Annette Riedl
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Sebastian Klein

Wir müssen über Geld reden!

Die App Blinkist machte Mitgründer Sebastian Klein zum Multimillionär. Der will aber gar nicht so vermögend sein, denn er sieht in der zunehmend ungleichen Verteilung von Geld eine echte Gefahr für die Demokratie. Darum gibt er neunzig Prozent seines Vermögens ab und unterstützt damit gemeinwohlorientierte Start-ups.

Simon Jahn
Simon Jahn
9 min

Am 12. Juli 1973 erhielt Gail Harris einen Anruf von Unbekannten: Sie hätten Harris’ sechzehnjährigen Sohn John Paul Getty III in ihrer Gewalt. Die Forderung: siebzehn Millionen Dollar. Die Mutter hatte kein Vermögen, aber ihr Schwiegervater war der Öltycoon Jean Paul Getty, der damals reichste Mann der Welt. Der Milliardär weigerte sich jedoch, das Lösegeld zu zahlen. Erst als die Entführer der kalabrischen ’Ndrangheta-Mafia das abgeschnittene rechte Ohr des Enkels an eine römische Zeitung schickten und ihre Forderung auf 2,8 Millionen Dollar senkten, lenkte der US-Patriarch nach mehr als fünf Monaten ein: Zwei Millionen Dollar zahlte er selbst – mehr konnte er steuerlich nicht absetzen. Die restlichen 800 000 Dollar lieh er seinem Sohn, dem Vater des Jungen, mit der Auflage, es ihm mit Zinsen zurückzuzahlen. Der Enkel litt nach der Freilassung unter Panikattacken und verfiel dem Drogenkonsum. Nach einer Überdosis ereilte ihn mit 25 ein Hirnschlag. Stumm, fast blind und teilweise gelähmt wurde er bis zu seinem Tod mit 53 Jahren von der Mutter gepflegt. 

Die haarsträubende Geschichte, die Hollywood zweimal prominent verfilmt hat, sagt viel aus über Geld, Geiz und Macht. Kaum jemand würde das Verhalten von Jean Paul Getty gutheißen, dennoch hat dessen Sicht auf Geld eine prägende Wirkung hinterlassen. Schließlich stammt von dem Ölmilliardär das geflügelte Wort »Über Geld redet man nicht«, das wohl die meisten von uns auf die eine oder andere Weise verinnerlicht haben. 

Eine totale Verirrung

Auch Sebastian Klein hat den Spruch nie wirklich hinterfragt. Nach seinem Psychologie- und Wirtschaftsstudium wollte der Berliner am liebsten gründen, »aber dazu fehlte mir das nötige Handwerkszeug und so kurz nach der Finanzkrise auch der Mut«, sagt er. Stattdessen heuert Klein 2010 bei der renommierten Boston Consulting Group (BCG) an. Die Zeit als Unternehmensberater wird für ihn zu einer »traumatischen Erfahrung«, weil sich dort alles nur um Geld und Karriere dreht. Andere Berater berichten ihm sogar, dass sie von ihren Kindern kaum noch erkannt werden, weil sie sie so selten sehen. »Für mich ist ein solches Leben eine totale Verirrung. Ich will mich nicht von Arbeit oder dem Streben nach materiellem Erfolg vereinnahmen lassen. Aber ich wollte auch nicht, dass alle denken, ich kann nichts durchziehen.« Darum dauert es fünfzehn Monate, bis er die Reißleine zieht und sich doch dem Gründen widmet. Sein Bild von Arbeit ist nun so negativ behaftet, dass er sich vornimmt, bis Mitte dreißig genug zu verdienen, um nicht mehr auf einen Job angewiesen zu sein.

Ich wusste anfangs nicht mal, was Investoren sind.

Eine Idee, die Millionen begeistert

Als wissbegieriger Büchernarr hatte Klein während seines Studiums gute Zusammenfassungen von Sach- und Fachbüchern vermisst. Kurzerhand begann er, selbst welche zu schreiben und verschickte sie auch an Kommilitonen. Das Thema ließ ihn nie ganz los. 2012 resultiert aus dieser Idee das Start-up Blinkist, das er mit drei Bekannten zusammen gründet und aufbaut. Ein Jahr später geht das Jungunternehmen mit Starthilfe des Telekom-Inkubators hub:raum live. 

Heute, gut zehn Jahre später, schwimmt Blinkist auf einer Erfolgswelle: über 32 Millionen Downloads weltweit, auch von prominenten Fans wie Apple-CEO Tim Cook oder Formel-1-Weltmeister Nico Rosberg. Mehr als 7500 Kurzinhalte stehen als fünfzehnminütiger snackable Audio- und Lesecontent für Wissbegierige bereit: zum einen »Blinks«, wie die Zusammenfassungen genannt werden, die Kernaussagen aus den Sachbüchern liefern. Diese werden nach neurowissenschaftlichen Erkenntnissen aufbereitet. Dazu kommen »Shortcasts« genannte Podcast-Komprimierungen. Seit 2023 erweitern noch »Guides« das Portfolio, in denen Experten relevante Themen kurz und anwendungsbasiert auf den Punkt bringen. Blinkist hat das Rad freilich nicht neu erfunden – das Schweizer Unternehmen getAbstract etwa, das auf Zusammenfassungen für Businessbücher und Klassiker der Weltliteratur spezialisiert ist, wurde bereits 1999 gegründet. Mit seinem Konzept hat Blinkist dennoch den Markt erobert – vor allem in den USA. Dort konnte es auf den jungen Trend des »Microlearning« aufspringen. Die Vereinten Nationen zeichneten die App 2016 mit dem World Summit Award im Bereich »Lernen und Bildung« aus. Apple kürte sie als »eine der besten der Welt«. Doch auch wenn das Berliner Start-up inzwischen 170 Mitarbeitende weltweit beschäftigt und 2021 einen Umsatz von 47,4 Millionen Euro macht: In Deutschland scheint der große Durchbruch noch auf sich zu warten. Im hiesigen AppStore rankt Blinkist in der Kategorie Bildung aktuell auf Platz neunzehn. 

Wir brauchen mehr Achtsamkeit in Unternehmen.

Eine neue Art zu arbeiten

Doch zurück zu den Anfängen. »Als wir gründeten, wusste ich nicht mal, was Investoren sind«, erzählt Klein. Genau die braucht es aber für die Seedfinanzierung. Nach seinen negativen Erfahrungen bei BCG ist es ihm ein Anliegen, bei Blinkist eine andere Art von Arbeiten zu etablieren. Bald merkt er jedoch, dass die Beteiligung von Venture-Capital-Investoren diesem Verständnis widerspricht. »Für mich ist das einfach ein zu enges Korsett, weil du am Ende als Gründer nicht mehr frei bist zu entscheiden.« Mit seiner Sicht kann er sich aber im Gründerteam nicht durchsetzen. Nach vier Jahren intensiver Pionierarbeit mit zwischenzeitlich sogar drohender Insolvenz zieht sich Klein darum aus dem operativen Geschäft zurück, behält aber seine Unternehmensanteile. 

Um seine Idee von einer anderen Art von Arbeit weiterzuverfolgen, steigt Klein beim Beratungsunternehmen und Thinktank »The Dive« ein. Dort entwickelt er »The Loop Approach«, einen Werkzeugkasten, der Unternehmen helfen soll, selbstorganisiert ein agiles Mindset zu entwickeln. »Ich hatte den Eindruck, jede Organisation braucht etwas anderes, aber die meisten Berater wollen immer nur ihr eigenes Konzept verkaufen. Darum wollte ich überlegen, wie Firmen selbst herausfinden können, was sie brauchen«, führt Klein aus. »Am Ende geht es darum, mehr Achtsamkeit in Organisationen zu bringen.« Sein Konzept veröffentlicht Klein als Buch, das inzwischen in mehrere Sprachen übersetzt wurde. Namhafte Kunden haben es erfolgreich umgesetzt, darunter die Deutsche Telekom, die Deutsche Bahn und Audi.

Aus The Dive heraus entsteht eine weitere Idee, die Klein noch heute mit Leidenschaft verfolgt: »Neue Narrative«, ein Printmagazin, das an ein Arbeitsheft erinnert. Es gibt Impulse mit hohem Nutzwert für neues Arbeiten. Die Macher setzen bewusst auf nutzerfinanzierten Content über Abonnements. Zudem bauen sie das Angebot »9 Spaces« auf, mit dem sie die Inhalte zusätzlich digital an Organisationen vermarkten. Ein Konzept, das aufgeht: Die Printabos nehmen stetig zu, liegen inzwischen bei über 20 000. Ihr Unternehmen, die NN Publishing GmbH, gründeten die Initiatoren in Verantwortungseigentum. »Der Gedanke hat mich einfach überzeugt, dass die Leute, die in der Firma arbeiten und Verantwortung tragen, auch das Eigentum halten und die Kontrolle am Unternehmen haben.« Überhaupt lebt der innovative Verlag vieles von dem, was er in seiner Zeitschrift eruiert, selbst vor. »Es ist für uns das größte Privileg, alles an uns selber auszuprobieren, worüber wir nachher schreiben.«

Ausgabe 31

Bewegung beginnt im Kopf

Dieser Text ist in goMagazin 31 erschienen. Bestelle die Print-Ausgabe mit weiteren inspirierenden Artikeln zu diesem Thema.

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Ungerechte Verteilung

Neuland zu betreten, liegt Sebastian Klein einfach. »Ich glaube, ich stolpere alle paar Jahre über große Probleme, zu deren Lösung ich beitragen möchte«, sagt er. Ein Stolperstein war für ihn mit Mitte dreißig das Buch »Das Kapital im 21. Jahrhundert« von Thomas Piketty. Der Autor befasst sich darin mit der ungleichen Verteilung des Geldes und wie dies unsere Gesellschaftsordnung gefährdet. »Ich war total schockiert und fand es irgendwie unanständig«, so Klein. So besaßen laut Bericht der Bundesbank die obersten zehn Prozent der Deutschen 2023 ungefähr 61 Prozent des gesamten Nettovermögens, während die vermögensschwächere Hälfte nur rund 2,3 Prozent abbekam. Seit der Lektüre treibt Klein das Thema um. Es war der Moment, in dem er realisierte, wie falsch die Parole von Jean Paul Getty – über Geld redet man nicht – war. »Eigentlich müssen wir die ganze Zeit über Geld reden.« Und so tut er es seitdem auch. Nicht nur als Teil des Presseteams von taxmenow, einer Initiative, die sich für eine gerechtere Besteuerung von Vermögenden einsetzt. Er schreibt an einem Buch zu dem Thema, spricht in zahlreichen Podcasts und verfasst Artikel darüber. 

Ein Millionär ohne Millionen

»Ich möchte nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung sein«, sagt Klein. Als er sich 2016 aus dem operativen Geschäft bei Blinkist zurückzieht, behält er seine Firmenanteile. In einer folgenden Finanzierungsrunde veräußert er dann einen Teil davon und hat so erstmals eine Million auf dem Konto. 2023 vollzieht das Start-up schließlich den Exit für eine dreistellige Millionensumme, womit der Gründer auf einen Schlag Multimillionär ist. So viel Geld zu besitzen und zu merken, wie es Besitz von einem ergreift, während andere mit ihrem Einkommen kaum über die Runden kommen, widerstrebt Kleins Gerechtigkeitsempfinden. Darum entschließt er sich, neunzig Prozent seines Vermögens für das Gemeinwohl abzugeben. Um die Entscheidung nicht in einem schwachen Moment wieder rückgängig zu machen, verpflichtet er sich dazu auch öffentlich. Das Geld fließt zum großen Teil in die 2018 von ihm mitgegründete Karma Capital Group, die er gerade zu einer gemeinwohlorientierten Firma in Verantwortungseigentum umbaut. Klein ist also nun selbst Investor, unterstützt Start-ups finanziell und spendet an gemeinnützige Organisationen. Aber nicht mit dem Ziel eines möglichst gewinnträchtigen Exits. Vielmehr investiert Karma Capital in gemeinwohlorientierte Gründungen. Ein Schwerpunkt liegt dabei im Journalismus. »Das ist ja eine totale Dystopie: Heute wird die Macht der Medien durch eine Macht von profitorientierten Firmen ersetzt, die darüber entscheiden können, was Aufmerksamkeit bekommt«, sagt er im Hinblick auf Mediengiganten wie Meta, TikTok oder Google. »Diese Journalismuskrise ist ein absolutes Demokratieproblem.«

Der Traum vom Pizzaiolo  

Längst ist Klein finanziell nicht mehr darauf angewiesen zu arbeiten. Aber das ist ihm heute nicht mehr wichtig. Für sich persönlich hat er andere Ziele: Er liebt die morgendlichen Teezeremonien mit seiner Partnerin und genießt es, wenn sie aus der Großstadt in die kleine Wohnung in Brandenburg am See fliehen. Und noch etwas steht auf seiner Bucketlist: eine Ausbildung zum Pizzaiolo irgendwo in Italien. Ansonsten wird er aber jede Gelegenheit nutzen, über Geld zu reden.

Annette Riedl
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Die 7 Tugenden effektiver Organisationen

Diese sieben Qulitäten zeigen ein idealtypisches Bild einer Organisation. Sie sind dazu gedacht, eine Richtung aufzuzeigen, in die es sich zu entwickeln lohnt.

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  1.  Klare Ausrichtung
    Zur Ausrichtung gehören Elemente wie ein gemeinsamer Purpose, Strategien, Ziele und die Kommunikation, die mit ihnen verbunden ist. Optimal: Alle haben das gleiche Bild und zielen mit ihrer Arbeit in die gleiche Richtung.

  2.  Gut genutzte Potenziale
    Die Potenziale aller Menschen im Team, aber auch andere Ressourcen, die zur Verfügung stehen, sind vollständig bekannt und werden so genutzt, dass sie voll auf die Ziele einzahlen. 

  3.  Verteilte Verantwortlichkeiten
    Alle Verantwortlichkeiten im Team sind klar benannt und beispielsweise in Rollen abgebildet. So werden diese stets den Teammitgliedern zugeordnet, die sie am besten ausfüllen können. 

  4.  Individuelle Effektivität
    Die Teammitglieder verfügen über alle für sie nötigen Fähigkeiten und Kenntnisse. So sind sie in der Lage, sich ohne Unterstützung zu organisieren, sinnvolle Entscheidungen zu treffen und ihren Beitrag zum Ganzen zu leisten.

  5.  Effektivität als Team
    Teams sind effektiv, wenn alle in der Lage sind, effektiv zu kommunizieren und Arbeitsergebnisse zu synchronisieren. Routinen sind so gestaltet, dass zum Beispiel Meetings keine Zeit und Energie rauben.

  6.  Anpassungsfähigkeit 
    Teams und Organisationen sind in der Lage, sich aus sich selbst heraus weiterzuentwickeln. Sie können kontinuierlich ihre Struktur und Regeln schnell und reibungslos den Veränderungen ihrer Umwelt anpassen. 

  7.  Feedback- und Konfliktkompetenz
    Die Mitglieder der Organisation sind in der Lage, sich konstant Feedback zu geben, aus diesem zu lernen, und darüber hinaus auch Konflikte so konstruktiv zu lösen, dass sie gestärkt aus ihnen hervorgehen. 

Sebastian Klein

Sebastian Klein

scheut sich nicht davor, große Themen anzupacken. Aus seiner Idee zu Buchzusammenfassungen resultierte die Erfolgsapp Blinkist. Heute setzt sich der Berliner mit dem Magazin »Neue Narrative« für eine neue Art zu arbeiten ein und fördert mit der Karma Capital Group gemeinwohlorientierte Start-ups – vor allem aus dem Journalismus. Sein Herzensanliegen ist eine gerechtere Verteilung von Vermögen. Zudem liebt er Tee und Pizzabacken.