David Vogt
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Heino Falcke

Wo hört der Himmel auf, Herr Astrophysiker?

Er publizierte ein Bild, das um die Welt ging: das eines schwarzen Lochs. Als Astrophysiker geht Prof. Dr. Heino Falcke an die Grenzen unseres Universums und ist überzeugt: Der Mensch sucht Fakten, aber er braucht genauso Glaube und Hoffnung.

Debora Höly
Debora Höly
8 min

Herr Falcke, wie erklären Sie einem fünfjährigen Kind, was Sie beruflich machen?

Ich sage: Ich schaue in den Himmel.

Und die Kinder verstehen das auf Anhieb?

Sie fragen dann direkt nach, was das bedeutet. Wie groß ist der Himmel? Kennst du die Sterne? Hast du etwas von einem schwarzen Loch gehört? Ich erinnere mich an ein achtjähriges Mädchen, das mir wirklich Löcher in den Bauch gefragt hat. Sie wollte unbedingt wissen, was so ein schwarzes Loch ist. Ich habe mein Bestes gegeben, es ihr zu erklären, aber ich glaube, es ist mir nicht ganz gelungen. Aber dieser verzweifelte Wunsch, alles wissen zu wollen, hat mich sehr berührt.

Ich werde mich wohl bis an mein Lebensende daran erinnern.

Der Mensch hat schon immer in den Himmel geschaut, geforscht und versucht, die Welt zu verstehen. Hat das zunehmende Wissen uns mächtiger oder ohnmächtiger gemacht?

Beides. Wir sind schon sehr mächtig geworden. Gleichzeitig schauen wir ins Weltall und stellen fest, dass wir unglaublich klein sind. Dass dieser Planet ein Staubkorn in einer riesigen Wüste unzähliger Staubkörner im All ist. Das macht einen wieder demütig. Wir haben also durch unsere scheinbare Allmacht unsere Ohnmacht kennengelernt.

Am 10. April 2019 um 15.07 Uhr wurde Wissenschaftsgeschichte geschrieben, als weltweit das erste Bild eines schwarzen Lochs enthüllt wurde. Was bedeutete dieser Moment für Sie?

Es war Endpunkt und Anfang. Endpunkt einer Reise, zu der ich schon vor 25 Jahren aufgebrochen war. Und es war Erlösung und Befreiung, weil ich immer davon geträumt hatte, dass dies möglich sein könnte. Es ist nicht so, dass es mein ganzes Leben erschüttert hätte, aber trotzdem werde ich mich wohl bis an mein Lebensende daran erinnern.

Gab es in den vielen vorausgegangenen Jahren der Forschungsarbeit auch Phasen, in denen Sie Zweifel hatten?

Ich habe die Idee damals publiziert, aber es waren ja verschiedene Gruppen daran beteiligt. Und es war nicht immer klar, dass wir gemeinsam durchs Ziel gehen würden. Denn es war auch ein Wettbewerb und es gab Momente, in denen ich dachte, dass ich das nicht schaffe. Das Entscheidende war, dass wir alle eine gemeinsame Vision hatten und wussten, dass es nur zusammen geht.

Als Physiker sagen Sie, dass wir nichts mit absoluter Gewissheit wissen können, weil wir nichts unendlich lang messen können.

Ja, absolut heißt: exakt hundert Prozent. Physikalisch gibt es keine Unendlichkeit. Deshalb können wir auch nichts unendlich genau – also ohne Unsicherheit – wissen.

Ist die Existenz schwarzer Löcher mit Ihrem Bild nun bewiesen oder nicht?

Am Ende ist so ein Beweis nicht nur das eine Bild, sondern der ganze Prozess, der dem vorausging. Mit der Messung bestätigt man das, was viele Generationen von Physikern vorhergesagt und diskutiert haben. Das Bild ist sozusagen der letzte Nagel, den man einschlägt. Aber im selben Moment entstehen neue Fragen: Ist das, was wir da sehen, wirklich ein schwarzes Loch? Oder sieht es nur so aus? Gibt es vielleicht noch eine Erweiterung der Physik? Das Spannende wäre, wenn es sich anders verhielte als ein schwarzes Loch. Aber wir können erst danach suchen, wenn wir mit einem Fuß sicher stehen. Ich glaube, das tun wir. Und nun versuchen wir, einen Schritt weiterzugehen.

Sie beschreiben das schwarze Loch als Tor zur Hölle oder Höllenschlund. Was meinen Sie damit genau?

Das war natürlich nur ein Bild, weil es hier um das Ende und den Tod und auch eine Unentrinnbarkeit geht. In ein schwarzes Loch könnte man hineinfallen, man könnte drin sein, man könnte ewig in seiner Zeit gefangen sein, aber man käme nicht mehr heraus. Der einzige Weg hinaus wäre der Weg in die totale Vernichtung. So ein schwarzes Loch ist einfach kein Hoffnungsort. Es ist in gewisser Weise die ewige Verlorenheit und darum tragen sie ihren Ruf als Höllenmaschine durchaus zu Recht.

Ihr Buch ist ein Bestseller geworden, genauso hat das Bild des schwarzen Lochs immense Aufmerksamkeit erregt. Wie erklären Sie sich das?

Meine Tochter hat mir erst kürzlich erzählt, wie viel Angst sie auf einmal hatte, dass wir von einem schwarzen Loch verschluckt werden würden. Ich glaube, dass schwarze Löcher für Tod und Vernichtung, aber auch das Faszinierende daran stehen. Es sind die Thriller der Naturwissenschaft, da, wo es gefährlich und angstbesetzt wird. Und dann freut man sich, wenn man es verstehen und beschreiben kann, es im wahrsten Sinne des Wortes ans Licht holt. Wissenschaft ist nie nur Gleichung, sondern immer auch ein Stück Mythos, der einen fasziniert. Wer Physik studiert, hat Abenteuer im Kopf. Da ist immer Faszination und Neugier, nie reine Ratio.

»Wie man den Anfang denkt, bestimmt, wie man das Heute und Morgen sieht«, schreiben Sie. Wie denken Sie den Anfang?

Ich finde die biblische Schöpfungsgeschichte fantastisch. Es ist eine der schönsten Beschreibungen über die Entstehung der Welt mit vielen tiefen Wahrheiten – wenn man nicht hingeht und Gott vorschreibt, wie lang ein Tag zu sein hat und was er genau gemeint hat. Es kann ja nur ein Sprechen sein über Dinge, die wir höchstens halb verstehen können, weil das all unser Denken übersteigt. Zu sagen: Ich lese diese zwei Seiten, weiß dann alles und kann dir genau sagen, was das alles bedeutet – das halte ich für überheblich. Wenn ich beispielsweise lese »… und Gott sprach«, bedeutet das für mich, dass man am Anfang die Naturgesetze brauchte. Ich weiß nicht, ob das so gemeint ist, aber als moderner Naturwissenschaftler, fülle ich diese prophetischen Worte mit modernen naturwissenschaftlichen Bildern. Ohne überheblich zu sagen, dass es genau so gemeint war.

Atheisten führen Naturwissenschaften oft als Argument für ihren Nicht-Glauben an. Kann Wissenschaft denn auch umgekehrt dazu führen, dass Menschen Gott entdecken?

Ich glaube das Argument, Natur und Naturwissenschaft müsse atheistisch machen, ist historisch falsch. Naturwissenschaftler werden nicht durch die Naturwissenschaft atheistisch, sondern waren es vorher schon. Oder der Glaube stand vorher schon auf wackeligen Füßen. Ich glaube, wir müssen unseren Glauben immer wieder durch Gott korrigieren lassen, genau wie wir uns in der Physik immer wieder durch die Natur korrigieren lassen müssen. Am Ende ist es eine Frage der Geisteshaltung, wie man diese Natur anschaut und mit welcher Erwartung. Wenn ich mit offenen Augen und offenem Herzen auf die Welt blicke, dann entdecke ich, dass da ein großer Schöpfer dahintersteht.

Die biblische Schöpfungsgeschichte finde ich fantastisch.

Ist Gott ein Lückenbüßer für das, was wir wissenschaftlich noch nicht erklären können, oder ist er irgendwo in all dem, was man schon erklären kann?

Man muss aufpassen, dass es nicht zu animistisch wird nach dem Motto: Gott ist die Natur. Aber auch Naturgesetze sind Worte und Gesetze Gottes. Wenn etwa ein Stein runterfällt, hat das sehr viel mit Gott zu tun, nämlich mit seiner Ordnung, die er dieser Welt gegeben hat. In dieser Ordnung steckt aber auch die Freiheit des Menschen, den Stein wieder aufzuheben oder ihn zu werfen. Er kann damit ein Haus bauen oder einen Menschen umbringen. Auch das ist Teil der Schöpfungsordnung. Gott ist aber auch ein Gegenüber, dem wir uns immer wieder verantworten, dem wir uns nähern, dem wir uns öffnen und dem wir uns manchmal auch ergeben. Und das geht über das hinaus, was Naturwissenschaft uns über Gott zeigen kann.

Wie war das bei Ihnen? Was war zuerst – der Glaube oder die Leidenschaft für Wissenschaft?

Ich kann das gar nicht trennen. Für mich ist der Blick in den Himmel eine naturwissenschaftliche wie geistliche Frage, die bis an den Rand des Wissens und darüber hinausgeht. Wir haben jedoch alles so ausdifferenziert: Da sind Religion und Theologie und hier ist Naturwissenschaft. Wir reden alle nicht mehr miteinander und das ist schade. Dadurch verlieren wir als Menschen sehr viel.

Sie schreiben, wir sollten wieder mehr zu demütig Suchenden werden statt zu Welteroberern. Was zeichnet so jemanden aus?

Neugier und Demut. Ich glaube, wir müssen auch lernen, unsere Grenzen anzuerkennen. Und wir müssen uns als Menschen in den Mittelpunkt stellen, nämlich als Geliebte Gottes, und gleichzeitig auch wieder aus dem Mittelpunkt herausnehmen, damit es nicht um uns geht. Es ist ein Geschenk, dass wir hier leben dürfen, dass wir suchen dürfen. Vielleicht ist das Suchen sogar wichtiger als das Finden. Denn gerade durch das Unterwegssein kommen wir Gott näher.

Sie sind bis an die Grenzen unseres Horizontes, an den Rand der Unendlichkeit gegangen. Wonach werden Sie jetzt noch suchen?

Ich werde schauen, ob man die Grenze überschreiten kann. Vielleicht gibt es doch noch ein Hintertürchen. Wir versuchen jetzt, ein Radioteleskop in Afrika zu bauen, damit noch mehr Menschen daran teilhaben können. Irgendwann wollen wir in den Weltraum gehen, weil wir ein Teleskop brauchen, das größer als die Erde ist. Dann können wir noch besser schauen. Ich sehe meine Aufgabe zudem in der Kommunikation, weil ich jetzt die Möglichkeit habe, mit vielen Leuten aus unterschiedlichen Bereichen zu reden und dafür zu werben, dass wir in unserer naturwissenschaftlichen Welt die Liebe und den Glauben nicht vergessen. Dass er genauso wichtig ist für unsere Zukunft. Christen müssen begreifen, dass sie Luft atmen und vom Wetter abhängig sind wie alle anderen Menschen auch. Und wir als Gesellschaft müssen begreifen, dass wir auch vom Glauben und der Hoffnung abhängig sind. Ohne Hoffnung machen wir nicht weiter. Wir müssen Hoffnungsträger sein.

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Heino Falcke

Heino Falcke

Schon als Kind faszinierten ihn der Himmel und die Unendlichkeit. Heute gehört Heino Falcke (54) zu den renommiertesten Astrophysikern weltweit und lehrt an der Radboud-Universität in Nimwegen. Im Jahr 2019 gelang ihm etwas, was bis dahin unmöglich schien: Gemeinsam mit zahlreichen Wissenschaftlern rund um den Globus veröffentlichte er das erste Bild eines schwarzen Lochs. Seine Leidenschaft gilt den Naturwissenschaften ebenso wie dem Menschen. Denn darin ist er sich sicher: Der Mensch braucht Fakten, aber mehr noch braucht er Hoffnung.