Annette Riedl
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Carla Ruddigkeit

Die Schönheits-Flüsterin

Für Carla Ruddigkeit sind alle Frauen schön – sie müssen es nur entdecken. In ihrem Berliner Atelier will die Stilberaterin ihren Kundinnen dabei helfen, zu sich selbst zu finden.

Anna Lutz
Anna Lutz
8 min

Was siehst du?«, fragt Carla Ruddigkeit ihre Kundin Konstanze Jäh. Die Frauen stehen vor einem großen goldenen Spiegel im Atelier »Zauberbraut« in Berlin. »Eine Birne«, sagt Jäh. »Bitte, mach aus deinem Körper kein Obst«, entgegnet Carla und lächelt. »Schau dich an. Was gefällt dir an dir?« Zweiter Anlauf: »Ich mochte meine Beine und meinen Po lange nicht, aber jetzt finde ich sie gar nicht mehr so schlecht«, sagt Jäh. Die Stilberaterin legt ihre Hände an die Hüften ihrer Kundin. Die Atmosphäre ist vertraut. »Schau dich an. Was magst du an dir?« Jäh überlegt.

Ich will Frauen helfen zu sehen, wie schön sie sind.

Ruddigkeit kennt Szenen wie diese. Seit fünf Jahren berät sie Frauen in Stilfragen. Dazu gründete sie ihr Unternehmen »Zauberbraut Berlin«, designte zunächst vor allem Brautkleider und entschied sich dann dazu, auch für die da zu sein, die nicht kurz vor der Hochzeit stehen. Sie weiß: Frauen fällt es oft schwer, ihre Schönheit zu entdecken. »Viele benennen zuerst ihre Makel«, sagt sie zwischen Kleiderständern, Farbpaletten und Ordnern, gefüllt mit Frauenleben und Modeinspirationen. »Ich will ihnen helfen zu sehen, wie schön sie sind.« 

Ruddigkeit sieht man ihre Modeaffinität an: roter Lippenstift, braunschwarzer selbst designter Jumpsuit, schwarze Locken – alles ist perfekt aufeinander abgestimmt. Selbst die Tassen im Büro passen zur Einrichtung. Ruddigkeit hat ein Auge fürs Detail. Sie mag es schön. Doch was bedeutet das eigentlich – Schönheit? »Frauen sind schön, wenn sich ihr inneres Wesen in ihrem Äußeren spiegelt«, sagt die Expertin. Charakter und Stil müssen zusammenpassen. Das herauszukitzeln, braucht mal mehr, mal weniger Zeit, gezielte Techniken und viel Einfühlungsvermögen. 

Sich selbst neu schätzen lernen

Konstanze Jäh trifft sich seit einem halben Jahr regelmäßig mit der Berlinerin. »Ich stand vor dem Kleiderschrank und dachte: Du hast einfach zu viel.« Sie wollte nicht mehr das Gefühl haben, in Kleidung zu ertrinken und am Ende doch nichts zu haben, das zusammenpasst. Also fragte sie Ruddigkeit um Rat. Das Programm der Stilberaterin umfasst verschiedene Schritte: Auf ein ausführliches Kennenlernen und eine Analyse der individuellen Ziele folgt eine Farbberatung und ein Blick auf die Körperform. Schließlich wirft Ruddigkeit einen Blick in den Kleiderschrank der Kundin. Was nicht passt, wird neu interpretiert, umgefärbt oder geändert. »Bei mir waren das vor allem Schwarztöne«, erinnert sich Jäh. Statt des geliebten Senfgelbs trägt sie nun Anthrazit und Braun. »Ich bin ein Erdtyp«, sagt sie.  

Das herauszufinden, ist komplexer, als es auf den ersten Blick scheint. Ruddigkeit erstellt mit ihren Kundinnen zum Beispiel sogenannte Moodboards auf der Plattform Pinterest. Die Frauen sammeln dort scheinbar willkürlich Fotos, die ihnen gefallen: romantische Bilder von Frauen auf Pferden, nackte Füße auf Holzboden, ein Sportler beim Yoga. Ruddigkeit gruppiert die Bilder und am Ende steht eine Übersicht dessen, was der Kundin gefällt. In diesem Fall: Sie mag es natürlich, romantisch, selbstbewusst. Die Frauen können auch Vorbilder benennen. Bei Jäh waren das Herzogin Kate Middleton und die Schauspielerin Jennifer Aniston. Tatsächlich ähnelt ihr Stil nun den prominenten Vorbildern. Ihre braunen Lederstiefeletten passen perfekt zur Lederjacke über dem anthrazitfarbenen Rollkragenpullover und einer figurbetonten Jeans. Eine auffällige Kette mit passenden Glasperlen rundet das Ganze ab. »Ich habe nichts davon neu gekauft«, sagt Jäh. Sie habe die Sachen mithilfe der Beratung nur neu entdecken müssen. 

Meine Kundinnen sollen sich neu schätzen lernen.

Ruddigkeit ist begeistert von solchen Geschichten. Ihr Wunsch ist es, dass die Frauen, die zu ihr kommen, sich neu kennenlernen. Deshalb bezeichnet sie sich auch ungern als Stilberaterin, sondern benutzt den Begriff Personality Stylistin – zu Deutsch etwa Persönlichkeitsberaterin. Sie berichtet von einer Kundin, die nach einer Beratung von Bekannten angesprochen worden sei, ob sie frisch verliebt wäre. »Ja, ich bin verliebt, antwortete sie – in mich selbst.« Sich selbst neu schätzen zu lernen, das wünscht Ruddigkeit sich für jede Frau: »Das ist wie eine Wiedergeburt.«

Flucht in eine andere Kultur

Ruddigkeit hat von jeher eine Faszination für Kreativität und Schönes. Nach dem Abitur studiert die Deutsche mit puerto-ricanischen Wurzeln Architektur. Sie arbeitet in Architektenbüros, träumt aber immer vom eigenen Geschäft. Und mehr noch: Sie will zurück nach Puerto Rico. Dabei hat sie das Land bisher nur auf Kurzreisen erlebt.

Ruddigkeits Mutter Lorraine verließ ihre Heimat früh. Sie lernte ihren damaligen Mann, einen Deutschen, in Berlin kennen und heiratete. Ihre Großmutter Hilda pflegte in Puerto Rico einen frommen Lebensstil. Als Erwachsene ließ sie sich taufen und ging auf im Leben in der und für die Kirchengemeinde. Ruddigkeits Mutter hingegen war gerade mitten in ihren Teenagerjahren, träumte von Feminismus und Freiheit. Kurz: Die Lebensstile von Mutter und Tochter passten nicht zusammen. Zudem fühlte Lorraine sich durch die Kirche ihrer Mutter kritisch beäugt. Der Druck, in die mutmaßlich christliche Norm zu passen, belastete sie. Da kam ein Stipendium in Deutschland gelegen. Und so trennten sich die Wege der Frauen – wenn auch nur für einige Jahre. 

Carla wird in Deutschland geboren. Von Beginn an sehnt sich die kleine Carla nach der Ferne. Zweimal besucht sie Puerto Rico als Mädchen, mit neun und fünfzehn Jahren, und findet ein Vorbild in der Großmutter. Heute, Jahrzehnte später, sind die Erinnerungen verblasst, doch Ruddigkeit erinnert sich noch haargenau an ein Lied, das Hilda immer mit ihr sang: »Yo tengo un amigo que me ama y su nombre es Jesús«. Auf Deutsch: »Ich habe einen Freund, der mich liebt, und der heißt Jesus«. »Sie war so nah an Gott dran«, erinnert sich Ruddigkeit. »Wir haben bis heute eine tiefe Herzensverbindung.« 

Drei Wiedergeburten

Sie selbst entdeckt den christlichen Glauben dennoch erst während des Studiums für sich. Auf der Suche nach Wahrheit, Halt und Antworten fasziniert sie die Esoterik. Doch je mehr sie sich mit Astrologie, Handlesen, fern- östlichen Lehren und Übernatürlichem beschäftigt, desto unruhiger wird sie. Eines Nachts plagen die Studentin böse Träume: Dämonen verfolgen sie. Schweißgebadet wacht sie auf und sieht ihren damaligen Partner neben sich, ebenfalls mit Albträumen kämpfend. Auch ihn jagt der Teufel im Traum. Ruddigkeit hat Angst, sie weiß keinen Rat, außer sich an die eine Person zu wenden, die in ihrem Leben schon immer für Dinge zwischen Himmel und Erde zuständig war: Oma Hilda. Am Telefon berichtet sie ihr über knapp fünftausend Kilometer Entfernung hinweg von den Albträumen. »Lies Psalm 91«, rät die Großmutter. Und die Enkelin tut es. Die Worte werden ihr Leben verändern: »Ich sage zum Herrn: Du meine Zuflucht und meine Burg, mein Gott, auf den ich vertraue. Denn er rettet dich aus der Schlinge des Jägers und aus der Pest des Verderbens.« 

In den nächsten Wochen liest die angehende Architektin immer weiter in der Bibel. Sie beginnt ganz vorne, bei den Geschichten von Noah, Josef und Abraham und ist fasziniert von der Idee, dass diese Männer direkt mit Gott in Kontakt getreten sein sollen. »Das wollte ich auch«, blickt sie zurück. Und eines Tages ist es ihr, als spreche Gott mitten in ihr Herz: »Das kannst du haben«, sagt er. Ruddigkeit lässt sich schließlich als erwachsene Frau in der Havel taufen. Derweil ist auch ihre einst so skeptische Mutter Christin geworden. Drei Generationen, drei Frauen, drei unterschiedliche Geschichte, drei spirituelle Wiedergeburten: »Das ist ein Wunder«, sagt Ruddigkeit. 

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Farben, Schnitt, Figurtyp: In ihrem Studio mit dem Namen »Zauberbraut Berlin« berät Carla Ruddigkeit Frauen, die ihren Stil neu finden wollen. Vor allem will sie ihnen Selbstvertrauen verleihen.
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»Gott hat uns wunderbar geschaffen und es lohnt sich, das zu entdecken«: Für Carla Ruddigkeit ist ihre Arbeit auch göttliche Berufung.

Abschied und Neuanfang

Letztlich ist es die Bindung zur Großmutter, die sie 2005, nach Studium und ersten Berufsjahren nach Puerto Rico zieht. Ruddigkeit wandert aus, arbeitet in einem Architekturbüro in der Karibik. Als sie sich zwei Jahre später selbstständig machen möchte, erreichen sie schlimme Nachrichten. Ihre in Deutschland lebende Mutter ist schwer an Krebs erkrankt. Ruddigkeit beschließt, mit der Großmutter für vier Wochen nach Deutschland zu reisen, um mit der Mutter Weihnachten zu feiern und ihr im Kampf gegen die Krankheit beizustehen. Als die beiden Frauen in Deutschland ankommen, finden sie eine von der Krankheit gezeichnete Frau vor - schwach, müde, ausgezehrt. Bei einem gemeinsamen Arztbesuch bittet die Onkologin die Tochter um ein Gespräch: »Ihnen ist klar, dass Ihre Mutter die nächsten zwei Wochen nicht überleben wird?« Schockiert beschließt Ruddigkeit, in Deutschland zu bleiben, die Mutter zu betreuen, solange es geht. Aus zwei Wochen wird ein Jahr. Am Ende pflegt sie ihre Mutter zu Hause bis zum Tod. Ihre Asche beerdigt sie in Puerto Rico. Doch zurück in das Land kann sie nicht mehr. Alles hat sich verändert. Sie müsste neu Fuß fassen. Und die Architektur begeistert sie schlicht nicht mehr. »Fassaden und Fliesenraster – das hat bei mir keine Leidenschaft mehr ausgelöst«, erinnert sie sich. Stattdessen will sie in Menschen investieren, ihnen zeigen, dass sie mit sich zufrieden sein können. Das hat viel mit ihrem Glauben zu tun: »Ich will den Frauen helfen, ganz sie selbst zu sein, der Mensch, den Gott vor Augen hatte, als er sie schuf. Das ist meine Berufung.« Ruddigkeit bildet sich fort, unter anderem erwirbt sie zwei Zertifikate in den USA. Dann macht sie sich 2016 selbstständig und die Geschichte der »Zauberbraut« beginnt. 

»Du bist schön«

In Berlin steht Konstanze Jäh noch immer vor dem goldenen Spiegel. »Was siehst du?«, fragt Ruddigkeit erneut. Jäh zögert lange. »Ich habe einen flachen Bauch. Das ist schön. Und meine Güte, es ist gar nicht so leicht, das zu sagen!« Die Frauen lachen. »Ist es nicht schön, eine Frau zu sein?«, sagt Ruddigkeit später, als Jäh schon gegangen ist. »Wir sind strahlend, rauschend und berauschend. Gott hat uns wunderbar geschaffen und es lohnt sich, das zu entdecken.« So wie die Bibel im Hohelied sagt: »Siehe, meine Freundin, du bist schön.«

Carla Ruddigkeit

Carla Ruddigkeit

Carla Ruddigkeit berät Frauen in Stilfragen. 2016 gründete sie dazu ihr Unternehmen »Zauberbraut«. Zuvor studierte sie Architektur und arbeitete in verschiedenen Architekturbüros im In- und Ausland. Nach dem Tod ihrer Mutter bildete sie sich vorwiegend in den USA zur Personality Stylistin fort und eröffnete schließlich ihr eigenes Atelier. Zunächst beriet sie vor allem Bräute, heute kommen auch Frauen zu ihr, die nicht kurz vor der Hochzeit stehen. Die Deutsche mit puerto-ricanischen Wurzeln lebt mit ihrem Mann in Berlin und besucht eine freikirchliche Gemeinde.