht alle immer mögen, was du denkst, sagst und tust. Du kannst es sowieso nicht sieben Milliarden Menschen recht machen.

Sind wilde Querdenker im Copy-Paste-Zeitalter in Unternehmen überhaupt noch gefragt?

Ja und nein. Nach außen werden sie natürlich gesucht. Nach innen eher nicht. Dort sind sie selten beliebt, denn Querdenker provozieren und polarisieren – sie sind ein Störfaktor. Dabei sind sie wirklich nützlich und wichtig. Ich hatte mal einen Chefredakteur, der seine Aufgabe darin sah, ein Störfaktor in der Redaktion zu sein. Und tatsächlich hat er das Heft regelmäßig durcheinander gewirbelt, was für uns echt anstrengend war. Aber so hat er viele innovative Kräfte freigesetzt und es wurde letztlich immer besser. Das Querdenken darf aber nicht zum Selbstzweck werden, sonst wird aus dem Querdenker ein Störenfried.

Unternehmen klagen über Fachkräftemangel. Um neue Mitarbeiter zu gewinnen, braucht es deshalb heute auch neue, unkonventionelle Wege. Welche Entwicklungen beobachten Sie diesbezüglich?

Unternehmen öffnen sich immer mehr den sozialen Medien, um Fachkräfte zu gewinnen. Das reicht von Videoposts auf Facebook bis hin zu Twitter-Jobmessen – wobei die Hälfte der Recruiting-Videos ziemlich peinlich ist. Ein anderer Trend ist, auf das Anschreiben in den Bewerbungsunterlagen zu verzichten, weil es für viele Bewerber eine Hürde darstellt. Das machen Firmen einerseits aus Verzweiflung. Zum anderen wollen sie sich dadurch besonders modern geben. Ich bin aber kein Fan dieser Entwicklung, denn das Anschreiben ist das Einzige, womit sich gerade Berufseinsteiger von der Masse abheben können. Ihre Lebensläufe unterscheiden sich ja kaum, wie auch zu Beginn einer Laufbahn? Bei der 45-jährigen Führungskraft ist das natürlich etwas anderes.

Was raten Sie Firmen, die Mitarbeiter suchen?

Die Diskussionen, welchen Trends man folgen sollte, halte ich für reine Kosmetik. Wenn man ein kleines Unternehmen aus einem Kaff ist, macht einen ein Facebook-Video auch nicht interessanter. Arbeitgeber ­sollten sich lieber überlegen, wie sie sich ehrlich präsentieren und attraktiver machen können. Also zum Beispiel: Welche Aufstiegschancen und Gehaltsanreize kann ich Fachkräften bieten? ­Welche Auslandseinsätze sind bei mir als international agierendem Mittelständler möglich? Ein ­hipper Instagram-Account der Firma macht den eigentlichen Job am Ende nicht attraktiver – und das wissen kluge Bewerber auch.

Wie viel Prozent des Erfolgs eines Unternehmens macht heute die richtige PR-Strategie aus?

Wichtiger als PR und Marketing sind Relations – also Beziehungen und Netzwerke. Auch Glaubwürdigkeit und Transparenz gewinnen mehr an Bedeutung. Das Internet offenbart schließlich an vielen Stellen, etwa durch Kundenstimmen und Kommentare früherer Mitarbeiter, wie man wirklich ist. Da nützt noch so viel Schminke nichts. Das ist aber auch eine Chance, weil es einem den Spiegel vorhält. So kann man an der wahren Substanz arbeiten und sich verbessern.

Sobald Profit ins Spiel kommt, setzen Moral, Ethik und gesunder Menschenverstand leider oft aus.

Im Marketing werden gern mal Schamgrenzen überschritten, um Auf­merksamkeit zu erzielen. Ich denke da beispielsweise an den Auto­vermieter Sixt. Braucht es das heute, um sich in der Informations­flut noch Gehör zu verschaffen?

Natürlich versuchen immer mehr Firmen, ihre Reichweite, Aufmerksamkeit und Attraktivität zu steigern. Aber niemand kann diese Informationsflut noch erfassen. Eine Strategie kann sein, lauter zu schreien als alle anderen – oder genau das Gegenteil. Derjenige, der in all dem Getöse etwas wirklich Relevantes anbietet, wird vielleicht nicht sofort gehört, aber er baut durch Mundpropaganda und Markenbotschafter darauf, sich durch Qualität langfristig durchzusetzen. Der Sixt-Werbung kann ich durchaus etwas abgewinnen: Manchmal ist sie überzogen, oft aber amüsant und clever. Nur: Wenn man so auf den Putz haut, muss man am Ende auch liefern. Ich habe mich in der Vergangenheit oft für andere Anbieter entschieden, weil mir Sixt zu teuer war. Da nutzt das krawalligste Marketing auch nichts. 

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Coaches sprießen derzeit nur so aus dem Boden – Ernährung, Fitness, Karriere – aber auch im Unternehmensbereich. Wissen wir selbst nicht mehr, was gut für uns ist?

Den externen Berater gab es aber auch früher schon. Er spiegelt dem Unternehmen aus neutraler Perspektive, was es durch eine gewisse Betriebsblindheit selbst nicht mehr wahrnimmt. Ausgelöst durch das Internet, das die Markteintrittsbarrieren für Coaches, Trainer, Speaker, Berater gesenkt hat, kann sich aber heute auch jeder im Web scheinbar leicht zur Marke und selbstständig machen. Darum wollen gerade so viele Leute Travel-Blogger, Influencer, Instagram- und Youtube-Star oder ­Social-Media-Berater werden – am besten in Personalunion. Und durch Webinare, E-Books und Workshops kann man anderen diesen Traum auch noch verkaufen, um so den eigenen zu finanzieren. Ich bezweifle aber, dass viele wirklich so erfolgreich sind, wie sie sich nach außen hin geben.

Die Sensibilität der Verbraucher hinsichtlich ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit ist enorm gestiegen. Wie lange können es sich Unter­nehmen noch leisten, Profit auf dem Rücken Schwächerer zu machen?

Wahrscheinlich noch lange, weil trotz gestiegenem Bewusstsein nach wie vor zu wenige Verbraucher ihre Kaufentscheidung nach nachhaltigen Kriterien treffen – viele auch einfach deshalb nicht, weil sie es sich finanziell nicht leisten können.

Aber sind nicht die Unternehmen selbst gefordert, sich zu ­ändern?

Das ist eine moralische Frage. Natürlich sind sie das, genauso, wie wir alle in der Pflicht stehen, unseren Kindern eine gesunde Welt zu hinterlassen. Aber sobald Profit ins Spiel kommt, setzen Moral, Ethik und der gesunde Menschenverstand leider häufig aus. Die üblichen Rechtfertigungsmuster laufen doch so: »Wenn ich Milliarden verdiene, indem ich zwar den Planeten ausbeute, aber dabei Arbeitsplätze schaffe, ist das doch okay.« Unternehmen sind gewinnorientierte Organisationen – nicht die Wohlfahrt. Sie nutzen Arbeitskräfte oder Ressourcen, um den Profit zu steigern. Da kann man nur schwer von ihnen verlangen, umzudenken. Das Dilemma lässt sich meiner Meinung nach nur durch die Kaufentscheidungen der Verbraucher oder durch politische Rahmenbedingungen lösen.

Gerade Jungunternehmer und Start-ups haben keine Lust mehr auf alteingesessene Arbeitsmodelle, Konventionen und Dress­codes. Wie viel Anpassung braucht es, um erfolgreich zu sein?

Einem jungen Start-up wird natürlich zugestanden, locker und wild zu sein. Da schielt so mancher Großkonzern ­neidisch drauf. Je mehr sich ein Unternehmen aber etabliert, umso mehr Anpassung ist auch nötig, um Geschäfte zu ­machen. Dann zieht man als Gründer eben doch mal wieder den Anzug an, um Vertrauen und Glaubwürdigkeit bei Geschäftspartnern und ­Entscheidern herzustellen.

Je mehr sich ein Unternehmen etabliert, umso mehr Anpassung ist auch nötig.

Kickertisch, Wellness-Lounges, Bällebäder – immer mehr Unternehmen implementieren eine Wohlfühl- und Spaßkultur. Sehen die Büros der Zukunft eher wie Spielplätze aus?

Das Vorbild dafür sind große Firmen aus den USA. Zum Beispiel Google: Allein deren Räume in Zürich sind die reinste Spaßinsel. Da gibt es Fitnesscenter, Spielezimmer und gratis Essen auf Sterne-Niveau vom Frühstück bis zum Dinner. Neue Mitarbeiter bekommen ein Mountainbike geschenkt. Man kann es sich von morgens bis abends gutgehen lassen. Was Google da gebaut hat, ist eine Art goldener Käfig – eine subtile Architektur, um Mitarbeiter noch länger im Büro zu halten. Wobei den Leuten dort ihr Job größtenteils wirklich Freude macht. Durch die Arbeitsatmosphäre entsteht ein ganz anderer Austausch unter den Kollegen, der motiviert und innovative Ideen freisetzt. Andere Firmen schauen sich nur die Bällebad-Architektur ab. Was weiterhin fehlt, ist der attraktive Job. Und wenn die Motivation nicht von innen kommt, macht zwar das Kickern Spaß, der Job bleibt aber dröge. Eine frustrierte und unzufriedene Belegschaft kann nicht erfolgreich sein, weil sie sich nicht gegenseitig inspiriert und ­beflügelt.

Wenn Firmen nach der Arbeit noch Aktivitäten für die Mitarbeiter anbieten, kommen Freunde und Familie zwangsläufig kürzer. Keine gute Entwicklung für unsere Gesellschaft, oder?

Stimmt. Wenn man immer mehr Zeit im Unternehmen und weniger mit Freunden und Familie verbringt, hat das etwas von einer Sekte, die einen auch vom eigenen sozialen Umfeld isolieren will. Damit will ich natürlich nicht sagen, dass Google und Co. Sekten wären. Ich bin auch kein Fan davon, Unternehmen hierfür in die Verantwortung zu nehmen. Es liegt zuerst einmal in der Verantwortung jedes Einzelnen, bewusst Feierabend zu machen, das Handy abzuschalten und sich für Freunde und Familie Zeit zu nehmen. Solche Grenzen bewusst zu setzen, müssen wir angesichts der permanenten Erreichbarkeit wieder stärker lernen.

Nochmal zurück zu Ihnen: Haben Sie als erfolgreicher »Bibelautor« einen besonderen Draht nach oben?

Ich bin zumindest überzeugter Christ – und lebe danach. Ich spreche täglich mit Gott, mein Draht nach oben ist aber sicher nicht besser oder schlechter als der anderer Christen. Der Titel »Karrierebibel« entspricht aber nur einer Gattungsbezeichnung. Das Buch enthält nicht etwa »Gottes offenbarte Wahrheit und Weisheit für deine Karriere«, sondern von einem Journalisten gesammelte und sinnvoll aufbereitete Erfahrungen und Erkenntnisse, wie man erfolgreich wird.

Wenn Sie diese Offenbarung doch noch bekommen, sollten wir uns unbedingt noch einmal zum Gespräch verabreden …

Jochen Mai

Jochen Mai

Millionen Menschen vertrauen seiner ­Expertise, wenn es ums Karrieremachen geht. Rund 180 000 Klicks verzeichnet das von ihm 2007 gegründete Portal ­karrierebibel.de am Tag – nur ein Meilenstein in der Vita von Jochen Mai (50). Der Bestsellerautor arbeitete viele Jahre auch in verantwortlichen Positionen bei der WirtschaftsWoche und bei Yello Strom. Als Fachmann für Karrierefragen, Social Media und Corporate Blogs ist der Diplom-Volkswirt ein gefragter Berater, Coach, Dozent und Keynote-Speaker. Mai lebt bei Köln, ist verheiratet und hat zwei Kinder.