Roland Juker
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Dominique Demaurex

Wieso liegen an der Bartheke Bibeln aus, Herr Großhändler?

Aligro ist ein Pionier unter den Lebensmittel-Großhändlern der Schweiz – und der wohl am schnellsten wachsende. Da ist CEO Dominique Demaurex dankbar, dass er für wichtige Geschäftsentscheide über einen guten Draht nach ganz oben verfügt.

Stephan Lehmann-Maldonado
Stephan Lehmann-Maldonado
11 min

Mein Freund Fernando hat jamón serrano fast mit der Muttermilch aufgesogen. Er ist stolzer Iberer, wuchs auf einem kleinen Hof auf – und schnappte seiner Mutter schon als Kind den Schinken weg, den sie von den eigenen Schweinen herstellte. 

Als dieser Fernando in die Schweiz zog, klapperte er das Land und die Nachbarländer wochenlang ab auf der Suche nach Fleisch, das seinem Gusto genügte. Wo er fündig wurde, erfuhr ich, als er mich zu einem Einkaufsbummel für eine Grillparty mitschleppte. Bis dahin hielt ich Aligro für eine exotische Mischung aus Aldi und Lidl. Umso größere Augen machte ich, als ich den Einkaufswagen durch die Hallen schob. »Nirgends sonst findest du diese Fleischqualität zu diesen Preisen«, beschwor mich Fernando, »ich meine, außerhalb meiner Heimat.«

Aligro leitet sich ab von »alimentation en gros«, was zu Deutsch schlicht Lebensmittelgroßhandel bedeutet. Den Namen durfte Pierre Demaurex mit Fug und Recht einführen. Immerhin erfand er 1960 sozusagen das Konzept des Großmarktes – zumindest in der Schweiz. 1966 öffnete der erste Aligro-Markt seine Pforten in Genf. Genau genommen begann die Unternehmensgeschichte aber zwei Generationen früher – mit Aline Demaurex. Nach dem Tod ihres Ehemannes, eines Weinbauern, verkaufte die tüchtige Witwe ab 1901 allerlei Lebensmittel, um ihre sechs Kinder ernähren zu können.

Seit über einem Vierteljahrhundert steuern ihre Urenkel das, was aus ihrem Lebenswerk gewachsen ist. Dominique und sein Bruder Etienne Demaurex starteten mit zwei Märkten. Sie renovierten und vergrößerten sie und expandierten. Heute zählt Aligro über tausend Mitarbeitende, vierzehn Märkte – und über 30 000 Produkte.   

Die Arbeit im Irak war lehrreicher als mein Wirtschaftsstudium.

Herr Demaurex, was braucht es, damit Sie mit dem Mittagessen im Restaurant zufrieden sind?

Ich schätze eine einfache, authentische Küche mit regionalen, saisonalen Produkten. Noch wichtiger ist mir die Gemeinschaft am Tisch.

Sie haben sieben Kinder. Trifft man Sie manchmal mit der ganzen Familie im Restaurant an?

Klar, vor allem in den Ferien. Wenn wir zusammen unterwegs sind, ist es wirklich ein Erlebnis!

Sie schätzen regionale Zutaten und eine gute Gemeinschaft. Wie halten Sie es damit in Ihren Aligro-Märkten, deren Hauptkunden ja Restaurants sind?

Beides ist für uns sehr wichtig. Wir sind eine Schweizer Firma und nur hier aktiv. Und wir setzen auf Qualitätsprodukte und Frische. So betreiben wir etwa Hausbäckereien. Den Einkauf wickeln wir zu 97 Prozent in Schweizer Franken ab.

War es für Sie immer klar, dass Sie in das Familienunternehmen einsteigen wollen?

Nein. Ich wäre lieber Bergführer geworden oder hätte Entwicklungshilfe geleistet. Aber dann hat mir mein Vater geraten, Betriebswirtschaft zu studieren. Als in Uganda im Norden ein Bürgerkrieg tobte, habe ich drei Monate lang dort gearbeitet. Kurz nach dem ersten Irakkrieg verbrachte ich auch sieben Monate im Nordirak. Das hat mich deutlich mehr fasziniert als Betriebswirtschaft, es war allerdings auch wesentlich gefährlicher. Doch mein Vater hätte die Firma wohl verkauft, wenn ich nicht zurückgekommen wäre …

Was haben Sie in dieser Zeit gelernt?

Ich bin der Armut und großem Leid begegnet. Aber ich traf auch Menschen, die trotz ihrer misslichen Lage viel Lebensfreude, Mut und Kraft ausstrahlten. Und ich habe gelernt, bescheiden und einfach zu leben. Ich denke, dass Entwicklungshilfe und Wirtschaft keine Gegensätze sind, sondern Hand in Hand gehen sollten. Die Wirtschaft kann in Entwicklungsländern dazulernen und Mittel bereitstellen. Und die Entwicklungshilfe ist besonders wirkungsvoll, wenn sie über die lokale Wirtschaft abläuft.

Roland Juker
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Mir ist aufgefallen, dass sich an den Bartheken in Ihren Märkten oft Bibeln finden. Wieso?

Die Bibel ist ein Buch, das für mich sehr wichtig ist. Es ist zwar bekannt, aber wird sehr wenig gelesen. Durch das Lesen der Bibel kann man Gott kennenlernen – davon bin ich überzeugt. Deshalb bieten wir in unseren Märkten die Bibel an.

Haben Sie Reaktionen aus der Kundschaft erhalten?

Sehr selten. Aber die Leute nehmen wahr, dass wir etwas mit dem christlichen Glauben zu tun haben. Meine Familie bekennt sich seit mehr als hundert Jahren zum Christentum. Wir verschenken die Bibeln auch an Mitarbeitende – wenn sie es wünschen.

Wie kommt das Angebot an?

Viele Mitarbeitende freuen sich über eine Bibel, auch wenn sie einen ganz anderen Glauben als den christlichen praktizieren.

Aligro hat je einen Seelsorger für die französische Schweiz und die Deutschschweiz angestellt. Was erhoffen Sie sich davon?

Vor über fünfzehn Jahren begegnete ich einem Pastor, der am Rande eines Burnouts war und einfach irgendwo arbeiten wollte. Ich stellte ihn kurzerhand an. Da zeigte es sich, dass dieser Mann einen sehr guten Draht zu seinen Arbeitskollegen fand. Alle haben das gespürt. Darum habe ich ihn gefragt: »Möchtest du hier nicht als Seelsorger arbeiten?« Unsere Seelsorger begleiten unsere Mitarbeitenden in schwierigen persönlichen Situationen. Sie entschärfen aber auch betriebliche Zeitbomben wie etwa Mobbing oder Konflikte mit Vorgesetzten. Die Gespräche mit den Seelsorgern sind streng vertraulich. Nur wenn die betroffene Person damit einverstanden ist, erfahre ich etwas davon.

Das klingt so, als könnten Sie für diese Aufgabe auch Psychologen einstellen? 

Die Psychologie bietet viel Gutes. Aber sie hat keine Antwort auf die existenziellen Fragen des Lebens. Ich denke, unsere Seelsorger vermitteln mehr Hoffnung. Sie können in ausweglosen Situationen auch auf Gott hinweisen. Manchmal bewirkt ein Gebet überraschende Veränderungen. Es geschieht oft, dass Mitarbeitende Versöhnung und Heilung erleben.

Ich stellte einen Pastor an, der am Rand des Burnouts war.

Und wenn die Mitarbeitenden gar keine Christen sind?

Das spielt keine Rolle. Viele Mitarbeitende sind Moslems oder haben andere Religionen. Sie beanspruchen unsere Seelsorger dennoch und sind offen für Hilfe und Gebet.

Und wie tanken Sie selbst Kraft?

Gott sei Dank komme ich nicht so schnell an den Anschlag. Ich bin ziemlich diszipliniert. Jede Woche nehme ich mir einen Tag komplett frei. Ich bin gerne in der Natur unterwegs und verbringe Zeit mit meiner Familie. Meine Kraftquelle ist die Verbindung mit Gott. Ich versuche, im Dialog mit ihm zu bleiben und mir seine Gegenwart bewusst zu machen. Oft unternehme ich einen Spaziergang und spreche mit Gott. Ich erzähle ihm von den Situationen, die mich überfordern.

Drei Viertel Ihrer Kunden sind Restaurants. Besteht die Absicht, mehr Privatkunden hinzuzugewinnen?

Wir wollen in allen Kundensegmenten wachsen. Private kommen meist zu uns, wenn sie größere Feiern organisieren. Familien, die in der Nähe eines Aligro-Marktes wohnen, besuchen uns regelmäßig. Unsere Verkaufspreise sind im Vergleich zum Einzelhandel in der Schweiz sehr tief – gerade beim Fleisch. Das liegt daran, dass der Profimarkt anders funktioniert als der Einzelhandel. Unsere Verpackungen sind ja auch oft größer.

Hinter Ihren Konkurrenten Prodega und Top CC stehen Ketten wie Coop und Spar Südafrika. Fühlen Sie sich da als Familienunternehmen ein bisschen wie David gegen Goliath?

Ja. Aber die Größe der Mitbewerber schüchtert mich nicht ein. Als Familienunternehmen haben wir auch Vorteile. Wir sind unabhängig – und flexibler. Ich sehe unsere Mitbewerber nicht als Feinde. Im Wettbewerb wollen wir nicht die Ersten sein, sondern die Besten. Wenn uns ein Konkurrent oder ein Geschäftspartner zu schädigen versucht, wende ich mich an Gott. Ich habe schon oft erlebt, wie sich verzwickte Situationen aufgelöst haben.

Welches Beispiel haben Sie im Kopf?

Ein großer Mitbewerber hatte seinen neuen Markt ganz in der Nähe eines Aligro-Markts eröffnet. Ein Jahr später legte unser Umsatz um zehn Prozent zu. Für mich ist das ein Wunder.

Ein Mitbewerber eröffnete seinen Markt neben uns. Und wir wuchsen.

Aligro kommt aus der französischsprachigen Schweiz. Mittlerweile haben Sie mehr Märkte in der Deutschschweiz. Wie ist es zu diesem Wachstum gekommen?

Wir haben fünfzehn Jahre lang Standorte in der Deutschschweiz gesucht und blieben ziemlich erfolglos. Nur gerade einen Markt in Schlieren konnten wir eröffnen. Dann ist Migros auf uns zugekommen und hat uns gefragt: »Seid ihr interessiert, die Cash + Carry Angehrn-Märkte zu übernehmen?« Wir haben das sorgfältig geprüft – und plötzlich erhielten wir neun Märkte an interessanten Standorten. Das war ein Geschenk für uns, allerdings eines, das uns auch auf Trab hält.

Sie mussten viel investieren?

Ja – und es standen viele Herausforderungen an. Wir kommen aus der französischen Schweiz und sind ein Familienunternehmen. Da herrscht eine etwas andere Kultur als in einem Großkonzern. Wir sehen jeden Mitarbeitenden als Individuum, das selbst Verantwortung übernehmen und unternehmerisch handeln kann und darf. Darum kam es teilweise zu Wechseln auf diversen Führungsstufen. Zudem erneuern wir die technischen Einrichtungen nach und nach. Wir haben durch die Akquisition viel gelernt. Und wir lernen gerne Neues.

Die Arbeitsbedingungen im Detail- und Großhandel haben nicht den besten Ruf. Wie steht Aligro im Branchenvergleich da?

Ich denke, wir brauchen den Vergleich nicht zu scheuen. Weil wir Wert auf Qualität legen, beschäftigen wir viele Fachleute wie Metzger und Bäcker nebst dem Verkaufspersonal. Im Gegensatz zur Konkurrenz arbeiten die meisten Angestellten bei uns zu hundert Prozent. Allerdings leiden wir, wie viele andere Branchen, am Fachkräftemangel. Es ist schwierig, neue Mitarbeitende zu rekrutieren.

Für mich reicht ein Handschlag. Ich brauche keine langen Verträge mit Konventionalstrafen.

Was hat Sie besonders herausgefordert – vielleicht der Umzug von der französischsprachigen Schweiz in die Deutschschweiz oder die Expansion von Aligro?

Der Umzug mit der ganzen Familie war nicht einfach. Aber ich musste vor Ort präsent sein. Wer ein Unternehmen führt, steht immer wieder vor Herausforderungen. Schwierig war es für mich, als eine Führungskraft zur Konkurrenz wechselte. Da musste ich die Lücke füllen und einen Ersatz suchen. Doch ich sehe Gott als meinen Chef im Himmel. Der Erfolg kommt von ihm. Ganz ehrlich: Ich erachte mich in vielen Bereichen als ungenügend. Wenn ich als Chef sage: »Ich bin überfordert«, schockiert das Mitarbeitende. Aber ich erlebe es immer wieder, wie Gott mir aus der Patsche hilft. Viele Leute würden das als »Zufall« bezeichnen – aber so viele Zufälle kann es nicht geben!

Da machen Sie uns neugierig. Erzählen Sie ein Beispiel!

Oh, da gibt es viele. Oft kommen ganz einfach die richtigen Personen zum richtigen Zeitpunkt zu mir. Aber eindrücklich ist, was wir in Sargans erlebt haben. Wir haben einen Markt übernommen, der auf einem Sumpfgebiet liegt. In der Regel renovieren wir unsere Märkte in kleinen Etappen. So können wir die Kundschaft jeweils in einem größeren Teilbereich weiterhin bedienen. In Sargans sollten die Hälfte der Verkaufsfläche geschlossen und neue Fundamente gebohrt werden. Aber als mir die Bewilligungen für den Umbau schon vorlagen, spürte ich keinen Frieden. Ich fragte Gott: »Soll ich diesen Markt anderswo neu bauen?« Die Antwort: »Nein, es muss hier sein.« Schließlich planten wir, den Markt zu schließen, abzureißen und in sechs Monaten neu zu bauen. Für die Vergabe an die Baufirmen habe ich mich wieder an Gott gewandt: »Soll ich mit dieser Firma arbeiten?« Ich fühlte mich in allen meinen Entscheidungen geführt. Zudem fanden wir im letzten Moment ein Provisorium für einen Ersatzstandort. Die Bauarbeiten konnten wir – trotz Covid- und Ukraine-Krise – früher als erwartet abschließen. Nach sechs Monaten und 23 Tagen Schließung ist der neue Markt offen. Alle Baufirmen gaben ihr Bestes, ohne Verträge mit Konventionalstrafen. Für mich reichen ein Handschlag und eine Beziehung auf Augenhöhe. Die Stimmung auf der Baustelle war unglaublich positiv. Kürzlich hatten wir alle Bauleute zum Bauarbeiterfest eingeladen. Rund 180 sind gekommen, an einem Freitagabend. Das ist unüblich!

Ganz konkret: Wie teilt Ihnen Gott denn mit, dass Sie mit einer Firma arbeiten sollen – und nicht mit der anderen?

Vielleicht offeriert mir eine Firma einen guten Preis oder sie macht einen guten Eindruck auf mich. Aber ich wünsche dann von Gott eine Bestätigung, ob ich wirklich auf diese Firma setzen sollte. Entweder gibt er mir da zum Beispiel beim Gebet einen tiefen Frieden – oder er spricht mich durch einen Vers in der Bibel an. Es ist wie beim Wind: Wir sehen ihn nicht, aber wir spüren ihn.

Sie sind auch Gründer und Präsident der neuen Stiftung Providebit. Was hat es damit auf sich?

Seit etwa zwei Jahren ist für mich klar, dass auf die Schweiz schwierige Zeiten zukommen könnten. Die Stiftung ist nicht gewinnorientiert und soll dazu beitragen, dass möglichst viele Leute darauf vorbereitet sind. Zum Beispiel, indem sie Nahrungsmittel bereitstellt und die Resilienz der Leute stärkt. Dabei fühlen wir uns auch etwas wie David gegenüber Goliath. David hat sich für den Kampf gegen den großen Gegner vorbereitet, wenn auch unkonventionell.

Providebit bedeutet »er wird versorgen«, gleichzeitig fordert die Stiftung uns auf, selbst vorzusorgen. Ist das nicht ein Widerspruch?

Es braucht beides: Vorbereitung und Vertrauen. Unsere Stiftung will praktische Systeme zur Versorgung erarbeiten. Dazu arbeiten wir mit Privatpersonen, Landwirten und Unternehmern. Unser Ziel ist aber nicht, einfach uns selbst in der Krise zu versorgen, sondern auch weiteren Bevölkerungsgruppen helfen zu können. Bisher bieten wir eine Lösung, über die man bei uns einen Lebensmittelvorrat bestellen kann, den wir verwalten. Das heißt, wir lagern die Lebensmittel und kümmern uns um die Ablaufdaten. Entweder wir liefern die Lebensmittel dann aus – oder wir liefern sie Bedürftigen.

Als erfolgreicher Unternehmer müssten Sie doch optimistisch in die Zukunft blicken – nicht pessimistisch!

Wir wollen mit der Stiftung keine Angstmacherei betreiben. Wir sagen nicht, dass das Ende der Welt bevorsteht. Wir möchten einfach, dass uns eine allfällige Krise nicht auf dem falschen Fuß erwischt. Ich hoffe aber, dass sie nie eintrifft. Unsere Lösungen sollten sowieso von Nutzen sein. Wir wollen ja beispielsweise die nachhaltige Landwirtschaft und die Energieversorgung fördern.

Eine Funke Hoffnung bleibt Ihnen also?

Ich bin voller Hoffnung. Nur schon, weil ich weiß, dass Gott uns Menschen liebt und das Beste für uns möchte. Die Zukunft aber bleibt ein Abenteuer!

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Dominique Demaurex

Dominique Demaurex

Mit seinem Bruder steuert Dominique Demaurex (54) das Familienunternehmen Aligro mit vierzehn Großmärkten auf Wachstumskurs. Er ist CEO des Unternehmens sowie Gründer und Präsident der Stiftung Providebit. Aufgewachsen in der französischsprachigen Schweiz, hat er an der Universität St. Gallen Betriebswirtschaft studiert. Demaurex ist verheiratet und Vater von sieben Kindern. Drei seiner Kinder packen schon bei Aligro mit tausend Angestellten mit an. In der Freizeit erklimmt Dominique Demaurex gerne Berggipfel.