Daniel Gutenberg
Woran erkennen Sie den Erfolg, Herr Geschäftsengel?
Er verbringt einen Großteil seiner Zeit im stillen Kämmerchen, mit Lesen. Und doch bewegt er dabei viel. Daniel Gutenberg verrät, wie er das Internet nach Europa brachte – und warum Scheitern im Geschäftsleben zum guten Ton gehören sollte.
Herr Gutenberg, Ihr Büro liegt an der Gutenbergstraße in Zürich. Eine passende Adresse!
Daniel Gutenberg: (schmunzelt) Ach, das ist reiner Zufall!
Womit haben Sie Ihren ersten Lohn verdient?
Mit einem kleinen Handwagen habe ich in Zürich Zeitungen verteilt. Damals war ich etwa 13 Jahre jung.
Für die Ausbildung zogen Sie in die französische Schweiz.
Ja, meine Lehrer dachten, ich sei für die Schule in Zürich nicht gut genug. Da schickten mich meine Eltern an die technische Berufsschule CPLN in Neuchâtel. Das half mir nebenbei, mein Französisch zu perfektionieren.
Danach wanderten Sie ohne Englischkenntnisse in die USA aus?
Das hatte ich nicht vor. Zuerst besuchte ich lediglich die University of Santa Barbara in Kalifornien, um Englisch zu lernen. Danach arbeitete ich in einem Skigebiet in Park City Utah, teilweise als Liftboy, teilweise als Skilehrer.
Aus dem Englischstudium wurde nichts?
Geplant war ein dreimonatiger Aufenthalt an der Universität. Als ich mit Kommilitonen dann an einem Wochenende skifahren ging, gefiel es mir in den Bergen so gut, dass ich gleich dort bleiben wollte. Kurz vor Ende der Saison erfuhr ich von einem Studienkollegen, dass in Hawaii ein Deutsch sprechender Surflehrer gesucht wird. Schnurstracks meldete ich mich. Bald darauf unterrichtete ich am Kaiula Beach neben Robby Naish, dem legendären Windsurfweltmeister …
Haben Sie beim Surfen etwas fürs Leben gelernt?
Klar. Zum Beispiel, dass Topmanager genauso viel Angst haben wie alle anderen Leute, wenn sie zum ersten Mal auf eine große Welle zugehen. Ich lernte: Alle kochen nur mit Wasser. Das half mir später sehr im Geschäftsleben.
Vor Wellen haben Sie keine Angst?
Respekt schon. Aber ich war immer einer, der gerne Risiken abschätzt und eingeht und trägt.
Was motivierte Sie, das Surferleben hinter sich zu lassen und ein Unternehmen zu gründen?
Schon mein Vater war Unternehmer. Für mich war immer klar, dass ich ebenfalls diesen Weg einschlagen will. Bereits als Kind gründete ich erste kleine Firmen. Nur einmal im Leben ließ ich mich vorübergehend anstellen. Das war ein sehr kurzes Gastspiel.
Schon in Ihrer Kindheit übten Sie sich als Unternehmer!
Mit zwölf stellte ich Elektronikbausätze zusammen – und verkaufte sie an andere Kinder.
Beim Surfen lernte ich: Alle haben Angst vor großen Wellen. Das half mir im Geschäftsleben.
Mit Erfolg?
Das Finanzielle stand für mich nicht im Vordergrund. Aber ich wurde die Bausätze alle los.
Wann starteten Sie mit Ihrer ersten richtigen Firma durch?
1991, als ich die Gutenberg Communication Systems ins Leben rief. Ich importierte Netzwerkkomponenten und verkaufte sie an Händler. 1994 entdeckte ich Netscape. Ich erkundigte mich, ob ich ihr Vertriebspartner in der Schweiz werden könnte. So erhielt ich die
Netscape-Distribution für die Schweiz und brachte damit das Internet in die Schweiz – und von hier aus nach Europa über Niederlassungen in Deutschland, Österreich, Frankreich, Ungarn, Rumänien. Plötzlich stritten sich alle darum, mit mir zu arbeiten: Altavista, Intershop – all die Internetfirmen der ersten Stunde.
Eine euphorische Pionierzeit.
Etwa anderthalb Jahre, nachdem ich begonnen hatte, stürmten über tausend Leute zu meinen Events – damit hatte ich niemals gerechnet. Ich merkte: Da ist etwas verrückt. Normalerweise muss man dafür kämpfen, dass Leute zu einer Verkaufsveranstaltung kommen. Und zu mir drängten mehr, als ich mir wünschte!
Bald verdienten Sie die erste Million. Was bedeutete Ihnen das?
Ich hatte keine Zeit, mich damit zu befassen. Und ich hatte keine Zeit, Geld auszugeben. Geld war nie meine Motivation – und ist es bis heute nicht.
Sie investierten als einer der Ersten in Internetunternehmen. War Ihnen bewusst, welche Entwicklung bevorstehen würde?
Keineswegs. Ich rutschte eher zufälligerweise ins Business. Es war so, dass eine meiner Firmen mobile Harddisks importierte. Monat für Monat legte der Umsatz zehn Prozent zu –, bis der Lieferant mir mitteilte, dass er nicht mehr liefern könne, weil er pleite sei. Ich reiste unverzüglich in die USA und suchte ihn auf. Bis dahin hatte ich angenommen, meine Firma würde etwa 3 Prozent seines Weltumsatzes ausmachen. Leider waren es in Wirklichkeit 80 Prozent. Das reichte nicht, um die Fabrikation aufrechtzuerhalten. Seither habe ich mir geschworen: Ich arbeite nie mehr mit einer Firma zusammen, von der ich nicht mindestens eine Aktie besitze! Nur als Aktionär bin ich über den Geschäftsgang informiert und kenne die Umsatzzahlen.
Der vermeintliche Rückschlag führte Sie zu Ihrer Berufung.
Von den nächsten drei Partnerfirmen kaufte ich mir Aktien. Das waren Netscape, Netscreen und Intershop – sie wurden Milliardenkonzerne. Seither kaufe ich mir von guten Firmen ein paar Aktien.
Auf dem Höhepunkt der Dotcom-Welle sprangen Sie ab und verkauften Ihre Aktien. Schon wieder war Ihnen das perfekte Timing geglückt.
Auch das war so nicht vorgesehen. Eigentlich wollte ich meine Firma im November 2000 an die Börse bringen. Die Medien berichteten bereits darüber. Doch dann kam ein börsennotiertes Unternehmen aus Belgien auf mich zu. Es wollte meine Firma abkaufen. Der angebotene Preis schien mir sehr attraktiv – die Zeitungen kritisierten allerdings, ich hätte mich über den Tisch ziehen lassen. Sie hielten den Preis für ein Schnäppchen. Dennoch verkaufte ich.
Und Sie behielten recht?
Der Käufer – TelinDus – behielt genauso recht wie ich: Kurzfristig legte sein Unternehmen nach dem Kauf an der Börse zu. Und im Nachhinein erwies sich meine Einschätzung als richtig. Denn im November 2000 wäre kein vernünftiger Börsengang mehr möglich gewesen. Die Kurse waren bereits eingebrochen. Ich habe den Verkauf nie bereut.
Nach dem Verkauf folgte das Dolce Vita?
Ich arbeitete noch ein Jahr lang als CEO. Dann gönnte ich mir zweieinhalb Jahre Ferien. Ich reiste viel – dachte, ich sei pensioniert. Doch auf die Dauer wurde es mir zu langweilig.
In einem einzigen Jahr stellte ich zwei kriminelle CEOs ein. Das gab mir viel zu denken.
Was motivierte Sie, wieder zu arbeiten?
Ich habe viel Freude an Technologien, am Verbessern der Welt, am Schaffen von Arbeitsplätzen, an der Zusammenarbeit mit jungen Leuten. Ich muss eher darauf achten, nicht zu viel zu arbeiten.
Was heißt zu viel?
Jahrelange meinte ich, dass ich nur noch 50 Prozent arbeite: 40 Stunden die Woche statt 80 wie früher. Aber meine Frau sieht das anders. Es ist schwierig für mich, zwischen Arbeit und Vergnügen zu trennen. Ein Großteil meiner Arbeit besteht aus Lesen. Viele Leute lesen in ihrer Freizeit – ich lese beruflich und privat, weil es mir Spaß macht.
Was lesen Sie?
Wissenschaftliche Literatur und Blogs – alles im Technologiebereich. Ich lese mehr als die meisten anderen. Dazu reise ich regelmäßig ins Silicon Valley und nach Israel.
Das klingt nach Knochenarbeit.
Ich schaue mir jedes Jahr 500 Unternehmen an, um schließlich in fünf zu investieren.
Wahrscheinlich werden Sie überhäuft mit Anfragen?
Ja, ungefragt landen jährlich 300 Dossiers auf meinem Pult. Die prüfe ich alle persönlich.
Sie wurden auch als »Business Angel of the Year« ausgezeichnet. Bedeutet Ihnen das etwas?
Auf jeden Fall. Denn oft, wenn ich die Zukunft predige oder etwas unternehme, werde ich belächelt. Man nimmt mich nicht ernst. Jahrelang musste ich mir anhören, Social Media sei eine Blase –, doch heute ist Facebook stärker als je zuvor. Dasselbe erlebte ich bei den Elektroautos. Wenn ich sehe, dass Ideen, die ich unterstütze, in der Welt angenommen werden, ist das für mich eine Genugtuung.
Sind Sie als »Business Angel« ein Engel?
Nein. Ich verschenke kein Geld, sondern investiere es in Firmen, in der Annahme, dass sich das eines Tages mehrfach auszahlt. Natürlich geschieht es immer wieder, dass ich auf Projekte setze, denen kein Erfolg beschieden ist. Wenn ich als Business Angel arbeite, steht das Business im Vordergrund – nicht der Angel. Außerhalb des Business engagiere ich mich aber sehr gerne für wohltätige Zwecke.
Rückschläge scheinen Sie nicht zu kennen.
Doch, da gibt es sehr viele, immer wieder. Das gehört dazu.
Was bezeichnen Sie als größten Misserfolg?
In einem einzigen Jahr stellte ich zwei kriminelle CEOs ein. Das traf mich stark. Denn ich behaupte von mir, dass es meine Kernkompetenz ist, gute CEOs einzustellen. Doch ich erwischte nicht nur schlechte, sondern auch noch kriminelle.
Der Banker J.P. Morgan meinte, Charakter sei das Wichtigste.
Das unterschreibe ich. Ich achte auf den Charakter, die Ethik, aber auch den Erfolgshunger eines Managers. Der Schulrucksack ist weniger wichtig.
Gibt es etwas, das Ihnen peinlich ist?
Mein Freund Lars Hinrichs bat mich um Geld für sein Open BC, heute bekannt als Xing. Ich lachte ihn aus und hielt diese Plattform für ein bescheuertes Hirngespinst. Bald merkte ich, dass ich falsch lag. Darauf investierte ich im großen Stil in Facebook.
Sie sind heute öfter in Israel als im Silicon Valley. Wieso?
Weil in Israel mehr interessante Start-ups entstehen und alles unkomplizierter ist.
Was gefällt Ihnen an der Mentalität in Israel?
Wenn bei uns in Europa jemand scheitert, ist er fast für alle Zeiten abgeschrieben. In Israel betont man es sogar, wenn ein CEO dreimal pleiteging –, denn das gilt als gut. Alle wissen, dass dieser Chef dieselben Fehler nicht noch einmal begehen wird. Wer Fehler macht, erhält in Israel eine neue Chance. Versagen gehört zum guten Ton.
In Europa pflegen wir also eine Sündenbockkultur?
Ja. Dazu kommt eine Neidkultur. Man gönnt Leuten den Erfolg nicht. Wenn einer hier mit dem Ferrari vorfährt, stempelt man ihn als Angeber ab. Allerdings verhält sich das schon in Italien anders. Dort klatschen die Leute, weil sie den Ferrari toll finden.
Was beobachten Sie in Deutschland?
Hier diskutiert man viel direkter, ist weniger auf Harmonie ausgerichtet als in der Schweiz. Das spüre ich in den Verwaltungsräten. Der Umgangston ist härter. Leute werden direkt angegriffen. Das ist manchmal gut, manchmal eher kontraproduktiv.
Hat jeder eine zweite Chance verdient?
Wenn einer sich angestrengt hat und gegen die Wand gerannt ist, dann hat er eine weitere Chance verdient. Das gilt aber nicht für Leute, die unloyal und unethisch handeln.
Woran erkennen Sie, ob ein Start-up erfolgreich sein wird?
Hauptsächlich am Charakter des Chefs. Nebensächlich am Markt und am Produkt. Der Kopf der Firma muss die Welt verändern wollen – und die Energie dafür aufbringen.
Um ihre Firmen zu beurteilen, muss man technisch ziemlich bewandert sein. Wie tief gehen Sie ins Detail?
Ich investiere in völlig neue Technologien. Dabei weiß ich genau, was es auf dem Markt gibt –, aber mit den technischen Details befasse ich mich weniger. Es ist nicht wichtig, wieso der eine Zylinderkopf schneller dreht als der andere. Am Schluss muss einfach das eine Auto schneller sein als das andere. Das verkauft sich besser.
Auf welche Entwicklungen setzen Sie heute?
Momentan arbeite ich viel mit Blockchain, Drohnen und autonomen Autos. Und ich gehe davon aus, dass wir bis zu 150 Jahre alt werden.
Im Ernst?
(Lacht) Wie gesagt: Ich bin es gewohnt, dass man über meine Ideen spottet. Doch in den letzten 100 Jahren erreichte die Medizin weniger Fortschritte, als sie in den nächsten 10 Jahren erreichen wird. Deswegen denke ich, dass ich in 15 Jahren jünger sein werde als heute.
Eine schöne Aussicht! Und wo ist man am Puls der medizinischen Forschung?
Überall. Die Initialzündung gab Ray Kurzweil von Google an der Singularity University. Aber auch in der Schweiz gibt es viele Life-Science-Firmen. Es braucht jeweils lange, bis alle klinischen Studien abgeschlossen sind. Doch ich sehe, woran die Forscher tüfteln und was in die Pipeline geht. Krebs und andere Killer dürften ihn zehn Jahren ausgerottet sein.
Daniel Gutenberg
Sein Name ist verknüpft mit Firmen wie Netscape, Facebook und Mobileye. Daniel Gutenberg (51) ist einer der erfolgreichsten Business Angels in Europa und seit 2003 General Partner beim Schweizer VC-Investor VI Partners. Wie kaum ein Zweiter pflegt er Kontakte zu den Vordenkern der technologischen Welt von morgen im Silicon Valley und in Israel. Bis heute liebt der ehemalige Ski- und Snowboardlehrer das Skifahren sowie das Wakeboarden auf dem Zürichsee. Daneben fliegt und reist er gerne – als Passagier wie als Pilot. Daniel Gutenberg ist verheiratet und Vater von drei Söhnen.