Yannik Michael
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Rebecca Kazav

Wie wichtig ist Erfolg?

Die Modebranche ächzt unter den Nachwehen der Coronapandemie, etliche Brands mussten aufgeben. Die Marke Mustang hingegen schaffte 2022 sogar eines ihrer umsatzstärksten Jahre. CSO Rebecca Kazav über den Erfolgsfaktor Zusammenhalt, transparente Führung und christliche Werte als Anker.

Simon Jahn
Simon Jahn
10 min

Über Rebecca Kazav gäbe es mindestens zwei ausführliche Geschichten zu erzählen. Eine über das junge Mädchen, das sich schon ab dem Kindesalter mit Leidenschaft in der Jugendarbeit engagiert, in Zeltlagern mitarbeitet und als Teenager mit der Band »Normal Generation?« einen Senkrechtstart hinlegt. Es folgen Plattenvertrag, vier Alben, Chartsplatzierungen, Touren durch Europa, Auftritte beim Vorentscheid zum Eurovision Song Contest und bei Stefan Raabs Kultshow TV Total. Die andere Story über die junge Frau, die nach dem Wirtschaftsstudium einen Job bei Mustang Jeans angeboten bekommt und in dem Traditionsunternehmen mit knapp siebenhundert Mitarbeitern und Tochtergesellschaften in drei Ländern eine Bilderbuchkarriere hinlegt. Inzwischen ist sie der Firma seit siebzehn Jahren treu und verantwortet als CSO den gesamten Vertrieb. Dabei wollte sie die Beförderung in die Geschäftsleitung eigentlich wieder zurückgeben. Denn kurz nach dem entsprechenden Angebot des CEO bemerkte sie, dass sie zum zweiten Mal schwanger war, was sie diesem in aller Offenheit darlegte. Doch der sah darin keinen Hinderungsgrund. Wir treffen Rebecca in ihrem Office in der einstigen Fassfabrik in Schwäbisch Hall, dem Hauptsitz des Unternehmens. Sie ist erneut schwanger. Rebecca trägt keine Jeans, denn eine Umstandskollektion führt die Marke nicht. Aber die Jeansjacke im Kimonostyle, ihr aktuelles Lieblingsteil von Mustang, darf auch bei sommerlichen Temperaturen nicht fehlen.

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Mustang war von Beginn an innovativ unterwegs: erste Denim in Europa, erste Frauenjeans, erste Stretchjeans …

… und wir hatten vor über neunzig Jahren schon eine Frau als Gründerin – allein das war schon fortschrittlich. Luise Hermann begann in ihrem Wohnzimmer mit sechs Nähmaschinen, um ihren Mann in der Wirtschaftskrise zu unterstützen, als dessen Holzunternehmen nicht florierte. Nach dem zweiten Weltkrieg ergatterte sie im Tausch gegen sechs Flaschen selbstgebrannten Schnaps von den nahe stationierten GIs sechs blaue Cowboyhosen. Aus diesen Mustern entwickelte sie die ersten Mustang-Jeans. 

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Auf »Moodboards« werden anhand von Fotos und Farbmustern Stimmungen und Eindrücke eingefangen. Diese bilden die Basis für die Entwicklung neuer Kollektionen.

Pioniergeist ist auch einer Eurer vier Unternehmenswerte – wie drückt sich der heute bei Euch aus?

Wir nehmen unsere Geschichte als Ansporn. Mustang ist kein High-Fashion-Brand, sondern eine Marke der Mitte. Aber wir sind Denim-Spezialisten. Da setzen wir an. Zum Beispiel haben wir als eine der ersten Firmen Stretchstoff eingesetzt, der vierdimensional elastisch ist. Wir haben auch Denims ausgetestet, für deren Herstellung es kein Wasser braucht. Darüber hinaus wollen wir fortschrittlich im Umgang mit unseren Mitarbeitern sein. Wir haben etwa im Salesteam eine Abteilung, die komplett mit Müttern besetzt ist, die sich die Arbeit im Jobsharing-Modell teilen. Selbst die Abteilungsleitung arbeitet dort in Teilzeit. Wir sind auch komplett auf Mobile Work umgestiegen. Letztlich ist es uns egal, von wo aus jemand arbeitet, solange das Ergebnis stimmt. Auch bei den Arbeitszeiten sind wir sehr flexibel. Wo möglich, können Mitarbeiter ihre Stunden so verteilen, dass sie sich eine Viertagewoche schaffen. Das testen wir sogar in den Stores aus. Letztendlich wollen wir den Mitarbeitern so weit wie möglich entgegenkommen. Nur wenn es ihnen gut geht, können sie auch im Job ihre beste Leistung bringen. Und das dient letztlich dem Ergebnis.

Für diese Entwicklung war die Coronapandemie sicher ein ziemlicher Treiber …

Auf jeden Fall. Im Zuge der Coronakrise mussten wir alle Stores schließen und konnten nur noch über unseren Onlineshop und Partnershops aus dem Onlinehandel verkaufen. Dadurch ist uns der Umsatz komplett weggebrochen. Also haben wir unsere Mitarbeiter in Windeseile in die Kurzarbeit geschickt – nicht alle zu hundert Prozent, denn wir mussten ja einen Notbetrieb aufrechterhalten: Abrechnungen, Lohnbuchen, Onlinebereich liefen ja weiter. So hat sich Mobile Work bei uns schnell etabliert und wir haben gemerkt: Es geht ohne Probleme. Wenn ich überlege, dass ich früher beispielsweise für eine Stunde Mietvertrags-Verhandlungen extra nach Hamburg gefahren bin – das würde heute keiner mehr machen, weil es genauso gut digital funktioniert. Meine Reisetätigkeit hat sich locker um fünfzig Prozent reduziert. 

Wie habt Ihr es geschafft, Eure Mitarbeiter zu halten, obwohl die Geschäfte dicht waren? Im Gastgewerbe beispielsweise fehlt ja heute an allen Ecken und Enden Personal.  

Unser CEO hat von Beginn an klargemacht: »Wir gehen zusammen in diese Krise. Und entweder wir kommen da alle gemeinsam wieder raus oder nicht.« Das hat viel Vertrauen in der Belegschaft geschaffen. Wir haben auch die gesamte Zeit über den Mitarbeitern die aktuelle Lage sehr transparent kommuniziert: Wo stehen wir? Was sind die kritischen Punkte? Wie weit reicht unsere Liquidität noch? Welche Maßnahmen ergreifen wir? Das hat vielen die Unsicherheit genommen. Auch unsere Partner, Lizenznehmer und Lieferanten haben wir regelmäßig auf dem Laufenden gehalten. So haben sich die Leute weiterhin als Teil des großen Ganzen empfunden und fühlten sich wertgeschätzt. Letztlich hat uns die Krise so noch mehr zusammengeschweißt.

Entweder wir kommen alle gemeinsam durch die Krise oder nicht.

Wie bringt Ihr Wirgefühl und das Streben nach Erfolg zusammen?

Wir sind überzeugt davon, dass wir dann erfolgreich sind, wenn es den Mitarbeitern gut geht. Wir sind aber kein Kuschelclub. Letztendlich befindet sich unsere Branche in einer schwierigen Situation: Die Leute geben weniger Geld für Kleidung aus, weil sich andere Dinge verteuert haben. Und sind wir mal ehrlich: Unsere Kleiderschränke sind voll. Wir brauchen keine neuen Jeans, sondern kaufen sie uns, weil eine neue Form in ist oder weil wir eine andere Waschung haben wollen. Darum ist es für uns eine herausfordernde Zeit. Wir haben uns eine Strategie und klare Ziele gesetzt und arbeiten auf ein nachhaltiges Wachstum hin. An diesen Zielen werden sowohl wir im Führungsteam als auch unsere Mitarbeiter gemessen. Trotz dieser Umstände haben wir 2022 aus der Krise heraus den höchsten Umsatz der letzten zwanzig Jahre gemacht. Und das in einem Jahr, in dem zahlreiche Modeunternehmen, darunter Peek & Cloppenburg,
Galeria Kaufhof Karstadt und Reno, in die Insolvenz gegangen sind. Unseren Erfolg haben wir mit harter Arbeit erreicht, aber wir haben den Leuten auch das richtige Umfeld geschaffen, um das zu leisten. Und weil es so gut gelaufen ist, hat jeder Mitarbeiter einen Bonus erhalten. Wir teilen Herausforderungen ebenso wie Erfolge. 

Sie haben selbst eine Erfolgsgeschichte bei Mustang hingelegt, haben sich vom Studium bis zur CSO hochgearbeitet. Wie wichtig ist Ihnen die Karriere?

Erfolg ist nicht mein Antrieb. Wenn ich etwas mache, dann will ich es richtig machen. Ich möchte da, wo ich bin, wirksam sein. Das zieht letztlich dann Erfolg nach sich. 

Mir geht es letztlich immer darum, Menschen in ihre Berufung zu bringen.

Da scheinen Sie eine Menge richtig gemacht zu haben …

Oft waren es vielmehr Möglichkeiten, die mir eröffnet wurden. Mustang sponserte unserer Band damals die Klamotten für die Auftritte. So kam es, dass der Enkel der Gründerin auf mich zukam und fragte, ob ich nicht im Unternehmen meine Masterarbeit schreiben und anschließend bleiben möchte. An den Wochenenden könne ich weiterhin meine Auftritte wahrnehmen. Das ist jetzt siebzehn Jahre her. In denen bekam ich immer wieder das Vertrauen entgegengebracht, eine Stufe höher zu gehen – obwohl ich manches Mal nicht mal die nötigen Voraussetzungen hatte. Als mir der damalige CEO etwa anbot, den kompletten Retail zu übernehmen, zählte ich ihm auf, was mir dafür alles fehlt. Er fragte nur: »Und was kannst du?« Da konnte ich schon ein paar Dinge nennen. »Das langt«, meinte er. »Den Rest bringen wir dir bei.« So wurde ich manches Mal ins kalte Wasser gestoßen – und bin immer daran gewachsen. Nach diesem Prinzip arbeite ich heute auch. Ich fördere Leute, gebe ihnen Verantwortung, auch wenn sie vielleicht noch nicht ganz so weit sind. Aber ich bleibe an ihrer Seite und begleite sie auf dem Weg.  

Was hat Ihnen auf dem Weg geholfen?

Ich bin jemand, der sich immer hinterfragt und sich nie auf dem Erreichten ausruht. Dafür hole ich mir regelmäßig Feedback ein: Was können wir noch besser machen? Auch Demut tut gut – gerade in unserer lauten Branche, wo es ums Äußere geht. Sich da selbst nicht zu wichtig zu nehmen – auch vor den eigenen Mitarbeitern –, das finde ich essenziell. Als jemand, der an den Gott der Bibel glaubt, prägen auch die christlichen Werte meine Führung: echtes Interesse am anderen, Nächstenliebe und Authentizität. Ich missioniere niemanden, sondern lebe lieber vor. 

Sie haben schon früh eine Leidenschaft dafür entwickelt, sich in andere Menschen zu investieren. Sehen Sie das als Ihre Berufung?

Mit sieben brachte ich in einem Zeltlager, das meine Mutter leitete, Kindern ab zehn Jahren Tanzen bei. Davon ausgehend hat es mich in die Jugendarbeit gezogen – bis hin zu der Zeit mit »Normal Generation?«, wo wir auch besonders die Jugendlichen erreichen wollten. Was ich damals gelernt habe, hilft mir noch heute. Ich habe nie beigebracht bekommen, wie man in einem Unternehmen führt. Aber egal ob in der Jugendgruppe oder im Business – Menschen bleiben Menschen und haben die gleichen Bedürfnisse. Und so geht es mir letztlich immer um die Menschen und darum, sie in ihre Berufung zu bringen. Ich begleite sie ein Stück ihres Weges, und wenn sie mich irgendwann überflügeln, habe ich alles richtig gemacht. Das war schon immer meine Motivation. Und das spüren die Leute auch und können es dann selber weitergeben.

Was sind Ihre wichtigsten Führungsprinzipien?

Für den Menschen zu sein. Aber auch echte Klarheit in der Führung. Mir geht es nicht darum, dass sich jeder nur wohlfühlt. Wir haben in der Firma Ziele zu erreichen und auf die sind wir alle ausgerichtet, die muss jeder kennen – von der Reinigungskraft bis hin zum CEO. Diese Ziele klar zu definieren und dazu regelmäßig Feedback zu geben, ist die Aufgabe von uns Führungskräften. Vision, Mission und Strategie müssen greifbar sein und auf die Fachbereiche bis hin zum einzelnen Mitarbeiter runtergebrochen werden. Wenn man dem dafür das passende Umfeld schafft, kann es eigentlich nur nach vorn gehen. 

Wie gehen Sie mit schwierigen Mitarbeitern um, die auf diesem klar definierten Weg ausscheren? 

Wenn jemand die vorgegebenen Ziele nicht erreicht, schaue ich zuerst: Woran liegt es? Passen die Ziele für ihn nicht? Wäre er vielleicht in einem anderen Bereich in der Firma besser aufgehoben? Wir hatten beispielsweise einen Store-Manager, der von den Kollegen als extrem anstrengend empfunden wurde. Er war jemand, der es sich nicht bequem machte, sondern immer wieder Dinge sah und ansprach, die man besser machen könnte. Mich interessierte darum, was ihn antreibt. So nahm ich mir Zeit, ihm genau zuzuhören und merkte, dass er in vielen Punkten recht hatte. Heute führt dieser Mann unseren gesamten internationalen Retail operativ und hat eine Umsatzverantwortung von rund fünfzig Millionen Euro. Er konnte richtig aufblühen. Aber natürlich gibt es auch Fälle, in denen wir uns von Mitarbeitern verabschieden müssen, wenn es einfach nicht passt.  

Als jemand, der ein Herz für die Jugend hatte: Was braucht es für die nachfolgenden Generationen, um sie gut zu führen? 

Für junge Leute zählt immer mehr das Thema Purpose. Du musst ihnen die Möglichkeit geben, mit ihrem Job etwas zu bewirken. Sie wollen Nachhaltigkeit – und das zu Recht. Die Bekleidungsbranche ist nach Öl die dreckigste. Da gibt es noch viel zu tun. Mit Mustang waren wir da lange Zeit hinterher, aber wir haben uns mit dem Thema intensiv auseinandergesetzt und 2019 ein Corporate Responsibility Board gegründet. Seitdem haben wir einiges auf den Weg gebracht und sind inzwischen im guten Mittelfeld angekommen. Wir nutzen etwa seit 2023 zu hundert Prozent nachhaltige Baumwolle. Zudem haben wir uns der Business Social Compliance Initiative (BSCI) angeschlossen und haben uns zum Ziel gesetzt, nur in Fabriken mit hohem BSCI-Ranking zu produzieren.   

Was ist mit der viel zitierten Work-Life-Balance?

Auch die spielt für junge Leute eine große Rolle. Sie geben gern Geld aus, sind aber auch mit weniger zufrieden, wenn sie dafür einen Tag mehr in der Woche frei haben. Sie brauchen viel Freiheit – aber wiederum auch Grenzen. Auf all diese Themen müssen wir uns als Unternehmen einlassen und entsprechende Konzepte finden, damit umzugehen – etwa mit Teilzeitstellen, Jobsharing und Mobile Work. 

Rebecca Kazav

Rebecca Kazav

Bereits seit 17 Jahren ist Rebecca Kazav (41) ihrem Arbeitgeber treu. Inzwischen ist sie als Chief Sales Officer (CSO) Teil der Geschäftsleitung der Mustang Gruppe. In jungen Jahren engagierte sie sich in der Jugendarbeit und feierte mit der »Band Normal Generation?« europaweit Erfolge. Kazav liebt es zu reisen. Die Badenerin wohnt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern (eins davon bei Redaktionsschluss noch im Bauch) in Stuttgart.